I. Gesamtdeutsche Entwicklung.

Die Teilung des Berichtes in einen allgemeinen und territorialen Teil bedeutet diesmal ungefähr auch die Gliederung des Stoffes nach einem andern Gesichtspunkt. Denn der erste Abschnitt enthält vorwiegend Hinweise auf Arbeiten kirchenrechtlicher Natur, unter denen Beiträge französischer Gelehrter stark vertreten sind. Der zweite Teil ist geradezu ausschließlich der Besprechung von Arbeiten auf dem Gebiete der kirchlichen Verfassung gewidmet und es sind besonders wertvolle Leistungen, die dort


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hervorzuheben sind. -- Das Autorenverzeichnis zum Archiv für katholisches Kirchenrecht ist, in zwei Teile, in einen systematischen und in einen alphabetischen gegliedert, erschienen. Im 106. Bd., 83 ff. berichtet Hilling ( 2022) als Verfasser über die Entstehungsgeschichte und Einrichtung dieses Registers.

Mit der kritischen Bearbeitung und Herausgabe von Quellen des kanonischen Rechtes beschäftigen sich folgende Abhandlungen. Fournier ( 2037) gibt Nachricht von drei unbekannten Canonessammlungen, die dem 9. Jahrhundert angehören und für den reformatorischen Geist dieser Zeit Zeugnis ablegen. Die erste liegt unter dem Titel »Institutio canonum« in dem aus der Abtei Faverney stammenden Ms. 73 aus dem 10. Jahrhundert der Bibliothek von Vesoul vor und enthält den Text eines bisher unbekannten Diözesanstatuts, das wahrscheinlich dem Beginn des 9. Jahrhunderts zugehört und für die Statuta Bonifacii archiepiscopi und für das zweite Buch des Benedictus levita Quelle gewesen ist. Die zweite Sammlung liegt in der Hs. 201 s. IX. der Bibliothek zu Laon aus dem dortigen Kathedralkapitel vor und ist schon von Werminghoff und Seckel benutzt worden. Das Gegenstück bietet die Sammlung Dubrowski in Petrograd. Fournier ist geneigt, die Entstehung der Sammlung in den Norden Frankreichs (Corbie oder wahrscheinlicher Cambrai) oder in die Diözese Basel zu verlegen. Endlich enthält die Pariser Nationalbibliothek im cod. 452 des 9. Jahrhunderts und die Vatikanische Bibliothek im cod. 407 des 10. Jahrhunderts eine Sammlung in zwei Büchern, von denen das eine als Handbuch für den theologischen Unterricht gedient hat, das andere Canones enthält, die zur Ergänzung der Dionisio-Hadriana bestimmt sind. -- Mit besonderer Rücksicht auf R. Sohms Werk »Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gratians« legt Gillmann ( 2026) Einleitung und System des Gratianischen Dekrets nach den alten Dekretglossatoren bis Johannes Teutonicus dar. In steter Polemik mit dem berühmten Rechtslehrer wird betont, daß allen Dekretisten, die einzeln vorgenommen werden (Pancapalea, Rolandus Bandinellus, Rufinus, Stephan von Tournai, Summa Parisiensis, Coloniensis, Monacensis, Kommentar zum ersten Dekretteil »Antiquitate et tempore«, Simon von Bisiniano, Siccard von Cremona, Huguccio) von einer Einteilung und einem System des Dekrets im Sinne Sohms nichts bekannt sei. Die Quellen reden von der Dreiteilung des Dekrets als einer auf Gratian selbst zurückgehenden Gliederung. Selbst Stephan von Tournai kann den wahren Sachverhalt nicht verdunkelt haben, da auch er erklärt, »Gratianus ... huius operis sui seriem trifariam digessit«. Auch unterscheidet z. B. Roland zwischen Sakramenten einerseits, Binden und Lösen andererseits. Es kann also nach Ansicht des Verfassers auch die Meinung Sohms nicht zutreffen, daß »das System Gratians das System der Sakramente« sei und es »nach Gratian anderes kanonisches Recht als das der Sakramente nicht gebe«. -- Derselbe Verfasser ( 2031) stellt die Glossen zusammen, die ihm bisher vom Magister Silvester, einem der ersten Kommentatoren des Gratianischen Dekrets, bekannt geworden sind; aus einer Erwähnung Silvesters im Tankredapparat geht ferner hervor, daß Silvester über die Compilatio I las und daß Tankred seine bezüglichen Vorlesungen hörte. -- A. Auer ( 2040) hat in der Wiener Nationalbibliothek eine sehr interessante Denkschrift über das große Interdikt des 14. Jahrhunderts aufgefunden, die der Dominikanermönch Johann von Dambach († 1372) als »Exhortatio ad Carolum IV.« verfaßt hat. Aus dem lateinischen Text, der mit einer deutschen Inhaltsangabe


