§ 24. Deutsche Geschichte von 1914--1918.

(H. Herzfeld.)

a. Bibliographie und Quellenkunde.

Ausgehend von der mächtig gestiegenen, in ihrer Notwendigkeit bejahten Steigerung des Interesses für die Geschichte der jüngsten Gegenwart hat E. Müsebeck in einem inhaltreichen Aufsatz ( 1356) zur Frage gestellt, wie die moderne Archivverwaltung durch weitgehende vorarbeitende Erschließung ihrer Aktenmassen einer soliden wissenschaftlichen Fundamentierung dieser Arbeit entgegenkommen kann. Bei der Begrenztheit der Mittel, die nur an wenigen entscheidenden Punkten Aktenpublikationen umfassenden Inhaltes erlaubt, empfiehlt er die Aufstellung von inhaltlich orientierenden knappen Aktenstandsberichten, die dem Forscher über das Material so weitverzweigter Sammlungen wie des Potsdamer Reichsarchives eine erste Kenntnis vermitteln sollen. Die Bearbeitung von stichwortartigen Inventarheften dieser Art (so für Kriegsbriefe zur kulturellen Geschichte des Weltkrieges und für persönliche Nachlässe) ist probeweise im Reichsarchive bereits eingeleitet worden. Der Gedanke, auch für die Behördenakten zur neueren Geschichte seit Anfang des 18. Jahrhunderts den begrenzten Publikationen auf diese Weise orientierenden Hintergrund durch kollegiale, umfassend organisierte Arbeit aller deutschen Archivverwaltungen zu verschaffen, verdient auf


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jeden Fall ernsteste Beachtung. -- Eine verwandte Arbeitsweise hat bereits die in dem Sammelwerk der Carnegie-Stiftung erschienene Bibliographie zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Vereinigten Staaten im Weltkriege ( 1358) tatsächlich angewendet. Die knapp charakterisierten Aktenbestände und offiziellen Veröffentlichungen der amerikanischen Zentralbehörden im Kriege, ergänzt durch kurze Hinweise auf parallele Quellenbestände bei den einzelnen Staatsverwaltungen, geben in aller Skizzenhaftigkeit doch schon ein eindrucksvolles Bild von der Größe der inneren Mobilmachung der Vereinigten Staaten im Weltkriege und zeigen den Wert, den solche Orientierungsmittel für den Forscher erlangen können. -- Bescheidenere Ziele hat sich das französische Parallelwerk der Carnegie-Sammlung von Camille Bloch ( 1359) gesteckt. Es begnügt sich mit einer von 1914--1919 führenden Bibliographie der gedruckten Literatur, einschließlich des gesamten Zeitschriftenmateriales, zur Geschichte des Wirtschafts- und Sozialkrieges und ersten Wiederaufbaues in Frankreich. Hinweise auf nichtveröffentlichtes dokumentarisches Material der Verwaltung sind nur zufällig aufgenommen. Für den deutschen Forscher sei auf die umfassenden Verzeichnisse der Literatur über deutsche Invasion und Okkupation während des Krieges im Kapitel XI hingewiesen.

b. Kriegsschuldfrage und Kriegsausbruch.

In der Fortsetzung des geistigen Ringens um die Schuldfrage hat der Kampf der Dokumente weiter eine große Rolle gespielt. A. v. Wegerer ( 1362) hat eine neue Ausgabe des französischen Gelbbuches veranstaltet, die mit kritischer Einleitung und knappstem, nur auf die Feststellung der gesicherten Entstellungen von 1914 und Hinweis auf wahrscheinliche weitere Fälschungspunkte beschränktem Kommentar versehen ist. Die seit 1914 neu gewonnenen Dokumente sind nach Bourgeois- Pagès, Poincaré, den Affaires Balcaniques, dem französischen Generalstabswerk und Morhardt eingefügt worden. Der so erreichte Überblick über Fälschung und Fortlassung der Publikation von 1914 bietet ein nach dem heutigen Stand der Forschung abschließendes Arbeitsmittel und mag auch an seinem Teil beigetragen haben, den Entschluß zur angekündigten Herausgabe der französischen Akten zur Reife zu bringen, da nach dieser Sammlung der systematische Sinn der nachgewiesenen Fortlassungen und Fälschungen kaum mehr zu bestreiten war. -- Ein Parallelstück zu dieser Edition Wegerers hat der gleich unermüdliche Stieve in seiner Neuausgabe des russischen Orangebuches über den Ausbruch des Krieges mit der Türkei ( 1366) geschaffen. Sie richtet sich gegen Sasonows Versuch, dem russischen Garantieangebot an die Türkei vom August 1914 die Bedeutung einer Widerlegung des angeblichen russischen Meerengendranges zu verleihen. Stieves Kommentar, beruhend auf der Sowjetpublikation über die Frage mit ihren neuen Dokumenten, liefert dem gegenüber den Beweis, daß dieser Vorschlag sowohl für Frankreich wie Rußland nur ein diplomatisches Täuschungsmanöver, auf kurze Frist und die augenblickliche Kriegslage berechnet, gewesen ist. Schon im September hat Frankreich selbst diese Scheinpolitik wieder verschmäht und statt dessen einen gegen die Türkei aufzubauenden neuen Balkanbund empfohlen.

Die entscheidendste Bereicherung unserer Dokumentenkenntnis im Berichtsjahr wurde jedoch durch das Erscheinen der Englischen Dokumente zum Kriegsausbruch ( 1363-- 1364) bewirkt. Sie waren zusammengestellt von dem historischen Sachverständigen des Foreign Office, Headlam-Morley,


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dessen Einleitung freilich an die gewohnte Blickrichtung Greyscher Politik gebunden blieb. Die Vollständigkeit und Authenzität der Akten wird jedoch auch von Gooch und Temperley verbürgt und bestätigt sich am besten aus der Sammlung selbst, in der die Randvermerke und Memoranden von Greys ständigen Mitarbeitern, vor allem Nicolson und Eyre Crowe, entscheidende Einblicke in die englische Politik von 1914 gewähren. Sie erweist sich danach als Interessenpolitik des Bündnissystems von so nüchtener Entschiedenheit, wie dies nur irgend denkbar ist. Dem entsprang die bereits von H. Lutz betonte Ermutigung der russischen Mobilmachung am 25. Juli, parallel der Bereithaltung der eigenen Flotte, die Eyre Crowe schon damals den Verbündeten hat bekanntgeben wollen. Da Grey durchaus bereit war, Österreich zur Verhandlung unter dem Druck der russischen Mobilmachung zu zwingen, wird man sich hüten müssen, in seine etwas langsamere Entwicklung zu radikalen Entschlüssen eine wesentliche Differenz gegen seine Ratgeber hineinzuinterpretieren, statt darin nur die stärkere Rücksichtnahme des Verantwortlichen auf die Schwierigkeit der öffentlichen Meinung Englands zu erblicken. Die Befangenheit, mit der Grey die österreichische Politik gegen Serbien seit dem Ultimatum verurteilte, erscheint als dem tieferen Grunde des politischen Wollens entsprungen, wenn ihn Bunsen informiert, daß selbst der französische Botschafter in Wien, Dumaine, den Notwehrcharakter des österreichischen Vorgehens nicht übersehen konnte. Die Sammlung bestätigt endgültig, daß die gleiche Interessenpolitik, die England zu immer größerer Festigung der Ententen geführt hatte, auch notwendig seinen Eintritt in den Krieg bewirkte, aus der Sorge heraus, daß Neutralität ihm das Schicksal des Preußens von Jena bereiten könnte, das 1805 zur unrechten Stunde beiseite geblieben war. Besonders wichtig ist freilich die aus dem neuen Material zu gewinnende Erkenntnis, daß die Furcht vor der überschätzten Stärke des russischen Freundes die englischen Entschlüsse ebenso stark bestimmt hat, wie die Sorge vor einem deutschen Siege. Das dem Foreign Office zugehende Informationsmaterial hätte nach der neuen Publikation an sich zu zutreffender Beurteilung der deutschen und österreichischen Politik gereicht. Es sind englisches Interesse und englischer Wille, beide über den vorhandenen Wunsch der Friedenserhaltung dominierend, gewesen, die trotzdem zu schreienden Fehlurteilen, so in der Beurteilung der Mobilmachungsfragen, geführt haben, ganz zu schweigen von dem Komödienspiel mit dem französischen Zehnkilometerrückzuge und der belgischen Frage. Hans Delbrück ( 1365), der diese Dokumente zuerst in wertvoller Weise untersucht hat, betont nun freilich, daß die letzten seelischen Grundlagen der englischen Entschlüsse noch immer nicht in gleicher Deutlichkeit wie auf deutscher Seite entschleiert seien. Abgesehen von dem Fehlen der dokumentarisch fundamentierten Vorgeschichte, die sich uns erst aus dem Fortgange der englischen Publikation erschließen wird, kann das jedoch kaum für die Helfer Greys, sondern nur für den in seinen Bemerkungen sehr wortkargen Staatssekretär selbst gelten. Dessen Abneigung gegen die Kriegskatastrophe wird an sich durch die Dokumente neu bestätigt, aber sie geben doch auch nicht den geringsten Anhalt, um ihn, der dem Wesen nach Interessenpolitiker wie seine ungebrocheneren Ratgeber war, von diesen scharf zu trennen. Der Versuch, die englische Politik als Ganzes bei der Beurteilung der Julikrise auf eine höhere Stufe als die Politik der Festlandsstaaten zu stellen, müßte

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nach dem Material der Publikation jedenfalls für die Wissenschaft endgültig begraben sein.

