1. Gesamtdeutsche Entwicklung.

Schnitzers zugleich ansprechend ausgestattete, ausgiebige, dabei durch ihren Farbenreichtum fesselnde und rückhaltlos offen gehaltene Lebensbeschreibung des venetianischen Camaldulensergenerals Peter Delfin ( 1925), der seinen Orden von 1480 bis 1514 geleitet hat, bewegt sich im wesentlichen natürlich außerhalb der wie immer zu begrenzenden Sphäre deutschen kirchlichen Lebens, unterläßt es aber gleichwohl nicht, im einzelnen den Brückenschlag zu ihr zu vollziehen. Namentlich geschieht dies in dem sie einleitenden Abriß der Entwicklung des Ordens des hl. Romuald seit seiner Frühzeit zu Beginn des 12. Jahrhunderts, des weiteren in dieser oder jener Gelegenheitsnotiz, diesem oder jenem Gelegenheitsurteil. Aber auch an sich betrachtet, ruft das biographische Porträt eines Delfin allgemeiner gerichtete Interessen wach. Ist doch an ihm, der sich mit der Feder wie im konkreten Leben als leidenschaftlichen Gegner Savonarolas fühlte, manches ganz typisch für den Ordensleiter einer Epoche, dem die Unabhängigkeit von Orden und Kirche das höchste war, ohne daß die auch bei den ihren ursprünglichen Zielen entfremdeten und sittlich geschwächten Camaldulensern dringend erforderlichen Reformmaßnahmen in ihm Gestalt gewannen und er von seiner unbegrenzten Unterwürfigkeit gegen unwürdige Träger hoher und höchster kirchlicher Würden abgelassen hätte.

Zwei ihrem äußeren Umfang nach sehr ungleiche Werke unserer Berichtszeit gelten dem Jesuitenorden als geschichtlicher Gesamterscheinung und wollen


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so ebenfalls nicht nur der Kirchengeschichte Deutschlands dienlich sein. Das aus Vorträgen entstandene Büchlein von Wiegand ( 2082) ist keine rein wissenschaftliche Schrift. Es will nämlich, wie in seinem Vorwort gesagt ist, auf vom Verfasser zwischen Deutschland und dem Orden vorausgesehene neue Kämpfe dadurch vorbereiten, daß es besonders diejenigen Abschnitte der Ordensgeschichte vor dem Leser ausbreitet, die von der »Kampfnatur« der Gesellschaft sprechen. Dies geschieht in einem recht lebhaften Tonfall und leider auch für die verschiedensten Zeiträume neben berechtigter oder wenigstens begreiflicher Kritik mit einem erheblichen Aufwand von Einseitigkeiten, ja, ich muß sagen, gelegentlichen Flachheiten. Die Höhenlage der mehrfach aufgelegten, in etwa ähnlichen Schrift eines anderen Nichtkatholiken, des leider verstorbenen Heinrich Boehmer, ist längst nicht erreicht. --Hoensbroechs nachgelassenes Werk ( 2083), dessen erste Hälfte hier anzuzeigen ist, gibt sich als eine Quellensammlung von den erheblichsten Ausmaßen. Im großen und ganzen hat es für den Druck den Zuschnitt behalten, den ihm sein Urheber noch selbst hat geben können. So ist denn eine wirkliche Abrundung und Ausgeglichenheit nicht erzielt. Weder ist für die einzelne Stoffgruppe jeweils das Stichwort gewählt, an das der unbefangene Sucher vor allem denken wird, noch, wie eine überlegsame Redaktionsführung es einrichten würde, ein bestimmter Stoff ausschließlich einem bestimmten Stichwort zugeteilt und bei synonymen Worten und Wendungen lediglich eine Verweisung auf dies Stichwort eingesetzt. Auch stehen die Artikel oft ihrem Umfang nach in keinem rechten Verhältnis zueinander und verrät schon ihre Auswahl und Kennzeichnung das starke Ressentiment des Verfassers gegen sein Studienobjekt. Auf ihren Inhalt hin geprüft, sind die Artikel im wesentlichen Anhäufungen von Quellenstellen, mehr oder weniger unbehauenes Gestein, das in dem Zustand, in dem es hier vorliegt, als Unterlage für wissenschaftliche Urteile nicht sehr brauchbar ist. So wird dem Nichtfachmann ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild von Art und Entwicklung des Jesuitenordens, den jeweiligen Anschauungen, Zuständen und Mißständen in seinem Schoße, den Verdiensten und Fehlgriffen seiner Mitglieder nicht vermittelt. Der Historiker muß gerade der umstrittensten Erscheinungsform neuzeitlichen kirchlichen Lebens und Wesens gegenüber, wie die Gesellschaft Jesu sie nun einmal darstellt, sich doppelt der Pflicht bewußt bleiben, möglichst erhebliche Distanz zu seinem Gegenstand zu wahren und auf diesem etwas dornigen Felde fast eher noch ein Zuviel als ein Zuwenig an wahrhaft historisch empfundener Kritik zu verzeihen. Dennoch wird er die hier zu kommentierende Leistung Hoensbroechs höchstens insofern anerkennen können, als sie, eben eine Materialsammlung großen Stils, an eine sehr erhebliche Anzahl von Quellen heranführt, zu denen andere Forscher aus eigenem so leicht nicht vorgedrungen wären.

