II. Kapitalistische Entwicklung.

Eine hübsche Zusammenfassung gibt Henri Sée, Universitätsprofessor zu Rennes ( 1786), in seiner »historischen Skizze«: Les origines du Capitalisme moderne, unter welchem er offenbar nur den Hochkapitalismus der neuesten Zeit von Mitte des 19. Jahrhunderts an begreift, denn Sées Ursprünge umfassen die ganze Entwicklung bis zur industriellen Umwälzung mit ihren sozialen Auswirkungen. Das kleine Buch (200 S. in 8) ist ein vortrefflicher Leitfaden, zumal für Studierende, leicht faßlich, in gefälliger Form, mit reichlichen Literaturnachweisen. Der Verfasser besitzt die rechte Eignung für eine solche Synthese, seine zahlreichen Arbeiten umfassen nicht nur die Gewerbe- und Handels-, sondern auch Agrar- und Sozialgeschichte, allerdings vornehmlich Frankreichs im 18. Jahrhundert; jedenfalls geht Sée nicht von einem engen Spezialgebiet aus ins Weite und wird nicht einseitig. Er bringt selbst keine originellen Meinungen und neuen Feststellungen vor, sondern bietet eine wohlgeglättete Übersicht mit maßvoller Beschneidung geistvoll einseitiger Auswüchse. So tritt er wiederholt dem von ihm sonst hochgeschätzten Sombart entgegen, z. B. dessen bekanntem Nachweis, daß der mittelalterliche Handel nicht befähigt habe, Kapital zu akkumulieren. Auch die Lehrmeinungen von dem entscheidenden Einfluß der Juden (Sombart) und des Kalvinismus (M. Weber, Troeltsch) auf die Entstehung des Kapitalismus werden nur sehr eingeschränkt anerkannt.

In der gleichen zusammenfassenden Weise behandelt Sée ein engeres Gebiet, indem er die Blüte des holländischen Handels, ihre Ursachen und ihren Rückgang darstellt ( 1795), vornehmlich auf Grund von zwei zeitgenössischen Schriften über den holländischen Handel um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts, von Izaak Loysen und von P. D. Huet, dem gelehrten Bischof von


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Avranches. Auch diese Abhandlung gibt ein klares Bild, bringt aber nicht eben Neues. Bei der Schilderung des Handels der Holländer mit den einzelnen Ländern und Weltgegenden nimmt der überseeische und Kolonialhandel einen breiten Raum ein, dagegen wird der Handel mit Deutschland auf wenigen nichtssagenden Zeilen abgetan, was dessen Bedeutung keineswegs gerecht wird. Die Organisation des Kredits und der Banken ist mit Recht ausführlich besprochen. Nach Sée begann England seit dem Koalitionskriege von 1688 bis 1697 Holland auszustechen, die Tätigkeit der holländischen Kaufleute sei schon vor 1720 nicht nur relativ, sondern absolut zurückgegangen. Damit stimmt allerdings nicht ganz überein, was Dillen ( 1796) in seiner kürzeren, aber tiefergreifenden Abhandlung über Amsterdam als Weltmarkt für Edelmetalle feststellt. Danach war Amsterdam gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch der unbedingt erste Markt für Waren-, Wechsel- und Edelmetallhandel. Seine überragende Bedeutung als Geld- und Wechselmarkt beruhte zum guten Teil auf der freien Geldausfuhr, die die Kaufleute wider alle merkantilistische Doktrin und Übung durchgesetzt hatten. Wenn England auch um und nach 1700 in Handel und Schiffahrt mächtig emporkam, so habe die holländische Aktivität deshalb nicht nachgelassen und Amsterdam noch lange den ersten Platz als Geld- und Wechselmarkt behauptet. Die Amsterdamer Börse ist erst nach dem Siebenjährigen Krieg von der Londoner überflügelt worden, vor allem weil England eine große Exportindustrie entwickelt hatte, die Holland fehlte; hier war die Münzprägung das blühendste Exportgewerbe auch im 18. Jahrhundert. Die Amsterdamer Bank sei erst im Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgegangen.

