III. Politische Geschichte.

Nur kurz ist zu verweisen auf J. Gay Les papes du XI. siècle et la chrétienté ( 1896), da es sich um eine populäre und Unterrichtszwecken dienende Zusammenfassung ohne den Anspruch neuer Resultate, aber leider auch ohne Benutzung neuester, zumal deutscher Literatur handelt. Um so gewichtiger sind zwei Arbeiten von K. Wenck; Abschiedsgaben, welche es der lebenden Generation historischer Wissenschaft nachdrücklich vor Augen führen, welchen Verlust sie durch den Tod dieses Mannes erlitten hat. Die erste Studie (Die römischen Päpste zwischen Alexander III. und Innocenz III., 1902) nimmt in feinsinniger Weise die vielbehandelte »Friedens«- periode zwischen den dramatischen Kampfzeiten schärfer im einzelnen unter die Lupe, indem sie nicht in der Reichsgeschichte, sondern in der Papstgeschichte den Standort der Betrachtung wählt. Finanzielle Not der Kurie, Unentschlossenheit über den Kurs der großen Politik, die sich in der Wahl überlebter Greise kundtut, und daher Zickzackkurs unter dem Einfluß bestimmter, Bestechungen zugänglicher Gruppen der Kardinäle, das war die wenig erfreuliche Gesamtsignatur. Für Charakteristik und Beurteilung der einzelnen Männer Lucius III., Gregor VIII. besonders Clemens III. und Coelestin III. ergibt sich viel Neues, vor allem durch Benutzung der arg vernachlässigten englisch-französischen brieflichen Quellen. Eine Zäsur bildete die Wahl des Römers Clemens' III., indem sie mit dem vorherrschenden Einfluß des Zisterzienserordens ein Ende machte und auf ein halbes Jahrhundert wieder Weltgeistliche ans Ruder brachte. Die Ursache war die dringende Notwendigkeit, mit der Kommune in Rom, von wo die letzten Päpste dauernd vertrieben waren, wieder ins Benehmen zu kommen, im Hinblick auf die nicht mehr aufschiebbaren kaiserlichen Forderungen nach einer Krönung des Königs Heinrich. Sittenreform, Kreuzzugsplan traten in den Hintergrund, und skrupellose Geldpolitik, Bestechlichkeit der Kardinäle machte sich von neuem breit. Die Notwendigkeit, die Habgier der Römer nach großen Wahldonativen zu befriedigen, war die Ursache einer wesentlich finanziell eingestellten Haltung dieses Papstes. Neben den englischen Quellen werden wie für Clemens III. so für seinen Nachfolger Coelestin III., die Kardinalskreiierungen zur Charakteristik ihrer Person und Politik herangezogen, wobei W. in begründeten Gegensatz zu Hallers Auffassung Coelestins III. tritt. Den Schluß der ergebnisreichen Studie bildet eine Untersuchung über Coelestins III. nächsten Vertrauten, Kardinal Johann v. St. Paul, den ersten Colonnakardinal, nachmals Gönner des H. Franz, wiederum auf Grund bisher


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nicht ausgebeuteter englischer Quellen. Aus ihnen ergibt sich, daß er in des Papstes letzter Zeit sozusagen zu seinem Generalvikar erhoben war, ja daß Coelestin III. ihn zum Nachfolger designieren und zu seinen Gunsten abdanken wollte, daß eine Kardinalspartei gegen die Schwäche und Unzulänglichkeit des Papstes sich erhebend, Johanns faktische Regentschaft durchsetzte, und daß auf ihn die neue Energie der päpstlichen Politik im letzten Jahr Coelestins III., die man irrig Lothar v. Segni, dem kommenden Manne (Innocenz III.), zugeschrieben hat, zurückzuführen ist.

In sehr erfreulicher Weise vermag K. Hampe ( 1907) diese Wenckschen Nachweise über die Interna päpstlicher und kardinalizischer Politik zumal in Finanzfragen zu ergänzen durch eine bisher unbekannte, weil in der Summa dictaminis des Thomas von Capua versteckte, Konstitution betr. Verwaltung und Finanzordnung des Kirchenstaats, als deren Verfasser er Gregor IX., als deren Anlaß er die üblen Erfahrungen der Kurie mit fürstlichen und ausländischen Rektoren des Patrimonium (Johann v. Brienne 1227, B. Milo v. Beauvais 1230) gemacht hatte, nachweist. Die Konstitution sieht für künftig vor, daß nur noch Kardinäle dies Amt bekleiden sollen, und ordnet eine Drittelung der Einkünfte, an die Kammer, das Kardinalkolleg und den Schatz, an. Sie rückt damit auch chronologisch in die Nähe der bekannten Konstitution Rex excelsus vom Jahre 1234, welche Veräußerungen aus dem Patrimonium von der Zustimmung der Kardinäle abhängig macht.

