§ 26. Rechts- und Verfassungsgeschichte des Hochmittelalters.

(H. Hirsch.)

Der Bericht über das Jahr 1926 bietet im Gegensatz zu dem für das vorausgehende Jahr dem Verfasser Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß all die großen Probleme, die die Rechtsgeschichte derzeit kennt und um deren Gestaltung sie sich bemüht, durch kleinere und größere Arbeiten gefördert worden sind. Auch das, was in den Übersichten der kommenden Jahre noch deutlicher in Erscheinung treten wird, kann schon an einzelnen Arbeiten der folgenden Besprechung hervorgehoben werden: Daß die rechtsgeschichtliche Forschung alle Belange erfaßt, die eine wissenschaftliche Arbeit überhaupt darbietet, und daher jetzt von jenem Zustand nicht die Rede sein kann, den Freiherr von Dungern einmal im Ton der Klage sich »auf sich selbst« zurückziehen genannt hat. Schon bei der ersten hier vorzuführenden Arbeit ist z. B. der Zusammenhang mit Fragen, die auch in unserer Gegenwart eine Rolle spielen, unverkennbar. Es sind immer wichtige Angelegenheiten der Rechtsgeschichte, in denen V. Ernst ( 1529) das Wort ergreift. Merkwürdig ist auch, daß es so häufig die besondere Vertrautheit mit der Geschichte des schwäbischen Rechtsgebietes ist, die zur Grundlage wird, von der Probleme von allgemeiner Bedeutung gesehen und erörtert werden. Diesmal hat Ernst der Entstehung des deutschen Grundeigentums eine Schrift gewidmet, deren Ergebnisse in den Sätzen gipfeln: »Das deutsche Grundeigentum ist aufgebaut auf der Zwing- und Bannherrschaft der Sippe. Nur von dieser Grundlage aus ist seine Verteilung und mannigfaltige Bedingtheit verständlich.« »Das deutsche Grundeigentum ... trägt ... alle Spuren einer sekundären und abgeleiteten Einrichtung an sich, bis ihm aus einem fremden Recht Inhalt und Kraft zufließt.« Nun haben sowohl der von der Lehre E. Mayers stark beeinflußte Hauptsatz als auch andere Ausführungen des Verfassers, namentlich das erste »Römerzeit« überschriebene Kapitel, in dem er bis auf Caesar und Tacitus zurückgeht und damit in ein Wespennest strittiger Fragen vorstößt, Widerspruch gefunden (vgl. Dopsch, Mitt. d. österr. Instituts f. Geschichtsforschung, 41, 425 ff. u. Eckhardt, Zeitschr. d. Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt., 46, 420 ff.). »Das Fehlen privaten Grundeigentums« wird man kaum als »Ertrag, den die römischen Quellen für die Entstehungsgeschichte des deutschen Grundeigentums liefern«, bezeichnen dürfen. Abgesehen von der Markgemeinde hat ein solches jedenfalls in sehr früher Zeit schon bestanden. Doch hat gerade Eckhardt in der schon erwähnten, höchst beachtenswerten Besprechung auch die guten Seiten der neuesten Leistung des schwäbischen Forschers anerkannt und dem Leser wirkungsvoll vorgeführt. »Die Zwing- und Banngewalt wurzelt nicht in der Grundherrschaft, sondern in der Gemeinde der freien Markgenossenschaft.« Damit hat die grundherrliche Theorie wieder eine ihrer Stützen verloren. Aus der Zwing- und Banngewalt wird auch die Entstehung der Grundabgaben abgeleitet, deren Nutznießer der niedere Adel ist, der hohe aber dort, wo er die Rechte des niederen aufgesogen hat. Der kirchliche Grundbesitz


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»ist ein sekundäres Gebilde, das seine Entstehung den grundbesitzenden Laien verdankt«. »Träger der Zwing- und Banngewalt« ist der Herrenhof im Dorfe, in dem der Salhof der früheren Zeit fortlebt. Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen müssen nicht bloß die Zinsbauern, »sondern sämtliche Ortsbewohner die innerhalb Bannes sitzen« für die Bestellung des Sallandes Dienste leisten. Gegen diese Verbindung des Salgutes mit Zwing und Bann hat Eckhardt a. a. O. 425 Einsprache erhoben, dafür zwischen der Gerichtsbarkeit, deren Inhaber im Salhof saß, und Zwing und Bann Beziehungen angenommen und jedenfalls damit den Weg gewiesen, den die künftige Forschung wird betreten müssen, wenn sie die bereits von Wyß und Stutz erarbeiteten Ergebnisse mit dem, was Ernst gefunden hat, vereinigen will. Vielleicht wird dann auch die Standeszugehörigkeit des adeligen Salhof-Inhabers als Rechts- und Einflußquelle erkannt werden. Auch dem abschätzigen Urteil des Verfassers über den Begriff der Grundherrschaft (»Die deutsche Geschichte bedarf seiner nicht«) tritt Eckhardt nicht bei. Aber es ist bezeichnend, daß Ernst aus anderer Einstellung heraus zu dieser Auffassung gelangt ist wie seinerzeit G. v. Below und Seeliger, als sie den Sturm auf die grundherrliche Theorie eröffneten. Ernst mag im einzelnen und in wichtigen Fragen in die Irre gegangen sein, zweifellos hat er auf Probleme hingewiesen, die nicht so bald von der Tagesordnung der rechtsgeschichtlichen Forscherarbeit verschwinden werden. -- Die Ausgabe eines Heftes des historischen Atlas der Niederlande, enthaltend die Marken von Drente, Groningen, Overijsel und Gelderland und die wertvollen Erläuterungen hierzu, die namentlich über die Bezirks- und Gemeindeverfassung von Overijsel neues Licht verbreiten, nimmt E. Mayer ( 1530) zum Anlaß, um auf Grund einer besonders wichtigen Urkunde von 1133 darzutun, »daß die Zahl der vollberechtigten Höfe eines Schultheißenbezirks ungefähr hundert beträgt«, was er als eine Bestätigung der von ihm in früheren Arbeiten vorgetragenen Auffassung von der Bedeutung der Hundertschaft als eines zahlenmäßigen Verbandes ansieht. Diese wie die weiteren Ausführungen, in denen Zusammenhänge zwischen Kriminalgerichtsbarkeit und Hundertschaft, zwischen Amtsbezirk des Schultheißen und Kirchspiel dargelegt werden, dürfen, da es sich um Fragen handelt, auf welche die mit der Herstellung historischer Atlanten beauftragten Rechtshistoriker immer wieder stoßen, das Interesse der Forschung im besonderen Ausmaß beanspruchen.

