§ 25. Ältere Rechts- und Verfassungsgeschichte (bis 911).(W. Stach.) Im Forschungsbereich der älteren deutschen
Rechts- und Verfassungsgeschichte steht im Vordergrund noch immer der Kampf um die Volksrechte, um deren Textkritik und
die Fragen ihrer Entstehung. Ausgangspunkt dieses Kampfes war bekanntlich die geplante Monumenta-Ausgabe des bayerischen
Volksrechtes durch E. v. Schwind (
1518). Mit deren Druck hatte man bereits 1913 begonnen, und wenn sie im
Berichtsjahr endlich erschien, so war sie schon um dieser Verzögerung willen von vornherein verurteilt, einen
inzwischen überholten Stand der rechtsgeschichtlichen Forschung verkörpern zu müssen. Dazu kommt die
ungerechtfertigte Kapitulation des Herausgebers vor den Schwierigkeiten der Hss.-Filiation und seine Anhängerschaft
an die bekannte Euricianushypothese Zeumers und Brunners. Diese Befangenheit hatte v. Schwind schließlich dazu
bestimmt, die jüngste Überlieferung der bayerischen Lex über die älteste zu stellen, so daß
nunmehr eine Ausgabe vorliegt, die als kritische Gesamtedition verfehlt ist und deren Apparat und Sachkommentar
wichtiger und wertvoller sind als der Text. Doch fehlt es im einzelnen nicht an beachtlichem Fortschritt. So sehe ich
ein bleibendes Verdienst v. Schwinds in seiner mühsamen quellenanalytischen Vorarbeit, die bei dem kompilatorischen
Gepräge der Lex ins Gewicht fällt. Nicht nur, daß er dabei u. a. die Abhängigkeit der bayerischen
Redaktion auch von der Lex Salica entdeckte, sondern er hat nach dem Vorgange der Scriptoresbände solche
Lehnstellen auch im Text durch kleineren Druck gekennzeichnet und noch überdies sämtliche Parallelen aus den
übrigen Leges unter dem Textsatz in extenso mit aufgenommen. Zu diesen offenkundigen Vorzügen tritt
schließlich ein mehr praktisches Moment, auf das E. Heymann (
1519) mit Nachdruck verweist und das er in seinem eigenen Vorwort zur Ausgabe
nochmals betont. Ausgehend von der Beobachtung, daß die E.-Hss. in vereinzelten Fällen den Wortlaut der
westgotischen Vorlage getreuer wiederzugeben scheinen als die bekannte Antiqua, vertritt Heymann die Annahme, die
Überlieferung in den E.- Hss., die einer frankonisierten Emendata aus der Kanzlei Karls des Großen
entstammen, dürfte auf einem relativ guten Antiquatext fußen, so daß einer Sonderausgabe dieses
Emendatatextes Berechtigung und Eigenwert zukäme. Im Sinne einer solchen Separatedition der Lex Baiuvariorum
Carolino tempore emendata lasse sich auch die Schwindsche Ausgabe ohne erhebliche Schwierigkeit benutzen, und so werde
sie vor allem die erwünschte Synopse der älteren und jüngeren Textstufen erleichtern, sobald erst daneben
die bereits
S.362 beschlossene Antiqua-Ausgabe der genuinen Lex Baiuvariorum in der Oktavserie der M. G. erschienen sei.Nach dieser Richtung trifft es sich glücklich, daß inzwischen K. Beyerle ( 1519 a) die älteste Hs. (B 1) der bayerischen Lex, den kostbaren Ingolstadensis, in einer ausgezeichneten Lichtdruckwiedergabe zugänglich gemacht hat. Voraus schickt Beyerle eine lichtvolle Einführung in die gesamte Kontroverse über die Entstehung der Lex, wobei er die eigene gut unterbaute These verficht, die bayerische Lex erweise sich als ein kirchlich inauguriertes Rechtsbuch, das von den Pirminsmönchen in Niederaltaich im fränkischen Auftrag, aber mit Zustimmung der bayerischen Herzogsgewalt in den äußeren Formen eines vom Frankenkönig für den Bayernstamm erlassenen