I. Gesamtdeutsche Entwicklung der Kirchengeschichte.

H. Friedrich ( 1927) versucht die Anfänge des Christentums am Rhein sowie das Alter und die Zahl der ersten hier gegründeten Kirchen festzustellen. Eine allgemeine methodische Erörterung wird der Einzeluntersuchung vorausgeschickt. Fünf Normen gelten für den Verfasser als Ausgangspunkt jeder Forschung: 1. Der Nachweis von Spuren eines christlichen Friedhofs bedingt das gleichzeitige Vorhandensein eines kirchlichen Gebäudes mit amtierenden Priestern in der Nähe des Friedhofs. 2. Die Existenz einer Kirche in römischer Zeit hat zur Voraussetzung das Vorhandensein einer römischen Ansiedlung und einer in ihrer Nähe befindlichen Römerstraße. 3. Altchristliche, in einer Kirche eingemauerte (nicht verschleppte) Grabinschriften deuten auf das frühe Dasein kirchlicher Gebäude an den Orten, wo sie gefunden werden. Zur Zeit der Entstehung der Inschrift ist mit dem Vorhandensein auch einer Kirche zu rechnen. 4. Ein in einer Kirche gefundener Memorienstein setzt das mindestens gleichzeitige Vorhandensein eines christlichen Gotteshauses an oder in der Nähe des Fundortes voraus. 5. Zur Ermöglichung eines Rückschlusses auf die Einsetzung der betreffenden Kirche als Kultstätte bedarf es einer Untersuchung der Umstände der Auffindung, Herkunft und Entstehungszeit des heidnischen Denkmals.

In umständlicher Einzeluntersuchung geht F. alsdann den ältesten Spuren christlicher Kirchen in den Ortschaften der drei römischen Provinzen Niedergermanien, Obergermanien, Belgien nach. -- Die von F. aufgestellten Normen sind z. T. nicht neu, z. T. schließen die einzelnen Normen einander nicht aus, z. T. sind es Selbstverständlichkeiten, und einzelne Behauptungen bleiben unbewiesen. Auch die Ergebnisse des Verfassers kommen im allgemeinen nicht über die bisherige Forschung hinaus. Für die Anfänge des Christentums am Rhein bleibt auch fürderhin vorläufig noch maßgebend die Schrift von W. Neuß, Die Anfänge des Christentums im Rheinlande 1923; hübsche Ergänzungen dazu bietet für Köln der Aufsatz von G. Frenken, Die Patrozinien der Kölner Kirchen und ihr Alter (Jahrb. des Köln. Geschichtsvereins 1925).

Auch in dem Aufsatz von Zeiller ( 1928) über die Anfänge des Christentums in Gallien werden ältere Forschungen nicht überholt. Es zeigt sich vielmehr die Richtigkeit der Ergebnisse, zu denen Duchesne, vor allem in seinen Fastes episcopaux und seinen Origines chrétiennes schon vor Jahren gelangt ist. Sie gegen neuere Angriffe verteidigt zu haben, ist ein Verdienst des Verfassers.

Auf dem Gebiet der Missionsgeschichte hat sich Fr. Flaskamp durch seine Bonifatius-Forschungen Verdienste erworben. Er untersucht in Heft 1 der von ihm herausgegebenen Reihe: Missionsgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften das hessische Missionswerk des hl. Bonifatius. In streng wissenschaftlicher Forschung und Darstellung will dieses Unternehmen nach dem Geleitwort die Frage beantworten, wie das Christentum bei den germanischen Stämmen und in deren jeweiligem Siedlungsbereiche Eingang gefunden hat. Deutschtum und Christentum soll die Losung sein. Die Mitarbeiter sollen sich in ihrem Urteil nicht durch Absichten und Wünsche einzelner Richtungen und Bestrebungen bestimmen lassen.