Den standesgeschichtlichen Forschungen ist im Berichtsjahr eine hervorragende Förderung zuteil geworden. E. E. Stengel ( 1532) hat die verschiedenen Lehren über den Ursprung der Ministerialität überprüft und gegenüber der territorialen Betrachtungsweise, die in den letzten Arbeiten dieser Art vorherrschend war, die Aufmerksamkeit der Forschung auf die Grundprobleme zurückgelenkt. Dabei werden jene Zeugnisse, die vor dem 11. Jahrhundert liegen, auf ihre Aussagen hin untersucht und nicht die des 11. und 12. Jahrhundert, die in den bisherigen Beiträgen im Vordergrund gestanden hatten. Man wird diesen methodischen Vorgang lebhaft begrüßen dürfen. Auf dem von Stengel beschrittenen Wege konnte die Lehre Hecks, nach der die Ministerialität »aus einer ungebrochenen kontinuierlichen ständischen Entwicklungslinie hervorgegangen ist« als verfehlt bezeichnet werden. Die Ministerialität »ist nicht die gerade Fortsetzung eines alten Volksstandes, sondern... ein Ergebnis des sozialen Umbildungsprozesses, der die Entwicklung der Grundherrschaft begleitet hat«.


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Den nämlichen Werdegang haben die Wachszinsigen im Anfang durchgemacht, bis der Gegensatz zwischen ritterlicher und bäuerlicher Lebensweise zwischen ihnen und den Ministerialen eine Kluft aufgetan hatte, die als Standesgegensatz empfunden werden mußte. Das Dienstverhältnis in den verschiedenen Formen »der Bereitschaft zum Dienst sowohl im Heer als bei Hofe und in der Herrschaft« hat »den Inbegriff des aufblühenden Dienstmannentums recht eigentlich« ausgemacht, mochten die Angehörigen dieser Klasse teilweise auch freier Herkunft sein. -- Diese Ausführungen Stengels hat Ganshof ( 1533), ein Schüler Pirennes, in seiner Geschichte der Ministerialität in Flandern und Lothringen leider nicht mehr benutzen können, aber auch sonst ist von der Kritik (vgl. Stutz, Dte. Lit.-Ztg., 47, 905 ff., Dopsch, Mitt. d. österr. Instituts f. Geschichtsforschung, 42, 93 ff., Molitor, Zs. d. Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt., 47, 809 ff.) die Nichtberücksichtigung der deutschen Literatur angemerkt worden. Im übrigen haben die genannten Forscher das Buch als einen wertvollen Beitrag zur Verfassungsgeschichte des westlichen Deutschlands namentlich im 11. und 12. Jahrhundert anerkannt. Die Verhältnisse liegen in Flandern und Lothringen verschieden, hier prägt sich in dem Aufkommen der Ministerialität mehr das deutsche, dort mehr das französische Vorbild aus. Der Unterschied besteht darin, daß die französische Ministerialität, deren Bestand Ganshof mit Pirenne bejaht, sich unter dem Einfluß des Feudalismus rascher entwickelt hat als in Deutschland. In Frankreich und ebenso in Flandern ist nach den ersten Jahren des 12. Jahrhunderts von Ministerialen nicht mehr die Rede, sie sind im Adel aufgegangen. In Deutschland dagegen hat sich die Entwicklung langsamer vollzogen, freier Adel und Ministerialität stehen dort im 12. Jahrhundert einander gegenüber. Ähnlich ist der Werdegang in Lothringen, ohne die nämliche Rolle zu spielen wie im Reich haben die Ministerialen von Brabant, Lüttich, Namur und des Hennegau im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine beachtenswerte Stellung inne. Im 13. Jahrhundert macht sich französischer Einfluß geltend, aber die Ministerialität ist in Lothringen doch noch im 14. Jahrhundert nachweisbar und hält sich im Osten und Südosten des Landes bis ins 15. Jahrhundert hinein. Das Aufgehen des unfreien Adels im freien vollzieht sich unter französischer Einwirkung zuerst im Hennegau und in Namur in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in der Mitte dieses Jahrhunderts in Brabant, später noch in den Gegenden an der Mosel. In den Städten (Brüssel, Lüttich, Cambrai und Utrecht) erfolgt eine Angleichung der mit dem Handel beschäftigten Ministerialen an das Bürgertum. Alle diese Ausführungen dürfen das besondere Interesse auch der deutschen Forschung in Anspruch nehmen, deren Vertreter auf die Verschiedenartigkeit der Entwicklung in Deutschland und in Frankreich auch bereits aufmerksam geworden sind. So hatte schon Forst-Bataglia in seiner Schrift »Vom Herrenstande« beobachtet, daß die Vermischung der Hochadeligen mit den Dienstmannengeschlechtern seit dem 12. Jahrhundert vom Westen her sich vollzieht und nach und nach erst den deutschen Osten erreicht. Ebendeshalb wäre aber eine Heranziehung der in Gefolgschaft des Buches von Schulte »Der Adel und die deutsche Kirche« entstandenen standesgeschichtlichen Arbeiten deutscher Gelehrter sehr erwünscht gewesen. -- Auf die sehr wichtigen Nachweisungen des Verfassers über die einzelnen Ministerialenfamilien in den genannten Gebieten und ebenso über die weltlichen und geistlichen Großen, in deren Bereich Ministerialität nachweisbar ist, sei eigens