Gesetzbuches verfaßt worden sei. Während K. Beyerle dabei auf weite Strecken mit Krusch zusammengeht, ist umgekehrt E. Mayer ( 1514) ganz auf die Seite von Beyerles Bruder getreten, indem er Kruschs Buch über die Lex Bajuvariorum völlig ablehnt; außerdem hat Mayer aus neuen numismatischen Kriterien Behauptungen über die Genesis des ribuarischen und salischen Volksrechtes gefolgert, die zum Teil fast ungeheuerlich anmuten. So vertritt er die Annahme einer präclodoveischen Urform der Lex Salica, die nicht lateinisch, sondern deutsch abgefaßt gewesen sein müsse und in der Malbergschen Glosse noch trümmerhaft und verstümmelt vorläge. Dieser Text des 4. und 5. Jahrhunderts habe nur Denarsummen enthalten. Darauf sei u. a. eine lateinische Lex Theuderichs I. gefolgt, mit römischem Solidus neben den Denarsummen, dann eine Umarbeitung Chlotars I. mit Solidi zu 5/6 des römischen Goldsolidus, ferner eine austrasische Überarbeitung Childeberts II. mit Solidi zu ⅔ des römischen und schließlich unter Dagobert I. der salische 65-Titeltext, unter Dagobert I. oder Sigibert III. die Lex Ribuaria und der austrasische 99-Titeltext der Lex Salica. Was das dabei
zugrunde gelegte Wertverhältnis der Solidi anlangt, so baut E. Mayer auf Forschungen H. Jaekels
weiter, von dem die Savigny- Zeitschrift ein nachgelassenes Manuskript druckt (
1520), in dem Jaekel seine dem Kerne nach schon früher (N. Arch. 32, 263
ff.) bekannt gewordenen Vermutungen über die schichtweise Entstehung der Lex Frisionum bis ins Einzelste
fortführt; man muß es bedauern, daß es Jaekel nicht mehr vergönnt war, den aufgewandten Scharfsinn
am Abschluß seiner Untersuchungen des altfriesischen Geldwesens zu überprüfen und an Hand einer
Auseinandersetzung mit der entgegengesetzten Heck-Rietschelschen Entstehungstheorie ausreifen zu lassen. -- In derselben
Zeitschrift ediert H. Menhardt (
1517) sodann ein neuentdecktes Fragment der Leges Visigothorum, leider allzu
geringfügig, aber für die Geschichte der mittelalterlichen Rechtsliteratur insofern interessant, als es sich
wohl um eine ähnliche Kompilation aus westgotischem und römischem Recht handelt, wie sie seinerzeit in den
Fragmenta Gaudenziana zutage trat. -- In diesem Zusammenhang sei schließlich noch die kritische Studie genannt,
mit der S. Stein (
1516) sich gegen die Einteilung der fränkischen Rechtsquellen durch
Boretius wendet; nicht nur, daß dabei Seeligers Ablehnung einer Scheidung von Capitula legibus addenda und per se
scribenda mit neuen Gründen bestätigt wird, sondern Stein macht es zugleich wahrscheinlich, daß
-- wenigstens im Bereich der karolingischen Quellen, speziell der Kapitularien -- capitula gewöhnlich
»Abschnitt, Paragraph, Satz« und nur gelegentlich -- prägnant gebraucht -- »Capitula regis«
bedeute; ferner sei Salicus nicht
S.363 durchweg Eigenname, sondern gehöre als später obsolet gewordenes Synonym neben dominicus.Was weiterhin die geschichtlichen Spezialforschungen des Berichtsjahres angeht, so stehen nach
stofflichem Belang und zeitlichem Ausmaß an erster Stelle die familienrechtliche Monographie von E.
Hoyer (
1515) und die sachenrechtliche Studie von V. Ernst (
1529). Jedoch am tatsächlichen Ertrag gemessen sind gerade diese beiden
Bücher höchst ungleich. Denn während Ernsts Forschungen anregen und fördern, selbst wo ihre
Ergebnisse abwegig sein dürften, halte ich das Hoyersche Buch im großen und ganzen für wenig gelungen.