Der 400 jährige Todestag eines der Größten in der Geschichte des Kapitalismus und wohl des Genialsten in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, Jacob Fuggers, des Reichen († 30. Dez. 1525) gab den Anlaß, daß zwei Darstellungen seines Lebens und Werkes erschienen sind. Das Buch von Jakob Strieder ( 1791) ist ein kleines Meisterwerk an Geist und Sprache, und die buchhändlerische Ausstattung, der reiche Bilderschmuck verleihen ihm einen seines Wertes würdigen Rahmen. Strieder gibt eine Persönlichkeits- und Geistesgeschichte im Sinne Jakob Burckhardts. Prachtvoll ist vor allem die Darstellung der geistigen Komponenten, die zur Formung jenes großen Wirtschaftsmenschen sich vereinigt haben: das Erbe Italiens und seines ökonomischen Rationalismus, der Einfluß der Vaterstadt -- entscheidend vor allem der Übergang der Augsburger in den Großhandel und die Montanindustrie -- und die Familie, ihr Aufstieg und ihre Art. Ebenso ist die Persönlichkeit selbst mit feinstem Verständnis erfaßt und umschrieben: als einer der markantesten Vertreter der deutschen Renaissance, als Bahnbrecher in der deutschen Handelsgeschichte und als europäischer Wirtschaftsführer, dessen Blick und Werk über nationale Grenzen hinausreichte, dessen Arbeit die Krönung des europäischen Frühkapitalismus überhaupt bedeutet.

Ganz anders behandelt Reinhardt ( 1792) den gleichen Stoff, wie denn schon der Untertitel das Buch als einen Beitrag zur Klärung und Förderung unseres Verbandswesens ankündigt. Die Persönlichkeit und ihre Entwicklung werden nur in Kürze geschildert -- offenbar in Anlehnung an das Striedersche Buch --, dagegen wird das Werden und Wesen der Verbände in weltgeschichtlichem Überblick und werden dann die Rechtsgestalten der Fugger-Verbände dargestellt: Erbengliedschaft (1469) und altdeutsche Handelsgesellschaft (1480),


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dann die wesentlich schon von Jakob Fugger geschaffene offene Handelsgesellschaft, die erste in Deutschland (1494), der erste privatrechtliche Verbände-Verband Fugger-Thurzo (1494), der güter- und stiftungsrechtliche Familien-Verband (1502) und schließlich unter Jakobs Alleinherrschaft (s. 1510) und als seine eigenste Schöpfung die offene Handelskompagnie Jakob Fugger und Gebrüder Söhne (1513). Dazu kommen noch die vielen Fuggerschen Beteiligungsverbände, insbesondere das Kupfersyndikat von 1498. Diesem handelsrechtlichen folgt als dritter Hauptteil ein wirtschaftsgeschichtlicher, die Ordnung und Leitung der Fuggerschen Unternehmungen, ihren fast unübersehbaren Umfang, die Gewinne und Verluste, die Verwendung der Handelsgewinne begreifend. Die Fülle und Wucht der beigebrachten Tatsachen läßt auch hier die überragende Bedeutung des großen Handelsherrn vollkommen erkennen, wenn auch die Feinheit und Tiefe der Striederschen Darstellung diesem Buche fehlen.

Einen nicht unwichtigen Beitrag zur Geschichte der Fuggerschen Unternehmungen gibt auch die Abhandlung von Koch ( 1773) über den Betrieb des von den Fugger und Thurzo in Thüringen angelegten Hütten- und Hammerwerks. Da nämlich die Silberausfuhr in Ungarn verboten war, mußte das Saigern der Rohkupfer, um Kupfer und Silber zu gewinnen, im Auslande erfolgen; wie das Kupfererz, so mußte auch das dazu nötige Blei von weither herangeschafft werden, was einige verkehrsgeschichtlich interessante Einblicke gibt. Über die gesaigerten Mengen werden Auszüge aus den Hauptrechnungen der Ungarischen Handelsgesellschaft aus dem Fugger-Archiv beigebracht.