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hingewiesen, hier ist ein Material zusammengetragen, das jedem, der sich mit der Verfassungsgeschichte dieser Gebiete beschäftigt, wichtige Aufschlüsse bieten wird. -- Die vom 8.--13. Jahrhundert im altbairischen Gebiet nachweisbaren Barschalken (= zinsgebende Knechte), deren rechtliche Stellung Anna Janda ( 1534) untersucht, entstammen wahrscheinlich der romanischen Bevölkerung, die nach dem Abzug der Römer am Ausgang des 5. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts in den Gegenden zurückgeblieben ist, von denen im 6. Jahrhundert die Baiern Besitz ergriffen haben. Die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Stellung der Barschalken ist zwar keine einheitliche, doch gibt es gemeinsame Züge dieser Standesklasse: »sie sind minderfreie Hintersassen, an die Scholle gebunden und dem Grundherrn mit Zins und Dienst verpflichtet, dabei aber persönlich frei.«

Ansehnlich ist auch der Gewinn, der sich aus den literarischen Beiträgen zur Geschichte des Städtewesens für die Verfassungsgeschichte des hohen Mittelalters ergibt. Die Arbeiten von Köhne ( 1539), F. Beyerle ( 1541) und Eckhardt ( 1538) seien hier bloß erwähnt, da sie in Koebners gleich folgendem Bericht eingehender gewürdigt werden. -- In der Streitfrage nach dem Ursprung der Stadtverfassung in Flandern, zu der Monier auf Seite Vanderkinderes den letzten größeren Beitrag geliefert hatte (Les institutions judiciaires des villes de Flandre Lille 1924) ergreift nun Ganshof ( 1542) als Anhänger der Auffassung Pirennes ( 1572; siehe unten S. 379) das Wort und verwirft die Meinung Moniers, derzufolge das ius mercatorum in der Ausbildung städtischer Gerechtsame keine Bedeutung gehabt habe. Das Zusammenleben der aus Unfreien, Flüchtigen und Hörigen benachbarter Herrschaften bestehenden städtischen Bevölkerung mit den Kaufleuten, die frei waren oder als frei galten, hat dazu geführt, daß eine Rechtsangleichung erfolgte, die auch aus den Bedürfnissen des Handels erklärbar wird. Gegen das Ende des 11. und den Beginn des 12. Jahrhunderts vollzieht sich die Scheidung zwischen der Gerichtsbarkeit des platten Landes und der Städte. Als Tribunal für letztere erscheinen Schöffen, die vom Grafen ernannt unter einem gräflichen Beamten stehen; ihnen treten nach Monier die »iurati« gegenüber, die aus der Bürgerschaft hervorgegangen die Verwaltungsangelegenheiten zu besorgen hatten, während nach Ganshof und Pirenne die Schöffen mit der Ausbildung der Stadtverfassung in Flandern als Richter und Verwalter, als gräfliche Amtsträger und als Vertreter der Gemeinde nachweisbar sind.

Die Arbeiten an den großen Rechtsdenkmälern der germanisch-fränkischen Frühzeit ebenso wie des hohen Mittelalters nehmen einen erfreulichen Fortgang; freilich ist es mehrfach die Frucht jahrzehntelanger Tätigkeit, die vorgelegt wird und eine Vorstellung bietet von den mannigfaltigen Mühsalen, die bei solch großen Forschungszielen zu überwinden sind. Nach 25 jähriger Beschäftigung, deren Nebenfrüchte fast ebenso bedeutend sind wie das Hauptstück der geleisteten Arbeit, hat der Altmeister der germanischen Rechtsgeschichte, v. Amira ( 1535), zwei Bände Erläuterungen zur Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels herausgegeben und damit das umfassende Werk zum Abschluß gebracht. Rechtshistoriker und Kunstgelehrte können nun, wie Stutz Zeitschr. d. Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt., 47, 685 ff. im einzelnen ausgeführt hat, das in so reichlichem Maße Dargebotene für ihre Zwecke benutzen. Freilich war es auch dem Meister der Rechtsgeschichte nicht immer möglich,