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Man darf dem Verfasser der vorliegenden Arbeit ( 1930) zubilligen, daß er dieses objektive Ziel nicht aus dem Auge verloren hat. In gründlicher, vielfach minutiöser Quellenforschung baut er sein Werk auf und unterrichtet uns über den »bedeutsamsten Ausschnitt bonifatischen Wirkens«. Besonders sei hingewiesen auf die Auseinandersetzungen über die Verbindung mit der Staatsgewalt, die Geismartat, die Härten der bonifatischen Bekehrungsweise, sein Streben nach Anpassung und Ausgleich, die Klostergründung Fritzlar, das Gegenspiel des fränkischen Landesklerus und die Organisation der hessischen Kirche. Die Missionsarbeit des Bonifatius und seiner Gehilfen zeigt die besondere kolonisatorische Befähigung des angelsächsischen Volkes. Ihr Selbstbewußtsein, ihre Unternehmungslust, ihr Wirklichkeitssinn und ihre Ausdauer verhelfen ihnen zu ihren Erfolgen. Auch Bonifatius zeichnen diese Eigenschaften aus, sie trüben sogar gelegentlich seine Beziehungen zu Rom, so wenn er sich dagegen wehrt, daß durch ein ängstlich-starres Festhalten an der Strenge rein disziplinärer Vorschriften der Erfolg seines Werkes gefährdet wird (Beispiele: Ehehindernis der geistlichen Verwandtschaft; römische Neujahrsfeier u. a. Flaskamp, S. 25). -- Besonders willkommen sind die kartographischen Skizzen, welche der Arbeit beigegeben sind. Derselbe Verfasser ergänzt seine Bonifatius-Forschungen durch die genauere Bestimmung des Geburtsdatums für die Zeit vom Herbst 672 bis Herbst 673 ( 1929 a) sowie durch eine eigene Schrift über die homiletische Wirksamkeit des Heiligen ( 1931). Er stützt seine Ausführungen in der Hauptsache auf dessen Briefe und die seiner Bekannten sowie auf die einschlägigen Viten. Sowohl was die Form wie den Inhalt der Predigttätigkeit angeht, kommt Fl. zu interessanten Ergebnissen. Er zeigt, daß Bonifatius in der Volkssprache predigte, und daß seine Predigt in der Regel an die heilige Schrift anknüpfte. Wie schon für Hauck, so bilden auch für Fl. die Bonifatius zugeschriebenen »Sermones« eine plumpe Fälschung.

Durch ihre objektive Art heben sich die Forschungen Flaskamps angenehm ab von einer andern Arbeit auf dem Gebiete der mittelalterlichen Missionsgeschichte, die gleichzeitig erschienen ist. Sie behandelt die Missionsmethode Ottos von Bamberg, des »Apostels der Pommern« ( 1936). Auch hier sei anerkannt, daß die Tatsachen an Hand der Quellen methodisch und kritisch herausgearbeitet werden. Aber der Verfasser bekundet durch die völlig überflüssigen und unsachlichen Werturteile, daß ihn kein Verständnis mit dem Mittelalter verbindet; so z. B. wenn er »als Zielsetzung der Mission« die »äußerliche Einkirchung« (!) der Massen als spezifisch römisch-katholisch bezeichnet, oder wenn er gar »mit Entschiedenheit« betont, daß Otto von Bamberg »in den Fesseln römischen Kirchentums gebunden war und darum an die tiefsten Quellen der evangelischen Heilswahrheit nicht heranführen konnte.«

Die sprachliche Vergewaltigung (Einkirchung) zu rügen liegt an dieser Stelle kein Anlaß vor. Der Historiker muß aber Verwahrung dagegen einlegen, daß aus einer konfessionellen Einseitigkeit heraus neuzeitliche Begriffe in das Mittelalter hineingetragen werden, die ihm fremd sind. Das Mittelalter in seiner universalistisch fundierten Weltanschauung kennt keinen »römischen Katholizismus«, sondern nur eine einheitliche Christenheit. Aus der Eigenart der mittelalterlichen Welt sind auch die »Massenbekehrungen« zu erklären, wie sie sich ebenfalls bei Bonifatius finden, aber nicht aus einer angeblichen als besonders römisch charakterisierten Einstellung, welche darauf verzichtet, die


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zu Bekehrenden auch innerlich durch die Heilswahrheit des Evangeliums zu gewinnen und zu überzeugen, und die darum dem »Geist des Evangeliums« nicht entspricht. Die erwähnte Schrift von Flaskamp über die homiletische Wirksamkeit des hl. Bonifatius könnte hier den Verfasser eines Besseren belehren.

Im Zusammenhang mit Bonifatius seien zwei Arbeiten erwähnt ( 1932, 1933), die ihrer Methode wegen von allgemeinhistorischem Interesse sind. Ein dringendes Erfordernis auf dem Gebiete der mittelalterlichen Geschichte bildet die systematische Erforschung der Straßen. Alte Flurbezeichnungen, urkundliche Belege und Ausgrabungen helfen hier weiter. K. Th. Ch. Müller bedient sich dieser Hilfsmittel, um den Weg zu rekonstruieren, auf dem im Jahre 754 die Leiche des hl. Bonifatius von Mainz nach Fulda gebracht wurde, und um an diesem Wege am Ostabhang des Vogelsberges mit dem sogenannten »Mönchsbronnen« die Bonifatiusquelle der Wingershäuser Grenzbeschreibung von 1016 zu identifizieren.

