§ 28. Territorialverfassung und Ständestaat.

(H. Spangenberg.)

Die Quellen zur Territorialverfassung werden bereichert durch das vierte Heft der von P. Sander und H. Spangenberg ( 204 a) veröffentlichten Urkundensammlung, deren erstes bis drittes Heft eine Auswahl wichtiger und charakteristischer Dokumente zur Kenntnis der reichsrechtlichen Grundlagen der Territorialverfassung (Immunität, Gerichtsbarkeit und Banngewalt, Grafschaft und Kirchenvogtei, Regalrechte, Fürstenstand usw.), zur Geschichte der Ministerialität und Hofämter, zur Entstehung der landständischen Verfassung enthält. Mit dem vierten Heft findet der erste, die Entwicklung der territorialen Verfassung veranschaulichende Halbband seinen Abschluß. Das Heft bringt einerseits ausgewählte Hausgesetze und Landesteilungsverträge (den bergischen Erbvergleich 1247, den bairischen Teilungsvertrag 1329, den badischen Hausvertrag 1380, die Dispositio Achillea 1473 in verbesserter Textgestaltung, die sächsische Hauptlandesteilung 1485), andererseits wichtigere interterritoriale Verträge wie z. B. Vereinbarungen über Aufnahme von Pfahlbürgern und Geleit der Kaufleute (von 1313 und 1326), König Kasimirs Privileg über Einverleibung Westpreußens in Polen (von 1454), den Friedensvertrag Herzog Albrechts von Preußen mit König Sigismund von Polen (von 1525). -- Mit seiner Besprechung der tabula proscriptorum Nicensium liefert Jos. Pfitzner ( 1595) einen Beitrag zur Entstehung des Stadtbuch- und öffentlichen Bücherwesens. --Otto Stolz ( 1562) weist auf ein kürzlich im Innsbrucker Staatsarchiv aufgefundenes, zu den ältesten Rechnungsbüchern deutscher Landesverwaltungen zählendes Rechnungsbuch des habsburgischen Vogtes von Ensisheim über Einnahmen und Ausgaben seines Amtes (für die Jahre 1303--1306) hin; er äußert mit Recht Bedenken gegen die herrschende These, daß die Landesfürstentümer die Einrichtungen und Methoden der inneren Verwaltung »von den Städten übernommen und lediglich nachgeahmt« hätten.

Die Geschichte der Landesherrlichkeit ist im Berichtsjahr wiederum mehrfach behandelt worden. Die präzise Untersuchung H. Th. Hoederaths ( 1577) über die Fürstabtei Essen geht von der Bedeutung grundherrlichen Besitzes für die Entstehung der Landesherrlichkeit aus: Nur dort, wo der grundherrliche Besitz ein größeres zusammenhängendes Gebiet bildete, »hat die Äbtissin die landesherrliche Gewalt erlangt, während ihr das in den zerstreut liegenden Gebietsteilen nicht geglückt ist.« Die entscheidende Wendung trat nach der Niederlage Erzbischof Siegfrieds von Köln in der Schlacht bei Worringen (im Jahre 1288) ein, als die Äbtissin sich der hohen Gerichtsbarkeit bemächtigte und die Vogtei zur bloßen Schirmvogtei herabdrückte. Nach langen Kämpfen mußte 1399 endlich auch die Stadt Essen die Landesherrlichkeit der Äbtissin anerkennen. -- Da die Geschichte der Landesherrlichkeit für die geistlichen Territorien des deutschen Ostens bisher nur ganz ausnahmsweise und unzureichend behandelt worden ist, verdienen die eingehenden Ausführungen Jos. Pfitzners über die »Besiedlungs-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Breslauer Bistumslandes« ( 614) besondere Beachtung. Die Entwicklung erreichte im Breslauer Bistum bereits mit dem Privileg von 1290, durch welches Herzog Heinrich IV. auf alle Jurisdiktion und das ius ducale zugunsten des Bischofs verzichtete, einen gewissen Abschluß. Was dem Bischof an unumschränkter Gewalt