Rückert ( 2088) untersucht die Rechtfertigungslehre Gasparo Contarinis nicht mehr lediglich daraufhin, ob sie katholisch oder reformatorisch zu deuten sei, sondern bemüht sich zugleich, namentlich auf die einst von Franz Dittrich zusammengebrachten Materialien gestützt, ihre Entwicklung aufzuhellen. Dabei gelten ihm ein Brief Contarinis von 1541 de justificatione und seine Haltung bei den gleichzeitigen Regensburger Religionsgesprächen als besonders deutliche Belege, daß diese Entwicklung damals eine Art Abschluß gefunden hatte und dieser Abschluß doch in einer Annäherung an die protestantische Auffassung


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bestand. Dem Kardinal sei der aus seiner Wandlung folgernde praktische Konflikt durch sein nicht lange nachher erfolgtes Hinscheiden erspart geblieben. Die an Rückerts Arbeit anknüpfende und bei ihrem in das Gebiet der systematischen Theologie hinübergreifenden Thema hier besonders zu vergleichende Diskussion seiner Auffassung unter den engeren Fachgenossen -- vgl. M. Premm in Theolog. Revue 1927, 101 ff. -- hat, wie ich denke, wenigstens schon das Ergebnis aufzuweisen, daß das vielverhandelte Problem auch mittels des neuen Erklärungsversuchs noch nicht gelöst ist.