Vielleicht sind die Hauptschwächen Hoyers: seine Berufung auf antiquierte Literatur und die
Nichtberücksichtigung neuerer Forschungsergebnisse, rechtshistorischer wie quellenkritischer, zum Teil dadurch
bedingt, daß ihm die bescheidenen Hilfsmittel der Deutschen Universität in Prag die Arbeit aufs
äußerste erschwert haben. Aber auch darüber hinaus kann ich mit seiner Methode nichts Rechtes anfangen.
Denn obwohl ich die Notwendigkeit anerkenne, die lebendige Fülle altdeutscher Rechtsanschauungen der juristischen
Begriffswelt einzugliedern und so unter historischen Gesichtspunkten gewissermaßen kategorial erstarren zu lassen,
mutet es doch allzu konstruktiv an, wenn der Verfasser auf Grund einer recht dogmatischen Tacitusexegese zunächst
die durch den Muntkauf familienrechtlich charakterisierte Kaufehe als die Vollehe im Sinne der germanischen
Rechtsordnung definiert und dann als Entwicklungsergebnis der fränkischen Zeit fünf Formen von Ehen minderen
Rechts (Konsens-, Entführungs-, Ungenossen-, Kebs- und Sklavenehe) dagegen abgrenzt, ja schließlich von
seiner Definition her bestreitet, daß z. B. die Raubehe in germanischer Zeit rechtsgültig gewesen sein
könne. -- Was andererseits das Buch von Ernst anlangt, so liegt sein Schwergewicht in der Zeit des
Hochmittelalters, so daß ich es hier nur oberflächlich zu streifen vermag. Ausgehend von bisher kaum
benützten Lagerbüchern, Urkunden und Akten des schwäbischen Quellenkreises (vom Ende des 13. Jahrhunderts
ab) trägt Ernst eine neue Theorie des deutschen Liegenschaftsrechtes vor, die in der These gipfelt: das deutsche
Grundeigentum sei aufgebaut auf der Zwing- und Banngewalt der Sippe, die hauptsächlich das Untersagen freier
Nutzung auf einem Teile der Dorfmarkung bedeute; nur von dieser Grundlage aus sei die spätere Verteilung von Grund
und Boden in ihrer mannigfachen Bedingtheit verständlich; selbst die überragende Stellung des Salhofes sei von
diesem Sippenurrecht abzuleiten und vollends die Grundherrschaft habe daneben eine völlig untergeordnete Bedeutung
gehabt. Man begreift, daß eine derartige Kampfansage an die herrschende Meinung von A. Dopsch (
1529) in Bausch und Bogen abgelehnt worden ist; jedenfalls dürfte sich
die Hoffnung K. Wellers (Hist. Zt. 136, 323 ff.), die Ernstsche Lehre würde in Bälde
Allgemeingut sein, wohl kaum in diesem Umfang erfüllen. Im Gegenteil fordert das inhaltsreiche und verdienstvolle
Buch bei aller Anerkennung zu schweren Bedenken heraus, wie schon die fördernde Besprechung durch K. A.
