IV. Agrargeschichte.

Über die Entstehung der Gutsherrschaft hat Maybaum ( 1702) eine gründliche Untersuchung veröffentlicht; er beschränkt sich dabei auf die Ämter Gadebusch und Grevesmühlen im nordwestlichen Mecklenburg. Die Grundherren sind danach aus wirtschaftlicher Not zur Gutswirtschaft, d. h. zum Ausbau des vorher kleinen ritterlichen Eigenbetriebs übergegangen, weil die mit der Zeit in Geld verwandelten bäuerlichen Abgaben infolge von Geldentwertung relativ, infolge wirtschaftlichen Niedergangs auch absolut zurückgingen. Die Gutswirtschaften sind seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts ganz allmählich vergrößert worden, zunächst nur durch Wiedernahme alter Hofhufen und Einziehen wüst gewordenen Bauernlandes; den stärksten Antrieb gab seit der Mitte des 16. Jahrhunderts das Steigen der Getreidepreise. Die erforderlich werdenden Dienstleistungen haben sich die Grundherren verschafft vermöge ihrer obrigkeitlichen Stellung, besonders der Gerichtsherrlichkeit, denn sie hatten die niedere und fast durchweg auch die hohe im 13. und 14. Jahrhundert erworben. Die Dienste sind erst ganz allmählich zur Zwangspflicht gemacht und gesteigert worden; dagegen wurde die Beköstigung der Diensttuer mit der Zeit eingestellt. Indessen sollen Leibeigenschaft und Zwangsgesindedienst in Mecklenburg nicht vor dem Dreißigjährigen Kriege nachweisbar sein, abweichend von Holstein und Pommern. Erst als 1645 das eigenmächtige Fortziehen der Bauernkinder aus dem Gutsbezirk gesetzlich verboten wurde, war der Gesindezwang indirekt eingeführt. Zwei Tabellen geben genaue Übersichten über den Erwerb der Gerichtsbarkeit und der staatlichen Hoheitsrechte durch die Grundherren und über die Entwicklung des Hufenbestandes in den einzelnen Dörfern.

Eine ausgezeichnete agrargeschichtliche Untersuchung für ein begrenztes Gebiet gibt Lerch ( 1825). Das Fürstentum Hersfeld ist ihr Gegenstand, gesamthessische Verhältnisse werden hier und da herangezogen, daher der Titel »Hessische Agrargeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts« doch zu weit gefaßt ist. Aber in ihrem Bereich ist die Untersuchung musterhaft durchgeführt, das Material, aus dem Marburger Staatsarchiv, wie es scheint vollständig und umsichtig verarbeitet und ein in jeder Richtung volles und abschließendes Bild der bäuerlichen Besitzverhältnisse, der Lasten, der Betriebe und Nebengewerbe geschaffen. Ähnlich ist das für die Neumark im 18. Jahrhundert durch die gründliche Arbeit von Paul Schwartz ( 1860) erzielt. Diese bringt nicht nur die detaillierten Ergebnisse einer kommissarischen Untersuchung der sieben neumärkischen Kreise Ort für Ort (1718--1719), sondern auch noch manch anderes interessante Material zur Agrargeschichte des 18. Jahrhunderts. Im Unterschied von diesen beiden betrachtet Böhme ( 1701) sein Gebiet in erster Linie vom Gesichtspunkt der Betriebslehre aus und behandelt daher vornehmlich die Besiedelung, die Bewirtschaftung und den Besitzwechsel, auch liegt der Nachdruck auf der neuesten Zeit von 1790 an, für die urkundliches Material vorliegt und gut ausgewertet ist. Dagegen sind die geschichtlich-sozialen Momente, insbesondere die bäuerlichen und gutsherrlichen Verhältnisse der älteren Zeit, nicht berücksichtigt. Die Wüstungen sind auf einer Kartenskizze