Die inhaltlich weitgreifendsten Erörterungen über das Deutschland des Zeitalters der katholischen Restauration brachte unser Berichtsjahr im Rahmen des vornehmlich dem eindrucksvollen Pontifikat eines Sixtus V. (1585--1590) gewidmeten zehnten Bandes von Pastors Papstgeschichte ( 1022). Gewiß hat eine Schilderung der Persönlichkeit und Regierungspraxis wie dieses ungewöhnlichen Papstes selbst, so seiner in schnellster Folge sich ablösenden Nachfolger Urban VII., Gregor XIV. und Innocenz IX. (1590--1591) von vielen Entwicklungen und Vorgängen zu sprechen, die einem nur auf deutsche Lande und Menschen eingestellten Interesse ganz entfallen -- wenn je ein Pontifikat, dann hat ja dasjenige Felice Perettis in Rom selbst und im Temporale seine Spuren hinterlassen, ist in internationale Verwicklungen vor allem mit Spanien und Frankreich verstrickt gewesen, hat mit vollem Bewußtsein kirchliche Weltpolitik getrieben. Einerseits fielen mehr oder weniger der allgemeinen Geschichte angehörige Tragödien wie die Ermordung Heinrichs III. von Frankreich, der Prozeß der Maria Stuart, der Untergang der Armada in diese kurzen Jahre, anderseits liefen Missions- und Kreuzzugspläne von großem Ausmaß in ihnen um. Von den allgemein kirchlichen Vorgängen im engeren Sinne sei hier eben noch auf die Bearbeitung der sixtinischen Septuaginta und der ihrer Mängel wegen wenigstens nicht rechtskräftig veröffentlichten Vulgata unter Sixtus hingewiesen. Namentlich die den Jesuiten gewidmeten Abschnitte unseres Bandes haben inzwischen eine nicht unbegründete Kritik herausgefordert (vgl. P. M. Baumgarten in Zeitschr. f. Kirchengesch. 46 [1927] 232 ff.). Sie auf die von Pastor gebotene Schilderung der religiös-kirchlichen Lage im damaligen Deutschland zu übertragen, liegt deshalb kein Anlaß vor, weil diese sich im wesentlichen auf die bereits seit langem von Ehses, Hansen, Meister, Reichenberger und Schweizer veröffentlichten und eine Überprüfung leicht ermöglichenden Nuntiaturberichte aus jenen Jahren, daneben auf die von Schmidlin für das Menschenalter vor dem Dreißigjährigen Kriege vor zwei Jahrzehnten herausgegebenen Statusberichte der Bischöfe an die römische Konzilskongregation stützen kann. Außerdem läßt sie es an Ergänzungen aus der Spezialliteratur und auch an Verwertung eigener Funde im einzelnen nicht fehlen. Man wird Pastor beipflichten müssen, wenn er (S. 362, Anm. 6), die seinerzeit im Einvernehmen mit ihm unternommene Herausgabe der Diözesanberichte, so wie sie geschehen ist, heute nochmals gegen eine vornehmlich ihre Schattenseiten beleuchtende Kritik verteidigend, feststellt, »der richtige Maßstab zu wahrheitsgetreuer Beurteilung« ergebe sich »aus der vergleichenden kritischen Betrachtung anderer Quellen«. Mit letzteren sind auch die Einzelarchive der Bistümer gemeint. Die religiös-kirchlichen Verhältnisse in Deutschland im Zeitalter Sixtus' V. waren, wie unser Werk sie zusammenfassend darstellt, stark reformbedürftig: Man hatte die tridentinischen Beschlüsse, einige wenige Oberhirten


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wie Julius Echter von Würzburg ausgenommen, noch kaum durchgeführt, die Sittenlosigkeit im Klerus bestand fort, der Hof Kaiser Rudolfs II. stellte keinen sehr eifrigen Vorort katholischer Interessen dar, zeigte sich vielmehr sowohl Lutheranern als Calvinisten gegenüber von großer Schwäche. Die Neubesetzung von Diözesen konnte unter Sixtus wenigstens überwiegend im Sinne der katholischen Restauration erfolgen. Besonders hingewiesen haben möchte ich hier noch auf die prägnante Charakterisierung der sich in dem Jahrfünft rasch ablösenden Prager, Grazer, Kölner und Luzerner Nuntien bei Pastor sowie auf seine ausgiebigen Mitteilungen aus den Reformdenkschriften des römischen Diplomaten Minuccio Minucci über Deutschland.