Die kirchengeschichtliche Forschung Norddeutschlands wird das Erscheinen der dritten Auflage der Hamburgischen Kirchengeschichte des Adam von Bremen dankbar begrüßen ( 1935). Die von S. Steinberg mustergültig bearbeitete Übersetzung beruht auf der von B. Schmeidler hergestellten Schulausgabe für die Monumenta Germaniae, bedeutet daher gegenüber den früheren Auflagen einen erheblichen Fortschritt. In der Einleitung berührt B. Schmeidler die schwierige Frage nach der Herkunft Adams und den näheren Umständen seiner Übersiedlung nach Bremen. An der früher geäußerten Vermutung, daß Adam aus Bamberg stamme, hält Schm. fest und stützt sie durch neue Beweise. Im Zusammenhang damit steht die Frage der Verfasserschaft für eine Reihe von Stücken aus dem Codex Udalrici, auf dessen Bedeutung für die Geschichte der Kaiserlichen Kanzlei in anderm Zusammenhang H. Hirsch aufmerksam gemacht hat. Von seiner früheren Meinung abweichend, welche diese Stücke z. T. dem Mainzer Diktator zuschrieb, nimmt Schm. nunmehr für alle den Bamberger Diktator in Anspruch. Und dieser sei kein anderer als der bisher irrtümlich unter der Sigle Adalbero A geführte Schreiber der Reichskanzlei. Nach Schm. handelt es sich hier um einen dominus G. (vielleicht den Abt Gumpold von Michelsberg?), der von Bamberg ausgegangen und auf dem Weg über Bremen in die Königliche Kanzlei gelangt sei. Auf ihn gehen nach Schm. außer der auf den Namen Karls d. Gr. gefälschten Urkunde DK 245 auch die übrigen Bremer Fälschungen zurück, die der Codex Udalrici enthält. Und eben derselbe habe auch Adam i. J. 1065 aus Bamberg nach Bremen berufen, wie aus einem bisher falsch gedeuteten Briefe des dominus G. zu schließen sei. Man wird sich mit der umfassenden Beweisführung, die Schm. für diese hier gebotene kurze Zusammenstellung seiner Forschungsergebnisse verspricht, auseinandersetzen müssen. -- S. Steinberg berichtet in der Einleitung noch über die Entstehungszeit des Werkes, die handschriftliche Überlieferung, die Quellen. Besonderen Hinweis beansprucht auch Kapitel IV.: Adam als Geograph. Mit Rechtnennt ihn St. den bedeutendsten Geographen des Mittelalters; die Kongelige Nordiske Oldskrift-Selskab verdient den Dank der deutschen Wissenschaft dafür, daß sie für die vorliegende Übersetzung den Abdruck der von Bjørnbo entworfenen Karte gestattete, welche das Weltbild Adams von Bremen wiedergibt. Mehr poetisch als historisch-kritisch schließt die Einleitung mit dem Hinweis darauf, daß durch die Beschreibung, wie die Elbe nach langem Zug »mit


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Siegesbrausen das britannische Meer betritt«, Adam von Bremen ein ähnliches Naturgefühl bekunde, wie es bei Goethe in »Mahomets Gesang« zum Ausdruck gelangt.

Von den drei Schriften, die sich mit Ansgar beschäftigen ( 1937, 1938, 1939) sei namentlich die Rede von Scheel hervorgehoben. Hier wird in glücklicher Weise der Versuch durchgeführt, die Welt deutlich zu machen, in die Ansgar hineingestellt war. Er hatte Missionsarbeit zu leisten auf einem Boden, der zwar uraltes deutsches Gebiet, aber in den Stürmen der Völkerwanderung an die Slawen verlorengegangen war. Charakteristisch für seine Missionsarbeit ist es, daß er an den Mittelpunkten des damaligen nordischen Handels predigte und dort besondern Erfolg hatte, wo der Handel christliche Kaufleute hinführte. An der Annahme des Christentums hatten gelegentlich praktische Erwägungen der Kaufmannschaft wesentlichen Anteil. Das Werk Ansgars litt vor allem darunter, daß ihm der lebendige Rückhalt an der heimischen fränkischen Kirche fehlte. Nur Ebo von Rheims hatte noch den großen Gedanken der nordischen Mission aufgegriffen. -- Aus der Untersuchung von Haupt sei hervorgehoben der Nachweis, daß entgegen der Ansicht von Hauck u. a. das 12. Jahrhundert in der Geschichte des nordischen Kirchenbaues keinen Einschnitt bedeutet. Vorher wie nachher werden fremde Kräfte und fremdes Material (Tuff vom Rhein) herangeholt. In der Beurteilung Rimberts ( 1939) gelangt H. zu keinem von der bisherigen Forschung abweichenden Ergebnis. In seinem Kommentar sucht er die Lücken Rimberts durch Heranziehung anderer Quellen zu füllen.