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eine restlos sichere Bilderklärung zu bieten; der Zweck dieser Bilderhandschriften war auch nicht der, ein Rechtsbilderbuch im eigentlichen Sinne zu geben. Es kam den Künstlern vor allem darauf an, das von Eike Gesagte bildlich darzustellen, nicht die Rechtsymbole zu erläutern. Ab und zu sind sie allerdings in der Darstellung der Wirklichkeit weitergegangen als durch den Text Eikes geboten war. Dies alles im einzelnen gezeigt und der Benutzung damit die Wege gewiesen zu haben, ist das große Verdienst v. Amiras; auch hat er die Entstehungsverhältnisse der einzelnen Handschriften und Handschriftenklassen, ihre Beziehungen zueinander und zur verlorenen Urhandschrift mit Umsicht und Sorgfalt aufgehellt. -- Eine Anzeige der Ausgabe des Landrechtes von Eikes Werk durch Borchling ( 1536) sei hier vermerkt, weil deren Verfasser, K. A. Eckhardt, die Wünsche der Rechtshistoriker dieser Leistung eines Germanisten gegenüber deutlich zum Ausdruck bringt. So sehr die Mitarbeit der Philologen begrüßt wird, durch die im vorliegenden Falle ein Hilfsmittel »für das Studium des Nordniedersächsischen, für das des Mittelniederdeutschen überhaupt« geschaffen worden ist, bleibt doch nach den Ausführungen des Kritikers zu beklagen, daß nur die Lücken und gröbsten Entstellungen der Bremer Hs. aus Homeyers Text berichtigt worden sind. Doch bietet der Abdruck unbekannter Bruchstücke einer bisher verschollenen Sachsenspiegel-Hs. aus Braunschweig erhebliches Interesse in methodischer Hinsicht, weil sich zeigt, »daß die Abschreiber von Rechtsbücher-Hss. sich keineswegs immer auf eine Vorlage beschränkt haben.«

Die dankenswerte Besprechung meines Buches über die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter ist eine in der Auseinanderhaltung gesicherter und weniger sicherer Ergebnisse sehr sorgfältige Leistung von A. Schultze ( 1527). -- Die Anzeige des Buches von Waas ( 1528) durch Fehr bedeutet eine Ablehnung der Ansicht des Verfassers, der die Bede aus der germanischen Munt herleiten möchte. Ohne Waas gegen diese Auffassung in Schutz nehmen zu wollen, wozu vom Standpunkt meiner eigenen Arbeiten auf diesem Gebiete keine Veranlassung vorliegt, möchte ich doch aussprechen, daß er auf jeden Fall das Verdienst hat, darauf hingewiesen zu haben, wie unsicher unsere Erkenntnis auf verschiedenen Gebieten der hochmittelalterlichen Verfassungsgeschichte noch ist und daß scheinbar festgefügte Lehren immer wieder von neuem der Überprüfung bedürfen. Überdies haben Teilergebnisse seiner Schriften längst beifällige Aufnahme gefunden. Hoffentlich bietet das Otium diplomaticum, auf das ich nach Vollendung des 8. Diplomata-Bundes Anspruch zu haben glaube, mir Gelegenheit, auf die durch das Buch von Waas aufgeworfenen Fragen des näheren einzugehen. -- Die Arbeit von Stephenson ( 1540) über Ursprung und Natur der Taille erwähnen wir hier bloß, weil sie gleich unten durch Koebner ausführlich besprochen ist. Die Scheidung zwischen gerichtsherrschaftlicher und grundherrlicher Taille kennzeichnet treffend die Schwierigkeit, die Herkunft dieser Abgabe aufzuklären, die der Verfasser der Bede gleichsetzt. Erfreulich ist an dieser Untersuchung zu sehen, wieviel Gleichartiges doch die westlichen Verhältnisse den deutschen gegenüber bieten.

Arbeiten über den Umfang der königlichen Rechte sind im besonderen Maße geeignet, die engen Beziehungen zwischen politischer und Verfassungsgeschichte hervortreten zu lassen. A. Schmitt ( 1522) gibt einen Überblick