In der darstellenden und resumierenden Behandlung der Schuldfrage hat 1926 das Ausland den literarisch größeren Raum eingenommen. Zwei der bedeutsamsten französischen Bücher dieser Art haben deutsche Übersetzer gefunden: Demartials Mobilmachung der Gewissen ( 1372), das in scharfer Wendung vor allem gegen die chauvinistische Tätigkeit von Lavisse die allgemeine moralische Verfehmung Deutschlands bekämpfte, ist für das engere Fachinteresse des Historikers wichtig durch die Streiflichter, die er auf Mittel und Wege der Propaganda vor und im Kriege wirft, im übrigen überwiegend ein bedeutendes Dokument des Nachkriegskampfes um die Reinigung der geistigen Athmosphäre. Im Dienste dieser Aufgabe wird es zur schneidendsten Kritik der Kriegspsychose, die überhaupt geschrieben ist, um durch die Widerlegung der Lügen dem Gegenwartskampf gegen den Krieg zu dienen. --Marguerittes Buch über die Verbrecher ( 1373) gibt eine wenigstens in kurzer Skizze schon 1871 einsetzende kritische Gesamtuntersuchung über die Ursachen des Krieges. Sie wirft Deutschland vor, dem Evangelium der Gewalt am stärksten gedient zu haben, weil sie seine Machtstellung bis zur Jahrhundertwende sehr überschätzt und schwächt die Bedeutung der französischen Revancheidee im ganzen bedenklich ab. Je näher sie dem Ausbruch des Weltkrieges kommt, desto stärker setzt sich das Streben nach strenger Unparteilichkeit durch. Die Politik Poincarés, gleichlaufend mit den geheimen napoleonischen Ideen des Oberkommandos unter Joffre und Foch, wird nach ihrer die Entwicklung zum Krieg entscheidenden Bedeutung scharf erkannt. Die Iswolski-Akten kommen zu ihrem vollen Rechte. Der Herbst 1912 bringt nach dem Verfasser für Poincaré die endgültige Ersetzung der Friedenspolitik durch die Politik des Krieges. Sein Schlußurteil für Frankreich besagt, daß die Nation den Frieden, der (regierende) Nationalismus den Krieg gewollt habe. Die einzige Belastung der deutschen Politik während der Julikrise bleibt der Blankoscheck an Österreich, während Poincaré als Anpeitscher des allgemeinen Krieges (im Gegensatz zu dem lokalisierten Österreichs gegen Serbien) kritisiert wird. In völliger Deckung mit den Schlußergebnissen von Fabre-Luce werden als die eigentlichen Angreifer von 1914 Sasonow, Poincaré und Paléologue festgestellt. Die Skala der Verantwortlichkeiten nennt in erster Linie Frankreich, Rußland und Österreich, ihnen folgend Deutschland, dessen Blankovollmacht gegen Serbien sehr schwer beurteilt wird, in letzter Linie England, für das der Kampf aber ebenfalls ein reiner Interessenkrieg für seine bisherige Suprematie gewesen sei.

Neben solchen Leistungen kritischer Selbständigkeit stehen in Frankreich freilich auch heute noch Wiederbelebungen der Schuldlüge, zum Teil auch mit eigenartigen innerpolitischen Motiven, wie Florent-Matters Gegenschrift über die wahren Schuldigen ( 1374). Nach Florent sind Lüge und Machtrausch das Wesen der deutschen Politik, die Weltherrschaft ihr Ziel gewesen. Das wird begründet mit Lächerlichkeiten wie der Klage, Wilhelm II. habe mehr Geld für Heer und Marine ausgegeben, als sein Großvater, der Sieger von Sedan. Der Hinweis auf die Existenz von Memoiren Delcassés, die These, dessen Sturz 1905 sei die Ursache der Weltkatastrophe gewesen, wütende Ausfälle gegen die Revisionskampagne wider die Versailler Verträge beweisen den politischen Pamphletcharakter des Buches. Als Ganzes ist es ein Symptom, was


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in Frankreich noch an Ungereimtheiten in der Kriegsschuldfrage gewagt werden darf. -- Das belgische Buch von Fastrez: »Die Verantwortlichkeit Deutschlands« ( 1375) ist sorgfältiger gearbeitet, möchte aber die deutsche Kriegsschuld durch die These der Abhängigkeit der deutschen Regierung von ihrem Generalstab beweisen. Inhaltlich hält es sich meist an die Anschauungen Renouvins, die nach der militärischen Seite hin etwas ausgebaut und vergröbert sind. Moltkes Telegramme an Conrad vom 30. Juli sollen den endgültigen Sieg des deutschen Generalstabes bedeuten. Eigenen wissenschaftlichen Wert besitzt auch dieses Buch nicht. Der Vorwurf, daß Deutschland seit dem 14. Juli seine Mobilmachung vorbereitet habe, wird auf ganz unmögliches, veraltetes Material gestützt. So kommt auch dieses Werk der Defensive im Schuldkampf zu dem Urteil, daß der Krieg durch den deutschen Generalstab als Angriffskrieg heraufbeschworen sei.

Weitaus am bedeutendsten, als gelehrtes Werk am umfassendsten aus der eigentlichen Schuldliteratur des Jahres ist das Buch von H. E. Barnes über die Genesis des Weltkrieges ( 1377), das sich durch die Schuldeinstellung an der unbefangenen historischen Untersuchung nicht hindern läßt, obwohl auch hier die Zerlegung in Schuldfragen der einzelnen Länder auftritt. Bei einem Werke, das bewußt Einführung in die bestehende Schuldfragenliteratur sein will, wird man sich damit abfinden können, um so mehr, als der temperamentvoll die Wahrheit suchende Amerikaner nicht der Gefahr erliegt, deshalb in ungenügend verbundenen Spezialstudien sich zu verlieren. Grundthese Barnes' ist die Anschauung, daß das französisch-russische Komplott Poincarés und Iswolskis ganz aggressiv und aktiv den Krieg herbeigeführt hat. Sein Buch ist die umfassendste und schärfste Auswertung, die die russischen Materialien bisher gefunden haben, in dieser Eigenschaft eine volle Bestätigung der auch in der deutschen Forschungsarbeit erreichten Ergebnisse. Ebenso schließt sich die Beurteilung von Sarajevo dem Nachweis an, daß die volle Verantwortung für den Mord auf Serbien lastet. Die serbische Antwort auf das österreichische Ultimatum, nach B. von Berthelot entworfen, wird als taktisches Scheinmanöver bewertet, der Kriegswille Österreichs gegen Serbien zwar scharf gerügt, aber sein entschieden defensiver Charakter nicht bestritten. Während auch in der Julikrise die Aggressivität Poincarés und Sasonows, diese besonders stark, betont wird, ist das Urteil über die englische Politik wohl noch zu zurückhaltend, wenn es in Greys Politik der freien Hand wesentlich den Fehler falscher Berechnung sehen möchte. Der Amerikaner Barnes hat auch dem Eingreifen seiner Heimat in den Weltkrieg ein besonderes Kapitel gewidmet, das die Anschauung, Wilson sei erst durch den U-Bootkrieg für den Kampf gegen Deutschland entschieden worden, nach Page und House mit schonungsloser Entschiedenheit als völlig irrig bezeichnet. Zu der bereits Krieg bedeutenden Vermittlung Houses um die Wende 1915--1916 fügt Barnes noch den Hinweis auf einen mißglückten Versuch Wilsons, Führer der amerikanischen Parteien schon im April 1916 für die Billigung seines geheimen Interventionswunsches zu gewinnen. Das Buch ist in der bisher bedeutsamsten deutschen Würdigung von Paul Herre (Kriegsschuldfrage 1926, S. 602--608) mit Recht als eine Leistung von hohem Range bezeichnet worden, die trotz des systematischen Ganges der Untersuchung die heute geschlossenste einführende Zusammenfassung der Kriegsschuldfrage gibt und den Bruch mit der Schuldlüge mit einer in den


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Ententeländern bisher unübertroffenen Energie, gestützt auf eine ganz umfassende dokumentarische Forschungsarbeit, vollzieht. -- Es ist begreiflich, daß dieser unbedingte Revisionismus selbst für wissenschaftliche Kreise Amerikas zunächst etwas Erschreckendes gehabt hat und zu Diskussionen (1378--1380) führte, in denen besonders B. E. Schmitt den Kriegswillen Frankreichs seit 1912 bestritt, die Verteidigung Poincarés gegen die Iswolski-Akten ernst nahm und in dem deutschen Blankoscheck an Österreich die eigentlich auslösende Ursache alles Folgenden erblicken wollte.

