III. Von 1700--1740.

Die Erforschung der öffentlichen Meinung bestimmter Zeitabschnitte wird immer mehr als eine notwendige Aufgabe der Wissenschaft erkannt. Über die öffentliche Meinung in Deutschland um 1700 verbreitet sich ausführlich eine bisher ungedruckte -- nur ein kurzer Auszug ist erschienen -- Dissertation A. Wuttkes, die sich auf das sehr reiche Flugschriftenmaterial der Universitätsbibliothek Jena -- der Verfasser zählt im Anhang nicht weniger


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als 348 Flugschriften aus der von ihm bearbeiteten Zeit von 1697--1706 auf -- stützt ( 1069). Die Arbeit bildet die Fortsetzung von älteren, gleichfalls aus dem Historischen Seminar der Universität Jena hervorgegangenen Dissertationen M. Petrans und A. Petersens, welche die Stimmung in Deutschland in den Perioden von 1683--1687 und von 1688--1697 untersuchten. Wuttke beginnt mit der Darstellung des Eindrucks, den die polnische Königswahl von 1697 hervorrief. Der Freude über den Wahlsieg des Wettiners Augusts des Starken stand die Enttäuschung und Unzufriedenheit über die Bestimmungen des Friedens von Ryswick gegenüber. Die große Auseinandersetzung über die spanische Erbschaft hielt dann die Gemüter in Aufregung: Das Verhalten Ludwigs XIV. schuf eine einmütige nationale Abwehrfront, man wünschte den Krieg, jubelte über die ersten Siege des Prinzen Eugen in Italien, verfiel dann jedoch nach dem Anschluß Bayerns an Frankreich und den Unglücksfällen von 1703 in das entgegengesetzte Extrem, bis der Sieg von Höchstädt im Jahre 1704 die Befürchtungen zerstreute; die Schlachten von Ramillies und Turin ließen vollends einen glänzenden Abschluß des Kampfes erhoffen. War man so hinsichtlich des Spanischen Erbfolgekrieges einer Meinung, so schuf hingegen der Nordische Krieg zwei Parteilager, die sich heftig befehdeten: hie Schweden- Gottorp, hie Dänemark-Sachsen. Die Erhebung Brandenburg-Preußens zum Königreich scheint allgemein freudig begrüßt worden zu sein. -- Ein interessantes publizistisches Werk aus derselben Zeit, die Mémoires de la Cour de Vienne, 1705 in französischer Sprache und im selben Jahre noch in deutscher Übersetzung erschienen, würdigt O. Redlich ( 1073). Der aus der Freigrafschaft Burgund stammende Verfasser, Kasimir Freschot, schildert in dieser Schrift, zum Teil sicherlich nach recht guten Quellen, Personen und Verhältnisse am Kaiserhof und die Zustände in der Stadt Wien. Er verfolgt dabei auch politische Ziele: trotz aller Kritik an der kaiserlichen Regierung nimmt er entschieden für die Verbündeten gegen Ludwig XIV. Stellung. Von der Regierung des jungen Josef I. erwartet er Ausrottung der in Wien von ihm beobachteten Mißstände und eine kraftvollere Politik. -- In die Geschichte der Publizistik während des Spanischen Erbfolgekriegs gehört auch die Persönlichkeit des Jean de la Chapelle, dessen offene und geheime diplomatische Tätigkeit in der Schweiz von 1702--1709 R. Roux beleuchtet ( 1070). Im Auftrag des französischen Außenministers Torcy und in enger Verbindung mit dem Gesandten in der Schweiz, Puyzieulx, suchte dieser hochgebildete, literarisch sehr tätige Mann durch die von ihm verfaßten anonymen »Briefe eines Schweizers«, die in verschiedenen Sprachen in Tausenden von Exemplaren verbreitet wurden, die allgemeine Stimmung auch außerhalb der Schweiz in französischem Sinne zu beeinflussen. Merkwürdig, daß er dabei die Gemüter insbesondere durch die Vision einer künftigen deutschen Universalmonarchie, einer Vorherrschaft des geeinten Reichs in Europa schrecken zu können glaubte.

In die an Intrigen und überraschenden Wendungen reichen Jahre unmittelbar nach dem Abschluß des Spanischen Erbfolgekrieges fällt die vielfach auch nach Deutschland hinüberspielende politische Wirksamkeit eines englischen Staatsmannes, dessen Leben F. L. Edwards in einem auf wissenschaftlichen Apparat verzichtenden Büchlein an uns vorüberziehen läßt ( 1072). James Stanhopes Laufbahn begann als Soldat: seit 1706 führte er die zur Unterstützung des Habsburgers Karl III. nach Spanien entsandten Truppen, nicht ohne Geschick,


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wenn auch schließlich ohne Erfolg. Seit der Thronbesteigung des Hannoveraners Georg I. übte er dann maßgebenden Einfluß auf die englische Außenpolitik aus. Ihm vor allem, der gute Beziehungen sowohl zum Kaiser wie auch zum Regenten von Frankreich unterhielt, der zugleich mit dem König und seiner hannoverschen Umgebung auszukommen wußte, war der Abschluß der Quadrupelallianz von 1718, welche die Seemächte mit Österreich und Frankreich gegen das Spanien Alberonis verband, zu verdanken. Im Jahre 1721 starb »Don«, wie ihn seine Freunde nannten, erst 48 Jahre alt.