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über die Güterpolitik der deutschen Könige des Mittelalters, und zwar im Anschluß an die Arbeiten von Waitz, Ficker, Dopsch, namentlich aber von Stimming. Das Ergebnis ist, daß »die mittelalterlichen Könige bis auf Rudolf von Habsburg bei der Prüfung ihres Verhaltens gegenüber dem staatlichen Grundbesitz im ganzen durchaus nicht schlecht« abschneiden. Die auf Bildung einer Hausmacht berechnete Erwerbspolitik der letzten Salier und der Staufer steht im Mittelpunkt der Darstellung, hier wäre noch weitere Literatur zu benutzen und zur Auffassung der Freih. v. Dungern von der Staatsreform der Hohenstaufen (Zitelmann-Festschrift) Stellung zu nehmen gewesen. Auch ist die Frage nicht besonders untersucht worden, inwieweit die Güterschenkungen der Könige mit der deutschen Innen- und Außenkolonisation zusammenhängen. Vielleicht ergäbe sich bei solcher Problemstellung auch eine weitere Erklärung für die oft beobachtete Tatsache, daß die Königsschenkungen seit der Mitte des 11. Jahrhunderts an Zahl und Ausmaß immer mehr zurückgehen. -- Derselbe Verfasser ( 1524) bringt als Vorbereitung zu der erwähnten Arbeit eine Einzeldarstellung über das Königsgut in Hessen-Nassau, der Provinz Oberhessen und dem Kreise Wetzlar in der Zeit der karolingischen und sächsischen Herrscher. Eine wertvolle chronologische Übersicht über den Grundbesitz der Karolinger wird an Hand der Urkunden in Tabellenform den Ausführungen vorausgeschickt. Es folgen Kapitel über die Organisation des königlichen Grundbesitzes, seine Verwaltung und über die Güterpolitik der Karolinger. In der nämlichen Ordnung wird auch der Grundbesitz der Ottonen dem Leser vor Augen geführt. Diesen Ausführungen entnehmen wir an wichtigeren Feststellungen, daß der Sprachgebrauch der Königsurkunden bei Bezeichnung der Königsgüter nicht beherrscht ist von der Terminologie des Capitulare de villis und aus der Schenkung von Teilgütern kein Schluß auf die Streulage des gesamten königlichen Grundbesitzes gezogen werden darf. -- Dem benachbarten Rheinland gilt mit ähnlichen Zielen ein Aufsatz von Wieruszowski ( 1523), in vier Abschnitten werden Reichsbesitz und Reichsrechte von der merowingischen Zeit bis zum Ausgang des staufischen Kaisertums vorgeführt. Für das merowingische Krongut ist ein Zusammenhang mit dem römischen Fiskalbesitz und den Stätten des christlichen Kultus erweislich, die Ausdrücke castrum, castellum, fiscus und palatium werden in gleicher Bedeutung wie früher beibehalten. Mit jenen Verminderungen, die die Schenkungen an Kirchen und Klöster bedeuteten, ist das Reichsgut im Rheinland den Karolingern zugefallen, was um so bedeutungsvoller war, als dieses Geschlecht in den Rheinlanden auch beträchtliches Hausgut sein eigen nannte und dieses nun zusammen mit dem Reichsgut als »fiscus« eine »einheitliche wirtschaftliche Nutzungsquelle des Königs« wurde. Eine »großzügige Kolonisationstätigkeit« ist die unmittelbare Folge, Handel und Verkehr werden gefördert, eine straffe Organisation der Krongüter ist die Voraussetzung für die Belieferung des Hofes in Aachen, das immer mehr zu einer Zentralstelle für das ganze Reich wurde. Die Verluste, die der Hader der späteren Karolinger und die Normanneneinfälle dem Krongut gebracht haben, konnten durch die folgenden Könige und Kaiser nicht mehr eingebracht werden. Zudem ging das Interesse der Ottonen immer mehr nach dem Osten. An die Stelle einer geregelten Krongutsverwaltung tritt die Verlehnung der Güter und damit eine zunehmende Verselbständigung der Fiskalbeamten. Nach den Verschleuderungen zur Zeit der Minderjährigkeit Heinrichs IV. bedeutet der »Indiculus

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curiarum, quae ad mensam regiam pertinent« wieder eine erste aufbauende Maßnahme, die den sonst bekannten ähnlichen Bestrebungen dieses Saliers zur Seite gestellt werden darf (s. aber Hofmeister HZ. 137, 140). Unter den letzten Saliern und den Staufern werden zum Schutz und zur Bewirtschaftung der Krongüter Reichsministerialen herangezogen. Anlage von Burgen, Entstehung von Märkten, Begünstigung der Städte und alten Münzstätten lassen die Rheinlande ebenso zu einer Stütze des staufischen Herrscherhauses werden wie das Krongut in Süddeutschland. Die politischen Wirren der spätstaufischen Zeit haben völligen »Zerfall der Zentralgewalt, hemmungslose Entfaltung der Territorialherrschaften und schließlich... Verschleuderung und Verpfändung der letzten Rechte und Besitzungen des Reiches« zur Folge. So ist »die Macht des deutschen Königtums gebrochen... von dem Augenblicke an, wo die letzten Reste des staufischen Reichsgutes am Rhein dem von einheitszerstörenden Elementen getragenen Gegenkönigtum zum Opfer fielen«. --Röder ( 1525) hat eine Preisarbeit über Rudolf von Habsburg als römischer König zu einer Dissertation als rechtlichen Beitrag zu Fragen der »Reichsverfassung und Reichsverwaltung aus den Jahren 1273--1291« umgearbeitet. Durch diesen Untertitel wird erst zum Ausdruck gebracht, daß es Einzelfragen, die Begründung der Rechtsstellung des Grafen von Habsburg als König, seine Verfügungen über Reichsgut, über dessen Revindikation und Verwaltung sind, die hier zu einem Ganzen vereinigt sind. Aus den Erörterungen des ersten Teiles sei hervorgehoben, daß die Verfasserin die Meinung Zeumers, bei Rudolfs Wahl könne »weder von einer Nichtberücksichtigung der böhmischen Stimme noch von einem Ausschluß Böhmens durch einen Gewaltakt die Rede sein« nicht teilt, sondern zu einer älteren, ungefähr auch von Redlich vertretenen Anschauung zurückkehrt, derzufolge die Stimme des Böhmenkönigs nicht anerkannt wurde und »die Zulassung der bayrischen Stimme unter gleichzeitigem Ausschluß der böhmischen geschah, so daß eine Erweiterung des Kurkollegs auf acht Stimmen nicht stattfand«. Mit Stutz und anderen wird die Einführung der dem kirchlichen Recht entsprechenden electio per unum in das Jahr 1273 verlegt und die Anschauung von Rodenberg, daß in der Wendung »te regem nominamus« eine Erweiterung der päpstlichen Approbationsansprüche »eine bewußte Zweideutigkeit« gelegen sei, zurückgewiesen. Bemühungen Rudolfs um die Kaiserkrone sind nicht mit F. Kern aus rein dynastischer Hauspolitik zu erklären. Größere Beachtung verdienen die Ausführungen der Verfasserin, in denen sie gegen Ficker den Bestand eines eigentlichen Konsensrechtes bei Verfügungen des Königs über Reichsgut vor Rudolf bestreitet und dafür hinstellt, daß seit dem Habsburger Verfügungen des Königs ohne kurfürstliche Zustimmung rechtsungültig gewesen seien. Den Schluß der Arbeit bildet eine Darstellung der Revindikation des Reichsgutes und der Reichsgutsverwaltung durch die Reichslandvogteien, die sich im deutschen Norden zu eigentlichen Statthalterschaften ausgebildet haben.