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noch fehlte, kam in Zeiten schwacher Herzogsgewalt zum Teil auf usurpatorischem Wege hinzu. In mancherlei Weise unterschied sich gewiß, wie P. nachzuweisen redlich bemüht ist, die Entwicklung des deutschen Ostens und Westens. Bedenklich dagegen erscheinen mir einige allgemeine Formulierungen, wie etwa: »Im Osten drängen verschiedene Momente zu der einfachen Grundformel: Landesherrschaft und Grundherrschaft decken sich.« -- O. H. Stowasser ( 1547) verteidigt Dopsch gegenüber seine These, daß auch in Österreich reichsunmittelbare Grafschaften über das Mittelalter hinaus fortbestanden haben, die Landeshoheit Österreichs also nicht schon am Ende des 13. Jahrhunderts, sondern erst im 16. Jahrhundert durch Beseitigung der Reichsstandschaften abgeschlossen worden sei (vgl. Jahresberr. 1, S. 239 u. 341). Er findet seine Ansicht bestätigt auch durch die habsburgische Politik des 14. Jahrhunderts, insbesondere, wie eine weitere Abhandlung ( 967) ausführt, durch die innere Politik Herzog Albrechts III., welcher rücksichtslos seine Kraft dafür eingesetzt habe, »alles auszurotten«, was irgendwie den Ansprüchen des privilegium maius Rudolfs IV. hätte gefährlich werden können, die volle Landeshoheit zu erreichen, alles Eigen und alle fremden Lehen im Lande in Herzogslehen umzuwandeln.

Die territoriale Zentral- und Lokalverwaltung findet in Pfitzners Buch (s. oben) eingehende Berücksichtigung. Er schildert zunächst die Entstehung des Breslauer Bistums, die Stellung des Domkapitels, die Rechtsverhältnisse in slawischer Zeit und im Zeitalter der deutschen Kolonisation, das Ringen der bischöflichen Gewalt um Immunität und Landesherrlichkeit, um dann den Gang der deutschen Besiedlung in Stadt und Land, die bischöfliche Verwaltung, ihre Organisation sowohl wie auch die materiellen Gebiete der Verwaltung, Gerichtswesen, Finanzwesen, Heereswesen eingehend zu erörtern; und da der Verfasser keiner Schwierigkeit aus dem Wege geht und ein möglichst vollständiges Bild zu entwerfen sich bemüht, zieht er auch mancherlei in den Kreis seiner Untersuchung, was man nach dem Titel in seinem Buche nicht erwarten sollte, wie etwa Adel und Lehnswesen, Eigenkirchen- und Pfarrsystem, Strafrecht und Stadtverfassung, fast überall mit anerkennenswerter Beherrschung der einschlägigen, auch in polnischer und tschechischer Sprache geschriebenen Literatur. -- Wie Pfitzner, so geht auch L. Zimmermann in seiner ausführlichen Monographie über »Die Zentralverwaltung Oberhessens unter dem Hofmeister Hans von Doernberg« ( 1627), die als Vorarbeit für eine erschöpfende Biographie Doernbergs, des Reformators der oberhessischen Verwaltung († 1506), gedacht ist, von der Entwicklung des Territoriums und der Landesherrlichkeit aus. In Doernbergs Zeit bereitete sich in Oberhessen die Umwandlung des mittelalterlichen, fluktuierenden Rates (dem hier schon um 1300 auch Bürger angehörten) in eine moderne Behörde vor. Die Finanzverwaltung erhielt, wie es scheint, schon während des 15. Jahrhunderts in der Kammer unter Leitung des Hofmeisters ihren selbständigen Geschäftsbereich; die höchste Gerichtsbarkeit, die der Landgraf bis dahin mit seinen Räten führte, ging nach einer Neuordnung des Justizwesens mit Hilfe des römischen Rechtes und einer von ihm beeinflußten Gesetzgebung der Jahre 1491 und 1497 auf ein neuformiertes Hofoder »Kanzleigericht« über, das nach dem Vorbilde des Reichskammergerichts seine festere Form und in Marburg, der neuen ständigen Residenz des Landgrafen, seinen Sitz erhielt (vgl. dazu Anhang 3: Übersicht über die Gerichtstätigkeit


