II. Einzelarbeiten.

Die Untersuchung des »Kampfs um die Schwurgerichte«, die Schwinge ( 1603) bis zur Frankfurter Nationalversammlung geführt hat, ist als Beitrag zur Dogmengeschichte der deutschen Strafrechtswissenschaft gedacht. Demgemäß behandelt sie vor allem die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Rechtsgelehrten seit Feuerbach über die juristischen Fragen, die mit den Schwurgerichten zusammenhängen. Aber auch die politische und damit allgemeingeschichtliche Bedeutung der Schwurgerichte kommt zu ihrem Recht, und gerade die Betrachtung beider Seiten des Problems zeigt den engen Zusammenhang, in dem die juristische und die politische Beurteilung stehen. Ja, man kann nach dieser Arbeit sagen, daß die politische Seite die wichtigere ist; wie von hier aus die Forderung nach Schwurgerichten erhoben worden ist, so bringt auch der politische Umschwung von 1848 die Entscheidung für Deutschland und bestätigt das Urteil Feuerbachs, daß die Schwurgerichte in der konstitutionellen Monarchie Schlußstein oder Grundstein der ganzen Verfassung seien.

Die preußische Verfassungsgeschichte ist nur durch einige kleinere Beiträge vertreten. Kann ( 1186) ergänzt in seiner auf Berliner und Coblenzer Akten gestützten Studie über Görres' Coblenzer Adresse und die preußische Verfassungsfrage unsere bisherigen Kenntnisse von der ganzen Verfassungsbewegung im Rheinland und bringt auch manches Neue aus der Publizistik bei. Der vielbehandelten Geschichte der preußischen Verfassungsbewegung im Jahre 1848 versucht Pfefferkorn ( 1209) durch eine Darstellung des Kampfes der Linken der Nationalversammlung um den Einfluß auf die Exekutivgewalt eine neue Seite abzugewinnen. Seine Quelle sind vor allem die


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Zeitungen und Flugschriften des Jahres 1848, daneben die stenographischen Berichte der Berliner Nationalversammlung. Er kann aus ihnen manches Neue über sonst weniger beachtete Vorgänge mitteilen, z. B. über die Debatten wegen der Einrichtung der Schutzmannschaft und der Ernennung Wrangels zum Oberkommandierenden in den Marken. Der Schwerpunkt bleibt aber auf den altbekannten Dingen wie dem Antrag Stein u. a. Die allgemeine Frage nach dem politischen Ziel der Linken, nach der von ihr gewünschten Gestaltung des Verhältnisses von Exekutive und Legislative wird kaum gefördert; sie wird auch nur bei stärkerer Berücksichtigung der gesamtdeutschen Entwicklung geklärt werden können.

Ganz kurz sei in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von K. Nass ( 1243) über Hassenpflugs Politik in den Jahren 1850 bis 1851 verwiesen, weniger wegen der allgemeinen Bedeutung der kurhessischen Frage als wegen des hier mitgeteilten charakteristischen Briefes von Friedrich Wilhelm IV. an den Kurfürsten von Hessen vom 22. Oktober 1850.

Das schwierige Gebiet der Erforschung der öffentlichen Meinung betreten wir mit dem Buche von E. Franz ( 1617), das unter dem Titel »Bayrische Verfassungskämpfe« die Entwicklung der bayrischen Verfassung von 1818 bis 1848 »im Spiegel der zeitgenössischen Literatur« verfolgt. Die methodische Schwierigkeit aller derartigen Arbeiten scheint mir darin zu liegen, festzustellen, wieviel politische Macht und Kraft hinter den einzelnen Äußerungen der öffentlichen Meinung denn steckt, d. h., um mit Tönnies zu sprechen, neben der öffentlichen Meinung als äußerer Gesamtheit widersprechender mannigfacher Meinungen, die öffentlich laut werden, auch die öffentliche Meinung als einheitlich wirksame Kraft und Macht herauszudestillieren. Ob diese Aufgabe überhaupt einwandfrei gelöst werden kann, mag zweifelhaft erscheinen. Für die Zeiten des beginnenden politischen Lebens in Deutschland und der noch ganz unsicheren Parteibildung sind die Schwierigkeiten kaum zu überwinden, und Franz ist mit vollem Recht mehr darauf ausgegangen, uns ein anschauliches Bild von der großen Zahl der Schriftsteller und der bunten Menge der von ihnen vertretenen Ansichten zu geben, als daß er versucht hätte, ihre Gewichte abzuschätzen. Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht der Ort; aber ich möchte doch darauf hinweisen, wie sich die allgemeine deutsche Entwicklung zugleich mit den besonderen bayrischen Verhältnissen in der Publizistik widerspiegelt; Karlsbader Beschlüsse und Julirevolution auf der einen Seite, die Persönlichkeit Ludwigs I. und die territoriale Zusammensetzung des Königreichs aus altbayrischen und fränkischen und pfälzischen Landesteilen sind wichtige Momente in der Geschichte des bayrischen Meinungskampfes.

