IV. Katholische Parteien.

Für die Zentrumsgeschichte liegen nur zwei Dissertationen vor, die von Doktoranden der juristischen bzw. wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät geschrieben sind. Hofmanns »Ständischer Gedanke und die Gesellschaftsauffassung des Zentrums« ( 1656) weist die typischen Fehler mangelnder Konzentrierung und Durcharbeitung, kurz gesagt die Unreife maschinenschriftlicher Dissertationen auf. Dies tritt um so stärker hervor, als Hofmann sich in den geistreichen, aber oft exzentrischen Ideen seines Lehrers Plenge über christlichen Sozialismus bewegt, wie sie dieser in mehreren Büchern in der Kriegszeit vertreten hat. Hofmann vermag den Zauberbesen des Meisters noch nicht recht zu handhaben. Gegen lapidare Sätze wie »Das Wirken der Zentrumspartei fällt in die Zeitenwende vom 19. zum 20. Jahrhundert und war deshalb durch die hiermit aufgeworfenen Probleme bedingt«, oder »Staat und Wirtschaft, Arbeit und Politik bedingen sich gegenseitig. Trotzdem sie grundverschieden sind, lassen sie sich auf die Dauer nie voneinander trennen«, läßt sich freilich nicht viel einwenden. Hofmann will darauf hinaus, daß die Aufgabe der Sozialpolitik sich nicht mehr auf ausgleichende Gerechtigkeit zu beschränken habe, sondern sie müsse in Staat und Wirtschaft organisieren,


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dem einzelnen den Weg zeigen und Möglichkeit geben, »mitzuschaffen, sich einzugliedern und im Ganzen zu leben«. Für diese Vertretung der Sozialpolitik sei das Zentrum geeigneter als die Sozialdemokratie. Zu beachten ist das umfangreiche Literaturverzeichnis, das manche sonst wenig bekannte Schrift enthält.

Im Gegensatz zu Hofmann, der die Probleme kompliziert, ist Freiherr v. Hirschs »Stellungnahme der Zentrumspartei zu den Fragen der Schutzzollpolitik 1871--1890« ( 1657) zu primitiv gearbeitet. Es geht doch nicht an, ein solches Thema rein vom wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt ohne jede historische Schulung und Kenntnis zu bearbeiten. Hirsch hat nach seiner eigenen Angabe weder in München noch in Köln politische Historiker gehört. Demgemäß wird der Übergang der Reichspolitik vom Freihandel zum Schutzzoll in den siebziger Jahren, der naturgemäß im Mittelpunkt der Arbeit steht und ein gutes Drittel des Buches einnimmt, ohne Kenntnis der Aufzeichnungen von Lucius, Tiedemann usw. dargestellt. Dabei war letzterer der spiritus rector der ganzen Aktion und hat bekanntlich auch wichtiges Quellenmaterial veröffentlicht. Auch Oswald Schneiders in Schmollers Jahrbuch erschienene Arbeit über Bismarck und die preußisch-deutsche Freihandelspolitik 1872 bis 1876 kennt er nicht, wie überhaupt das Literaturverzeichnis in seiner äußeren Aufmachung schon einen schlechten Eindruck macht; August Reichensperger wird konsequent als »Reichensberger« vorgestellt, Verlagsort und Jahr sind bald mitgeteilt, bald nicht. Hirsch schließt mit dem Satz: »Alles in allem: das Zentrum ist stets schutzzöllnerisch gewesen!« Das ist natürlich nur bedingt richtig und kann von Hirsch nur behauptet werden, weil er die Stellungnahme des Zentrums nicht im Rahmen der Gesamtpolitik betrachtet. Ich wies schon im Vorjahr an dieser Stelle (S. 355/356) darauf hin, daß das Zentrum im ersten Jahrzehnt nach der Reichsgründung bei jedem einzelnen Problem durchaus durch den Kampf um die Macht mit dem Liberalismus beeinflußt sein mußte. Wäre es Bismarck gelungen, seinem ursprünglichen Plan entsprechend, die Finanz- und Wirtschaftsreform so durchzubringen, daß die neuen Einnahmen unter Stärkung der vom Liberalismus begünstigten unitarischen Tendenz dem Reich und nicht den Einzelstaaten zugeflossen wären, so ist gar kein Zweifel, daß das Zentrum gegen die ganze Reform gestimmt hätte, also mit den freihändlerischen Parteien gegangen wäre.


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