Höhestand und Niedergang der deutschen Volkswirtschaft behandeln zwei kleine, aber tiefschürfende Aufsätze von R. Häpke und Theod. Mayer. Häpke ( 1789) hebt sehr treffend hervor, wie die deutsche Wirtschaft im Reformationszeitalter sich zu einem mächtigen Gebilde entfaltet hat, das seine Wurzeln weithin in der Welt erstreckte und zugleich im Inneren fröhlich emporwuchs, wie aber im vollen Gegensatz zu ihren Leistungen und Erfolgen die ersten, die den nationalwirtschaftlichen Gedanken damals mit Macht in die Öffentlichkeit trugen, die Humanisten und Reformatoren, einen Chor der Mißvergnügten darstellen, die nur die übeln Seiten des jungen Kapitalismus, das ungezügelte Gewinnstreben, Wucher, Monopolkäufe, Preistreiberei, sehen und vom Standpunkt der Konsumenten und Schmalbesoldeten aus leidenschaftlich verdammen. In der Zeit einer fast einzigartigen Hochkonjunktur prophezeien sie Verarmung, eifern gegen den Abfluß des Edelmetalls durch Luxus und römische Ausbeutung und haben keinen Blick für die fließenden Wohlstandsquellen. H. führt weiter aus, wie der nationalwirtschaftliche Gedanke auch in der Wirtschaftspolitik des Reiches Ausdruck findet, und bemerkt nicht mit Unrecht, daß man seit dem Siege der kleindeutschen Politik Bismarcks die Wirksamkeit des Reichs gegenüber der der Territorien auf diesem Gebiete doch wohl zu gering geschätzt habe.

Auf eine Kehrseite jener Blütezeit deutscher Wirtschaft weist Th. Mayer ( 1794) treffend hin: daß nämlich ihre hervorragendsten Vertreter, die großen süddeutschen Handelshäuser, zwar im Welthandel und im internationalen Geldgeschäft sich ausschlaggebend betätigten, aber für die deutsche Volkswirtschaft verhältnismäßig wenig bedeuteten, wie ja auch das oberdeutsche Kapital mit der hansischen Seehandelspolitik keine Verbindung eingegangen ist und die reichen wirtschaftlichen Kräfte des deutschen Volkes dem Ausland gegenüber


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niemals zusammengefaßt wurden. Infolgedessen haben allerdings auch die Zusammenbrüche jener Häuser die deutsche Volkswirtschaft nicht empfindlich geschädigt, brachten nicht den Verlust lebenswichtiger Kräfte, trafen nur ganz wenige Teile des Volks. Einen wirtschaftlichen Rückgang vor dem Dreißigjährigen Kriege will M. nicht anerkennen, die versteuerten Vermögen in vielen Städten seien gestiegen, Breslau, die Lausitzer Weberei kamen gerade damals zu hoher Blüte, selbst der deutsche Handel nach Venedig nahm bis weit in das 17. Jahrhundert zu. Allerdings war die Belastung der Volkswirtschaft durch die Kleinstaaterei, die Sicherungspolitik der selbständigen Städte und die vielen Hofhaltungen sehr stark, und der Mangel an politischem Rückhalt war ein dauerndes Schwächemoment. Aber erst der Krieg hat volkswirtschaftliche Funktionen und breite Volksschichten nachhaltig geschädigt oder vernichtet, die Stadtwirtschaft und ihre Organisation zerstört, die Folgen waren daher ganz andere als die des Rückgangs am Ende des 16. Jahrhunderts.


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