Handelsgeschichte.

Wie im Vorjahre läßt sich eine rührige Tätigkeit auf dem Gebiete der Handelsgeschichte nicht verkennen. Aber man wird doch methodisch vorsichtiger sein müssen, wenn der aufgewandte Fleiß dem Ertrage auch nur einigermaßen entsprechen soll. Insbesondere sollten die Themen von Dissertationen den Kräften der Doktoranden sorgfältiger angepaßt werden. Denn sonst erhalten wir gutgemeinte Referate, nicht aber neue Aufschlüsse. Wer z. B. W. Böckels Frankfurter Dissertation der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät ( 1728) über »Wirtschaftliche Zusammenschlüsse und Organisationsformen im Handel und Gewerbe in der Zeit vom 14.--16. Jahrhundert« auf Feststellungen hin durchsieht, die über K. Bücher, E. Gothein u. a. hinausgehen, wird die Arbeit enttäuscht aus der Hand legen. Dabei ist die Fragestellung gut und von erheblicher Wichtigkeit. Sie war aber zu schwierig für den Doktoranden. In Zukunft werden wir solche Arbeiten ebenso wie die rein lokalhistorischen Studien als durch die Bibliographie erledigt ansehen, ohne sie in diesen Forschungsberichten zu besprechen. Auch wird man sich mehr als bisher hüten müssen, längst bearbeitete Themen ein zweites Mal, und zwar unvollständiger als früher vorzunehmen. Die Nachlässigkeit, die in der mangelnden Berücksichtigung namentlich der ausländischen Literatur so häufig eingerissen


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ist, hat im Vergleich mit der Vorkriegszeit die Erkenntnis eher zurückgeworfen als gefördert. So schildert G. Dept ( 1722) die Beziehungen der englischen Krone von 1154--1216 zu den flandrischen Kaufleuten und berührt damit Fragen, die über die englisch-flandrische Geschichte hinaus allgemein handelsgeschichtliches Interesse haben. Aber das deutsche Schrifttum kennt er nicht, und damit steht er nicht allein. Es ist nun keineswegs eine nationalistische Anwandlung, wenn wir ihm daraus einen Vorwurf machen, sondern die wohl nicht widerlegbare Einsicht, daß nun einmal der Deutsche, zum mindesten vor dem großen Kriege, an der Wirtschaftsgeschichte der Nachbarvölker stark mitarbeitete. Schaltet man die deutschen Arbeiten aus, so rächt die Unterlassung sich am ungenügenden Ergebnis. -- Geradezu einen Musterfall verlorener Arbeitsmühe stellt G. Bens dar. In seinem offenbar mit Liebe gearbeiteten Buche über den deutschen Warenfernhandel im Mittelalter ( 1713, jetzt von 31 auf 104 S. erweitert, im Titel »Warenfernhandel« anstatt »Warenhandel«) führt er in einem alphabetischen Verzeichnis die mittelalterlichen Waren auf, ohne über Allbekanntes hinauszukommen. Diese Zusammenstellung soll dann K. Büchers Unterschätzung des Warenfernhandels widerlegen. Daß darüber die Kritik schon seit fast drei Jahrzehnten gesprochen hat, dürfte Verfasser entgangen sein. Wozu der Aufwand an Fleiß und Mühe?

Um nunmehr zu nachhaltigeren Leistungen überzugehen, sei vor allem auf den 1925 gehaltenen Kölner Vortrag von H. Planitz hingewiesen, der in den Hansischen Geschichtsblättern ( 1726) zum Abdruck gelangt ist. Der etwas farblose Titel »Über hansisches Handels- und Verkehrsrecht« -- man sollte doch recht präzise Überschriften wählen -- verrät nicht, daß P. sehr beachtenswerte Darlegungen über den Kaufvertrag, die Gesellschaften und die Kreditgeschäfte sowie über Miete und Schuldzwang macht. P. hat ganz recht, wenn er hier »eine Lücke im Schrifttum« erblickte, die er ausfüllen wolle. Der Nichtjurist wird die reiche Belehrung, z. B. über Arrest und Konkurs, dankbar hinnehmen. Charakteristisch ist, daß nach der bisherigen so ausgiebigen Forschung auf hanse- und handelsrechtlichem Gebiete der Stand der Forschung doch noch ungleichmäßig ist, wie P.s Vortrag ihn erkennen läßt. Mehr zur politischen Hansegeschichte gehört W. Bodes Darstellung der Hansischen Bundesbestrebungen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ( 1727). Die Arbeit, jetzt vollständig zum Druck befördert, dürfte eine der letzten sein aus dem Schülerkreise des viel zu früh verstorbenen W. Stein († 1919), dessen Kennerschaft noch lange vermißt werden wird.