Ein Gegenstoß gegen die deutsche Forschung, die seit den Enthüllungen von Ljuba Jowanowitsch das Vorwissen der serbischen Regierung um den Mordplan von Sarajevo behauptete und in weiterem Rahmen dieses Verbrechen als die direkte Folge der serbischen Propaganda wertete, ist erfolgt durch den bekanntesten englischen Freund der südslawischen Sache, Seton-Watson. Sein Buch über Sarajevo ( 1383), mit großer Spannung erwartet, wurde zu einer wissenschaftlichen Enttäuschung. Es ist ein großes Plaidoyer für bosnischen Ursprung des Mordplanes mit manchen neuen Einzelbeiträgen zur inneren Unterwühlung Österreichs vor 1914. Dem eigentlich kritischen Punkte, der Frage nach den Zusammenhängen der revolutionären südslawischen Bewegung in der Doppelmonarchie und Serbien, ist der Verfasser mehr aus dem Wege gegangen, als daß er versucht hätte, diese Verbindungen ernstlich zu widerlegen. Wegerers Nachweise über Fäden zwischen serbischer Regierung und Schwarzer Hand werden leichthin beiseite geschoben. Die Enthüllungen Ljubas, der Angelpunkt der ganzen Diskussion, kommen nur in einem wenige Seiten umfassenden, verlegenem Anhang zum Kapitel VI zur Sprache und sollen als unbeachtliche Wichtigtuereien erledigt werden. Die Argumentation ist vielfach befremdend veraltet: über die Annexionskrise und Konopischt werden Ausführungen vorgetragen, die noch nicht auf die deutsche Aktenpublikation basiert sind; der Bericht Wiesner soll als Beweismittel gelten, daß eine Komplizität Serbiens an dem Morde nicht vorgelegen habe. Die Schwäche dieses Thesenbuches ist so recht geeignet, die Stärke der jetzigen Nachweise für Serbiens Kriegsverantwortung eher zu unterstreichen, als zu widerlegen. -- Boghitschewitsch hat denn auch in der Kriegsschuldfrage ( 1384) sofort erneut auf die seit 1903 kontinuierliche Verbindung der bosnischen Revolutionselemente mit Serbien hingewiesen, A. von Wegerer ( 1385) festgestellt, daß die durch Ljubas Aussagen entfesselten serbischen Diskussionen eine Entkräftung seiner Behauptungen in keiner Weise gebracht haben.

Geringeren Raum als dieses serbische Problem hat die Forschung über die Haltung der übrigen am Kriege beteiligten Staaten in den letzten Wochen vor der Katastrophe beansprucht. Gegen Sasonow hat G. Frantz ( 1388) noch einmal Geschichte und Bedeutung der russischen Mobilmachung untersucht, die nach dem Urteil des russischen Generals Gurko Deutschland gar keine andere Wahl ließ, als seinerseits sofort die militärischen Operationen einzuleiten, und dabei erneut die Behauptung des russischen Ministers widerlegt, daß die militärische Vorbereitung Rußlands hoffnungslos rückständig gewesen sei. -- H. Lutz veröffentlichte als Vorläufer seines Grey-Buches einen Aufsatz über Lord Greys freie Hand ( 1391), der bereits wie später das Buch Grey durch eine eingehende psychologische Erklärung zu retten versucht, indem er den Staatsmann Grey trotz seiner zugestandenen Verschleierungskünste auf eine


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möglichst tiefe Stufe herabdrückt, um an die letzte Ehrlichkeit des Menschen glauben zu können. -- Der Artikel von Charles-Roux ( 1392) bringt über die diplomatischen Verhandlungen nichts Neues, weist aber neben Stimmungsschilderungen des Londoner Publikums in den kritischen Tagen einige interessante Notizen über Zusammenarbeit der französischen Botschaft in London mit der zum Krieg drängenden unionistischen Partei auf. -- Die Diskussion über die Verletzung der belgischen Neutralität setzte sich fort in einem Artikel von E. Gottschalk ( 1397), der sie gegen Mendelssohn-Bartholdy unter dem Gesichtspunkt des Notwehrrechtes als strategische Nothandlung verteidigt, die kein Verbrechen gegen das Völkerrecht bedeute. -- Gegen die deutsche Verteidigungskampagne wendete sich eine eingehende belgische Studie von de Ridder ( 1396), die einen guten Überblick über die ganze Diskussion gewährt. Sie urteilt, wie für den belgischen Standpunkt begreiflich, streng rechtlich formal, wertet auch wieder irrig den Schlieffenplan als Beweis deutscher Expansionstendenzen, gibt aber einen guten Einblick in die Argumente, die Belgien gegen den Vorwurf geltend macht, seinerseits vor 1914 nicht mehr den strengen Rahmen der Neutralität innegehalten zu haben. Leider nimmt auch hier die Widerlegung längst überholter deutscher Kriegsthesen breiten Raum ein, obwohl R. erkennt, daß jetzt nicht diese, sondern die neueren Aufstellungen von Schwertfeger, Osswald, Karo und Montgelas maßgebend sein müßten. -- Eine Studie von Leclerc ( 1398) über Belgien am Vorabend der Invasion betont in verwandtem Sinne, daß noch in dem belgischen Kronrat, der die Ablehnung des deutschen Ultimatums beschloß, von französischer Unterstützung nicht die Rede gewesen sei. Auch hier soll also herausgearbeitet werden, daß eine vorbereitete Anlehnung Belgiens an die Entente nicht existiert habe.

Ein wichtiger Beitrag zu Italiens Verhalten während der Agonie des Weltfriedens erschien anonym in der Revue des Deux Mondes ( 1389). Nach seiner eingehenden dokumentarischen Grundlage ist er zweifellos auf Camille Barrère zurückzuführen und gibt genauen Einblick in die Verhandlungen des französischen Botschafters mit der Consulta seit Anfang 1914. Entscheidende Klarheit über die bevorstehende Neutralität Italiens hat Barrère danach schon am 31. Juli erhalten. Die Nachricht, daß der italienische Ministerialrat in der Nacht vom 1. zum 2. August diesem Vorschlag San Giulianos in dem Bewußtsein beitrat, daß damit der Dreibund tatsächlich aufgelöst sei, hat seine letzten Befürchtungen über die Haltung Italiens zerstreut. -- Ergänzend hierzu untersuchte Seton-Watson ( 1390) die Bedeutung der italienischen Balkanpolitik für diese Loslösung von den alten Verbündeten.

Schließlich sind noch einige deutsche Beiträge zur Schuldfragendiskussion zu nennen. Die Unbelehrbarkeit gewisser deutscher Kreise illustrieren die Arbeiten von Kantorowicz über die Fälschungen der Farbbücher ( 1370) und Kanners Schlüssel zur Kriegsschuldfrage ( 1371), der aus dem Briefwechsel Moltke--Conrad vom März 1909 eine den Dreibund ersetzende Militärkonvention mit Erweiterung des Casus Foederis herausdichtet und natürlich auch die russische Gesamtmobilmachung nur als harmlose, rein technische, nur gegen Österreich gerichtete Maßnahme ansieht. -- Gegen die hier wiederkehrende, ursprünglich französische Tendenz, im deutschen Generalstab, speziell dem Verhalten Moltkes vom 29.--31. Juli, den entscheidenden Anstoß zur Entfesselung der Katastrophe zu entdecken, hat in einer gründlichen Studie Theo-


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bald von Schäfer ( 1395) eingegriffen. Er erklärt Moltkes umstrittene Telegramme an Conrad aus der militärisch sehr berechtigten Sorge, daß Österreich mit seinen Vorbereitungen in zu starken Rückstand gegen Rußland geraten werde. Schäfer kann nach Mitteilungen Haeftens gerade aus der Nacht vom 30. zum 31. Juli, also gleichzeitig mit den erregten Warnungen nach Wien, neue Beweise für den sorgenvollen Friedenswunsch des Generals beibringen, der nur notgedrungen durch die Furcht vor dem drohenden Vorsprung der Gegner in die Rolle des Warners und Antreibers gezwungen wurde. Mißtrauische Anfragen Conrads über das zu erwartende Verhalten Deutschlands, die Schäfer nach den Akten des Reichsarchives noch für den ganzen 31. Juli publiziert, zeigen, wie gering der Eindruck der Depesche Moltkes vom 30. Juli gewesen ist, und daß man trotz Tiszas bekanntem Ausruf in Wien nicht Moltke, sondern den Reichskanzler als maßgebend für die Haltung Deutschlands angesehen hat. Jene vielberufenen Moltke-Telegramme sind so tatsächlich ohne Einfluß auf die Frage von Krieg und Frieden gewesen, das selbständige Eingreifen Moltkes ist nicht kriegerischen Velleitäten, sondern der nachgerade schwer erträglichen Saumseligkeit Bethmanns gegenüber der drohenden Gefahr zuzuschreiben. Sie bedeuten eine militärisch berechtigte Nothandlung des deutschen Generalstabschefs.

c. Allgemeine und diplomatische Gesamtgeschichte des Krieges.