Eckhardt (
1529) zur Genüge erweist. Insonderheit halte ich für brüchig
und schwach, was Ernst zu Cäsar, Strabon und Tacitus vorbringt. Wohl ist es ihm auch da gelungen, mit Zwing und
Bann die germanische Äckerzuteilung an die Sippenverbände in einem wichtigen Punkte überraschend lebendig
zu machen. Aber wenn er glaubt, vor allem aus Cäsar seine eigene Theorie sozusagen Wort für Wort ablesen zu
können, so
S.364 dürfte das wohl eine Selbsttäuschung sein; denn in Wahrheit holt er seine Erkenntnisse im wesentlichen aus den Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts und handhabt sie dann als Vehikel einer ziemlich summarischen Interpretation des Cäsar- und Tacitustextes, die selbst vor philologischen Gewaltsamkeiten gelegentlich nicht zurückschreckt. Die Begründung meiner Einwände kann ich freilich nur an anderer Stelle erbringen.Neben dieses Buch von Ernst möchte ich um ihrer Bedeutung willen die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen von E. F. Bruck über »Totenteil und Seelgerät im griechischen Recht« ( 1507 a) rücken, da sie auch für die germanische Rechtsgeschichte von hervorragender Bedeutung sind, und zwar unmittelbar, weil der Verfasser im Verfolg seines Themas durchgängig auf Analogien und Gegensätze aus dem germanischen Rechtsleben geachtet hat. Neben dieser vorzüglichen Leistung, die Rechts- und Geistesgeschichte in ihrer Verschränkung verfolgt, ist noch zu nennen, was C. Borchling ( 1498) in Anlehnung an Grimm und v. Amira zu einer vergleichenden Rechtssymbolik bei Germanen und Römern vorträgt, indem er u. a. den fustis delibratus bei Festus mit dem gaelischen cranntàir und die salische chrênecruda mit der herba pura bei Livius zusammenstellt. Freilich hat Borchling im Rahmen eines bloßen Vortrages die dankbare Materie bei weitem nicht auszuschöpfen vermocht, die an sich geeignet gewesen wäre, uraltes idg. Erbgut germanischer Rechtsanschauungen in seiner ursprünglichen Bildkraft erahnen zu lassen, wie das z. B. v. Schwerin in seiner Studie über »Formen der Haussuchung in idg. Rechten« (Rechtsgesch. Stud., H. 1, 1924) mit vorbildlicher Umsicht und Behutsamkeit dargetan hat. Was sonst noch an Spezialuntersuchungen vorliegt, kann ich nur in Auswahl kurz aneinanderreihen, teils aus Mangel an Raum, teils weil mir einige Veröffentlichungen trotz aller Bemühungen überhaupt nicht zugänglich waren; so neben dem zweiten Band der Spanischen und portugiesischen Verfassungsgeschichte E. Mayers ( 1506) und Mayers verbesserter und erweiterter Abhandlung über das altspanische Obligationenrecht (El antiguo derecho de obligaciones español según sus rasgos fundamentales, Barcelona 1926, 305 S.) vor allem der Tomo III des Anuario de Historia del Derecho Español mit den Beiträgen von M. Torres ( 1508 a) über den westgotischen Staat und von Marc Bloch ( 1511 a) über die Organisation der Karolingischen Königsgüter, wie ferner die Arbeiten von H. Fehr ( 1499 a) und S. Minguijon ( 1505). Eine Revision der Brunnerschen Lehren über das testimonium
comitis palatii unternimmt R. Heuberger (
1511): das Pfalzgrafenzeugnis, wie es uns in den placita der Merowinger
entgegentritt, wurde danach dem König und nicht der Kanzlei geleistet; ferner sei die Teilung der Reichskanzlei und
die Einrichtung einer eigenen Gerichtsschreiberei erst unter Karl d. Gr. erfolgt, während umgekehrt die Annahme
nicht zu halten sei, daß die Salier im Gegensatz zum ribuarischen Recht noch gegen Ende der Merowingerzeit kein
Gerichtsschreibertum gekannt hätten, da dieses als römisches Erbstück zum mindesten
gemeinfränkischen Ursprungs gewesen sein müsse. -- In ähnliche Richtung verweist sodann die eindringliche
Studie von A. Dopsch (
1509) über die leudes, mit der sich Dopsch gegen die herrschende Meinung
wendet, daß die Anfänge des Lehnswesens erst im 8. Jahrhundert unter Karl Martell gesucht werden
dürften, während in Wahrheit die Voraussetzungen dazu und die ersten Spuren