Die Schicksale des königlichen Bergwerks- und Herbergsregals kommen in zwei Arbeiten zum Ausdruck, von denen die eine dem oberitalienischen, die andere dem deutsch-belgischen Gebiet gewidmet ist. Aus den Imbreviaturbüchern des Notars Lonzarotto Negroni des Archivio notarile zu Mailand veröffentlicht Bognetti ( 2059) den Text eines Instrumentes von 1345, in dem Guglielmo Armondi im Auftrag des Erzbischofs Giovanni Visconti dem Alberto


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Reggazzoni und Genossen Valtorta mit seinen Bergwerken verpachtet. Dabei wird auf einen Text von 1294 zurückgegriffen, in dem Otto Visconti, Erzbischof von Mailand, einen ähnlichen Pachtvertrag abschließt und dabei Angaben macht, durch die der Bestand Mailändischer Besitzrechte bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zurückgeführt werden kann. Dieser Quellenfund gibt dem Verfasser Veranlassung zu Ausführungen über die Bergwerksrechte als Regal. In den genannten Urkunden werden Silber und Eisen als Bodenschätze von Valtorta erwähnt. Das Regalienverzeichnis von 1158 spricht nur von Salinen und argentariae. In späteren Quellen scheinen auch andere Metallschätze unter den Regalien aufgeführt. Jedenfalls beweisen beide Urkunden, daß die Erzbischöfe von Mailand in Valtorta nicht nur obrigkeitliche -- und Gerichtsrechte, sondern als Bestandteile königlicher Regalien mindestens seit dem Konstanzer Frieden von 1183 auch Bodenrechte innegehabt haben. -- Berlière ( 1531) bietet einen Beitrag zum Herbergsrecht, als dessen Folge und Erweiterung sich der Anspruch auf Verpflegung der zur Jagd notwendigen Hunde ausgebildet hat. Ursprünglich königliches Regal ist das Herbergsrecht auf dem Wege der Feudalisierung auch den weltlichen Großen und adelige Herren zugänglich geworden. Der Verfasser schildert die Mißbräuche, die sich aus der Geltendmachung dieses Rechtsanspruches namentlich für Kirchen und Klöster ergaben und die Bemühungen der Betroffenen, eine Abstellung der Bedrückungen durchzusetzen. Schon 769 wird in einem Kapitulare den Bischöfen verboten, anläßlich der Kirchenvisitationen zur Jagd taugliche Hunde und Vögel mitzubringen. Im Mittelpunkt der Darstellung Berlières steht eine Unternehmung der Jahre 1336--1338, in der 15 Prälaten, 7 Äbtissinnen und je ein Prior des Benediktiner-, Augustiner-, Zisterzienser- und Prämonstratenser-Ordens der Diözese Lüttich von Herzog Johann III. von Brabant die Bestätigung einer Exemtion seines Vaters durchsetzen, durch welche 1312 die Ordenshäuser des Herzogtums von den verschiedensten Herbergslasten befreit werden. Auch Benedikt XII. war im nämlichen Jahr und im gleichen Sinne tätig. Doch beweist ein Aktenstück aus dem Jahre 1338, das teilweise abgedruckt wird, wie gering der Erfolg dieses Vorstoßes gewesen ist.