An andrer Stelle setzt Wenck seine höchst fruchtbaren Forschungen über die interne Geschichte der Papstwahlen und der entscheidenden Männer hinter den Kulissen in einer Arbeit fort, welche dem ersten Konklave vom Jahre 1241 gewidmet ist ( 1908). Die Personen des großen Colonnakardinals Johann II., der, Kriegsmann und Friedensvermittler im Dienst Gregors IX., dann -- ein Wallenstein -- um des Friedensgedankens willen zum Kaiser abfiel, und ebenso die des Dominikanergenerals Humbert von Romans, der, gleichfalls als Kandidat der Friedenspartei, im zweiten Wahlgang des Konklaves präsentiert wurde, wie W. neu nachzuweisen vermag, dessen Kandidatur aber dann angesichts der Drohungen des Wahlleiters, des Senators Matteo Orsini, und des Volks fallen gelassen wurde, treten in neue scharfe Beleuchtung. Die Friedenspartei mit ihrer unter dem Einfluß neuer Orden kritischen Einstellung zum hierokratischen System und ihre siegreichen Gegner, die unter dem politischen Zwang stehen, die Kommunen auf seiten des Papstes festzuhalten, um das Papsttum nicht der Übermacht des Kaisers auszuliefern, werden in ihren Motiven überzeugend klargelegt, zugleich aber das Verhängnisvolle dieses Sieges für das Papsttum ins Licht gerückt; eine Fülle neuer Einzelfeststellungen auf Grund ausgebreiteter Benutzung auch abgelegenen Quellenmaterials macht diese Forschungen reich ergiebig und wertvoll. Valls Taberner ( 1901) macht Mitteilung von den in Ms. 193 der Bibliothek von Barcelona enthaltenen Akten eines bisher unbekannten Konzils in Lerida vom Jahre 1153; die Beschlüsse erweisen sich, wie die des bekannten späteren Konzils von Lerida im Jahre 1173, als Ausführungen der lateranensischen Konzilsbeschlüsse vom Jahre 1139. -- G. Ermini ( 1905) untersucht in einer zweiten Studie über das Comune im Kirchenstaat von Innocenz III. bis zu Kardinal Albornoz die Stellung des Podestà. 1199 werden die Kommunen mit dem status quo ihrer Rechte aus dem Konstanzer Vertrag (1183) von der Kurie übernommen, d. h. die größeren mit freier Podestàwahl, während


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bei den kleinen das Ringen um dies Recht fortan den Hauptinhalt ihrer Verhandlungen mit der päpstlichen Landesherrschaft bildete; ein Recht, das ihnen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts während der Kampfzeiten mit dem Kaisertum durchweg zufiel. Erst am Ende des Jahrhunderts erfolgte ein Rückschlag (Konst. Nicolaus' III. vom Jahre 1279). Nicolaus IV. ging dann wieder mit zahlreichen Privilegien freier Podestàwahlen vor, vermutlich aus finanziellen Gründen, wegen der Zinse. Dauernder oder zeitweiliger Verlust des Privilegs waren Strafen für politische Unzuverlässigkeit oder innere Fehden der Kommunen. Der Kampf der Kommunen gegen die adlige Signorie veranlaßte aber häufig auch die Erwählung des Papstes selbst zur Podestà, und dieser unterstützte die Demokratie gegen die ghibellinische Signorie. Als Podestà wurden dann geistliche Vikare in die Kommunen entsandt; während der avignonesischen Zeit wurden diese von Legaten im Kirchenstaat ernannt. Trotzdem machte die Signorie im 14. Jahrhundert mächtige Fortschritte. So kamen die Kommunen der päpstlichen Restaurationspolitik Albornoz' bereitwillig entgegen und erhielten nun die päpstliche Podestàs.

H. Bresslau ( 1915) handelt von der ersten, wichtigsten, aber wenig beachteten Sendung des Nicolaus v. Ligny (seit 1311 B. von Butrinto) im Auftrag Heinrichs V. an die Kurie Clemens' V. im Herbst 1310. Er sollte die Promissionsurkunde von Hagenau (17. Aug. 1310), die auf Grund eines im Frühjahr von der Kurie aufgesetzten Konzepts (unter Beiseiteschiebung eines zweiten, ausführlicheren, das nachgesandt worden war) überbringen. Die Antwort war die mit vielen Gnadenbeweisen unterstützte päpstliche Forderung nach einer Neuausfertigung der promissio auf Grund des zweiten, ausführlicheren Konzepts. Heinrich willigte nach einigem Zögern ein und stellte, schon auf dem Romzug befindlich, am 11. Oktober die promissio von Lausanne aus.

J. Hashagen ( 1920) geht den Beziehungen zwischen Papsttum und Laiengewalten im Verhältnis zu Schisma und Konzilien nach. Sie erwuchsen aus dem verstärkten Bedürfnis rivalisierender Kandidaten um die Tiara nach weltlicher Unterstützung und wurden von fürstlicher Seite zu mächtiger Vermehrung ihrer kirchenpolitischen Rechte ausgenutzt. Die Folge war ein kirchlicher Prestigeverlust in der Öffentlichkeit. Vollends gegen die mächtige konziliare Bewegung suchte der päpstliche Absolutismus bei dem fürstlichen der Landesherren Anlehnung. An diesem Bündnis von Papsttum und antikonziliar eingestelltem Landesfürstentum (England) scheiterte letzten Endes die Konzilsbewegung, aber die Fürsten drückten auch beständig durch Drohungen mit einem neuen Konzil päpstliche Konzessionen auf landeskirchlichem Gebiet durch.


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