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veröffentlicht wird, ergibt sich, daß Johann von Dambach die Verwilderung des Klerus darlegt, aus der nur der König, wenn er beim Papst dafür eintrete, Rettung bringen könne. Karl IV. wird an seine Sendung als Weltkaiser erinnert (quando K littera laudabitur id est quando Karolus rex sive imperator in se et suo semine in celo pariter et in terra laude dignus invenitur), er wird ermahnt, für einen allgemeinen Nachlaß kirchlicher Strafen zu wirken und auch dafür, daß die Frage, ob und wann der Bestrafte als vitandus anzusehen wäre, neu geregelt werde. Tatsächlich ist Johann von Dambach 1348 im Auftrage Karls IV. beim Papst für eine Neuregelung der durch die Interdizierung Ludwigs und seiner Anhänger entstandenen Fragen eingetreten. Da in der Denkschrift außerdem von der Erhebung der Wenzelreliquien im Prager Dom die Rede ist, die 1346--1348 erfolgte, und Johannes nachweislich 1347 in Prag gewesen ist, kommen als wahrscheinliche Entstehungszeit des Traktats die Jahre 1347--1348 in Betracht. -- Von einer ungedruckten, in Dialogform gehaltenen Reformschrift »Liber dialogorum hierarchie subcelestis« bietet R. Scholz ( 2041) vorderhand eine Inhaltsangabe; sie ist bisher fälschlich in die Zeit Urbans VI. verlegt worden, wobei man übersah, daß am Schluß des cod. lat. vat. Regin. 715 eine genaue Datierung (1406, Nov. 16) geboten wird. Möglich, daß der Bischof Michael Pauli de Pelayallo von Siena, der aus dem Dominikanerorden hervorgegangen ist, als Verfasser in Betracht kommt, allgemein kann nur behauptet werden, daß ein Romane am Werk war, den starke Sympathien zu Frankreich und zur griechischen Kirche hingezogen haben. Dies entspricht vollständig der Entstehung im Jahre 1406, in dem nach der Schlacht bei Angora die Frage der Kirchenunion wieder lebhafter erörtert wurde. Die Interessen des Verfassers als Ordensgeistlicher und Bischof treten scharf hervor, die Wiederherstellung des kanonischen Lebens ist das Ziel, für das er eintritt, und nicht nur der Beseitigung des abendländischen Schismas, sondern der Herstellung der vollen kirchlichen Einheit des Abend- und Morgenlandes gelten seine Bemühungen. Die Schrift bietet »eine fast vollständige Übersicht über die einzelnen Teile der Kirchenverfassung in historisch-moralischer Beurteilung«. In der Vorliebe für das Griechentum tritt die beginnende Renaissancestimmung deutlich hervor.

Die Quellen aus der Frühzeit des Mittelalters haben, kritisch erforscht, zwei wertvolle Beiträge zur Kenntnis des frühmittelalterlichen Kirchenrechtes geliefert. Levison ( 2033) hat aus den Actus Silvestri, einem Heiligenroman des 5. Jahrhunderts, und zwar aus dem zweiten Abschnitt, der von Konstantins Aussatz, Heilung und Bekehrung berichtet, die Stellen ausgehoben, die »das Gebiet eigentlichen Rechtes, und zwar Staatskirchenrechtes« betreffen. Eine von diesen, die »eine Anerkennung des päpstlichen Primats im vollsten Umfang, wenn auch Kraft kaiserlicher Verleihung« bedeutet, ist in den späteren Jahrhunderten wiederholt verwertet worden und hat sogar »in die kanonistischen Sammlungen von Anselm von Lucca und Deusdedit« Eingang gefunden. -- In einer Aufsatzreihe, die im 82. Band der Bibliothèque de l'école des chartes beginnt, im 86. fortgesetzt und im 87. vollendet ist, hat Levillain ( 2034), unternommen, die weltliche und kirchliche Verfassung der Abtei St. Denis in der Merowingerzeit darzustellen. Die Natur des Quellenstoffes bringt es dabei mit sich, daß seine Ausführungen auf weite Strecken in diplomatische Erörterungen über Echtheit und Unechtheit der älteren Kaiser- und Papsturkunden