Die in Frage kommende Literatur ist überwiegend wichtig als Erweiterung unserer Tatsachenkenntnis; sie besitzt mehr oder weniger mittelbaren oder unmittelbaren Quellenwert. Der Versuch einer wirklich zusammenfassenden Darstellung ist nicht gemacht worden.

Der zweite Teil von Tirpitz' politischen Dokumenten ( 1401) vertritt mit breiter urkundlicher Belegung seine schon aus den Erinnerungen bekannte Kritik der deutschen Seekriegsführung. Er führt im einzelnen die Stellung des Admirals in der Frage des Oberkommandos aus und verteidigt seine U-Boots-Politik. Weniger reich an unmittelbar Neuem als seinerzeit der erste Band des Werkes, da viel Dokumentarisches schon in der Seekriegsgeschichte des Marinearchives vorweggenommen war, ist doch auch dieser Teil durch die Fülle seines Materials von hohem Wert. Er beginnt mit wichtigen Aufzeichnungen zur Geschichte der deutschen Kriegserklärungen an Frankreich und Rußland, zeigt, wie Tirpitz bereits seit dem 6. August Kritik an der Zurückhaltung der Schlachtflotte in der Nordsee übt und füllt in seinen weiteren Ausführungen vielfach den Rahmen des Archivwerkes, bringt dazu aber, entsprechend der Stellung des Admirales, umfangreiches, wenn auch seiner Natur nach von Tirpitzschem Gesichtspunkt aus ausgesuchtes Material über das Konfliktsgebiet zwischen Kriegführung und Politik in Marinefragen. Aus den Anhängen ist die Verteidigung gegen den Vorwurf, durch falsche Angaben von U-Boot-Ziffern irreführend gewirkt zu haben, zu erwähnen. -- In einem besonderen Aufsatze hat der Großadmiral ( 1486) noch einmal unterstrichen, daß die Ermattungsstrategie zur See England gegenüber unser schwerster Fehler gewesen sei, da die Erfolgsaussichten der deutschen Flotte im Herbst 1914 bedeutend höher gestanden hätten als bei der bereits zu spät kommenden Schlacht am Skaggerak, eine Ansicht, gegen die Admiral Galster ( 1487) erneut Einspruch erhob, da auch in dieser ersten Kriegszeit die englische Überlegenheit zu erheblich gewesen sei.


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Von den deutschen Heerführern des Weltkrieges haben der Kronprinz durch Freiherrn von Eppstein und General von François ( 1402 a) und Hindenburg durch A. Niemann ( 1403) biographische Würdigungen erfahren, von denen das Kronprinzenbuch, eine sehr warme Verehrungsschrift, dem Historiker wenigstens eine Übersicht des Materials zu seiner Beurteilung vermittelt, das Buch von Niemann dagegen eigentlich nur durch den Abdruck von persönlich charakteristischen Soldatenbriefen an seinen Sohn und als Skizze des äußeren Lebenslaufes in Frage kommt.

Eine Sonderfrage mehr des Weltkriegsausganges, als des Weltkrieges selbst, die Entwicklung der schleswigschen Frage von 1914--1920, hat in dem Alnorschen Handbuch ( 1402) eine überaus gründliche, auf umfassender Quellenkenntnis mit besonnenem Urteil gearbeitete Darstellung gefunden. Sie beschränkt sich nicht nur auf die engere schleswigsche Frage, deren Stand seit der Jahrhundertwende in Zusammenhang mit den Beziehungen Deutschlands zu Dänemark betrachtet wird, sondern erweitert sich für die Kriegszeit zu einer Geschichte der dänischen Neutralität überhaupt, die sowohl in ihrer Abhängigkeit vom militärischen Verlauf des Krieges, wie als parteipolitisches und geistiges Ringen um die Seele des kleinen Landes eingehend untersucht wird, ein Beispiel, wie eine solche Frage doch in die großen Zusammenhänge des Zeitgeschehens eingeordnet werden kann, ohne dabei ihre lokale Besonderheit zu kurz kommen zu lassen.

Die Aufsätze, die Ch. Appuhn ( 1401 a) über die deutsche Politik im Kriege gesammelt hat, vermögen der deutschen Forschung nichts Neues zu sagen; immerhin sind sie zum Teil, so die Studien über die öffentliche Kriegsmeinung Deutschlands gegenüber Frankreich und über die päpstliche Friedensaktion von 1917, durch das Urteil eines sorgfältig sich informierenden Ausländers über deutsche Dinge von Interesse.

Über die Memoiren eines der wichtigsten galizisch-polnischen Politikers im Kriege, Bilinski, orientiert ein Aufsatz Twardowskis ( 1405), der als Einblick in die polnisch erschienenen Erinnerungen dankenswert ist. Die Memoiren enthalten danach reiches Material zur inneren Geschichte der Doppelmonarchie vor dem Weltkriege. Ein eingehendes Kapitel über Sarajevo, das von keiner serbischen Warnung weiß, lehnt die Verantwortung für die ungenügenden Sicherungsmaßnahmen ab, da Bilinski, der damalige gemeinsame Finanzminister, mit den Vorbereitungen der Reise in nichts befaßt worden war. Nach seiner Demission im Jahre 1915 wurde der Verfasser als Obmann des Polnischen Klubs der führende Repräsentant des österreichischen Polentums, so daß die Memoiren, die die österreichische Polenpolitik scharf verurteilen, offenbar eine wichtige Quelle für ihre Fragen darstellen. So hat der Klub im Jahre 1916 sehr energisch am Sturz Burians mitgewirkt. Seine Bedeutung für die österreichische Kriegspolitik verdient anscheinend eine weitere Untersuchung, die diesen Teil der Memoiren noch eingehender auswertete. -- Zwei eingehendere Untersuchungen hat Masaryks Buch über die Weltrevolution veranlaßt. Hugo Preller ( 1407) versucht eine Gesamtwürdigung des Präsidenten, der eine so einzigartige Bahn vom politischen Gelehrten zum Kulturpropaganda großen Stils pflegenden Politiker gegangen ist, ohne jedoch über das hinauszugehen, was sich kritisch aus dem Buch Masaryks selbst erschließen läßt. -- Der Prager Gelehrte Spiegel ( 1406) gibt eine knappe, aber durch


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enge persönliche Verbindung mit dem Geschehenen lebendig durchwärmte Skizze von der Laufbahn des Präsidenten, die an Selbständigkeit und innerer Freiheit dem vorhergehenden Aufsatze doch überlegen ist. Beide Verfasser bestätigen den Wert des Masarykschen Buches als Quellenschrift ersten Ranges, deren weltanschauliche Gesamtzeichnung des Weltkrieges jedoch eine reine Tendenzkarikatur des Westlers Masaryk bedeutet, der sich von den Verzerrungen der eigenen geistigen Kriegspropaganda nicht wieder hat lösen können.