Zu begrüßen ist es, daß Th. v. Seydewitz' Biographie des sächsischen Kabinettsministers Grafen Manteuffel nunmehr im Drucke vorliegt ( 1075). Es verlohnte sich in hohem Maße, Leben und Wirken dieses Mannes, der nicht nur politisch eine gewisse Rolle gespielt hat, sondern auch im geistigen Leben seiner Zeit eine bedeutsame Stellung einnahm -- bekanntlich stand er mit dem jungen Friedrich während dessen Rheinsberger Jahre in lebhaftem Gedankenaustausch --, zu erforschen und darzustellen. Die Verfasserin hat zu diesem Zweck neben den zeitgenössischen Druckschriften und der neueren Literatur insbesondere die Manteuffel betreffenden Akten und Korrespondenzen, die sich im Dresdener Staatsarchiv befinden, herangezogen und nutzbringend verwertet. Der erste Teil ihrer Arbeit behandelt den Lebensgang und die staatsmännische Tätigkeit des Ministers. Manteuffel, der aus Pommern stammte, stand anfangs in brandenburgisch-preußischen Diensten; im Jahre 1701 mußte er jedoch infolge eines unvorsichtigen Angriffs auf die Gemahlin des allmächtigen Ministers Wartenberg aus Berlin fliehen. In Sachsen fand er Zuflucht und durch die Gunst des Grafen Flemming, des bekannten Günstlings Augusts des Starken, bald auch Anstellung. Von 1705--1710 wirkte er als sächsisch-polnischer Gesandter in Kopenhagen, von 1711--1717 in der gleichen Eigenschaft in Berlin. 1716 zum Kabinettsminister ernannt, hat er dann zunächst bis zu Flemmings Tode im Jahr 1728 unter dessen Leitung, dann zwei Jahre lang selbständig die auswärtigen Angelegenheiten bearbeitet. 1730 durch Hoym gestürzt, blieb er doch weiterhin politisch tätig, insbesondere verwandte ihn Brühl seit 1734 als geheimen Agenten in Berlin, wo er durch zum Teil recht dunkle Kanäle aber schließlich ohne Erfolg auf den Kronprinzen Friedrich auch in politischen Dingen Einfluß zu gewinnen suchte. Weit erfreulicher als seine staatsmännische und diplomatische Wirksamkeit ist sein Verhältnis zum geistigen Leben seiner Zeit, mit dem sich der zweite Teil von Seydewitz' Schrift beschäftigt. Als Freund und Förderer Christian Wolffs und Gottscheds, als Schöpfer der Gesellschaft der Aleethophilen und als Protektor der Universität Leipzig hat er, der als Politiker keineswegs vorwurfsfrei erscheint, sich unbestreitbare Verdienste erworben. Ohne selbst geistig produktiv zu sein, nahm er doch am philosophischen und literarischen Leben den lebhaftesten Anteil. In merkwürdiger Harmonie tritt uns in ihm der Typus zugleich des Rokokokavaliers und des gläubigen Schülers der Aufklärung entgegen. -- Manteuffel hat nicht unwesentliche Dienste bei der Wahl Augusts III. zum König von Polen im Jahre 1733 geleistet. Von der Erfüllung einer wesentlichen Vorbedingung für diese Wahl, dem Übertritt des damaligen Kronprinzen Friedrich August von Sachsen zum Katholizismus, handelt ein Aufsatz B. Duhrs, der insbesondere den Anteil des Jesuitenpaters Salerni an der Konversion darlegt ( 1076).

Eine der bedeutsamsten Tatsachen der deutschen Geschichte in der ersten


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Hälfte des 18. Jahrhunderts -- wenn nicht die bedeutsamste überhaupt -- ist der Aufbau des preußischen Militär- und Beamtenstaats durch Friedrich Wilhelm I. Eine Reihe von Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte Preußens seit 1700 hat das Berichtsjahr uns gebracht: W. Koch untersucht die Zeit Friedrichs I. und weist auf Ansätze zu Verwaltungsreformen hin, die unter Friedrich Wilhelm dann durchgeführt wurden, G. v. Selle übt auf Grund der im Jahre 1740 vorgebrachten Beschwerden der Landstände Kritik an Friedrich Wilhelm und C. Jany behandelt Entstehung und Durchführung der berühmten Kantonverfassung ( 1606, 1608, 1607). Doch auf diese Arbeiten soll an anderer Stelle näher eingegangen werden. In ihren Kreis gehören auch die von L. G. v. d. Knesebeck veröffentlichten Briefe des Markgrafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt an den Oberstleutnant v. Rochow hauptsächlich aus dem Jahre 1736: sie gewähren Einblick in die Zustände und Vorfallenheiten bei einem preußischen Regiment zur Zeit des roi sergeant ( 1080). Endlich seien hier noch die Mitteilungen E. Lukinichs über die sich hauptsächlich auf »lange Kerls« erstreckenden preußischen Werbungen in Ungarn, die insbesondere zu Beginn der dreißiger Jahre größeren Umfang annahmen, erwähnt ( 1081). Bemerkenswert ist die Tatsache, daß ein großer Teil dieser Werbungen, denen übrigens höhere ungarische Offiziere, wie der Vizekommandant von Komorn, Graf Castelli, erheblichen Vorschub leisteten, im Auftrag des Kronprinzen Friedrich betrieben wurde, wohl kaum, wie der Verfasser meint, weil er die Leidenschaft seines Vaters für die großen Rekruten vollkommen teilte, sondern wahrscheinlich um auf den König, mit dem er sich nach dem Fluchtversuch ja nur notdürftig versöhnt hatte, guten Eindruck zu machen.


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