II. Die Revolution von 1848--1850.

Drei Arbeiten beschäftigen sich mit der Beteiligung deutscher Staaten an der Schleswig-Holsteinischen Frage 1848--1850, jede von anderen methodischen Voraussetzungen aus. Stuhlmann ( 1204) gibt Kriegsgeschichte, zeigt dabei neben der Schilderung der strategischen Leistungen die Einzelheiten in Organisation, Verpflegung und Transport der Truppen, so daß ein anschauliches Miniaturbild davon entsteht, wie die den Schleswig-Holsteinern von den deutschen Mittelstaaten gewährte Hilfe im einzelnen Falle praktisch aussah. Denn das Bild, das die Politik bietet, ist recht trübe: nach anfänglicher Begeisterung bei Regierung und Bevölkerung zeigt sich überall ein erhebliches Nachlassen der Stimmung, die 1849 noch einmal aufflammt, ein Versäumen und Hinauszögern der Bundesleistungen, eine Rivalität und Sorge um die Schonung der eigenen Kräfte. Dies gilt namentlich von Hannover, dessen Politik Sievers ( 1202) darstellt. Er beschränkt sich nicht nur auf die Untersuchung der Politik innerhalb des deutschen Bundes, sondern gibt auch auf Grund der hannoverschen Akten einen Überblick über das Verhalten der europäischen Mächte zur schleswig-holsteinischen Frage: dadurch wird die Arbeit von Precht (s. Jahresberr. 1, Nr. 1127 u. S. 277 ff.) aus neuem Material ergänzt. Hätte Sievers freilich diese Arbeit mit benutzt, so würde er sein allzu günstiges Urteil über Palmerston (S. 39) etwas eingeschränkt haben. War Hannover durch das Embargo und durch seine Abhängigkeit von England unmittelbar am Kriege interessiert, den es Anfang April 1848 noch vor Beginn der Feindseligkeiten durch Anrufung der englischen Vermittlung beizulegen hoffte, so lag Hessen-Darmstadt so weit vom Kriegsschauplatz entfernt, daß von einem Einfluß der Regierung auf die Ereignisse und Beschlüsse keine Rede sein kann. Daher hat Durst ( 1203) auch hauptsächlich


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die öffentliche Meinung zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht, und es zeigt sich dabei der typische Wechsel des Interesses, das bald hohe Wogen schlägt, bald durch andere Fragen abgelenkt, fast ganz versiegt. Die Schleswig-Holsteinische Frage und mit ihr die Flottenfrage wird in Hessen zum Scheidewasser der liberalen und demokratischen Parteien.

Precht hatte für seine Arbeit über Englands Stellung zur deutschen Einheit 1848--1850 (s. Jahresberr. 1, 1127 u. S. 277 ff.) die englischen Akten nicht benutzen können. Eine Ergänzung bietet daher die Arbeit von Greer ( 1199), welche auf dem Material der französischen und englischen Archive aufgebaut ist: sie bringt in einem besonderen Kapitel (Chap. X.) eine Darstellung der Schleswig-Holsteinischen Frage unter außenpolitischen Gesichtspunkten; man kann also eine Probe auf Prechts Ergebnisse anstellen und findet sie durchaus bestätigt. Doch geht Greer nicht so genau auf jede einzelne Wendung der Politik Palmerstons in dieser Frage ein, die Revolution in Österreich und Preußen werden gar nicht behandelt. Zur Frage, ob der Pacificohandel ungünstig auf die Haltung Englands zu Schleswig-Holstein eingewirkt habe (s. Precht, S. 145 ff.), bringt auch Greer nur die Stelle aus der Erinnerung des Herzog Ernst von Coburg bei; auch in dem Kapitel, das dem Pacificohandel gewidmet ist, findet sich kein Beweis dafür. Es bleibt also vorläufig bei dem Urteil Prechts. Tingsten ( 1207) gibt einen Einblick in die schwedische Politik, in die Truppenverschiebungen und die Verhandlungen mit Dänemark und Preußen. Das Interesse Schwedens war auf seiten Dänemarks. Genaue Pläne für das Eingreifen Schwedens in den Krieg an Seite Dänemarks lagen vor. Preußen sah sich also einem festen Willen gegenüber, der durch Rußland gestärkt und gestützt wurde.