Gehört auch ein Mann wie Bellarmin nicht speziell der deutschen Kirchengeschichte an, so darf immerhin ein rascher Hinweis auf Merkles ( 2090) die neueste Forschung über ihn glossierenden prächtigen Aufsatz hier Raum beanspruchen. Stellt er sich doch näherhin die dankenswerte Aufgabe, die aufrechte Unparteilichkeit dem Weltgeistlichen- bzw. Laienstande angehöriger katholischer deutscher Gelehrter wie Paul Maria Baumgarten und Buschbell gegen heftige Angriffe der heutigen Ordensgenossen Bellarmins Kneller und Tacchi Venturi und deren Versuche zu verteidigen, »Bellarmin um jeden Preis eine weltentrückte, jedes Kampfes und jeder wirklichen Entwicklung bare byzantinische Heiligkeit anzudichten, gegen die sein ganzes Wesen, seine Worte, seine Schriften, seine Taten protestieren« (S. 73). -- In die Bellarmin-Atmosphäre führt in etwa auch Elias ( 2091), indem er den Ansichten des Kardinals über die Grundstruktur des christlichen Staates, das Verhältnis der päpstlichen und der weltlichen Gewalt zueinander diejenigen anders gerichteter Zeitgenossen -- Kontroverse mit König Jakob I. von England! -- gegenüberstellt und vom Kampf des vorzugsweise als Gegner des Bajanismus bekannten Jesuiten Leonard Lessius gegen die Theorien des Königs berichtet. Eine Reihe weiterer niederländischer Gelehrten hat sich an den staats- und kirchenrechtlichen Debatten von damals beteiligt, keineswegs in einheitlicher Richtung, aber, zugleich einem gewissen Druck der Regierung und ihrer Zensur entsprechend, doch mehr im Sinne der Tradition. Neue Ideen brachte von sich aus das Land nicht auf.

Toth ( 2094) teilt in Ergänzung einer früheren Veröffentlichung von Philipp Dengel zwei Wiener Berichte des Nuntius Garampi an die römische Kurie von 1776, also kurz nach dem Zeitpunkt mit, zu dem er die Warschauer Nuntiatur mit der am österreichischen Kaiserhof vertauscht hatte. Der eine der Berichte geht besonders auf die Persönlichkeit Maria Theresias ein, in deren Wesen sich die hingebend kirchlich und fromm gesinnte Frau und die absolutistisch denkende Monarchin kreuzten; auch spielt er auf die kirchliche Lage in Polen an. Das andere Gutachten orientiert über Denkweise und Arbeitsleistung des hohen Klerus, das Verhältnis von kirchlicher und staatlicher Gewalt, Fragen des Kirchenbesitzes und des kirchlichen Vermögensrechts sowie über die sonstigen sich von den österreichischen und böhmischen immerhin vorteilhaft abhebenden kirchlichen Verhältnisse der josephinischen Zeit in Ungarn.

Was Thiel ( 2095) vorlegt, ist aus einer dem Titel des jetzigen Teildrucks genau entsprechenden größeren Arbeit -- dem heute noch nicht alltäglichen Beispiel einer umfassenden Erörterung eines liturgiegeschichtlichen Problems


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der jüngeren Vergangenheit -- derjenige Abschnitt, der sich mit den Vorschlägen der Aufklärer über eine neue Liturgie beschäftigt. Sein Ergebnis ist bezeichnend und, ich habe Anlaß zu meinen, zugleich ein volles Verstehen der über ihre wirkliche Grundhaltung leicht hinwegtäuschenden Aufklärungsfrömmigkeit bis zu ihren späteren Ausläufern im neunzehnten Jahrhundert recht erleichternd. Wenn die Aufklärer auf die urchristliche Liturgie zurückgegriffen haben, so ist es nach Thiels im Kern sicher richtigem Urteil von ihnen nur in der Absicht geschehen, Erbauung zu spenden und Belehrung zu vermitteln. Ein tieferes Eindringen in das Mysterium als die letzte Sinngebung der Liturgie hat ihnen ferngelegen. Hier sei im Anschluß an J. Pinsk im Jahrbuch für Liturgiewiss. 6, 423 die interessante Tatsache angemerkt, daß das sogenannte Maurinerbrevier, das bis zu einem gewissen Grade den Anschauungen der Aufklärung entsprach, in St. Paul in Kärnten und in ungarischen Benediktinerklöstern wohl bis heute in Gebrauch ist.