Von zwei weiteren Arbeiten aus der norddeutschen Städtegeschichte, die in der Bibliographie nach geographischen Gesichtspunkten aufgereiht werden ( 1768, 1767), aber mehr als topographische Bedeutung besitzen, sei noch die Rede. Seine bekannten lübischen Studien verwendet Rörig, um die Frage nach Groß- und Kleinhandel, zunächst für Lübecks Blütezeit im 14. Jahrhundert, aufzurollen. Hatten bereits F. Keutgen und H. Nirrnheim für die hansische Welt sich in Rörigs Richtung, die für die Existenz eines hansischen »Großhandels« eintritt, bewegt, so gilt Rörigs Polemik dem Satze G. v. Belows (†), »daß der Großhandel vom Kleinhandel mitbesorgt sei.« So sehr ich die beiderseitigen Argumente zu schätzen weiß, so glaube ich, und zwar nicht nur, weil einer der beiden Gegner inzwischen die rastlose Feder auf immer niedergelegt hat, daß man letzten Endes um eine nochmalige Revision der ganzen Streitfrage nicht


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herumkommen wird. Einstweilen habe ich an anderer Stelle geraten, die mißverständlichen Ausdrücke Groß- und Kleinhändler durch Ganz- und Teilverkäufer zu ersetzen (Wirtsch.gesch. 1928). -- Die Marburger Dissertation von Joh. Müller ( 1767) ist ein Versuch, die älteste Verkehrsgeschichte Bremens, über die wir durch die günstige Überlieferung (Adam von Bremen!) verhältnismäßig viel wissen, monographisch zu erfassen, nachdem Deutschlands zweite Seehandelsstadt durch die Versäumnisse früherer Zeiten wirtschaftsgeschichtlich etwas ins Hintertreffen geraten war. Durch ungünstige Druckverhältnisse war freilich bisher nur ein kurzer erster Teil erschienen (Volldruck 1928 zu erwarten). Zum mindesten für das etwas rückständige nordwestdeutsche Küstengebiet wird die Arbeit nach ihrer jetzigen Vollendung wirken; um ein eigentliches Urteil hier abzugeben, steht Referent ihr zu nahe.

Dasselbe gilt begreiflicherweise von des Referenten eigenen Beitrag zum Festheft der Historischen Ztschr. für Karl Wenck ( 1789). Er bespricht die Haltung der deutschen Reformatoren und Humanisten zu den ökonomischen Problemen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Anlehnung an seine Versuche, den wirtschaftspolitischen Gehalt der Reichspolitik zu bestimmen (vgl. Jahresber. 1, S. 363). Sehr deutlich prägt sich die Gegnerschaft gegen Rom und Venedig aus; Luxuseinfuhr, Geldausfuhr werden verdammt, nationalpolitische Abwehrmaßnahmen werden gefordert und auch in die Tat umgesetzt. -- Das Interesse für die Hochfinanz ist nach wie vor rege. Man verzeichnet drei Fuggermonographien ( 1791--1793, vgl. auch 1743), davon gleich zwei Lebensbilder des großen Jacob Fugger aus der Feder von J. Strieder und E. Reinhardt. Wir stellen hierzu Th. Mayers Äußerungen über die deutsche Volkswirtschaft vor dem 30jährigen Kriege ( 1794). Jede Arbeit über diese ebenso interessante wie wenig bearbeitete Zeit ist willkommen.

Daß die südwestdeutschen Großkapitalisten und nicht österreichische Geldgeber die Großmachtstellung der Habsburger finanzierten, ist nur eine der zahlreichen Fragen, die F. Engel-Janosi ( 1732) anschneidet. Auch diese Arbeit sollte nicht in der Masse landes- und stadtgeschichtlicher Literatur wegen ihres allgemein interessierenden Gehalts untergehen; wir hätten ihr daher die Aufnahme in eine auch in weiteren Kreisen verbreitete Zeitschrift gewünscht. Der Titel läßt auch nicht recht ahnen, daß wir ein sehr dokumentiertes, nur gelegentlich gesicherten Boden verlassendes Gesamtbild der Wiener Handelsentwicklung und -krisen an der Schwelle der Neuzeit vor uns haben. Nicht richtig ist die weitgehende wirtschaftliche Interpretation von Salamancas Vorgehen, Landsknechte mit Barchent auf Abschlag zu entlohnen. Hier liegt eine einfache, auch sonst nachzuweisende Maßnahme vor, um bei Geldverlegenheit dem Sold heischenden Kriegsvolk gegenüber aus der Klemme zu kommen. Im übrigen aber ist es lehrreich, dem Verfasser bei seinen oft dramatischen, an das Glück und Ende österreichischer Finanzgrößen wie Eizing, Salamanca, Pötel, Telatiner anknüpfenden Darlegungen zu folgen. Für Wien sind es Zeiten des Rückgangs, die nach Münzverschlechterung und Unruhen sich einstellen und die Stadt auch dann zurückhielten, als ihre Landesherren den großen Aufstieg begannen.


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