II. Kirchengeschichte der einzelnen Territorien.

Einen willkommenen Beitrag liefern jene Quellen, die uns über die innere Geschichte der Kirche, die Pflege des religiösen Lebens unterrichten. Hierzu gehört z. B. die Predigtliteratur, es rechnen aber dazu auch Nachrichten über den Dienst an den Pfarrkirchen. Seitdem 1904 Fr. Falk die pfarramtlichen Aufzeichnungen des Florentius Diel an St. Christoph in Mainz veröffentlichte, erschienen wenige Jahre später die Notizen des Dr. Eck. Handelte es sich hier beide Male um eine größere städtische Kirche, so wird nunmehr von J. Götz das Pfarrbuch des Stephan May in Hilpoltstein herausgegeben, einem kleinen Landstädtchen im Bistum Eichstätt ( 1945). Die Aufzeichnungen gewähren einen Einblick in den liturgischen Gottesdienst, die Jahrtagstiftungen, die Verwaltung des Pfarrers, seine Tätigkeit als Seelsorger und Spender von Sakramenten, sein Einkommen und seine Hilfskräfte. -- Von rein lokalgeschichtlicher Bedeutung ist die Arbeit J. Büchels ( 1946) über die Geschichte der Pfarrei Eschen im Fürstentum Liechtenstein. -- Die kirchlichen Verhältnisse der Herrschaft Bipp bis zur Reformation ( 1947) bieten ein Beispiel dafür, wie ursprüngliche Eigenkirchen weltlicher Grundherren vielfach schließlich am Ende des Mittelalters in den Besitz von Klöstern oder Kommunen gelangen. So befindet sich Oberbipp bei Bern, und Niederbipp wird 1322 dem Zisterzienserkloster St. Urban geschenkt.

Untersuchungen wie die von K. Schönenberger ( 1948) über das Bistum Konstanz während des großen Schismas haben deswegen ihren großen Wert, weil sie an einem konkreten Beispiel allgemeine geschichtliche Auswirkungen klar aufdecken. Hier handelt es sich um die Folgen des Schismas auf das kirchliche Leben eines Bistums. Die Wahl von Konstanz ist deswegen geschickt, weil Konstanz mit seinen 800 Quadratmeilen das größte mittelalterliche


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Bistum darstellt. Ein großer Teil der Ostschweiz, Teile des heutigen Bayern, fast ganz Württemberg und Baden rechnen dazu. Daher gehören zu Konstanz die verschiedenartigsten Territorien. Nun ist es von Interesse zu beobachten, wie eine kaum übersehbare Fülle von Gegensätzen durch das Schisma geschaffen wird. Bischof und Gegenbischof stehen meist einander gegenüber wie Papst und Gegenpapst. Durch doppelte Servitienzahlungen nach Rom und nach Avignon, durch die Resignationsgelder derjenigen Partei, die sich durchsetzt, an die zurücktretende verschuldet das Hochstift derart, daß z. B. der begüterte Friedrich v. Nellenburg, der 1398 einstimmig gewählt wurde, am zehnten Tage nach der Wahl freiwillig auf das Bistum verzichtete. Außer den Besitzungen, die sie verpfänden mußten, sahen sich die Bischöfe auch genötigt zur Preisgabe von bischöflichen Rechten zugunsten der Stadt Konstanz, zugunsten von größeren und kleineren Territorialherren. Die Städte und Territorien des Bistums waren zuerst in großer Zahl zur avignonesischen Obödienz übergetreten. Sie kehrten zumeist zu Rom zurück. Nur Österreich, daher auch die vorderösterreichischen Besitzungen mit Freiburg als Vorort, und diejenigen Kantone der Schweiz, in denen wie im Thurgau österreichischer Einfluß vorwaltete, blieben der Hort der avignonesischen Richtung.