Diebolts ( 2098) ansehnliches Werk schildert in sorgsamer Einzelanalyse und doch auch feste und allgemeine Linien zuwege bringend den Übergang der katholischen Moraltheologie in Deutschland aus der auch sie durch ihren Rationalismus und Naturalismus stark in Mitleidenschaft ziehenden Aufklärungsepoche zur gesättigten Erneuerungszeit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hin. Befriedigenderweise ist der Hintergrund der Zeitlage in kirchlichem Leben und theologischen Studien, in philosophischer Spekulation und protestantischer Theologie deutlich in die Darstellung eingezeichnet. Der Verfasser hebt repräsentative Typen für möglichst viele Richtungen heraus und macht bei jedem Theologen seine Eigenart auf moraltheologischem Gebiet als Teil der theologischen und philosophischen Gesamtauffassungen begreiflich, die ihm eigen sind. Vorzüglich kommt es auf seine Stellung zur Scholastik, zum Augustinismus, Jansenismus, Josephinismus, zur Zeitphilosophie eines Wolff, Kant, Fichte, Jacobi, Baader, zur Romantik, zum Fideismus usw. an; eine Menge Misch- und Vermittlungsformen begegnen; selbständige Versuche spekulativer Köpfe fesseln. Aus dem achtzehnten Jahrhundert stehen beispielsweise Männer wie Eulogius Schneider und Benedikt Stattler nebeneinander, für das neunzehnte sei auf die abwägende und immer beachtliche Beurteilung hingewiesen, die Galura, Sailer, Hermes, Deutinger, Möhler, Staudenmaier, Hirscher in ihrem moraltheologischen Denken finden. Dank seinem Reichtum an bibliographischen und biographischen Notizen gibt sich das gehaltvolle Buch zugleich als ein schätzbarer Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte.

Eine Hauptgefahrenquelle für das Mit- und Nebeneinander zwischen Staat und katholischer Kirche in Preußen war von jeher das Gebiet der Militärseelsorge. In der zwei Jahre vor dem Kölner Ereignis ausgegebenen, auf ihre Art so berühmt gewordenen Beschwerdeschrift über die Lage der Katholiken in Preußen, dem sogenannten »Roten Buch«, wurde die mangelnde Fürsorge des Staates auch auf diesem Gebiete scharf gerügt; ein Konflikt im Bereich der Militärseelsorge war nicht ohne erheblichen Einfluß auf die Entstehung des preußisch-deutschen Kulturkampfs. Es ist daher keine beliebige Einzelstudie, sondern eine die Problematik der staatlich-kirchlichen Beziehungen auf weite Strecken beleuchtende Untersuchung, die Pohl ( 2099) mit seinem auf das Aktenmaterial der preußischen Ministerien des Kultus und des Krieges gestützten Werke über die katholische Militärseelsorge in Preußen im neunzehnten