S.365 bereits im 6. Jahrhundert nachweisbar wären. Aufbauend auf einer neuen Deutung der Marculfschen Formel »leudesamio« erklärt Dopsch in diesem Sinne die merowingischen leudes als militärisches Dienstgefolge des Königs und die vassi in den karolingischen Quellen als deren jüngere Entsprechung. -- Schließlich sei noch der Untersuchung von A. Dumas ( 1513) gedacht, die eine Korrektur der landläufigen These anstrebt, daß das Grundeigentum der Karolingerzeit hauptsächlich im Großgrundbesitz bestanden hat; der Verfasser geht dabei vornehmlich von zwei Gesichtspunkten aus: es sei bei dieser Frage zu unterscheiden zwischen dem König, den Großen des Reiches und kirchlichen Einrichtungen einerseits und reichen Einzelpersonen andererseits; außerdem entledige sich die herrschende Lehre etwas zu rasch der kleinen Grundbesitzer, die doch nach Ausweis der Quellen noch gegen Ende des 10. Jahrhunderts recht zahlreich gewesen sein müßten.Eine Reihe weiterer
und wichtiger Publikationen gruppiert sich ferner um das besondere Thema: Rechtssprache, Rechtsgeographie und
Rechtssprachgeographie. Dazu gehört an erster Stelle E. Heymanns (
1496) Bericht über den Stand des Deutschen Rechtswörterbuches, das
sich neben dem Parallelunternehmen eines Vocabularium Jurisprudentiae Romanae unter der Obhut der Preußischen
Akademie befindet. Heymanns Ausführungen, die in den Formen eines Rückblickes auf die bisher geleistete
Vorarbeit zugleich einen meisterhaft skizzierten Ausschnitt aus der Geschichte der germanistischen Rechtswissenschaft
vortragen, stellen in Aussicht, daß auf Grund des geschaffenen Wortapparates von über einer Million
Einzelzetteln nunmehr das ehedem auf acht tausendseitige Lexikonbände veranschlagte Werk in der vereinfachten
Gestalt von vier Bänden zu je 600 Seiten Quart in Angriff genommen und, soweit das die finanziellen Mittel
gestatten, auch mit möglichster Beschleunigung durchgeführt werden soll. Wie fruchtbar dieses thesaurierte
Wortmaterial, über seine bloß lexikographische Verwertung hinaus, auch rechtsgeographisch und -- da die
Rechtsgrenzen den Verlauf der Sprachgrenzen bedingen -- selbst sprachgeographisch gemacht werden kann, zeigt die
bahnbrechende Studie E. v. Künßbergs (
1501), des derzeitigen verdienstvollen Leiters des Wörterbucharchivs;
Künßberg gibt in Verbindung mit einer programmatischen Einführung in die Probleme der
Rechtssprachgeographie ausführliche Erläuterungen zu zwanzig durchgeführten Proben von Wortkarten,
Synonymenkarten und einer allgemeinen Stadtrechtskarte und verwirklicht damit den ersten praktischen Schritt zur
Erfüllung eines neuen rechtshistorischen Forschungspostulates, das W. Merk (
1502) mit der ihm eigenen begeisternden Wärme proklamiert. Es handelt
sich dabei für Merk nicht etwa um den bloßen Ausbau der rechtsgeschichtlichen Kartographie als eines
Veranschaulichungsmittels, sondern als eines noch unausgenützten Instrumentes der rechtsgeschichtlichen Forschung
selbst und damit um die Konstituierung einer verheißungsvollen Hilfsdisziplin, die sich in die beiden Zweige
rechtshistorische Wortgeographie und rechtshistorische Sachgeographie gliedern soll. Ausgehend von den Erfahrungen und
Erfolgen, die man Wenkers induktiver Methode in ihrer fortschreitend verfeinerten Anwendung auf den Atlas der deutschen
Mundarten verdankt, beschreibt Merk in großen Zügen den Aufgabenbereich und die Technik dieser neuen
Disziplin und zeigt deren Fruchtbarkeit an der Hand von wohldurchdachten konkreten Fragestellungen, unter denen ich in
unserem Zusammenhang
S.366 seine Ausführungen über rechtslandschaftliche Beharrungskomplexe, wie die des friesischen, alemannischen und ribuarischen Rechts, sowie über die Grenzen der alten Stammesgebiete und über die wechselseitige Beeinflussung der Volksrechte besonders hervorheben will. Freilich ist dieses Programm W. Merks, wie U. Stutz (Zt. Sav.-St. G. A. 47, 709) betont, vorläufig ein hohes Fernziel und bildet selbst nur wieder ein Teilstück einer künftigen historischen Kulturgeographie, in deren Neuland H. Aubin ( 536) dank der für das Rheinland besonders günstigen Vorbedingungen einen ersten und wegweisenden Vorstoß unternommen hat.Zu den bisher genannten Einzelforschungen auf dem
Felde der frühmittelalterlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte kommen schließlich noch einige Abhandlungen
allgemeineren Inhalts und die einschlägigen Abschnitte aus größeren rechtshistorischen Darstellungen.
