II. Institutionelle Geschichte (Theorie, Verfassung).

Zu der viel umstrittenen Frage nach der Urverfassung der römischen Kirche habe ich mir einen neuen Weg zu bahnen versucht durch eine philologisch-historische Untersuchung über den Überlieferungswert der ältesten römischen Bischofsliste ( 1887) (vgl. die kurze Zusammenfassung der Resultate in Nr. 1888). Das Hauptergebnis, zu dem ich gelangte, ist nach der negativen Seite die völlige Wertlosigkeit der Regierungszahlenchronologie bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts, da es sich um gelehrte Konstruktion, wie sie auch die profane spätantike historische Wissenschaft übte, handelt, nach der positiven Seite die überlieferungsmäßige Echtheit der Namenreihe Linus Anencletus Clemens etc., die freilich in ihrem ursprünglichen Wesen neu zu deuten ist: nicht eine Liste regierender Bischöfe, beginnend mit Petrus, wie nachmals, sondern eine Reihe der Sukzession reiner Lehre von den Aposteln her (διαδοχήgv; τῶν Ἀποστόλων), beginnend mit Linus dem »Ersten nach den Aposteln«. Als diese Träger der Sukzession gelten zwar bereits bestimmte Personen innerhalb der Gemeinde, aber sie sind wohl noch nicht monarchische Leiter im Sinne der späteren Bischöfe gewesen, da sich die Episkopalverfassung erst im Laufe des 2. Jahrhunderts entwickelt haben dürfte.

Die berühmteste Fälschung des Mittelalters, die Konstantinische Schenkung ist, gleichzeitig und unabhängig voneinander, durch je eine in Berlin und in


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Königsberg angeregte Doktorarbeit zum Gegenstand einer geistesgeschichtlichen Untersuchung gemacht worden (Laehr, Nr. 1890, Simanowski, Nr. 1890 a). Beide Arbeiten verfolgen die staatstheoretische und praktisch-publizistische Benutzung des Dokuments in den kurialistischen und gegnerischen Argumentationen und weisen besonders auf die prinzipiellen Schwierigkeiten für die Benutzung von päpstlicher Seite hin: die Schenkung durch den Kaiser widersprach der päpstlichen Doktrin vom göttlichen Ursprung aller Primatsrechte, sie mußte deshalb zu einer Restitution umgedeutet werden.

H. X. Arqullière ( 1912) legt die erste auf allen drei erhaltenen Hss. beruhende Edition des ältesten Traktats aus der Zeit der Kämpfe Bonifaz'VIII. mit Philipp d. Schönen, des Jacob von Viterbo De regimine christiano (1301 bis 1302) vor; er glaubt, aus allen drei Texten, die jeweils einzelne Abschnitte allein enthalten, gemeinsam einen dem Original am nächsten kommenden Text herstellen zu können, eine fragwürdige Methode, die nicht genügend mit der Einfügung von Glossen, einer gerade bei dieser Art Literatur so besonders häufigen Erscheinung, rechnet. Dürfte somit editorisch noch keineswegs das letzte Wort über diese Schrift gesagt sein, so ist doch die eindringende sachliche Analyse, die ihr A. zum erstenmal gewidmet hat, wertvoll. Jacob geht von Thomas von Aquinos Expositio super symbolo apostolorum und seiner ecclesia una sancta catholica et apostolica aus, erörtert im Anschluß an Augustin die Leitideen regnum, pax, iustitia, verrät aber auch den Einfluß aristotelischer staatstheoretischer Gedanken. So nimmt er in der Kernfrage vom Ursprung des Staats einen vermittelnden Standpunkt zwischen dem augustinischen und dem naturrechtlichen des Thomas ein.

J. Tooley ( 1913) versucht sich an dem alten Problem, wie die Autorschaft am Defensor pacis zwischen Marsilius und Johann von Jandun zu verteilen sei. Die Lösung, die die Verfasserin gefunden zu haben glaubt, -- daß der 1. Teil (dictio I) von dem Philosophen Johann, dictio II u. III dagegen von dem politischen Praktiker Marsilius herrühre, ist doch wohl zu glatt, und vor allem sind die Überlieferungsprobleme und auch die im letzten Bericht angezeigten neuesten deutschen Arbeiten gänzlich unberücksichtigt geblieben.

Die nützlichen statistischen Arbeiten über päpstliche Legaten, deren es für Deutschland bereits eine ganze Reihe gibt, werden durch die von Levison angeregte Dissertation von H. Tillmann ( 1906) über die päpstlichen Legaten in England bis 1218 um einen gediegenen Beitrag bereichert. Die Königsberger Dissertation von H. Fieberg ( 1909) liefert eine Monographie über Wilhelm von Modena, den Organisator der baltischen Mission in Livland und Preußen. E. Göller verfolgt das Amt der päpstlichen Kubikulare an Hand der Quellen zum päpstlichen Ämter- und Verwaltungswesen ( 1899). Seit dem 12. Jhdt. nachweisbar und ursprünglich gleich anderen Bediensteten in einer Schola zusammengefaßt und dem Laienstande angehörend, gehörten sie seit dem 13. Jahrhundert, nur noch zwei an der Zahl, zur engeren Familia des Papstes, und wurden im 14. Jahrhundert nach Ausweis der Ausgaberegister der Camera apostolica ziemlich hoch besoldet; sie hatten auch Anspruch auf eine Quote der servitia minuta. Ihre Funktionen blieben vorwiegend zeremonieller und liturgischer Art, doch zeigen sie die Ausgabebücher der Camera apostolica auch in Ankäufen und Beschaffungen für den Hofhalt und persönliche Zwecke des Papstes tätig. In der Zeit des Schismas wuchs wie ihre Zahl, so ihre Bedeutung


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zu der von päpstlichen Geheimkämmerern, als welche sie vor allem im Supplikenwesen neben den referendarii Verwendung fanden. Eine Hofordnung vom Jahre 1409 scheidet bereits solche Honorarkubikulare von den diensttuenden, die wiederum in Prälaten und Nichtprälaten zerfielen. Die Prälaten nahmen die Suppliken entgegen und in Bearbeitung, sie datierten die signierten Suppliken und händigten sie zurück, aus diesen Kubikularen wurden nachmals die Datatoren. Die Edition eines Auszugs aus der Hofordnung von 1409, welche die Details enthält, macht den Schluß des Aufsatzes.

Den Bemühungen von A. Auer O. S. B. ( 2040) ist es gelungen, eine verschollene Denkschrift des Dominikaners Johann von Dambach an Karl IV. aufzufinden, welche sich gegen die verheerenden moralischen Wirkungen der Praxis der höchsten kirchlichen Obrigkeiten mit der Verhängung genereller Interdikte wandte. Er ediert und kommentiert das interessante Dokument.


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