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übergehen. Und wer den Urkundenbestand dieser berühmten Abtei kennt, der in der Geschichte der diplomatischen Wissenschaft seit ihrer Begründung eine Sonderstellung einnimmt, der weiß auch, daß bei solcher Fragestellung, die aus der Gesamtheit des Quellenstoffes einen Teil herausgreift, eine alle Zweifel überwindende Klärung der kritischen Fragen als Grundlage für eine rechtsgeschichtliche Darstellung nicht ganz leicht zu gewinnen ist. Mit dieser Mahnung zur Vorsicht, die den Fortschritt, den die Arbeit Levillains bedeutet, nicht verkleinern will, seien folgende Ergebnisse vorgeführt. Die Basilika von St. Denis, 475 begründet, erhielt nach ihrer Umwandlung in ein Kloster auf Bitten Chlodwigs II. 653 vom Bischof Landerich ein Privileg, dessen echter Text im 11. Jahrhundert verloren gegangen ist; doch geben uns Verleihungen Chlodwigs II. (654) und Teuderichs IV. (724) eine ungefähre Vorstellung von dem Inhalt. Exempt war St. Denis in merowingischer Zeit nicht. Landerich hatte sich die iura pontificalia vorbehalten, erst in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts hat es unter dem Einfluß des Erzkaplans Fulrad die Freiheit in geistlichen Angelegenheiten erlangt. Dieser Tatbestand bot Anlaß zu Fälschungen von Urkunden Landerichs, Chilperichs II., Dagoberts I. und Childerichs anläßlich eines Prozesses, den die Abtei 1065 in Rom führte. Die Immunität von St. Denis geht ins Jahr 657 zurück, durch sie haben die Besitzungen der Abtei die bevorrechtete Stellung der königlichen Fiskalgüter erlangt. Mit der Verleihung der Immunität war der besondere königliche Schutz in älterer Zeit bekanntlich nicht verbunden; es ist bei dem Stande der urkundlichen Überlieferung schwer zu entscheiden, wann St. Denis auch des Königsschutzes teilhaftig geworden ist. Doch erscheint die Abtei von 659 bis zum Ausgang der Merowingerzeit den Königen und den Hausmeiern gegenüber in einer Stellung, die der einer mit königlichem Schutz beteilten Abtei entspricht.

A. Pöschl ( 2028) gibt eine Darstellung der Entstehung des geistlichen Benefiziums, das er »die elementarste Größe im Aufbau der kirchlichen Verfassung durch lange Zeiträume« nennt. Als Ziel seiner auf mehr als 20 jähriger Forscherarbeit beruhenden Untersuchung stellt er die teilweise Rückkehr zu älteren Auffassungen hin, wie sie Thomassin in seiner vetus et nova ecclesiae disciplina circa beneficia et beneficiarios schon im 18. Jahrhundert vertreten hatte. Die neue Benefizientheorie, die Pöschl »unabhängig von allen noch so feststehend scheinenden Ansichten« aus den Quellen heraus darstellt und eingehend begründet, gipfelt in dem Satze, »daß das geistliche Benefizium im später typischen Sinne -- als ständiges und ständig verliehenes kirchliches Amt oder Amtsgut -- soferne es dabei als Allgemeinerscheinung in Frage kommt, keineswegs schon ein Produkt des karolingischen Zeitalters, sondern vielmehr erst ein solches des 12. Jahrhunderts ist« ... daß es »erst der kanonisierenden Interpretationskunst der scholastischen Juristen seine Entstehung verdankt«. Das Wort beneficium hat »mehrfach seine Bedeutung gewechselt, ... noch im 11., ja selbst bis weit ins 12. Jahrhundert hinein« wird es »als Fremdkörper im Organismus des kirchlichen Rechtes und der kirchlichen Verfassung empfunden«. »Eine feste Verbindung der Benefizialgüter mit den amtlichen Stellungen« ist erst »etwa seit dem Ausgang des 11. Jahrhunderts« gegeben. Die vier Abschnitte, in die der Verfasser seine große Abhandlung gliedert »Das Benefizialwesen im allgemeinen und seine Beziehungen zur Kirche« »Kirchliche Güter und Anstalten als Benefizien« »Geistliche Ämter