Unter jenen sei zunächst verwiesen auf die gewichtige Auseinandersetzung von U. Stutz (
1507) mit den Hauptwerken von A. Dopsch, ferner auf die gehaltvolle
Universitätsrede von E. Feine (
1497), in der dieser den Schicksalen und Nachwirkungen der gemeingermanischen
Grundlage in den Rechten der einzelnen Länder Europas nachgeht, und schließlich auf die von
rechtsphilosophischen Erwägungen durchtränkte Untersuchung von E. Jung (
1499), worin Jung die zeitgemäße Frage nach der sittlichen
Begründbarkeit des Rechtszwanges und der öffentlichen Gewalt verfolgt und in diesem Gedankenzuge auch
Heer- und Gerichtsbann als die erste und älteste Form einer öffentlichen Befehlsbefugnis bei den Germanen
bespricht. -- Was nun die eigentlichen Darstellungen im Berichtsjahre anbetrifft, so ist vor allem die ausführliche
Schilderung zu nennen, die unser Zeitraum als Période Franke (du V au X
siècle) bei E. Chénon (
1504) findet, der gerade damit mehr als ein Drittel seines imposanten Werkes
über die Geschichte des französischen Rechtes ausfüllt. Entstanden ist Chénons Darstellung aus
rechtsgeschichtlichen Vorlesungen, die der Verfasser in den Jahren 1895 bis 1925 an der Universität Paris gehalten
hat. Freilich an das Meisterwerk Brunners oder auch nur an Schröders Deutsche Rechtsgeschichte reicht die Leistung
nicht heran. Wohl aber bietet Chénon einen sorgfältig gearbeiteten, gut gegliederten und klaren
Überblick, ausgestattet mit reichen Literaturhinweisen und ausgezeichnet durch eine wohlabgewogene Darlegung der
schwebenden Streitfragen und Probleme. Das sind Vorzüge, die auf Schritt und Tritt den sachkundigen Forscher
verraten, der sich selbst in Spezialuntersuchungen auf diesem Gebiete betätigt hat. Aber daneben treten doch auch
beträchtliche Mängel zutage, namentlich auf dem Gebiete der Quellenkritik. So kennt Chénon anscheinend
weder Zeumers bahnbrechende Geschichte der westgotischen Gesetzgebung noch dessen wichtige Ergänzungsstudie zur
Quartausgabe der Leges Burgundionum. So wägt er u. a. Krammers Bevorzugung des salischen 99-Titeltextes gegen die
Meinung Pardessus' ab und ignoriert überhaupt die deutsche Lex-Salica-Forschung seit jenem Beitrag von Krammer zu
der Festschrift für Brunner. -- Zu dem Werke Chénons kommt endlich noch der gedankenreiche Aufriß des
germanischen Rechts, den die sichere Hand Cl. v. Schwerins für die weiteren Kreise der Gebildeten
gezeichnet hat (
1497a). Diese Skizze auf knappstem Raum verdient aber Beachtung auch in der
Fachwelt; denn sie stellt einen in dieser Art erstmaligen Versuch dar, die eigentümlich deutschen
Rechtsanschauungen durch die ganze Entwicklungszeit des deutschen Rechtes hindurch
S.367 zu verfolgen, um auf diesem Wege ihre aktuelle Bedeutung für die Rechtsbildung der Gegenwart herauszuarbeiten und damit Wissenschaft und Leben in einer wissenschaftlich möglichen Form zu verknüpfen. |
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