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Jahrhundert darbietet. Daß es die Leistung eines Juristen ist, gibt ihm seinen die dokumentarische und rechtliche Grundlage stark betonenden, dagegen die kirchenpolitischen Streitpunkte von selbst ein wenig abbiegenden und neutralisierenden, wenn auch durchweg auf keine Art verschleiernden Charakter. Das Buch ist also ein Ausschnitt für noch nicht hundert Jahre: Ohne irgendwelchen Rückblick auf die Vergangenheit -- wenn anders man nicht die Hinweise auf die einschlägigen Veröffentlichungen Martin Richters und die sonstige ältere Literatur als einen solchen gelten lassen will -- von dem kurz nach Einführung des Allgemeinen Landrechts erfolgten Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. ausgehend, reicht es bis zur Wiederbesetzung der Feldpropstei im Jahre 1888 zu Ende des Kulturkampfs. Noch die Militärkirchenordnung von 1832 hat, wie Pohl hervorhebt, hauptamtliche katholische Militärseelsorger im Frieden nicht vorgesehen, die katholischen Heeresangehörigen vielmehr den protestantischen militärkirchlichen Gemeinden zugerechnet. Wenn 1834 wenigstens für die Rheinprovinz drei katholische Militärgeistliche bestellt wurden, so ließ sich Friedrich Wilhelm dabei bezeichnenderweise namentlich von der Erwägung leiten, sie würden Mischehen eher als Zivilgeistliche ohne die kirchlichen Bedingungen einsegnen. Die nicht als Gewissenszwang, sondern als einfache Anordnung einer militärischen Dienstverrichtung auch für die katholischen und jüdischen Soldaten gedachte Vorschrift, an protestantischen Gottesdiensten teilzunehmen, fiel 1837. Zu der an den Konflikt des Feldpropstes Namszanowski mit der Regierung über die Kölner Pantaleonskirche und die Deckung des Propstes durch die Fuldaer Bischofskonferenz und Rom anschließenden zeitweisen Aufhebung der Feldpropstei betont unser Werk, daß das Kriegsministerium sich schon vor dem Zwischenfall bemüht hatte, des als schroff geltenden Mannes »unter Vermeidung jedes prinzipiellen Kampfes« (S. 253) ledig zu werden. Die Darstellung des Streitfalles bei Pohl läßt trotz seiner doch an diesem Punkte besonders großen Zurückhaltung im Urteil den Schluß zu, daß eine kirchenrechtliche Notwendigkeit, den katholischen Gottesdienst in St. Pantaleon einzustellen, nicht vorgelegen hat, daß der dort amtierende Divisionspfarrer selbst von der Notwendigkeit des Verbotes nicht überzeugt und daß nur eine »ab homine, nicht a iure geschehene Verhängung des Interdikts im weiteren Sinne ... das kirchenrechtliche Hindernis gegen die Weiterbenutzung dieser Kirche zum katholischen Gottesdienste« war (S. 264, Anm. 1). Hat Namszanowski immerhin unklug gehandelt, im Fall der Pantaleonskirche ohne den Kriegs minister vorzugehen, so hatte anderseits, wie auch Pohl (S. 387) zugibt, die Regierung nicht eben viel Verständnis für seine kirchlichen Verpflichtungen. Abschließend zu unserem Werke sei hier noch festgestellt, daß, wie eine in ihm mitgeteilte preußische Kabinetsordre von 1827 ausdrücklich auf militärkirchenrechtliche Vorschriften katholisch regierter Staaten bezugnimmt, so ein letztes Urteil über Preußens Verfahren gerechterweise nur in Berücksichtigung der allgemeinen staatskirchlichen Grundhaltung eines großen Teils des neunzehnten Jahrhunderts und namentlich mit ständiger rechtsvergleichender Bezugnahme auf die in anderen Ländern jeweils geübte Praxis erfolgen dürfte.

Baier ( 2102) ergänzt und klärt die bisherigen Vorstellungen von Wessenbergs vielbesprochener Romfahrt, Archivalien des Karlsruher Generallandesarchivs (Haus- und Staatsarchiv) und der Konstanzer Wessenbergbibliothek benutzend, in förderlicher Weise dahin, daß die Reise sehr wahrscheinlich von


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Metternich veranlaßt wurde, daß Wessenberg bei ihrem Antritt auf einen Erfolg seiner Verhandlungen hoffte, daß er die Namen seiner Ankläger erfahren und sie zur Verantwortung ziehen wollte, daß er etwas, was »aurait l'air de consacrer les principes ultramontais«, von vornherein ablehnte und daß er sich an der Kurie entgegenkommender zeigte, als es sein späterer Reisebericht zugab. Über die bekannte Wessenberg-Biographie von Beck muß Baiers nicht weiter verwunderliches Urteil lauten, daß sie bei Wiedergabe von Brief- und Aktenstücken mit ihren Vorlagen eigenmächtig umsprang.