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als Benefizien bis zum 12. Jahrhundert« »Die Entwicklung des kirchlichen Benefizium nach dem 12. Jahrhundert« wird jeder Vertreter des kanonischen Rechtes mit Gewinn lesen, wenn ihn auch im einzelnen manches befremden und er in der Hauptsache zu einem ablehnenden, der Gültigkeit neuerer Anschauungen entsprechenden Standpunkt gelangen sollte. Auf § 17 des 4. Abschnittes, der den höheren Kirchenämtern gewidmet ist, sei eigens hingewiesen. Pöschl wendet sich dort gegen die Auffassung Fickers, als seien die Regalien »der ganze Besitz der Kirchen an irdischen Gütern und Machtmitteln gewesen« und stellt dafür zu Beweis, daß den Reichskirchen gegenüber jener Regalienbegriff zur Anwendung gelangt sei, der als Inbegriff aller »ihrem Wesen nach in den Bereich des Staates als unverlierbarer, unveräußerlicher Bestand gehörenden Größen« im 12. Jahrhundert besonders im Kampfe Friedrichs I. mit den lombardischen Städten ausgebildet worden ist. Die Regalien der Kirchen wären also »ein viel engerer Kreis von Gütern und Rechten innerhalb ihres Gesamtbesitzstandes gewesen«. Pöschl würde m. E. der von ihm vertretenen Lehre nützen, wenn er seine Ergebnisse in einer abgerundeten Gesamtdarstellung vorlegen würde, und nicht in einzelnen Abhandlungen, in denen auf die bereits erschienenen ebenso verwiesen wird wie auf die, die noch in Aussicht stehen. -- Den eben vorgezeichneten Weg hat Lesne ( 2036), mit einem ähnlichen Thema beschäftigt, beschritten. Von seiner Geschichte des Kirchengutes in Frankreich ist im Berichtsjahr die zweite Hälfte des zweiten Bandes erschienen, die eine eingehende Darstellung der Rechte des westfränkischen Königs über Kirchen und Kirchengüter enthält. Im Vordergrunde der in zwei Abteilungen gegliederten Untersuchung stehen die Entscheidung über die rechtliche Natur dieser Kirch-Herrschaft des Königs und die Beantwortung der Frage, welchen Gebrauch die Herrscher mit diesen Rechten Bistümern und Klöstern gegenüber gemacht haben. Rechte des Gründers, des Schutzherrn und Königs haben bischöfliche Kirchen und Abteien zu königlichem Eigentum und zu königlichen Benefizien gemacht. Die Arbeit, der man sorgfältige Benutzung der Quellen nachrühmen darf, bietet eine ziemlich vollständige Darstellung der Kirchenverfassung der westfränkischen Reichshälfte im 9. Jahrhundert und soll der deutschen Forschung schon deshalb zur näheren Berücksichtigung empfohlen werden, weil sich im ostfränkischen Reichsteil während des 9. und 10. Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung vollzog, die die Vertreter der deutschen Verfassungsgeschichte vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Entfaltung des Eigenkirchenrechtes auf die höheren Stufen der kirchlichen Organisation zu sehen und darzustellen gewohnt sind. Eben deshalb aber hätte die deutsche rechtsgeschichtliche Literatur in weiterem Ausmaß, als das tatsächlich der Fall ist, herangezogen werden sollen. Von den in Gefolgschaft der Lehre von Stutz entstandenen Arbeiten erscheint nur die von Voigt über die Klosterpolitik der karolingischen Herrscher stärker benutzt, Arbeiten von Stutz werden erwähnt, aber nicht alle, die eine Anführung verdient hätten. So wäre die wichtige Feststellung auf S. 65, daß nach Hincmar von Rheims die Bistümer und Abteien beneficia seien, die sie aus der Hand des Königs empfangen, unbedingt in Beziehung zu den Ausführungen von Stutz Realencyklopädie f. protest. Theol. u. Kirche 23, 370 zu setzen gewesen, nach denen die Denkschrift, der diese Worte entstammen, eine unbedingte Anerkennung und Verteidigung des königlichen Eigenkirchenrechtes durch den führenden Kirchenpolitiker Westfranciens

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im 9. Jahrhundert bedeutet. Der kirchliche Standpunkt des Verfassers tritt wiederholt deutlich hervor.