Von Arbeiten zur deutsch-italienischen Verfassungsgeschichte ist wie im Vorjahre zu berichten, nur rühren sie diesmal von deutschen Verfassern her, während 1925 der Anteil italienischer Gelehrter stark in den Vordergrund getreten ist. In Fortführung seiner Studien über die mittelalterlichen Krönungsordnungen zeigt Eichmann ( 1521), daß ein von A. Kroener vermißter Ordo der älteren Zeit schon vier Jahre vor dem Erscheinen des Buches über Wahl und Krönung der deutschen Kaiser und Könige in Italien, nämlich 1897, von Magistretti in den Monumenta veteris Liturgiae aus einem unvollständigen Pontifikale des Mailänder Metropolitenkapitels des 11. Jahrhunderts herausgegeben worden ist. Eine weitere Handschrift dieses Ordo, die beim Antiquar Rosenthal aufgetaucht ist, gehört der Zeit um 1100 an. Der Vergleich mit den angelsächsischen, karolingischen, westfränkischen, burgundischen und deutschen Krönungsordnungen ergab, daß das angelsächsische Pontifikale Egberts von York (732--766) und weitere Texte benutzt sein müssen, die sich in gleicher Gestaltung zum Teil in der karolingischen Kaiserkrönungsordnung, zum Teil in der burgundischen und deutschen Formel finden. Die Stücke der altlombardischen Ordnung sind also vor dem 11. Jahrhundert entstanden und gehören


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mindestens dem 10. Jahrhundert an. In dem Ordo der Kölner Hs. 141 aus dem Ende des 10. und dem Beginn des 11. Jahrhunderts scheint ein Mittelglied zwischen der alt- und spätlombardischen Ordnung vorzuliegen. Der Ordo, nach dem Heinrich VII. zu Mailand 1311 gekrönt worden ist, liegt in einer Pariser Hs. des 14. Jahrhunderts und nach dieser im Druck der Mon. Germ. LL 2, 504 vor. Dagegen erscheint es zweifelhaft, ob Kroener im Rechte ist, wenn er die Verwendung des in einer Hs. des Mailänder Kapitelarchivs aus dem 14.--15. Jahrhundert erhaltenen Ordo bei der Krönung Sigmunds 1431 als sicher annimmt. -- Mit besonderer Berücksichtigung der mittelalterlichen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte erörtert Sthamer ( 1543) die Aufgaben der Geschichtsforschung in Unteritalien, deren Bewältigung er sich von einem verständnisvollen Zusammenwirken deutscher und italienischer Forscher verspricht. Der Quellenstoff, den er dabei vorführt und dessen genaueste Kenntnis die Ausführungen überall verraten, ist in der Tat besonders geeignet, die Ersprießlichkeit historisch-diplomatischer und gleichzeitig rechts- und verfassungsgeschichtlicher Betrachtungsweise anschaulich vor Augen zu führen. Aus den Bedürfnissen moderner Staatsverwaltung sind die Papierregister Friedrichs II. hervorgegangen, für die, um der fortschreitenden Zerstörung zuvorzukommen, der Verfasser eine kritische Ausgabe in den Monumenta Germaniae vorbereitet; urkundlich bezeugt sind sogar Register Konradins, von den verschiedenen Serien der Register Karls von Anjou ist aber soviel erhalten, daß Sthamer durch Heranziehung der Originale und der vollen Registereintragungen die einzelnen Stücke des verlorenen Formularbuches wiederherzustellen und damit eine nahezu lückenlose Zusammenstellung typischer Verwaltungsfälle »gleichsam das Gerüst der ganzen Verwaltung« zu bieten instand gesetzt wird. Die kritischen Probleme, die die Konstitutionen Friedrichs II. hinsichtlich ihrer Entstehung und der Art ihrer Überlieferung darbieten, werden vorgeführt und ebenso wird die Gleichheit der Aufgaben betont, die durch die Fortführung der Gesetzgebung des sizilischen Reiches unter den Königen aus dem Hause Anjou in den sogenannten Capitula der Forschung gestellt sind. -- Derselbe Verfasser ( 1544) untersucht die vatikanischen Handschriften der Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien und gelangt zu dem Ergebnis, daß die seit Huillard-Bréholles bestehende Auffassung, es läge in den griechischen Hss. die Urform der Konstitutionen von Melfi vor, nicht stimmen kann; ein Vergleich zwischen den Texten der griechischen und lateinischen Hss. läßt uns die Urform der Gesetze von Melfi dort erkennen, wo beide Gruppen die nämliche Anordnung des Stoffes bieten. Nach diesem scharfsinnigen Verfahren können schon jetzt Gesetze ausgeschieden werden, die in dem ursprünglichen Bestand gefehlt haben und von denen eine große Zahl normannischen Ursprungs ist oder der früheren Gesetzgebung Friedrichs II. vom Jahre 1220 zugehört. -- Im zweiten Teil der Untersuchungen zur italienischen Verfassungsgeschichte bietet Fed. Schneider ( 1545) wertvolle Stücke aus dem in der Magliabecchiana in Florenz erhaltenen Formularbuch des Petrus de Boateriis, einer auch sonst als Lehrer der Ars notaria und als Diktator bekannten Persönlichkeit am Ausgang des 13. und den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts. Petrus de Boateriis hat bei seiner Sammelarbeit ein älteres Formularbuch des Minus de Colle, das heute nicht mehr erhalten ist, herangezogen, ansonsten werden ihm seine Beziehungen zu verschiedenen Stadtregierungen in den Marken, seine Stellung