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der Marburger Räte, 1489--1496). Die Energie Doernbergs richtete sich auf den Ausbau eines modernen zentralisierten Staatswesens, der in Oberhessen in bodenständiger Entwicklung, ohne nachweisbaren Einfluß ausländischer Einrichtungen erfolgte. -- Der landesherrliche Rat hat in kleineren Territorien Deutschlands erst verhältnismäßig spät die Form einer modernen Behörde erhalten. Das bestätigt auch Jos. K. Mayr ( 1550) im dritten Teil seiner Geschichte der salzburgischen Zentralbehörden (vgl. Bd. 1 S. 342). Allmählich erst schränkte sich die allumfassende Tätigkeit des salzburger Rates durch Entstehung von Spezialbehörden ein: Ein Kriegsrat trat im Erzstift 1541, ein geistlicher Rat zum ersten Male 1542 hervor; mit Ernennung eines Kammerpräsidenten ( 1588) ging die Finanzverwaltung auf die vom Hofrat getrennte Kammer über und gleichzeitig schränkte sich die Tätigkeit des Hofrates immer ausschließlicher auf die Gerichtsbarkeit ein, so daß die Ratsordnung von 1588 bereits den Charakter einer Hofgerichtsordnung annahm. Unklar bleibt in Mayrs Darstellung, wer der Rechtsnachfolger des Hofrates geworden, ob etwa der Erzbischof und seine vertrauten Geheimräte neben der Leitung des Ganzen die von den Spezialbehörden nicht übernommenen wichtigen Aufgaben der Verwaltung erledigt haben. Der Darstellung sind im Anhange Beamtenlisten der salzburgischen Zentralbehörden (1540--1600), zwei Kanzleiordnungen (1555 17/2 und 1592 1/2) und zwei Hofratsordnungen (1561 25/2 und 1588 17/8) beigegeben. -- Die Lokalverwaltung d. i. die Ordnung »der neueren Amtsverfassung im Fürstentum Lüneburg im 16. Jahrhundert« ( 1639) ist von M. Krieg mit Sachkunde dargestellt worden. Seit der Hildesheimer Stiftsfehde (1519 bis 1523), welche den Höhepunkt der fürstlichen Geldnot bezeichnete, gingen die damals insgesamt mit einziger Ausnahme der Großvogtei Celle verpfändeten Ämter teilweise wieder in den landesherrlichen Besitz über und erhielten namentlich durch eine zwischen 1552 und 1565 erlassene Ordnung (»gemeinen befelch allen ampten gegeben«) eine feste Regelung, welche »auf allen Gebieten der landeshoheitlichen Verwaltung die noch in den folgenden Jahrhunderten maßgebenden Richtungen« in dem Maße einschlug, daß das sich im 17. und 18. Jahrhundert darbietende Bild der lüneburgischen Lokalverwaltung in allen seinen wesentlichen Zügen bereits im 16. Jahrhundert klar zu erkennen ist. Die obrigkeitliche Verwaltung des 16. Jahrhunderts war also keineswegs nur ein »Anhängsel der in Kammersachen aufgehenden eigentlichen Amtstätigkeit« (E. v. Meier).

Das Gebiet des territorialen Gerichtswesens ist in einigen eben bereits erwähnten Schriften mehr oder weniger eingehend behandelt worden. Betrachten wir die speziellen rechtsgeschichtlichen Monographieen des Berichtsjahres, so steht die vom Landgerichtspräsidenten a. D. F. Graner verfaßte Geschichte des Tübinger Hofgerichtes ( 1621) den verwaltungsgeschichtlichen Arbeiten des letzten Abschnittes am nächsten. Das württembergische Hofgericht ist zweifellos nicht, wie G. annimmt, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts neu errichtet worden, sondern hat als höchstes Gericht, das der Landesherr mit Räten als Beisitzern in der Kammer abhielt, schon lange vor dem 15., vielleicht sogar seit dem 13. Jahrhundert bestanden und durch die Ordnung von 1514 (wenn nicht schon früher) nur die festere Form einer modernen Behörde erhalten. G. behandelt (leider ohne Berücksichtigung der allgemeinen Literatur) vor allem die äußere Organisation, das Richterkollegium, Hofgerichtssekretäre und -advokaten,


