V. Gewerbegeschichte.

Mummenhoff ( 1742) teilt aus Nürnberger Akten einiges aus dem Gebiet der Zunftstreitigkeiten mit, woraus bemerkenswert ist die absolute Unduldsamkeit der Gesellen gegen die Verwendung von Frauenarbeit in der Werkstatt -- selbst in Preußen wurde erst 1783 Frauenarbeit bei den Gewerken als zulässig erklärt -- und ferner die Sitte, Orte, wo gegen Zunftbrauch verstoßen worden war, in Verruf zu tun und von dort kommende Arbeitsuchende nicht zuzulassen, worauf der andere Teil Vergeltungsmaßnahmen -- Ausschließen vom Markt -- ergriff, wie das hier zwischen Nürnberg und Straßburg sich ereignete.

Wie der Übergang von der gebundenen Verfassung zur Gewerbefreiheit bei geringer Initiative der Regierung sich vollzog, zeigt Ahlf ( 1836) am Beispiel Schleswig-Holstein. Das Zunftmonopol ist da wie anderwärts durch die von den Regierungen erteilten Konzessionen vielfältig durchbrochen, das Landhandwerk seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts faktisch, nicht formell, freigegeben worden, seit den 1830er Jahren wurde neuerrichteten Zünften nicht mehr das Recht zum ausschließlichen Gewerbebetrieb beigelegt, die gebundene Verfassung verlor so allmählich an Bedeutung, aber die Gewerbefreiheit wurde erst 1867 durch Preußen rechtlich eingeführt und dadurch einem lange währenden Zwitterzustand ein Ende bereitet, der einer kräftigen Entwicklung nichts weniger als förderlich war.

Die Geschichte der Textilgewerbe und des Zunftwesens wird gut beleuchtet durch das Buch von F. Feustel ( 1843 a). Der Verfasser ist nicht Historiker, sondern war selbst Textilarbeiter, der mit zwölf Jahren als Streichjunge in der Zeugdruckerei begonnen hat. Geschichtliche Methodik fehlt zwar, dafür findet man gesunden Wirklichkeitssinn und frische Schilderung, gelegentliche sozialistische Anklänge stören kaum. Die Zunftverfassung hat sich dort im Greizer Ländchen sehr lange und von Reformen wenig berührt erhalten, noch das Leineweber-Privileg von 1826 weist viele Satzungen auf, die nach der Reichsordnung von 1731 und nach preußischer Observanz verpönt waren, so die Erschwerungen des Meisterwerdens, überhohe Gebühren, Schmäuse und Zechen, Bevorzugung der Meistersöhne und der in das Gewerbe Heiratenden, auch die alten Formeln und die Gesellengebräuche haben sich ungestört erhalten. Die Zunfttradition war so stark, daß selbst die Zeugdrucker und Formstecher, die keine Innung bildeten und vorwiegend in Fabriken arbeiteten, (seit 1793) ganz in zünftlerischer Weise organisiert waren, auch ohne geschriebene Satzungen festen Brauch und Komment wie eine Zunft hielten und erst in allerneuester Zeit in proletarische Gedankengänge und das Gewerksverbandswesen hineingezogen wurden. Im übrigen hat die Einführung des mechanischen Webstuhls seit 1862 und der Gewerbefreiheit, 1869, den Zünften ihre Daseinsgrundlage entzogen; die Gesellenbrüderschaften waren erst in den 50er Jahren aufgelöst worden. Es hätte noch deutlicher herausgearbeitet werden können, wie die dortige Industrialisierung sich mit dieser auffallend langen Zunftblüte vertrug; es scheint, daß die Fabrikanten auch die Innung gewinnen mußten. Jedenfalls wichen die dortigen Verhältnisse von den in der preußischen Gewerbepolitik seit Ende des 17. Jahrhunderts geschaffenen erheblich ab.


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Über den Leinwandhandel bis ins 17. Jahrhundert hat Hohls ( 1714) vielerlei Nachrichten für ein weites Gebiet, ganz Norddeutschland, zusammengestellt. Er hat allerdings nur schon gedrucktes, kein archivalisches Material benutzt, vorhandene Lücken sind daher nicht ergänzt. So wird über die wichtige Rolle, die Bremen und Hamburg für den Leinwandhandel und den überseeischen Export jedenfalls im 17. Jahrhundert hatten, fast nichts vermeldet; nicht berücksichtigt ist auch der Handel mit Flachs und Leinsamen, und vor allem ist auf die doch ausschlaggebende Rolle des Verlags durch Kaufleute so gut wie gar nicht eingegangen. Daß für das 17. Jahrhundert lokale Untersuchungen fehlen, bemerkt der Verfasser selbst. Die ganze Untersuchung ist daher etwas ungleichmäßig ausgefallen und wäre wohl besser für ein begrenztes Gebiet, für dieses aber gründlich angestellt worden. -- Eine derartige Untersuchung für Nordböhmen und Sachsen bietet die Arbeit von Kunze ( 1745). Sie legt den Nachdruck besonders auf die von Hohls so wenig beachteten Verlagsbeziehungen, ohne die ein Fernabsatz für jenes von unzähligen ländlichen und städtischen Produzenten gefertigte Erzeugnis nicht möglich war. Es waren Nürnberger Kaufleute, die später als die alten süddeutschen Textilstädte sich diesem Zweig, dem Aufkauf roher Leinwand, ihrer Zubereitung und Färbung und dem Absatz der so veredelten Ware, zugewandt haben. Da der Süden ihnen verschlossen war, so schufen sie sich ein Bezugsgebiet in Sachsen, Böhmen, Schlesien und der Lausitz, etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Im 16. Jahrhundert stand dieser Handel in voller Blüte, um 1600 wurden die Nürnberger aus Sachsen durch Leipziger, Hamburger und Engländer verdrängt, das Nordböhmische behaupteten sie bis gegen 1700, hauptsächlich weil sie mit den dortigen Machthabern, zumal den Grundherren der großen Herrschaften Friedland und Reichenberg -- Redern bis 1622, Wallenstein bis 1634, dann die Grafen (Clam-) Gallas -- durch umfangreiche Geldgeschäfte verbunden waren. Vor allem das Nürnberger Haus Viatis und Peller steht in diesen doppelten Geschäftsbeziehungen mehr als ein Jahrhundert an der Spitze. Was die Verdrängung der Oberdeutschen durch die Leipziger und noch mehr durch Hamburger und englische Kaufleute betrifft, so läßt sich dies mit einiger Gewißheit dahin erklären, daß diejenigen die Überlegenheit besaßen, die den lohnendsten Absatz in der Hand hatten, und das war zunehmend der nach den Ländern, die große überseeische Kolonien besaßen, England und den Pyrenäenstaaten. Aber diese ganze Frage des Weiterabsatzes ist hier nicht behandelt und war aus den benutzten Quellen -- Friedländer Schloßarchiv, Reichenberger Stadtarchiv, Dresdener Staatsarchiv u. a. -- auch kaum zu ermitteln. Dagegen sind die Verhältnisse, Einrichtungen und Leistungen jener Gewerbe, sowie ihre Beziehungen mit dem Großkapital, geregelt durch Kollektivverträge der Handelshäuser mit den Zünften, gut geschildert.


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