Ein Quellenbuch ersten Ranges zur Geschichte der französischen Politik bedeuten die vom März 1908 bis Januar 1917 führenden Notizbücher von G. Louis ( 1408). Informationsnotizen zum eigenen Gebrauch sind sie eilig im Drang des Tages niedergeworfen und verlangen einen kritischen Gebrauch, der Ursprung und Wert der einzelnen Nachricht vorsichtig untersucht. Als Ganzes bedeuten sie doch einen unschätzbaren Einblick in die Arbeitskammer der politischen Welt Frankreichs. Geschrieben von einem Manne, der in seiner ersten Petersburger Zeit in enger Verbindung mit Nicolson stand, für den der selbstverständliche, unausgesprochene Kern des Zweibundes der zukünftige Gewinn der Meerengen und Elsaß-Lothringens war, dürfen sie durch den Abberufungskonflikt mit Poincaré nicht verleiten, den Verfasser im Lichte eines prinzipiellen Friedensfreundes zu sehen. Der Kampf Louis' gegen Poincaré und Iswolski, den »gefährlichsten Mann Europas«, ist geführt worden, weil er der Allianz die Kraft zum Kriege gegen Deutschland nicht zutraute. Seine Kritik erreicht daher ihren Höhepunkt erst in den Jahren 1914--1915, als der Krieg des Präsidenten Frankreich tatsächlich in den Abgrund zu reißen drohte. Ebendiese Lage entlockt selbst Politikern wie J. Cambon die belastendsten Zeugnisse gegen Poincarés kriegsvorbereitende Tätigkeit. Als Einblick in das Wesen der französischen Zweibundpolitik, Einblick in die Tätigkeit Poincarés und Iswolskis und schließlich die Besorgnisse leitender französischer Kreise während der ersten Kriegsjahre sind diese Aufzeichnungen von erstrangigem Quellenwert als erste Bruchstücke nach den Erinnerungen Paléologues, die uns einen lebendigen Eindruck von dem inneren Getriebe der französischen Politik vermitteln. -- Die temperamentvolle Biographie, die E. Judet ( 1409) auf dieses Material aufgebaut hat, kann dagegen nur als kritisch zu benutzender Kommentar akzeptiert werden, da die eigenen Zutaten Judets doch einigermaßen vorsichtig zu behandeln sind. Die Erscheinung dieses Publizisten, der lange mit Poincaré zusammengearbeitet hat, um schließlich sein schärfster Gegner zu werden, erscheint wenigstens heute noch nicht genügend geklärt, als daß man sich dort auf ihn verlassen könnte, wo er sich nicht auf die Autorität des Louisschen Materials stützen kann. Indessen ist zweifellos, daß er in den Grundzügen mit seiner These Recht behält, daß Louis aus Petersburg entfernt wurde, weil er dort als Hemmschuh gegen die aggressive Unruhe der Politik Poincaré-Iswolski wirkte.

Neue Quellen zur russischen Geschichte im Kriege -- großfürstliche Aufzeichnungen und Briefe sowie ein Memoirenfragment des Generals Poliwanow, Kriegsminister von Juni 1915 bis März 1916 -- hat G. Frantz durch Übersetzung erschlossen ( 1412). Seine Einleitung prüft wieder die Frage der russischen Kriegsvorbereitung unter besonderer Berücksichtigung des Operationsplanes und der Bewertung der einzelnen höheren Führerpersönlichkeiten. Die übersetzten Materialien sind größeren Teiles Beiträge zu militärischen Fragen des russischen Krieges, die wertvolle Einblicke in die zerfahrene Unsicherheit


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geben, die hier schon nach den ersten Niederlagen ein allgemeines Mißtrauen in eigenes Können und eigene Kraft erzeugt. Auch politisch interessante Mitteilungen sind vornehmlich in den abschließenden großfürstlichen Kriegsbriefen an den Zaren enthalten, die sich von fanatisch hochmütigem Deutschenhaß bis zu flehentlichen Bitten um innenpolitische Nachgiebigkeit bewegen.

Eine größere Darstellung der päpstlichen Kriegspolitik hat ein Italiener, E. Vercesi ( 1419), geschrieben. Sein Ziel ist der Nachweis, daß der Papst wirkliche Neutralitäts- und Friedenspolitik getrieben hat, nicht, wie man in Italien im Kriege und vielfach auch heute noch ihm vorwirft, eine Politik, die den Zentralmächten stärker geneigt gewesen wäre, als ihren Gegner. Leider begnügt sich diese Darstellung mit der offiziösen Aktion der Kurie, die schon aus ihren öffentlichen Kundgebungen im Kriege festzustellen war. Der Nachweis gleichmäßiger Neutralität war an dieser leicht durchzuführen und ist von dem Verfasser technisch gewandt durchgeführt worden, bietet aber historisch nicht viel Neues, es sei denn, daß der Hinweis auf die Antipathie der Kurie gegen eine Festsetzung Rußlands in Konstantinopel sehr stark hervortritt. Dagegen bleibt die Frage nach den österreichischen Beziehungen des Vatikans unbeantwortet, und auch die päpstliche Friedensaktion von 1917 stellt der Verfasser nur nach der älteren deutschen Literatur dar. Sein Bestreben geht auch hier nur dahin, ängstlich nachzuweisen, daß mit diesem Schritte der Vatikan Deutschland keinen besonderen Dienst habe erweisen wollen.

Ein Erinnerungswerk, das für die englische Kriegsführung sich gleichberechtigt, wenn auch nüchterner und soldatisch sachlicher neben Curchills Weltkrisis stellt, sind die Erinnerungen des englischen Generalstabschefs der Jahre 1915--1918, William Robertson ( 1410). Sie zeigen, wie im englischen Offizierkorps schon seit 1902 Deutschland der künftige Gegner zu werden beginnt, dessen Durchmarsch durch Belgien im Kriegsfalle kaum mehr bezweifelt wird. Robertson, ganz Soldat und im letzten Grunde mit der englischen Unterordnung des Militärs unter den Politiker einverstanden, hat für England zum großen Teil den sachlich unvermeidlichen Kampf des Soldaten gegen die Politiker im Kriege auszufechten gehabt, der auch in diesem Lande während des Weltkrieges eine ganz gewaltige Bedeutung gehabt hat. Robertsons Predigt von der Notwendigkeit der Kraftkonzentration an der französischen Hauptfront ist in ihrer nüchternen Einfachheit zu schlicht gewesen, um der Neigung von Amateurstrategen wie Churchill und Lloyd George zu weitholenden, Prestigeerfolg versprechenden Überseeunternehmungen dauernd gewachsen zu sein. Trotz der Dardanellenlehre hat er weder Saloniki noch Kut-El-Amara verhindern können und insbesondere gegen das willkürliche Mißtrauen Lloyd Georges einen Kampf führen müssen, dem er schließlich zum Opfer gefallen ist. Der Anblick der schweren Spannungen, die hier vorlagen, ist nicht nur an sich sehr lehrreich, sondern vor allem auch historisch-didaktisch wertvoll, um vor einer zu schlechthin vereinfachenden Beurteilung des gleichen Problems auf deutscher Seite zu warnen. Ebenso lehrreich ist die Parallele der Schwierigkeiten, die im Ententelager das Problem der Einheitlichkeit des Oberbefehls veranlaßte, mit den verwandten deutsch-österreichischen Reibungen, in denen freilich niemals ein Ministerpräsident so stark wie Lloyd George auf Nachgiebigkeit der eigenen Heerführer gegen den Verbündeten gedrängt hat.