Zwei Politiker, deren öffentliche, politische Wirksamkeit in den vierziger Jahren beginnt, in der Revolution von 1848--1850 ihren ersten Höhepunkt erreicht, aber dann weit über das Jahr 1870 hinausgeht, der eine in Deutschland, der andere im Exil, sind noch zu nennen: Harkort und Kinkel, über deren politische und soziale Anschauungen zwei Arbeiten vorliegen ( 1227 u. 1222). Ein Mann wie Friedrich Harkort gehört als Führer der Wirtschaft und Bahnbrecher des Verkehrs in Deutschland gewiß zu den bedeutendsten Gestalten dieser an Männern von wirtschaftlicher Initiative noch armen Zeit vor 1848. Als Politiker war Harkort weniger glücklich, wenn er auch da, wo er die Verhältnisse aus der eigenen Anschauung übersah, zukunftskräftige Gedanken vertrat: jedoch in den letzten Machtfragen des Staates versagte dieser an dem vormärzlichen Liberalismus geschulte Politiker vollständig, trotzdem er als Vorkämpfer der deutschen Flotte schon hoch über das damals erreichbare hinausstrebte! So steckte in dieser Hinwendung zum Realismus der Wirtschaft und der Politik noch immer die alte Staatsfremdheit. Wolter ( 1227) zeichnet die Linien des Politikers Harkort noch einmal nach unter Einhaltung einer streng sachlichen Gliederung: diese Einteilung läßt sich rechtfertigen, weil Harkort in der Tat keine Entwicklung seines politischen Denkens erlebt, sondern das einmal Erkannte nur weiter ausgebaut hat. So hören wir von Harkorts wirtschaftspolitischen Ansichten, seiner Schul- und Kirchenpolitik, seiner Sozial- und Steuerpolitik, seiner Stellung zu den Fragen der Innen- und Außenpolitik und zur Wehrmacht. Harkort tritt früh als Verteidiger eines gemäßigten Schutzzolls auf, der Verfasser deutet an, daß sich Harkort 1842


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öffentlich zu Friedrich List bekannt habe (S. 10), aber eine nähere Untersuchung, welchen Einfluß List auf Harkort gehabt hat, hat Wolter nicht angestellt; dabei darf dann nicht nur das von Wolter zitierte System der politischen Ökonomie, sondern auch das »Zollvereinsblatt« zugrunde gelegt werden, in dem sich List wiederholt und eingehend mit der Wirtschaftspolitik Englands und Robert Peels beschäftigt. Auch sonst wird gelegentlich eine Einordnung Harkorts in einen größeren Zusammenhang vermißt, namentlich bei seinen sozialpolitischen Bestrebungen, die mit den Gedanken von Schulze-Delitzsch und anderen Sozialreformern seiner Zeit hätten in Vergleich gestellt werden müssen. Der Schilderung von Harkorts politischer Haltung zum Militärkonflikt, zu Bismarck, zu den Einigungskriegen fehlt die nähere Fühlung mit der Bismarck-Literatur, so entstehen gelegentlich Irrtümer über Bismarcks Haltung, dessen Stellung zum Krimkrieg eine wesentlich andere war, als Wolter (S. 134) glaubt. Einen Fortschritt über die Biographie des alten Harkort von Berger hinaus bedeutet die Arbeit gewiß.