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als Lehrer, Richter oder Notar des Podestà die Kenntnis dieses und jenes Textes vermittelt haben. Besonderes Interesse für den Rechtshistoriker darf das erste Stück beanspruchen, eine Legitimationsurkunde Friedrichs II., die zu den bisher bekannten zwei Verleihungen dieser Art neu hinzukommt. Die übrigen Briefe und Urkunden gehen mehr die politische und weniger die Verfassungsgeschichte der spätstaufischen Zeit an und betreffen die Anfänge von Manfreds Beziehungen zur Mark Ancona, die Gefangennahme des Pseudofriedrichs Johannes von Cocleria, die Kämpfe Konrads von Antiochien und Jordans von Agliano, bei denen zuerst Konrad, dann aber Manfred, Bischof von Verona, gefangengenommen wurden, welch letzterer dann erst unter Mithilfe des Papstes Clemens IV. und durch Vermittlung Jacobs von Aragon 1265 frei kam. Dem Ausgang Friedrichs II. und der Zeit nach seinem Tode bis zur Besitzergreifung Siziliens durch Karl I. gehören die Aktenstücke an, die über die päpstlichen Legaten von Spoleto und der Mark Ancona im Stauferkampf berichten. In die Zeit Karls I. und Heinrichs VII. ragen zwei Exkurse mit Briefen, die über die Politik Pisas zur Zeit der sizilianischen Vesper und über Einzelheiten der Romfahrt des Luxemburgers Auskunft geben.

An den Schluß des Überblickes sei die Anzeige einer Quellenausgabe gesetzt, die bereits das Studium des spätmittelalterlichen Rechtes zu fördern berufen ist, anderseits aber doch, wie die folgenden Nachrichten hinlänglich dartun, einer territorialen Einordnung widerstrebt. Die Ausgabe der Summa legum des sogenannten Doctor Raymundus von Wiener-Neustadt durch Gál ( 1537) darf als ein Zeichen dafür gewertet werden, daß die wissenschaftlichen Körperschaften, im vorliegenden Fall die Savigny-Stiftung dank der Rührigkeit ihres jetzigen Vorsitzenden Ulrich Stutz, sich allmählich von den Kriegsfolgen zu erholen und neuerdings Aufgaben größeren Stils zu ergreifen und durchzuführen beginnen. Das Werk, auf das zuerst Tomaschek, dann zuletzt Bartsch und Seckel die Aufmerksamkeit der Rechtshistoriker gelenkt hatten, liegt nun in einer Ausgabe vor, deren Vortrefflichkeit noch Landsberg in einer ausführlichen Anzeige (Zeitschr. d. Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt., 47, 821 ff.) anerkannt hat. Dem lateinischen Text, zu dessen Herstellung der Herausgeber die bekannten Hss. geprüft und vier bisher unbekannte hinzugefügt hat, ist in Spaltendruck eine dem bayrisch-österreichischen Rechtsgebiet angehörende deutsche Übersetzung beigegeben, die in das Ende des 15. oder den Beginn des 16. Jahrhunderts zu setzen ist. Die Aufklärung der Entstehungsverhältnisse des Rechtsdenkmales ist schwierig. Hatte man seit Seckels glänzender Arbeit geglaubt, Wiener-Neustadt als Ursprungsort und als Verfasser einen Doctor Raymundus ansehen zu dürfen, so lehnt Gál diese Meinung ab, verlegt die Entstehung nach Polen und will auch den Namen des Verfassers, den der erste Druck angibt (Raymundus Parthenopensis alias Neapolitanus), als solchen für die Summa nicht mehr gelten lassen. Daß dieser mit dem Zivilisten Raymundus Cumanus, der um 1400 in Bologna und Padua gewirkt hat, gleichgesetzt werden könnte, muß auch als Möglichkeit ausgeschlossen werden; denn die Bezeichnung Cumanus ist meines Erachtens auf Como und nicht auf Cumae bei Neapel (Gál, S. 112) zu deuten. Aber auch sonst sind gegen die Beweisführung Gáls Einwände zu erheben, die Landsberg in sorgfältiger Darlegung vorgebracht hat. Die Frage, ob in dem frühestens aus den Jahren 1300--1320 überlieferten Stadtrecht von Wiener-Neustadt die Summa bereits benutzt ist, hat Landsberg gegen


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Gál, der das Verhältnis der beiden Quellen umkehren möchte, bejaht. Hier liegt, wie ebenso in dem Nachweis, daß die Summa in Preßburg in amtlichen Gebrauch gewesen ist, ein Anzeichen nicht nur für die Verbreitung der Rechtsquelle im deutschen Südosten -- der freilich eine solche in den mit sächsischem Recht bewidmeten Städten Polens gegenübersteht -- sondern auch dafür vor, daß in der Summa ein aus Italien stammender, von »italischer Rechts- und Staatsgelehrtheit« erfüllter Traktat mit Zusätzen deutschrechtlicher Art und Herkunft in Österreich zu einem Ganzen verarbeitet worden ist. Gewiß ist auch die Annahme Landsbergs der »Summist müsse zum österreichischen Rechtsgebiet wie zum polnischen einige Beziehungen gehabt haben«, nur eine Verlegenheitsauskunft, die aber so viel beweist, daß die verwickelten Fragen der Quellen der Summa, der Bedeutung, die sie selbst als Rechtsdenkmal erlangt hat, und endlich auch der Verfasserschaft eines Doctor Raymundus weitere Klarstellungen erfordern.


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