Die Entwicklung Amerikas seit 1918 hat den Kampf um die Beurteilung der


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Wilsonschen Politik zu immer größerer Schärfe anschwellen lassen und allmählich historiographische Folgeerscheinungen gezeitigt, die an Umfang und Intensität den historischen Verantwortlichkeitsdebatten der europäischen Länder kaum mehr nachstehen. Ein interessantes Quellenmaterial für die literarische, wissenschaftliche und politische Entwicklung des Präsidenten vereinigt der zweite Band seiner Public Papers ( 1422), der in bunter Fülle Aufsätze und Reden seit den Anfängen seiner Gelehrtentätigkeit vereinigt und bis zur ersten Präsidentenwahl im Jahre 1913 führt. Er beginnt mit einer sehr amerikanischen Bismarckstudie aus dem Jahre 1877 und zeigt an breitem Material, bei dem aber nur bisher nicht gesammelte Schriften aufgenommen sind, das allmähliche Anschwellen des politischen Interesses, dem sich das Erzieherische und Religiöse mehr und mehr unterordnet, ohne daß jedoch der Politiker den professoralen Charakter des Doktrinären jemals abzustreifen vermag. -- Die Biographie von W. A. White ( 1421), für die Kriegszeit unbedeutend, ist ebenfalls wertvoll durch breite, auf vielfach neuer Information beruhender Analyse von Werdegang und persönlichem Wesen dieser merkwürdig aus schottischem Puritanertum und sehr viel schwächerem Irenblut gemischten Persönlichkeit, die ein Büchermensch durch und durch vor der Präsidentenwahl ernsthafte Kämpfe nicht zu bestehen hatte und, den Realitäten im Grunde fremd, auch als Führer von Gesetzgebung und Volk isoliert, »an exalted schoolmaster« geblieben sei. Als psychologische Charakterstudie verdient diese fesselnde Biographie jedenfalls ernste Beachtung. -- Der Staatssekretär für Landwirtschaft in Wilsons Kabinett, D. F. Houston ( 1423) hat in einem zweibändigen Werk eine Auswahl seiner Notizen über die Kabinettssitzungen gegeben, in der das Interesse für landwirtschaftliche Fragen überwiegt. Obwohl nicht ohne gelegentlich wertvolle Einzelnotizen, bestätigt das Buch durchaus die Uneingeweihtheit des Kabinettes in die Außenpolitik des Präsidenten, dessen warmer Anhänger der Verfasser war, ohne darum Näheres von seinen Absichten und Handlungen zu erfahren. Sehr interessant sind die eingehenden Aufzeichnungen über die Beratungen vom 22. Oktober 1918, die der dritten Wilsonnote vorhergingen. Unter den von Deutschland zu fordernden Verfassungsreformen ist eine Abdankung Wilhelms II. nicht erwähnt. Houston selbst äußert bereits das Bedenken, der Sieg könne zu stark für die Zügelung der Alliierten werden; die Frage stellt sich, ob das amerikanische Volk noch bereit sein werde, für allzu hoch gespannte Bedingungen weiter zu fechten. Eine Gesamtcharakteristik Wilsons von dem Verfasser betont seine ausschließliche Intellektualität, seine Eigenart als »single-track mind« und seine menschlich-persönliche Isoliertheit, die zu überraschend plötzlicher Abstoßung alter Mitarbeiter geführt habe. -- Bestätigung und breiteste dokumentarische Belegung hat schließlich alle diese Kritik in dem grundlegenden Quellenwerk zur Erkenntnis der Wilsonschen Kriegspolitik, den für Amerika sensationell erschütternden Papieren des Obersten House ( 1424) gefunden, die zuerst von Rich. Fester in einem gedrängten, überreichen Aufsatz ausgewertet sind ( 1424a). Dilettantismus, naiver Hegemoniedrang und unbedingte Abhängigkeit und Leitbarkeit durch die überlegene englische Diplomatie sind danach schon Kennzeichen der Amateurpolitik Houses bei seiner ersten Europareise im Frühjahr 1914. Die Mission der Jahreswende 1915--1916 ist bereits getragen von dem Wunsche des Obersten und des Präsidenten, durch ihre Vermittlung das militärisch noch überlegene

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Deutschland zu einem Frieden der Niederlage zu zwingen oder an der Seite der Entente in den Krieg einzutreten. Die Verabredung vom 22. Februar mit Grey enthält bereits das Programm der Vierzehn Punkte mit der Verstümmelung der deutschen West- und Ostgrenze in sich und beleuchtet vordeutend auch den Sinn der Wilsonschen Vermittlung vom Ende des Jahres 1916. Die Geschichte des amerikanischen Kriegseintrittes wird nach den Materialien dieses an Bedeutung die Page-Erinnerungen noch weit überragenden Buches in Zukunft ganz neu zu orientieren sein in dem Sinne, wie ihn Fester, aber auch schon der kritische Amerikaner Barnes formuliert hat, daß der U-Boot-Krieg jedenfalls nicht die Bedeutung gehabt hat, die Vereinigten Staaten zum Kriege zu zwingen, sondern dem seit lange feststehendem Wunsche des Präsidenten lediglich das Stichwort und den Propagandastoff geliefert hat.

Eins der abstoßendsten Kapitel des Weltkrieges, die Vergewaltigung der griechischen Neutralität, hat schließlich zwei wertvolle französische Darstellungen gefunden, von denen die Cosmin's ( 1420) eine warme Apologie König Konstantins bedeutet, die dokumentarisch noch reicher belegte von Driault und Lhéritier ( 1428) mehr veniselistisch gerichtet ist. Beide zeigen sehr instruktiv in der Geschichte dieser von der deutschen Forschung bisher zu Unrecht vernachlässigten Seite des großen Krieges, daß die Politik Konstantins nicht im geringsten von prodeutscher oder dynastischer Sympathie geleitet worden ist, sondern an sich durchaus den Wunsch hatte, rechtzeitig den Anschluß an das Lager der Entente zu finden, der bei der Abhängigkeit Griechenlands von der See das Gegebene war. Die Entente hat jedoch, wenn auch unter Schwankungen und Kämpfen, die Bevorzugung Veniselos' gewählt, weil dieser in seinem haßerfüllten inneren Kampfe gegen den König bereit war, das Bündnis ohne jede Belastung mit Bedingungen zu vollziehen, die der König ebenso wie Italien oder Rumänien vor dem Eintritt Griechenlands in den Krieg verlangt hat.

d. Einzelne Phasen der diplomatischen Geschichte des Krieges.

Abgesehen von der Literatur zum Versailler Frieden, bleiben die Arbeiten meist in den Grenzen von ihr Thema vorläufig bearbeitenden Zeitschriftenaufsätzen. So hat Seton-Watson ( 1429) die Vorgeschichte des italienischen Kriegseintrittes seit Oktober 1914 in einem Aufsatze behandelt, der die Parallelität der Verhandlungen mit Zentralmächten und Entente verfolgt, ohne die Politik des Sacro Egoismo zu verschleiern, an der der Verfasser von seinen südslawischen Sympathien her vielmehr nationale Kritik übt. -- Die Meerengenfrage hat B. Shatzky ( 1432) nach den russischen Materialien in einer Weise behandelt, die die Aggressivität des russischen Dranges nach Konstantinopel allzusehr abzuschwächen sucht. -- Der russische Gesandte in Stockholm, Nekliudow, hat noch einmal das Wort zu den Protopopowbesprechungen ergriffen ( 1434); er bringt einige, immerhin sehr bescheidene, Ergänzungen zu dem dürftigen Bericht seiner Memoiren über das gleiche Thema.

Gegenstand einer lebhaften Diskussion ist in Deutschland wie Italien die päpstliche Friedensaktion von 1917 gewesen, freilich ohne entsprechenden historischen Ertrag. Die Anklagebroschüre des Ritters von Lama ( 1435), die dem Reichskanzler Michaelis in gehässigster Weise protestantische Tendenzpolitik vorwarf, ist durchaus dilettantisch gearbeitet und verkennt die bereits von Fester geklärte Bedeutung der englischen Mitteilung an die Kurie vom 21. August und die Haltung Ribots mit so massiver Naivität, daß das ganze


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weitere Bild dadurch vollkommen verzerrt wird. -- Der Aufsatz von Viktor Bredt ( 1436) zum gleichen Thema beschränkt sich in der Hauptsache auf die innenpolitische Anklage, daß Michaelis bei der Beantwortung der Papstnote den Siebenerausschuß des Reichstages hintergangen habe, in deren Hintergrund freilich auch bei ihm letzten Endes doch die Überschätzung der Friedensmöglichkeiten steht. Wenn er die Differenz zwischen Kanzler und Reichsmehrheit wieder wesentlich zu Lasten der Obersten Heeresleitung schreibt, so beachtet er nicht genug, daß es auch Kühlmann ablehnte, zu Beginn der vermeintlichen Unterhandlungen den Verzicht auf Belgien unvorsichtig aus der Hand zu geben. -- Über die Beurteilung des Salis-Soglioschen Schrittes in Rom durch Kreise der Ententediplomatie, die ihn einfach als Unklugheit ansahen, informiert eine von der Revue d'Histoire de la Guerre mondiale wiedergegebene Zuschrift ( 1439). -- Schließlich hat sich in der Rivista d'Italia eine lehrreiche Polemik über die Neutralitätspolitik der Kurie abgespielt, die A. Lumbroso nach den in diesem Punkte ungenügend informierten Carnets von Louis in zu scharfem Gegensatz zu Frankreich erblickte, während demgegenüber Vercesi ( 1438) nachwies, daß unmittelbar nach Kriegsbeginn eine Fühlungnahme zwischen der französischen Regierung (Poincaré-Viviani) und dem Vatikan stattgefunden habe, die tatsächlich schon den Konflikt zwischen französischer Republik und Rom beendete. Vercesi gibt weiter Ausführungen über die Stellung des Vatikans zum österreichisch-serbischen Konflikt.

Eine sehr begrenzte Teiluntersuchung zu den Ursachen der russischen Revolution ist das Buch von Gogel ( 1440), das in einer sehr bitteren Kritik der Unfähigkeit des russischen Volkes zu nüchterner staatlicher Arbeit mündet. Sein Hauptinteresse beruht auf den Mitteilungen, die dieser hochstehende ehemalige russische Jurist über die Zustände der regierenden Bürokratie macht. Sie enthalten Beiträge zur Kenntnis führender Personen wie Stolypin und Witte und des Charakters der ersten Duma von 1906. --Nowak hat seinen Weg zur Katastrophe ( 1445) in neuer Auflage erscheinen lassen, die trotz Kritik und Fortschritt unseres Wissens unverändert ist, gibt ihr jedoch die ursprünglichen Aufzeichnungen über seine Conradunterredungen und seinen Briefwechsel mit dem Marschall bei, so daß der Band wenigstens Interesse für die Biographie des bedeutenden Heerführers besitzt, indem jetzt nach seinem Tode dieses Material als teilweiser Ersatz für die Nichtvollendung seines großen Erinnerungswerkes wird benützt werden müssen.