Eine Untersuchung des Politikers Kinkel fehlte bisher trotz der vielversprechenden Arbeiten Bollerts von 1913 und 1916. Die Abhandlung des Amerikaners De Jonge ( 1222) baut z. T. auf Material auf, welches die verstorbene Ms. Ferguson für eine politische Biographie Kinkels gesammelt hatte: diese verdankt die Anregung zur Beschäftigung mit dem Stoff Prof. Ernst Elster in Marburg, dessen Schülerin sie 1912 war: hierüber berichtet das Vorwort von Robert Herndon Fife. Dies verdient auch hier festgestellt zu werden, da der Verfasser (De Jonge) in seiner Einführung glaubt, daß erst die Revolution von 1918 das Interesse an Kinkel und den »Achtundvierzigern« in Deutschland geweckt habe. Er glaubt den deutschen Historikern Vernachlässigung der »Achtundvierziger« vorwerfen zu können. Wenn er im gleichen Zusammenhang sagt: Under the Hohenzollern regime these men were held to be rebels against a political order which was accepted by historians and scholars as the last word in the philosophy of the state, so ist die Herkunft dieses Vorwurfs aus der »Ideologie von Versailles« nur allzu deutlich. Der Verfasser hält nun wiederum den Friedensvertrag von 1919 für das letzte Wort der Geschichte und macht ihn zum Maßstab der Beurteilung, wenn er sich Kinkels Anschauungen zu eigen macht: He saw in the establishment of a strong Hohenzollern empire, in the seizure of French Lorraine a potential danger to the peace of Europe. Less than fifty years later Germany was made a republic by the World War and not only Lorraine but also the German Alsace reverted to France (S. 147). Ähnlich urteilt der Verfasser über Kinkels Polenpolitik im Vergleich mit den Ergebnissen des Weltkrieges. Er stellt Kinkel und Bismarck (S. 148) gegenüber: Kinkels plan for a Pan-Germanic union was considered by many as a chimera, yet such a league of the nations of one race would undoubtedly have been cemented much more firmly than Bismarck's famous Triple Alliance which crumbled to pieces at the first signs of an approaching storm following the assassination of Archduke Francis Ferdinand at Sarajevo.« Solche Urteile sind nicht belanglose Entgleisungen oder Schiefheiten der Darstellung, sondern hinter ihnen verbirgt sich, bei näherem Zusehen, eine ganz bestimmte Einstellung zur deutschen Geschichte, welche an westlich-demokratischen Idealen gemessen wird. So irrt sich De Jonge auch, wenn er der Mehrzahl der »Acht- undvierziger« eine republikanische Gesinnung zuschreibt; es kann auch vom


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historischen Standpunkt nicht ohne Einschränkung zugegeben werden, daß die Revolution von 1918 die Ideale von 1848 ausgeführt habe (der Verfasser beruft sich auf Hugo Preuß!). Diesen Geschichtsbetrachtungen ausländischer Beurteiler wird der deutsche Historiker seine besondere Aufmerksamkeit, aber zugleich geschärfte Kritik zuwenden müssen, um die Fehlerquellen rechtzeitig aufzudecken, die hier verborgen liegen. Abgesehen von den Einwendungen, die gegen das historische Urteil dieses Buches zu machen sind (und die hier um ihrer allgemeinen Bedeutung willen hervorgehoben werden), bietet das Buch eine stoffreiche Darstellung, welche bisher unbenutzte Zeitungsaufsätze Kinkels (in der »Bonner Zeitung«, in der »Neuen Bonner Zeitung« und -- besonders wertvoll -- im »Hermann«, einem von Kinkel herausgegebenen Emigrantenblatt in London) heranzieht und dadurch die Linien der politischen Bilder der Persönlichkeit schärfer zeichnet, als es Bollert möglich war (Freiligrath und Kinkel 1916). De Jonge will vor allem den Vorwurf der politischen Unbeständigkeit von Kinkel abwehren. Er zeigt, daß bald die Forderung der politischen Freiheit, bald die der deutschen Einheit in seinem Denken vorwaltet: ähnliche Abwandlungen erfährt sein nationales und kosmopolitisches Denken. Die Gründe, weshalb Kinkel trotz mancher tiefer Einsichten scheitern mußte oder anders gesagt, weshalb Bismarck und nicht Kinkel (wie der Verfasser zu wünschen scheint) das Deutsche Reich gegründet hat, bleiben unerörtert; daher wird die tiefste Problematik und Tragik der »Achtundvierziger« und speziell Kinkels nicht erkannt.


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