I. Quellen.

Das schwierige und selten bearbeitete Gebiet der Überlieferungsgeschichte der älteren, vormittelalterlichen Papstbriefe bereichert K. Silva Tarouca, einer der besten Kenner dieser Materie, durch eine wertvolle Arbeit (Die Quellen der Briefsammlungen Papst Leos d. Gr., 170.). Die Sammlung der Orientalischen Korrespondenz in Clm 14540 (R) (72 Briefe) geht auf das päpstliche Register direkt zurück und ist eine offizielle Auswahl, die mit der im Jahre 540 von Papst Vigilius für Kaiser Justinian veranstalteten identisch sein dürfte. Dagegen ist die größere Sammlung des Codex Grimani (Paris. Mazar. 1645) (100 Briefe) eine Kompilation zweiter Hand aus verschiedenen Zwischenquellen, mit manchen Überlieferungsfehlern, und geht nur indirekt auf das Register zurück. Eine dritte Sammlung, in drei Kanonessammlungen des 6. Jahrhunderts völlig übereinstimmend übernommen (12 Briefe), ging auf Abschriften in den gesta einzelner Kirchen zurück, die auf offiziellen Neuausfertigungen aus dem Register zwecks weiterer Verbreitung des Inhalts beruhten. Dagegen geht eine Sammlung der zum Konzil von Chalcedon gehörigen Briefe in griechischer Sprache und die bekannte Sammlung von Thessalonich (betrifft den Vikariat, und enthält nicht nur Leobriefe) auf die Empfängerarchive zurück. -- Eine zweite quellenkritische Arbeit aus dieser ältesten Periode, und an gleicher Stelle ( 1889) veröffentlicht, ist von B. Krusch und betrifft den Bericht des päpstlichen Primicers Bonifatius an Johannes I. vom Jahre 526 über die Osterberechnung. Das kostbare Dokument, das in die Geschichte der Einführung des alexandrinischen Zyklus durch Dionysius an Stelle des viktorinischen hineingehört, wird hier zum erstenmal vollständig und auf Grund aller hss.lichen Überlieferungen, unter welchen der Oxforder Codex Digby 63 (vom Jahre 814), aus dem drei Seiten in Photographie gegeben sind, obenan steht, ediert.

Das große Göttinger Papsturkundenunternehmen hat ein neues Gebiet, Spanien, in Angriff genommen und ist damit auf fast völliges Neuland von fruchtbarster Ergiebigkeit vorgestoßen. Zwei umfangreiche Archivberichte P. Kehrs ( 168) über seine eigenen und seiner Mitarbeiter Studien geben zunächst über das katalonische Material eine Geschichte der archivalischen Forschung in Spanien, eine Geschichte und Übersicht der Fonds der einzelnen Archive, und sodann den überreichen Ertrag von 275 Urkunden und Regesten in kritischer Edition. P. Kehr selbst hat diesmal erfreulicherweise auch die historiographische Ausbeutung dieser gewaltigen Funde sogleich selbst besorgt. Nach der diplomatischen und behördengeschichtlichen Seite hin in einer mit reicher photographischer Beigabe ausgestatteten Untersuchung über die in Spanien zahlreicher als sonstwo erhaltenen Papyrusoriginale ( 167); der Ertrag sind insbesondere vertiefte Erkenntnisse über das hinaus, was Kehr selbst früher über scrinium und palatium erforscht hatte (Mitt. d. öst. Inst. Erg.-Bd. VI), und der Nachweis, daß das Benevalete mit Unrecht bisher als eigenhändige Unterschrift des Papstes angesehen wurde. Nach der historischen Seite hin ist die Untersuchung »Das Papsttum und der katalonische Prinzipat bis zur Vereinigung mit Aragon« ( 1891) von allgemeinstem Wert für die Geschichte des Papsttums, weil es hier endlich einmal aus der einseitig auf den Kampf mit dem Kaisertum eingestellten Betrachtung in eine richtigere Perspektive rückt. Perioden


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einer gewissen Sterilität dort, wie das 10. und beginnende 11. Jahrhundert, erweisen sich nunmehr als solche intensivster und fruchtbarer päpstlicher Politik auf Gebieten, die ihr zur Zeit nähere und dringende Aufgaben stellten: in Spanien mit der mohammedanischen Riesengefahr und der mühsamen Abwehr-Kleinarbeit im Bunde mit der lokalen Aristokratie und mittels der kirchlichen Durchdringung von den südfranzösischen Zentren der kluniazenischen Reform aus.