Die zweite erweiterte Auflage des deutschen Weißbuches über die Vorgeschichte der Waffenstillstandsverhandlungen veranlaßte Veit Valentin ( 1446) zu einem kommentierenden Aufsatz, der sich Delbrücks Ludendorff- Kritik bestätigend anschließt.

Der dritte Urkundenband der Wilson-Memoiren, die R. St. Baker ( 1447) herausgegeben hat, ist wie seine Vorgänger in dankenswerter, jedoch nicht ganz einwandfreier Übersetzung erschienen. Er bringt Dokumente hauptsächlich zur Geschichte des Versailler Kongresses, denen einleitend Aktenstücke zur Entstehungsgeschichte der Vierzehn Punkte -- von grundlegender Bedeutung für ihre Interpretation im Sinne Wilsons -- und der Völkerbundspläne vorhergeschickt sind. Die Dokumente bringen vielfach schon Bekanntes, während das wichtigste Geheimmaterial, die Protokolle des Viererrates, auch hier fehlen. Immerhin ist auch dieser Band, wenn auch weniger als die beiden Textbände, zur Geschichte


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der Friedensverhandlungen nicht zu entbehren. -- In einem farbenreichen Aufsatz hat H. Waetjen ( 1448) durch seine Charakteristik der großen Vier: Clémenceau, Wilson, Lloyd George und Orlando gezeigt, wieweit sich aus dem bisher vorhandenen Material, insbesondere der Memoirenliteratur, schon in der Geschichte des Friedens zu gesicherten Feststellungen kommen läßt. -- Eine Kritik des Friedens gibt H. Stegemann in seinem letzten großen Werk über das Trugbild von Versailles ( 1449), dessen Sinn er in seiner großzügigen, von strategisch-geographischen Gesichtspunkten beherrschten Weise als Zirkumvallation Deutschlands durch einen Kranz feindlicher Mächte, die der Hegemonie Frankreichs dienen sollen, nachweist. Es ist eine der eindrucksvollsten Darstellungen der realen Kräftebeziehungen des Nachkriegseuropas geworden, die wir besitzen, überall von dem weitgespannten und lebendigem historischen Sinne des Verstorbenen zeugend.

e. Militärische Gesamtgeschichte des Krieges.

Gesamtdarstellungen des Themas aus der Feder eines einzelnen sind beschränkt auf populäre Skizzen, die im Urteil sehr zurückhalten und nur an ganz einzelnen Punkten eine beachtenswerte Sonderstellung der Verfasser verraten, so die Überblicke von Frauenholz ( 1451) und von dem norwegischen Oberst G. Schnittler ( 1454), während des Krieges Militärattaché in Deutschland. --Leinvebers Versuch ( 1455), Clausewitzsche Kritik an der Heerführung des Weltkrieges zu treiben, gibt nur eine populäre Kommentierung und Bestätigung der Kritik des Reichsarchivwerkes für den Monat August 1914.

Ertragreicher sind Arbeiten und Studien mit begrenzterer Themenstellung. Der dritte und vierte Band des Reichsarchivwerkes ( 1452) über den Krieg führen bis zum Abschluß der Marneschlacht, die angesichts ihrer entscheidenden Bedeutung eine sehr eingehende Darstellung erhalten hat. Nach Anlage und Art der Kritik den Vorgängern durchaus entsprechend, bestätigen diese beiden Bände, daß der operative Gedanke der deutschen O. H. L. schon am 4. September überholt war; obwohl die Truppe das große Schlachtringen dann doch an den entscheidenden Punkten -- auf dem rechten Flügel bei der I. Armee und im Zentrum der Schlacht an der Grenze von II. und III. Armee -- zum taktischen Siege geführt hatte, veranlaßte das Versagen der O. H. L. durch die unselige Sendung Hentsch den freiwilligen Rückzug. Insbesondere diese Sendung Hentsch hat eine fast zur Sonderuntersuchung anschwellende eingehende Berücksichtigung erfahren, die auch genügend Einblick in das mit großer Gewissenhaftigkeit umfassend herangezogene und kritisch gesichtete Quellenmateral gestattet. -- Bei der Bedeutung der Vorgänge hat eine ganze Reihe wertvoller Aufsätze aus militärischer Feder, ganz überwiegend anerkennend, das Ergebnis dieser neuen Leistung des Reichsarchives gewürdigt. (Groener 1453, v. Mantey 1467, Kronprinz Wilhelm 1469.) Eine Sonderstellung nimmt die zugleich medizinisch und militärisch kompetente Arbeit des Schweizers Bircher über die Marneschlacht ( 1473) ein, der mit der Unbefangenheit des Neutralen vielfach die militärische Kritik des deutschen Werkes energisch verschärft, auch die französische Führung sehr anregend beleuchtet und vor allem die Zusammenhänge des deutschen Versagens mit Überalterung und Krankheit der ausschlaggebenden Führerpersönlichkeiten erschreckend bloßlegt. Eine Alters- und Krankenliste, wie sie hier aufgestellt wird, braucht kaum vor preußischen Verhältnissen im Jahre 1806 zurückzutreten.


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Der technischen Seite des Stellungskrieges hat E. Sesselberg ( 1457) ein inhaltreiches Sammelwerk gewidmet, das lehrreich in die immer größere Komplikation und den steten Methodenwechsel dieser Kriegsform einführt; insbesondere besitzen die beigegebenen Gefechtsbeispiele hohen instruktiven Wert für den, der sich näher mit dieser Periode des Krieges zu beschäftigen haben wird und die Erschwerung der operativen Ideen- und Bewegungsfreiheit in den späteren Kriegsjahren zu würdigen bestrebt ist. -- Eine materialreiche, anregende Biographie Falkenhayns hat E. v. Zwehl ( 1458) geschrieben. Sie sucht liebevoll die Strategie der zweiten O. H. L. gegen die an ihr geübte Kritik in Schutz zu nehmen, ohne doch das Grundbedenken widerlegen zu können, daß die allzu beschränkten Schläge Falkenhayns die langsame, aber sichere Erdrückung durch das feindliche Übergewicht auf die Dauer nicht abwenden konnten. Im einzelnen wertvoll ist die hier gegebene Geschichte des Verdunangriffes. Nicht genügend erkannt und beachtet ist der starke politische Ehrgeiz Falkenhayns, seine Rolle als Gegenspieler Bethmann Hollwegs. -- Rein populär ist die Lebensbeschreibung v. d. Goltz' von Schmiterlöw ( 1459); auch die mitgeteilten Kriegsbriefe des Feldmarschalls sind rein persönlicher Art und mit den in der Deutschen Rundschau gedruckten belgischen Aufzeichnungen an Interesse nicht zu vergleichen; nur auf das Menschliche geben sie hie und da anziehende Blicke, wie auch die Biographie im ganzen. -- Ebenso ist die Lebensbeschreibung des Generalobersten Frhr. v. Hausen von Brabant ( 1475) für die Geschichte des Krieges wenig inhaltreich, da die mitgeteilten Feldzugsbriefe an seine Gattin nur die sympathische Menschlichkeit des sächsischen Heerführers widerspiegeln. Der Verfasser weist darauf hin, daß außer dem schon bekannten Buche Hausens über den Marnefeldzug noch eine umfassende fachmilitärische Niederschrift des Generals über die Zeit seines Oberkommandos existiert, deren Druck in Aussicht genommen ist. Historisch nicht uninteressant sind aus der Friedenslaufbahn des Generals die Mitteilungen über die Schwierigkeiten, die ihm als sächsischen Kriegsminister die partikularische Abneigung des Dresdener Ministeriums gegen Berlin machte, Reibungen, in denen der Soldat Hausen durch den Zwang der militärischen Notwendigkeiten zum überzeugten Vertreter der preußisch-sächsischen Militärkonvention wurde, die nach seinem Zeugnis von Preußen mit größtem Takt und größtem Entgegenkommen gehandhabt worden ist.

f. Einzelne Phasen der militärischen Geschichte des Krieges.