Im Kirchenrecht des hohen Mittelalters nehmen Investitur und kanonische Wahl ebenso einen hervorragenden Platz ein wie in dem des späteren Mittelalters Ablaßlehre und Pfründenwesen. Das Buch von Paul Schmid ( 2038) über den Begriff der kanonischen Wahl in den Anfängen des Investiturstreites hat wie die meisten auf Anregung von J. Haller entstandenen Bücher die Aufmerksamkeit der Forschung in besonderem Maße auf sich gezogen. Freilich hat der leider früh verstorbene Verfasser nicht mit allen seinen Ergebnissen Beifall gefunden. Der Hauptsatz seiner Ergebnisse, daß der alte Begriff der kanonischen Wahl unmittelbar vor dem Investiturstreit in den kirchlichen Kreisen Deutschlands allgemein aufgegeben gewesen und durch einen neuen ersetzt worden wäre, hat den Widerspruch Scharnagls (Zs. d. Sav. Stift. f. Rg. kan. Abt. 16, 443 ff.) gefunden, der aber die »wertvollen Anregungen und Aufklärungen«, die die Schrift sonst bietet, anerkennt. -- In der Revue de l'histoire de religion 94 (1926) gibt A. Dulac einen Überblick über die Bischofswahlen in der lateinischen Kirche während des Mittelalters. In zwei Kapiteln wird die Entwicklung von Gregor dem Großen und Caesar von Arles bis auf Gregor VII. und dann von diesem bis zu den Konkordaten des 15. und 16. Jahrhunderts geführt. Ein Eingehen auf Streitfragen und eine Bezugnahme auf die Lehre von der Eigenkirche kann von einem Aufsatz, der auf 27 Seiten ein derart umfassendes Thema behandelt, nicht erwartet werden, aber auch sonst gewinnt man den Eindruck, daß die Darstellung ungleichmäßig ist; am Schluß wird der Leser auf 4 Seiten vom 12. Jahrhundert bis zum Ausgang des Mittelalters geführt. -- Die Arbeit von Ruffini Avondo Conclave laico e conclave ecclesiastico (Torino, Bocca 1926), in der auf die Vorbilder des Papstkonklaves hingewiesen wird, die in den Wahlvorgängen einzelner Kommunen (Venedig 1223, Bologna 1250, Vicenza 1264, Pistoja 1283) gegeben sind, wird im Hinblick auf die der nämlichen Sache gewidmeten Arbeiten von Wenck (vgl. n. 1908) und die Miszelle von Stutz (Zs. d. Sav. Stift. f. Rg. kan. Abt. 17, 555 ff.) die Berichterstattung der beiden folgenden Jahre zu beschäftigen haben. -- Der Ausspruch Bonifaz' VIII. »Romanus pontifex iura omnia in scrinio pectoris sui censetur habere« bedeutet nach Gillmann ( 2025) nicht, daß der Papst mit diesem Wort das Recht der allgemeinen Gesetzgebung sich zugeschrieben und sich eine schrankenlose Allmacht übertragen habe. Unter Hinweis auf die Dekretglossatoren Petrus Hispanus, Alanus, Laurentius Hispanus, Vincentius Hispanus, die alle dieses Wort kennen, wird auseinandergesetzt, daß damit der »Umfang der päpstlichen Rechtschaffungs- und Gesetzgebungsgewalt« also eine päpstliche Allgewalt auf dem Gebiete des kirchlichen Rechtes gar nicht bezeichnet sein sollte. Der angeführte Ausspruch sei nur darauf zu beziehen, daß bei dem Papst die Kenntnis des gemeinen kirchlichen Rechts -- zum Unterschied von den kirchlichen Sonderrechten -- vorausgesetzt werden dürfe. -- 1265 hatte Clemens IV. unter dem Eindrucke des Kampfes, der damals alle seine Kräfte in Anspruch nahm, die Verfügung getroffen, daß dem Heiligen Stuhl das Verfügungsrecht über alle Würden, Pfründen und kirchlichen Benefizien zustehe. Das war ein schwerer Schlag für alle, in deren Hand die ordentliche Verleihung sich bisher befunden hatte. Seit dem Ende des 14. und dem Beginn des 15. Jahrhunderts setzen, wie Sznuro ( 2027) darlegt, Bestrebungen