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Anstellungs- und Einkommensverhältnisse, den Geschäftsgang, die Rechtsmittel gegen Urteile des Hofgerichts, dagegen nur ganz kurz (S. 72 bis 74), da die Protokolle und Relationen des 1805 aufgelösten Hofgerichts bis auf geringe Reste zugrunde gegangen sind, die Rechtsprechung selbst. Das Tübinger Richterkollegium setzte sich aus drei Abteilungen zusammen: »Der adligen Bank, der gelehrten Bank, der Landschaftsbank«; die Mitwirkung der Landschaft, welche drei oder vier vom Landesherrn zu bestätigende Beisitzer des Gerichtes vorschlug, war eine Eigentümlichkeit des württembergischen Herzogtums. -- Die der höchsten richterlichen Instanz unterstehenden mittleren Gerichte, die Landgerichte des Deutschordenslandes, eine Schöpfung des Ordens selbst, der sie durch Komture bzw. Vögte oder Pfleger verwalten ließ, bilden das Thema einer gründlichen Monographie Fritz Gauses ( 1591), welche die Geschichte der Landgerichte, ihr Verhältnis zu den Ständen erörtert und im dritten Teil, einer Übersicht über die einzelnen Landgerichte, alle erreichbaren Nachrichten über Gerichte, Landrichter und Schöffen zusammenstellt. Die Landgerichte verfielen allmählich seit dem zweiten Thorner Frieden (1466), »bis sie in den letzten Jahren vor der Säkularisation wohl fast alle zu bestehen aufhörten.« --Max Pappenheim ( 1583) veröffentlicht mit Hilfe bisher unbekannter Handschriften den Text der sogenannten Siebenhardenbeliebung vom 17. Juni 1426, in der uns, wie es scheint, die älteste größere Rechtsaufzeichnung Nordfrieslands erhalten ist. Dem Text ist eine Einleitung vorausgeschickt, welche über die Entstehung, Überlieferung und den Rechtsstoff der Siebenhardenbeliebung eingehend berichtet. Die in Föhr 1426 versammelten, in ihrer Autonomie durch Herzog Heinrich von Schleswig bedrohten Friesen erhoben Anspruch auf selbständige Regelung ihrer Rechtsangelegenheiten; sie stellten in der Beliebung ihr altes Recht fest und suchten es gegen Eingriffe und Neuerungen zu sichern; und zwar haben »Strafrecht, Vermögensrecht und Erbrecht in sehr ungleichem Maße den Stoff der Beliebung geliefert«. Die wesentlichen Rechtssätze der Beliebung überdauerten bis nahe an die Gegenwart den Wechsel der Zeiten und verloren erst mit dem Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches ihre Geltung.

Die Kenntnis des territorialen Heerwesens ist durch eine von Herbert Klein ( 1551) auf Grund des urkundlichen Materials, der Dienstreverse, Sold- und Schadenquittungen verfaßten Abhandlung über das salzburgische Söldnerheer des 14. Jahrhunderts gefördert worden. Bereits Erzbischof Rudolf von Hoheneck (1284--1290) führte den Krieg zum Teil mit geworbener »Ritterschaft«. Das Söldnerwesen war um 1350 fast vollständig ausgebildet; schon damals traten Söldner, meist Ritter und Knechte, in »Gesellschaften« unter einem Kontingentsherrn vereinigt, in erzbischöflichen Dienst. Fast gleichzeitig kam die Artillerie auf; seit 1379 lassen sich Büchsenmeister im Erzstift nachweisen. Der Anhang des Aufsatzes enthält eine alphabetische Liste der Söldner (1358--1403) mit möglichster Angabe ihrer Herkunft, eine chronologische Liste des Hofgesindes (1375--1388) und urkundliche Beilagen.


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