Die Reibungen zwischen deutscher O. H. L. und Conrad von Hötzendorf hat Th. v. Schäfer ( 1465) für den Herbst 1914 behandelt. Er weist Conrads Kritik der ersten deutsch-österreichischen Offensive in Polen ruhig zurück als Unmögliches verlangend, da zu dieser Zeit die Abgabe von 20--30 deutschen Divisionen nach dem Osten sachlich ausgeschlossen, ohne stärkere deutsche Kräfte mehr aber nicht erreichbar gewesen sei. Conrads Rückendeckung für die zweite Offensive von Thorn her wird als großzügig anerkannt, obwohl sie auch dem Bestreben diente, einen möglichst breiten österreichischen Besatzungsstreifen in Polen zu sichern. Conrads Gereiztheit gegen Falkenhayn, am schärfsten in der Diskussion über Fragen des gemeinsamen Oberbefehls, wird menschlich zutreffend aus dem Gefühl schwindender eigener Kraft verstanden. -- Der parallelgehende Aufsatz von Conrad Lehmann ( 1466) ist in der strategischen Kritik doch nicht auf gleiche, zu maßvollem Urteil anhaltende militärische Sachkenntnis aufgebaut.


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Zwei französische Studien von Palat und General de Castelli ( 1471 bis 1472) behandeln die französische Führung in den Tagen vom 15. bis 23. August 1914. Beide kritisieren scharf, daß Joffre das deutsche Umfassungsmanöver zu spät erkannt habe, und zollen der Führung des Generals Lanrezac (V. französische Armee) aus dem entgegengesetzten Grunde hohe Anerkennung. -- Ein Aufsatz von Villate ( 1470) betont die Erschöpfung der deutschen Armeen zu Beginn der Marneschlacht und übt daraufhin scharfe Kritik an der überhetzenden deutschen Führung, die nicht wie Joffre mit frischen Reserven in den entscheidenden Kampf getreten sei.

Ein kritisches Buch über Tannenberg hat der General Hoffmann ( 1477) geschrieben, in dem der nicht überzeugende Versuch gemacht wird, das Verdienst des Sieges für die Dispositionen des Prittwitzschen Stabes vor dem Eintreffen des A. O. K. Hindenburg zu beanspruchen, und die Leistungen Ludendorffs als Stabschef im einzelnen mehrfach scharf kritisiert werden. Als ergänzendes Selbstzeugnis eines bedeutsam beteiligten Führers ist das Buch jedoch neben dem Reichsarchivwerk zu beachten. -- Nicht weniger eigenwillig als Persönlichkeit ist der General von François, der ebenfalls dem Cannae von 1914 eine besondere Schrift ( 1476) gewidmet hat, die sich mit der Hoffmannschen Auffassung mehrfach kritisch auseinandersetzt. -- Eine wertvolle und sachkundige Studie über die russische Führung in der ersten galizischen Schlacht hat N. Golovin ( 1478) geschrieben, der die Verfehltheit des ersten russischen Aufmarsches als Ursache der anfänglichen Echecs aufweist, in der Überwindung der Schwierigkeiten durch Alexejew und Iwanow dagegen eine hohe Leistung erblickt; das Ringen Alexejews mit der gleichfalls bedeutenden strategischen Intelligenz Conrads mache den eigentlichen Reiz dieser ersten Kämpfe aus.

Die Studie W. Rusts über die Yserschlacht ( 1479) ist wertvoll durch eingehende Auswertung der Ententeliteratur. Sie läßt insbesondere das Verdienst Fochs um die Abwehr des überraschend vor der auf den 20. Oktober geplanten französisch-englischen Offensive einsetzenden deutschen Stoßes seit dem 19. nach einer Arbeit von L. Madelin hervortreten. Rust betont die Bedeutung dieser Schlacht, in der Belgier, Franzosen und Engländer zuerst wirklich gemeinsam fochten, für das Zusammenschweißen der alliierten Armeen, auch dies ein Vorgang, an dem sich Fochs Psychologie ebenso zum erstenmal bedeutsam bewährt habe, wie zur gleichen Zeit seine schon in der Marneschlacht erprobte strategische Festigkeit.

Die Tragödie von Verdun hat in den »Schlachten des Weltkrieges« ( 1481) eine gediegene Darstellung ihrer ersten Offensivphase erhalten, die nach dem Zweck der Sammlung mehr die Entwicklung der Kämpfe im einzelnen darstellt, jedoch von der taktischen Seite her auch für das Verständnis ihres Verlaufes im großen von Interesse ist. -- Weiteren Überblick gibt trotz knappster Fassung aller Mitteilungen über die grundlegenden strategischen Verhältnisse auf deutscher und italienischer Seite das Buch Krafft von Delmensingens ( 1482) über die italienische Offensive im Herbst 1917, das eine würdige, auch von dem Besiegten, General Cadorna, nach ihrem Werte anerkannte Schilderung dieser vielleicht blendendsten deutschen Waffenleistung im Kriege gibt. Den besonderen Anteil und die besonderen Schwierigkeiten der beteiligten österreichischen Truppen hat A. Krauß ( 1483), ergänzend zu der deutschen Darstellung, behandelt. Bei beiden findet die Frage der Fortführungsmöglichkeiten,


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bei Krafft auch die Gegengründe der deutschen Heeresleitung, eingehende Beachtung.

Das Schlußdrama des Weltkrieges seit der russischen Revolution hat der niederländische Oberst van den Belt ( 1484) in einem sehr gediegenen, gedrängten und gedankenreichen Buch behandelt, das, stets selbständig und eigenartig im Urteil, zuverlässig in der Quellengrundlage, eine der besten Erscheinungen der Militärliteratur in den letzten Jahren ist. Entschiedene Kritik an der 3. deutschen O. H. L. verbindet sich mit warmer Anerkennung ihrer bedeutenden Leistung, gegen die die Kriegsführung der Gegner doch nur mittelmäßig gewesen sei, und rückhaltloser Bewunderung der deutschen Volksleistung, deren Grenzen überspannt zu haben, der Verfasser Ludendorff zum Vorwurf macht. -- Das Buch Paquets ( 1485) über die Aufzehrung der deutschen Kräfte im Herbst 1918 stützt sich auf das Material des französischen Nachrichtendienstes im Kriege und sucht aus dem Grade des Schwindens der deutschen Kräfte, der Grundursache des Zusammenbruches, den Nachweis zu erbringen, daß Deutschland auch militärisch wirklich besiegt gewesen sei. Er gibt im einzelnen wertvolles Material, so ein Memoire Fochs, das am 24. Juli eine ganz klare Erkenntnis der eigenen Überlegenheit bekundet, sich aber doch nicht das Ziel der vernichtenden eigenen Offensive, sondern der allmählichen Zermürbung des Gegners stellt. Eine strategische Konzeption höherer Art fehlt durchaus. Erst für die Schlußphase des großen Ringens wird diese dann in bekannter Weise für den Plan des lothringischen Angriffes beansprucht.

g. Zur inneren Geschichte während des Krieges.

Der Ertrag ist auch in diesem Berichtsjahr spärlich. Wortmanns Arbeit über die Vaterlandspartei ( 1491) besitzt nur Materialwert, diesen in beträchtlichem Maße, vermag aber in der eigenen Leistung dem historischen Problem nicht zu genügen. -- Die Erinnerungen Gugelmeyers ( 1492) bringen aus der Praxis eines nationalliberalen Abgeordneten, der nach der Friedensresolution in den Reichstag eintrat, aber ganz in Reih' und Glied der Partei blieb, nur gelegentliche Mitteilungen von Interesse auf Grund parlamentarischer Beziehungen, am ehesten sind noch Reiseberichte aus den baltischen Provinzen bemerkenswert.

Eine wichtige Publikation zur Geschichte des internationalen Sozialismus im Weltkriege bedeutet die Arbeit von Angelika Balabanoff ( 1493) über die Zimmerwalder Bewegung von 1914--1919, die vorläufig bis zur Stockholmer Konferenz gediehen ist und aus den Papieren dieser ehemaligen Sekretärin der 3. Internationale ein wichtiges dokumentarisches Material, insbesondere zur Geschichte der Unabhängigen Sozialdemokratie in Deutschland, bringt.

Schließlich ist die zweibändige Publikation der Briefe Walter Rathenaus ( 1494) wertvoll für das Werden dieses geistig so vielseitigen und reichen Menschen, der als gedankenreicher Kommentator des Zeitgeschehens während des Weltkrieges immer wieder aufreizend und fesselnd zugleich wirkt. Abgesehen von seiner Leistung als Organisator des Rohstoffwesens, hat Rathenau im Kriege nicht im politischen Zentrum gestanden; seine immer schärfere Kritik an der ungenügenden Führung des deutschen Volkes wird daher aus ähnlicher Distanz gegeben wie die verwandten Sorgen Ballins; zu immer größerer Schärfe gegen das herrschende System anschwellend, präludiert sie bereits Rathenaus späterer politischer Wirksamkeit, mit der sie auch das gemeinsam hat, daß sie sich nicht in die starren Grenzen einer bestimmten Partei eingliedern läßt.


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