Der Überlieferungsgeschichte des Liber pontificalis widmet M. Buchner eine Abhandlung ( 1892). Er versucht nachzuweisen, daß die Kölner Hs. (B), ein für Erzbischof und Erzkaplan Hildebald (784--819) hergestelltes Exemplar, mit der verwandten Hs. B (Paris), für Hildebalds Nachfolger im Erzkapellanat, Hilduin von S. Denys, geschrieben, auf ein Exemplar der Hofkapelle zurückgeht, das zu den von Leo III. an Karl gesandten Büchern gehört haben dürfte. Ob der Schluß auf fränkischen Archetyp der B-Klasse der Hss. bündig ist, könnte jedoch nur eine breiter auf die Gesamtüberlieferung des Liber pontificalis aufgebaute Untersuchung abschließend erweisen. -- E. Perels ( 1895) handelt von den Briefen Nikolaus I. im Streit zwischen Le Mans und Calais; er verteidigt gegen Lesne die Echtheit des Briefes an Hinkmar und sucht für die Entstehung des gefälschten Privilegs für St. Calais eine neue interessante Deutung; vermutlich liege ein Empfängerentwurf, der von der Kurie abgelehnt wurde, aber versehentlich in das Register und von dort in mehrere Sammlungen von Nikolausbriefen gelangte, vor. A. Mercati hat in zwei Papyrusfetzen im Schatz der Kapelle Sancta Sanctorum die Reste eines der zwischen dem Ludovicianum und dem Ottonianum liegenden Kaiserpakten nachgewiesen ( 380); er vermutet, daß es sich um die Urkunde Widos und Lamberts für Papst Formosus vom Jahre 892 handelt. -- Diesen Fund Mercatis ordnet sodann Stengel in feinsinniger und exakter Untersuchung in die Entwicklung des Kaiserprivilegs für die römische Kirche 817--962 ( 1894) ein; die nach-ludovicianischen Vorschichten des Ottonianum werden dabei textlich und sachlich genauer als bisher ergründet. Neu ist vor allem der gelungene Nachweis eines Paktums, das Ludwig II. im Jahre 872 als Dank für die Lösung von dem erzwungenen Eide an seine langobardischen Feinde der römischen Kirche dargebracht hat, neu auch eine schärfere Bestimmung des Inhalts des Paktums Karls d. K. vom Jahre 876, das keine wesentlichen Änderungen in den Nachurkunden bis zum Ottonianum erfahren hat, wie man bisher annahm. -- P. W. M. Peitz versucht eine neue Ansicht über den Zeitpunkt der Anlage des Registrum super negotio imperii Innocenz III. und im Zusammenhang damit über das Eingreifen des Papstes in den Thronstreit zu begründen ( 1904). Die Briefgruppe RNJ. 1--3, 6--10 weist er erst der Zeit unmittelbar vor der Registrierung, und damit der Anlage des Sonderregisters selbst, zu, also auch Nr. 3, die erste Wendung der welfischen Partei zugunsten Ottos IV. nach Rom, die man sonst ins Jahr 1198 zu setzen pflegt; die Schwierigkeit der englischen Schreiben Nr. 4 und 5, die sicher zu 1198 gehören, beseitigt er durch die Annahme, daß sie nachträglich -- das eine nur auszugsweise, soweit die deutsche Frage betreffend -- mitaufgenommen seien, und daß man sachlich also in Richard von England denjenigen zu erblicken habe, welcher die Wendung der deutschen Welfenpartei nach Rom veranlaßte. Eine ganz ähnliche Technik der Registrierung und Einfügung einschlägigen älteren Materials will er für die (gleichfalls abweichend von früheren datierte) Gruppe RNJ. 12--15 nachweisen. Sachlich ergäbe sich, daß Innocenz


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nicht von vornherein eine Einmischung in den Thronstreit beabsichtigt, sondern umgekehrt zunächst volle Zurückhaltung beobachtet habe. Das letzte Wort wird mit dieser Darlegung freilich noch nicht gesprochen sein.

Auf das Gebiet spätmittelalterlicher papstgeschichtlicher Quellen führt A. Fliniaux ( 2024). Er handelt über das bisher wenig bearbeitete Material der Sammlungen von Entscheidungen des obersten päpstlichen Gerichts, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts veranstaltet wurden und, wie die Menge der Hss. und alten Drucke zeigt, viel beachtet wurden. Er gibt einen Überblick über die Hss. und die Verfasser der Sammlungen, stellt ihre chronologische Reihenfolge fest und nutzt sie schließlich für die innere Geschichte der Rota, insbesondere das Auditorenpersonal.

Chronologisch am Schluß steht das monumentale Werk von H. Finke, Acta concilii Constantiensis III ( 1918), ursprünglich als Schlußband gedacht, tatsächlich erst der vorletzte, da das durch neue Funde stark angeschwollene Material namentlich der spanischen Korrespondenz für einen in Aussicht gestellten IV. Band zurückgestellt werden mußte, der in Bälde die große Lebensarbeit des greisen Gelehrten krönen wird. Band III behandelt die drei Pontifikate Johanns XXIII., Gregors VII. und Benedikts XIII. und den Schriftenzyklus zur Papstwahl im Anschluß an die Cedula ad laudem vom Jahre 1417. Der Aktenpublikation sind jeweils vortreffliche historisch-sachlich orientierende Einleitungen vorausgeschickt. -- Anschließend seien sogleich einige Arbeiten zum Konstanzer Konzil genannt, welche der Anregung von Finke ihre Entstehung verdanken. H. G. Peter widmet dem Material der »Informationen« Johanns XXXIII. zur Rechtfertigung wegen seiner Flucht vom Konstanzer Konzil im März 1415 ( 1921) eine eingehende Studie, indem er die einzelnen Beschwerdepunkte kritisch an der Hand der übrigen Quellen zur Geschichte des Konzils erörtert. Eine Dissertation von Rubio ( 1922) behandelt die aragonesische Politik Benedikts XIII., eine andre von Prinzhorn die Verhandlungen Sigismunds mit Benedikt XIII. und seiner Obedienz in Perpignan ( 1924).


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