Den Verfassungsbestrebungen des Landesausschusses für Elsaß-Lothringen von 1875 bis 1911 hat F. Bronner ( 1626) eine eingehende Studie gewidmet, die auch ohne Benutzung ungedruckter Quellen wichtige neue Ergebnisse gebracht hat. Auch diese Schrift soll hier nur vom deutschen, nicht vom landesgeschichtlichen Standpunkt aus gewürdigt werden, obwohl es schwer ist, das Besondere und Lokale vom Allgemeinen, das Verfassungsgeschichtliche vom Politischen, ja Außenpolitischen zu trennen. Die Zusammenhänge drängen sich von der ersten Seite an auf, schon vor der deutschen Besitzergreifung, noch während der Belagerung von Straßburg, wo sich ein Teil der altstraßburger Bürgerschaft von Frankreich verlassen fühlte und mit dem Gedanken einer neutralen


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Autonomie nach reichsstädtischem Muster zu spielen anfing, bis zu dem Abschluß der Verfassung von 1911. Andererseits zeigt gerade die genauere Untersuchung mancher Vorgänge, wie unberechtigt es ist, allenthalben nach hochpolitischen Motiven zu suchen und einfache und naheliegende Erklärungen wegen ihrer Alltäglichkeit außer acht zu lassen. Besonders deutlich wird das beim Vergleich der beiden in ihrem Ergebnis weit auseinandergehenden Reichstagswahlen, der von 1887, die wegen der Niederlage aller regierungsfreundlichen Kandidaten gern als vernichtendes Urteil über die deutsche Politik ausgegeben wird, und der von 1890, bei der die 1887 siegreiche Partei eine ebenso vernichtende Niederlage erlitten hat. Bronner zeigt, wie viele Stimmungen die Wahl von 1887 beeinflußt haben, wie wenig man sie als Verdikt über die deutsche Verwaltung, als Wiederholung des Protestes von 1871 auffassen darf; und besonders lehrreich für die Erkenntnis des politischen Lebens in Elsaß-Lothringen ist die Betrachtung der Wahl von 1890, die regierungsfreundlich ausfiel mit zum Teil überraschenden Mehrheiten, weil man von guten Wahlen die Wiederaufhebung des 1887 zur Strafe verhängten Paßzwangs erhoffte.

Der Verlauf der Verfassungsbewegung im Elsaß und in Lothringen -- denn gerade Bronners Schrift zeigt, wie wenig die beiden Landschaften innerlich verbunden waren -- ist in seinen großen Zügen bekannt, der rasche Fortgang von der Diktatur 1871 bis zur Statthalterherrschaft 1879, dann der Stillstand bis ins neue Jahrhundert; er ist nicht nur für die deutsche Reichsregierung bezeichnend, sondern auch für Elsaß-Lothringen, in dessen Landesausschuß die Verfassungsfrage bis 1903 keine Rolle gespielt hat. So erhebt sich die freilich mehr politische als historische Frage, ob nicht eine mutige Initiative seitens des Reiches das Reichsland hätte gewinnen können. Stehen doch selbst die Anfänge der Verfassungsbewegung seit 1900 nicht eigentlich im Gegensatz zu Deutschland. Das Außenpolitische würde sich freilich auf alle Fälle geltend gemacht haben, auch wenn die Verfassung vor der erneuten Verschärfung der deutsch-französischen Beziehungen erlassen worden wäre. So läßt diese Untersuchung eines auf den ersten Blick begrenzten verfassungsgeschichtlichen Themas die Grenzen der verfassungsgeschichtlichen Betrachtungsweise klar hervortreten.


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