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veranschaulicht, im Text dagegen nur flüchtig erwähnt, die Arbeit von Zahn über die altmärkischen Wüstungen ist offenbar nicht benutzt. Es erscheint einleuchtend, daß die in der nächsten Umgebung von Werben besonders zahlreichen Wüstungen auf die gründliche Verheerung dieses Gebiets in der Zeit des Werbener Lagers Gustav Adolphs zurückzuführen sind. Lerch dagegen stellt für das Hersfelder Land fest, daß die dortigen Wüsteneien alle vor dem Dreißigjährigen Kriege aus wirtschaftlichen Gründen -- karger Boden und hohe Grundlasten -- entstanden sind. Der große Krieg hatte dort die Nachwirkung, daß die bäuerlichen Besitzverhältnisse sich besserten, weil der Bauer knapp, daher wertvoller geworden war, so daß Zeitpacht oder schlechte Leihe in Erbpacht verwandelt wurde, die sich allmählich ganz durchsetzte. Dagegen sind die Dienstlasten seit dem Übergang des Ländchens aus geistlichem in hessischen Besitz beschwerlicher geworden und wurden auch mit größerem Nachdruck -- militärischer Exekution, Viehpfändung -- erzwungen. Für die Neumark stellt Schwartz fest, daß es an Bauern fehlte, und daß es fast allenthalben nicht möglich war, Arbeitskräfte für den Anbau wüster Hufen zu gewinnen, weil die Lebensbedingungen zu jämmerlich waren; neben dem meist sehr schlechten Boden waren es Wildfraß, Militärlasten (Reuterverpflegung) und die onera publica, die allgemein als schlimmste Übelstände beklagt wurden. Das massenhafte Einziehen von Bauernhufen zum Gutsland scheint in der Tat mehr in diesen wirtschaftlichen Notständen begründet zu sein, als daß man dem Adel eine besondere Lust am Bauernlegen vorwerfen könnte.

Aus dem von Schwartz über die Neumark Mitgeteilten sei als bemerkenswert noch hervorgehoben, daß die Landräte 1746 u. a. bitten, die Beurlaubung der zum Militär Eingezogenen möglichst einzuschränken, da die Beurlaubten mehr zehrten und Exzesse verübten als Nutzen schafften, auch gerade in der Zeit, wo sie am nötigsten wären, zu den Regimentern eingezogen würden. Allerdings mag dies mehr im Sinne der adligen Gutsbesitzer als dem der Bauern gesprochen sein.

Ein düsteres Bild bieten auch die Verhältnisse in Nordböhmen nach dem Dreißigjährigen Kriege, wie sie Ressel ( 1877) nach Akten des Friedländer Schloßarchivs und des Prager Staatsarchivs darstellt: Steigerungen der Lasten und Dienste, harte Bedrückungen und Willkür der Herren und Beamten, wobei auch das später in der Industrie berüchtigte Trucksystem hervortritt, d. h. die Bauern wurden genötigt, alle Bedürfnisse von der Herrschaft zu entnehmen und wurden natürlich mit schlechten Waren zu hohen Preisen übervorteilt. Ähnlich wie im deutschen Bauernkrieg stehen gedrückte Kleinbürger mit den Bauern zusammen und wie damals fordern die »Aufrührer« zunächst nur Wiederherstellung der alten Bräuche, und erheben keinerlei grundsätzliche, revolutionäre Forderungen. Aber sie hatten keinen Anwalt, keine Organisation, kein zugestandenes Beschwerderecht. Untersuchungskommissionen waren aus der Herrenschicht zusammengesetzt, wo die Bauern den Gehorsam weigerten, wurden militärische Exekutionen angewandt, der Ausgang war der übliche: nichts wurde erreicht, eine Anzahl Rädelsführer verschwanden im Kerker oder auf der Flucht.

Fritz Beckmann ( 1803) schildert die kapitalistische Entwicklung bei der Bauernschaft im Ruhrgebiet; er läßt sie erst mit 1840 beginnen und erkennt drei Stufen: eine erste bis 1870, in der die Leistungen des Betriebs in Geld ausgedrückt werden, dann die Zeit der großen Agrarkrise, bis 1900, in der die


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Produktion in die Verkehrswirtschaft hineingezwungen wird, betriebsfremde Produktionsmittel hinzugekauft werden müssen, endlich der Übergang zur reinen Unternehmertätigkeit, nach 1900.


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