Die von Brauner veröffentlichte Bibliographie ( 1949) ist ein Versuch, die auf das Elsaß bezügliche katholisch-kirchliche Geschichtsliteratur zusammenzustellen. --Stenzel ( 1950) gibt an der Hand neu erschlossenen Materials, das er vor allem den Missivbüchern des Straßburger Domkapitels entnimmt, eine ausführliche Darstellung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem berühmten Münsterprediger und dem Domherrn und spätern Bischof von Augsburg. Sehr charakteristisch ist der Einblick, den wir dabei in die Besetzung hoher geistlicher Stellen in der damaligen Zeit gewinnen: die Einwirkung des Gegensatzes der Häuser Habsburg und Wittelsbach einerseits und der Wettlauf adeliger Pfründenjäger anderseits. -- Eine bislang noch nicht hinreichend ausgeschöpfte historische Quelle bilden die Protokolle des Metzer Domkapitels; sie sind von 1342 an fast lückenlos erhalten. Grimme druckt daraus Notizen ab, die sich auf die Dombaumeister, den Dombau, die Beschaffung von Orgel und Glocken beziehen ( 1951). -- In großen Zügen entwirft H. v. Schubert ein Bild der Entwicklungsgeschichte der Kirchen am Rhein ( 1952). Eine große erste Epoche endet mit dem Ausgang der Karolinger: Völlige Christianisierung und kirchliche Organisierung des Rheinlandes. Das Mittelalter bedeutet die zweite große Epoche: Die Umbildung der ottonischen Reichskirche zum geistlichen Territorium. Die dritte Epoche gehört der Neuzeit an. Die konfessionelle Spaltung Deutschlands verläuft am Rhein so, daß im Norden, im Gebiet der rheinischen geistlichen Kurfürsten, der Katholizismus die Oberhand behält, während im Süden, im Bereich der Reichsstädte von Frankfurt bis Basel, der Protestantismus an Boden gewinnt. Im Rahmen des Katholizismus findet die Staatskirchenlehre des Febronius am Rhein ihren festesten Rückhalt, wie sich 1786 in Ems und bei der Gründung der kurkölnischen Universität Bonn zeigte. Vom Rhein aus wird im 20. Jahrhundert unter dem Einfluß der Romantik das katholische Leben neu gestärkt. Von hier aus tritt auch für den Protestantismus die rheinisch-westfälische Kirchenordnung ihren Siegeszug durch Preußen an.

Wird von H. v. Schubert mehr die äußere Kirchengeschichte behandelt, so hat sich H. Bruders S. J. zur Aufgabe gesetzt, die Theologie der Rheinlande


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von 925--1925 darzustellen ( 1953). Der Untertitel: Dogmengeschichtliche Entwicklungsmomente zur Definition der Immakulata und der Unfehlbarkeit zeigt an, daß für das Buch in erster Linie dogmatische Gesichtspunkte maßgebend waren. Man könnte das Werk an dieser Stelle übergehen, wenn nicht die tendenziöse Einseitigkeit, mit der Br. die geschichtlichen Tatsachen verzeichnet und vergewaltigt, zu scharfem Widerspruch und unerbittlicher Ablehnung herausforderte. Man wird von der vornehmsten Pflicht des Historikers, der Pflicht zur leidenschaftslosen Objektivität, auch dann nicht entbunden, wenn man, wie Br. das in diesem Buche tut, auf eine wissenschaftliche Darstellung bewußt verzichtend gemeinverständlich schreiben will; es wächst vielmehr die Verantwortlichkeit, je größer der Kreis ist, an den man sich wendet.

Der durch die Erforschung der Geschichte der Kölner Dominikaner rühmlichst bekannte P. Gabriel Löhr gibt in den Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland das Diarium des Priors Servatius Fanckel aus dem 15. Jahrhundert heraus, das sich in der Frankfurter Stadtbibliothek befindet ( 1956). Wie die Pfarrbücher über das innere Leben der Pfarreien, so berichtet dieses Diarium vor allem über den wissenschaftlichen Betrieb in dem Studium generale der Kölner Dominikaner. Wir erfahren für einen Zeitraum von 20 Jahren (1467--1488) nicht nur die Themen von zirka 255 öffentlichen Disputationen, sondern auch die Namen der Defendenten und Opponenten. Es zeigt sich, daß an der Kölner Universität die entgegengesetztesten theologischen Richtungen nebeneinander vertreten waren. Fanckel zählt von 1467--1488 23 Doktorpromotionen. Von den 23 sind 14 Thomisten, 5 Albertisten, 3 Skotisten, 1 Nominalist; es ist der Baccalar Joh. Alen. Er nimmt eine Sonderstellung ein, wegen deren er in Schwierigkeiten gerät: »bene scopatus fuit«, heißt es einmal von ihm. -- Bezüglich der Bedeutung der Disputationen vertritt Löhr unter Berufung auf ihren Inhalt die sehr einleuchtende Ansicht, daß sie nicht nur eine Paradeschau, ein »geistiges Turnier« (G. Kaufmann) darstellten, sondern auch den praktischen Zweck verfolgten, für die Studierenden eine Generalrepetition eines theologischen Traktates zu sein.

Mehr erbauliche als wissenschaftliche Ziele verfolgt die biographische Skizze über den heiligmäßigen Franziskaner Dietrich Coelde von Münster; † 1515 ( 1957, vgl. 2008). --Jänecke weist nach ( 1959), daß erst um 1100 bei den Landkirchen Westfalens der Steinbau allgemein einsetzt. Während in der fränkischen und ottonischen Zeit in den Klöstern die Baumeister zu suchen sind, kommen vom 12. Jahrhundert an die städtischen Bauhütten und Bauschulen auf, in Westfalen unter Vorantritt von Soest und mit Befruchtung durch die Rheinlande.

Pfitzner liefert mit dem Nachweis der Verwandtschaft von Bischof Thomas I und Thomas II in Breslau ein Beispiel für den wachsenden Einfluß, den seit dem Wormser Konkordat der einheimische Adel auf die Besetzung der Bistümer gewann ( 1961).


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