Nach Süddeutschland führt die Schrift des Stiftsbibliothekars von St. Gallen A. Fäh ( 1940). Sie trägt einen mehr erbaulichen als wissenschaftlichen Charakter. Von kunstgeschichtlichem und kulturgeschichtlichem Interesse sind jedoch die zahlreichen beigegebenen Abbildungen.

Johannes Kapistranus ist einer der hervorragendsten italienischen Wanderprediger aus der Schule des hl. Bernardin von Siena († 1456). Er durchwanderte in den fünf Jahren seiner Tätigkeit in Deutschland fast den ganzen Süden und die Mitte, dazu Schlesien, Polen und Ungarn. Hofer gibt Aufschluß über die Predigtweise des Kapistranus ( 1943), nachdem schon früher E. Jakob, F. Dölle und G. Buchwald Predigtentwürfe von ihm veröffentlicht hatten. Johannes predigte lateinisch, ein Dolmetsch übersetzte das Gesagte ins Deutsche. Der Homilie zog er die thematische Predigt vor und setzte sich vor allem zur Aufgabe, die Verbreitung der Verehrung seines Lehrers Bernardin zu fördern und die Rückkehr der Hussiten herbeizuführen. Er liebte Predigtreihen über ein bestimmtes Thema. Bei der steigenden Bedeutung, welche im 15. Jahrhundert die Predigt nahm, als in fast allen Städten besondere Predigtpfründen gegründet wurden, sind Untersuchungen, wie die vorliegende, besonders zu begrüßen.

Nationalem Chauvinismus dient das Buch von J. Herben ( 1942). Er feiert Hus als tschechischen Nationalheiligen, gewissermaßen als seinen Testamentsvollstrecker Masaryk, den Begründer der Tschechei; das »himmlische Licht«, welches in Böhmen seit 1918 die tschechische Nationalkirche, die neuen böhmischen Brüder, von Rom trennt, soll bestimmt sein, das Licht Europas zu werden. Solchen Verstiegenheiten und Phantasmagorien gegenüber erübrigt sich eine Kritik.

Eine sehr ernsthaft geschriebene Studie verdankt die politische und kirchliche Geschichte des Mittelalters D. W. Lowis ( 1941). Im Mittelpunkt der


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Darstellung stehen die Kämpfe um Lothringen und der Thronwechsel von den Karolingern zu den Kapetingern. Die Stellung der Bischöfe war zwiespältig. Einige wenige, unter ihnen Egbert von Trier und Arnulf von Rheims, hielten offen zu Karl, dem karolingischen Prätendenten. Der Sieg der Kapetinger führte zur Gefangennahme Karls und zur Absetzung Arnulfs durch eine fränkische Synode. In die Streitigkeiten mischte sich der Papst. L. verfolgt den Kampf der gallischen Bischöfe um ihre Unabhängigkeit, in dessen Verlauf bereits damals in einem Briefe an den Papst »Gott über den Menschen, die Kirche über den Papst und die Bibel über die Dekretalen« gestellt wurden.

Ein weiterer Abschnitt behandelt die lothringische Reformbewegung und die Anfänge der Kluniazenser. Von allgemeinerer Bedeutung ist das Schlußkapitel: die Kirche und der Feudalstaat. L. zeigt hier die völlige Verweltlichung der Kirche im Gefolge ihrer engen Verbindung mit dem staatlichen Leben. Aber er weist auch weiter darauf hin, wie die Kirche ihrer Struktur nach das feudale Element aus sich selbst heraus schließlich überwindet; sie ist nämlich ihrem Wesen nach nicht-feudal: Als die Verkünderin des Göttlichen und die Hüterin des Naturrechts verlangt sie die Gleichheit aller Menschen vor Gott; sie kennt für die kirchlichen Stellen kein Erbprinzip; durch die Salbung und das Gottesgnadentum verleiht sie dem König eine Weihe, die ihn über die Stellung eines bloßen Hauptes der Feudalhierarchie hinaushebt (das wird gerade vom französischen Königtum besonders ausgenützt im Kampf gegen die Feudalgewalten); sie ist international; sie ist die Trägerin des Friedensideals in Staat (politisch) und Gesellschaft (sozial).


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