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nach Wiedererlangung der verlorenen Rechte ein, die von den Fürsten und den Universitäten gefördert worden sind. 1418 wurde auf dem Konzil von Konstanz bestimmt, daß dem Papst nur die Hälfte aller freien Stellen zustehe (alternis vicibus ... unum cedat apostolico, aliud collatori). Zeigt schon das Wiener Concordat von 1448 das Fortschreiten der Ansprüche der andern Seite dem Papsttum gegenüber, so ist in der Neufassung des kanonischen Rechtes von einem Alternativrecht, abgesehen von gewissen Ausnahmen, nicht mehr die Rede, das ordentliche Verleihungsrecht für Benefizien ist in die Hände des Diözesanbischofes gelegt. --Hashagen ( 2042) bespricht die landesherrliche Ablaßpolitik vor der Reformation und legt dabei die Zusammenhänge zwischen der Verweltlichung der Kirche und der Ausbreitung des Laieneinflusses auf diese dar. Fast könnte man die Einordnung des Ablasses in die fürstliche Finanzpolitik des späteren Mittelalters seine Säkularisierung nennen, wenn man liest, wie Ablaßgelder ziemlich allgemein teilweise oder ganz von Königen und Fürsten für nichtkirchliche Zwecke verwendet worden sind. »Landesherrliche Ablaßhoheit und -kontrolle, ergänzt durch ein Ablaßmonopol« wären für die weltlichen Herren nicht in diesem Ausmaß erreichbar gewesen, wenn nicht in dem »angeblich rein kirchlichen Institute« des Ablasses »so viel Weltliches gesteckt« hätte. Das kommt nicht allein in den Mißbräuchen einzelner Ablaßprediger und Ablaßkommissäre, sondern auch in der Tätigkeit gefestigter Persönlichkeiten, wie des französischen Kardinals Peraudi († 1565) zum Ausdruck. Zwar war schon 1274 von der Kurie eine grundsätzliche Trennung von Predigt und Geldeinsammlung durchgeführt worden. Doch bleibt die Scheidung schon im 13. Jahrhundert eine Ausnahme. --Gillmann ( 2032) legt dar, wie sich Vincentius Hispanus in seinem Kommentar zu den Dekretalen Gregors IX., und zwar in seinem Apparat zur Compilatio I über den Ablaß geäußert hat. -- Die Bemerkungen von E. Stolz ( 2029) über das erste Auftreten der Bezeichnung parochus, nach denen die Facetiae Augustin Thüngers von 1486 nicht den Anspruch, die erste Erwähnung zu enthalten, erheben könnten, haben eine rasche Antwort von Stutz zur Folge gehabt, in der er auf ein anderes Zeugnis aus der nämlichen Gegend von 1493 verweist und überdies den graphischen Tatbestand parrochi aus der Handschrift der Facetiae, woran Stolz gezweifelt hatte, als sicher gegeben hinstellt (Zs. d. Sav. Stift. f. Rg. kan. Abt. 16, 332).

Zuletzt sei des Vortrages von Kirn ( 2039) gedacht, in dem das Verhältnis des mittelalterlichen Staates zum geistlichen Gericht dargestellt und untersucht wird, in welchem Zustand die Reformation dieses Problem in den drei großen Ländern Deutschland, Frankreich und England vorgefunden hat. Die germanische Periode des Kirchenrechtes, »in der das geistliche Gericht sich in Deutschland und Frankreich einbürgert und ausbreitet«, wird »im Zeitalter Alexanders III. und Innocenz III.« abgelöst von der Alles umspannenden Herrschaft des päpstlichen Rechtes. Am spätesten hat sich dieses in England festgesetzt, daher »die kräftige Abwehr des Staates« unter Heinrich II. Im 14. Jahrhundert ist dort der Kampf entschieden, in Frankreich etwas später, nämlich 1438 durch die pragmatische Sanktion von Bourges. »Die anbrechende Reformation trifft in England und in Frankreich einen Staat, der die geistliche Gerichtsbarkeit unschädlich gemacht hat.« In Deutschland ist das Ergebnis der Entwicklung nicht einheitlich, konnte es bei dem Vorwalten territorialer Gliederung gar nicht sein. Die evangelischen Landesherren haben die geistliche Gerichtsbarkeit


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ausgerottet, doch konnte schließlich das kanonische Recht auch »in der evangelischen Kirche subsidiäre Geltung« behaupten. Der Anspruch der katholischen Kirche »auch über weltliche Sachen richten zu können«, an dem sie »formell bis ins 19. Jahrhundert« festhielt, hat sich unter dem Einfluß der Reformation »auch in katholischen Ländern immer weniger verwirklichen« lassen.


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