Die nicht ganz fertig gewordene nachgelassene Schrift Vigeners ( 2104) über drei Gestalten des modernen Katholizismus hat auch aus katholischen Federn -- vgl. insbesondere Th. Steinbüchel in Bonner Zeitschrift für Theologie u. Seelsorge 4, 288 ff. -- schon mancherlei Lob geerntet. Ein günstiges Endurteil über sie kann meiner Auffassung nach vom katholischen Standpunkt aus seine Berechtigung haben und wird doch auch wieder nicht ganz berechtigt sein. Es kann seine subjektive Berechtigung haben, weil das Buch das Testament eines Wissenschaftlers ist, vor dessen Streben, die Dinge ohne die färbende Brille einer vorgefaßten Meinung anzusehen, sich jedermann beugen wird. Es kann berechtigt sein in objektiver Hinsicht, weil auf diesen Blättern das geistige Wesen, die kulturelle Bestimmtheit, die wissenschaftliche und kirchliche Entwicklung von hochragenden Vertretern der katholischen Theologie und Kirche im Deutschland des vorigen Jahrhundert eine Nachzeichnung erfahren, diese Männer eine Verknüpfung mit den theologischen und philosophischen Zeitideen von damals eingehen, wie es behutsamer schattierend, noch gewissenhafter und schärfer auch geringe Nuancen andeutend kaum denkbar wäre. Anderseits muß aber, scheint mir, eine Belobigung der Schrift gewisse Grenzen innehalten. Denn der Wissenschaftsmaßstab, den sie nun einmal anlegt, ist zum Teil ein einseitig vorvatikanischer, zum Teil entstammt er auch der protestantischen Theologie. Der Verfasser projiziert die Problematik, die ihm selbst zu schaffen machte, vielfach in seine Darstellung, sich desto deutlicher von der Kirche distanzierend, je näher sie dem Gedanken- und Anschauungskreis des Vatikanums kommt. Die drei biographischen Versuche kreisen alle in etwa um die Doktrin vom Universalepiskopat und der Unfehlbarkeit des Papsttums. Am besten gelungen ist die vergleichsweise kurze Biographie des vom Verfasser mit seinen besonderen Sympathien bedachten Diepenbrock. Bei dem hier gewiß viel zutreffender als bei Fonck ( 2103), der wieder einmal Verbindungsfäden zum Modernismus hin aufspüren will, gezeichneten Möhler überrascht doch nach aller eindringlichen Kritik das volltönende Elogium am Schluß. Döllingers Umwandlung von der »apologetischen« zur »kritischen« Geschichtsauffassung ist nicht genügend begreiflich gemacht. Im ganzen, um es nochmals zu sagen, eine in das Gewand historischer Forschung gekleidete tiefschürfende und geistvolle -- Bekenntnisschrift.

Was Stutz ( 2105) zur Kirchenpolitik des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts in Verarbeitung und Kommentierung der Memoiren des später als Kardinalstaatssekretär Benedikts XV. verstorbenen Domenico Ferrata beibringt, gehört nur insofern näher in unser Interessenbereich, als auch die Missionen des kurialen Diplomaten in der Schweiz von ihm erörtert sind. Bei diesen, die Stutz wie die übrigen Abschnitte der Wirksamkeit Ferratas ausführlich schildert und durch kirchenrechtliche und Literaturhinweise reich belichtet, hat es sich


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einmal um die Auflösung des Bistumsverbandes von Basel unter Bischof Lachat nach den durch Vatikanum und Altkatholizismus hervorgerufenen Wirren gehandelt. Weiter ging es um die kirchliche Frage im Tessin, der nach dem Willen der liberalen Kreise einer deutsch-schweizerischen Diözese angegliedert, nach dem der katholisch-konservativen aber selbständig werden sollte und dank Ferratas Geschicklichkeit 1888 ein in einer unio aeque principalis mit Basel verbundenes Bistum Lugano erhielt.


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