I. Geschichte des Buchdrucks.

Das gedruckte Buch bildet den Fundus der Bibliotheken und mit der Erfindung der Buchdruckerkunst beginnt ihre neuzeitliche Geschichte. Den Bibliothekshistoriker wird es deshalb immer wieder reizen, den Schleier des Geheimnisses zu lüften, der diese technische Großtat umgibt. Um das Gutenberg-Problem hat sich eine besonders lebhafte Debatte erhoben, seit der Wiesbadener Oberbibliothekar Gottfried Zedler 1921 ein Buch erscheinen ließ, in dem er, gestützt auf eine Stelle in Johannes Koelhoffs Kölner Chronik von 1499, dem Haarlemer Drucker Laurens Janszoon Coster für den Metallletternguß die Priorität vor Gutenberg zusprach. Zu dieser Frage, die neben der wissenschaftlichen Bedeutung auch eine nationale in sich schließt, hat im Berichtsjahr Aloys Bömer das Wort ergriffen ( 81). Er unterwirft alle Beweisgründe einer sorgfältigen Analyse, die dafür sprechen, daß es sich bei Coster nicht um den Druck mit beweglichen Lettern, sondern um den Holztafeldruck handelt. Auch das als Jahresgabe der Gutenberg-Gesellschaft zum erstenmal erschienene Gutenberg-Jahrbuch ( 79), das eine internationale Sammelstelle für alle Forschungen auf dem Gebiet des Buchdrucks und der Buchkunst


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bieten will, nimmt durch einen Aufsatz aus der Feder des Mainzer Oberbibliothekars Tronnier zu der Gutenberg-Coster-Frage Stellung. Tronnier folgt ebenfalls der Mehrzahl der Quellen des 15. Jahrhunderts, die dem deutschen Drucker die Erfindung des Letterngusses zuschreiben. Gegen Bömer und andere Gegner verteidigt Zedler in einem umfangreichen Aufsatz ( 82) nochmals seine Ansicht, indem er erneut Gutenberg nur die Rolle des Vervollkommners des Letterngusses durch Erfindung des Handgießinstrumentes zuweist. Eine zwingende Entscheidung der Frage dürfte infolge des Mangels an eindeutigen Quellen, der in der sorgfältigen Wahrung des Geschäftsgeheimnisses durch die beteiligten Drucker seinen Grund hat, zur Zeit nicht möglich sein.

Inzwischen ist die Kenntnis der auf uns gekommenen Frühdrucke durch das Erscheinen des zweiten Bandes des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke ( 80) wiederum bereichert worden. Der Umfang des monumentalen Werkes erhellt daraus, daß auch dieser Band noch nicht das Ende des Buchstabens A bringt, obwohl durch Kürzungen bei der Beschreibung der einzelnen Titel deren Zahl gegenüber dem ersten Band (1256 Titel) auf 1481 Titel erhöht werden konnte. Durch weitere Kürzungen sollen die Bände in Zukunft mindestens 2000 Titel umfassen. Hervorzuheben sind in dem vorliegenden Band die 164 Aristotelesdrucke und die 267 Einblattdrucke der Almanache, deren ältester, ein astronomischer Kalender auf das Jahr 1448, aus der Offizin Gutenbergs stammt.

Mit der Geschichte des Berliner Buchdrucks beschäftigte sich das 1865 abgeschlossene, aber infolge widriger Umstände damals nicht erschienene Buch A. Potthasts ( 94), das der 1898 verstorbene, durch seine Bibliotheca historica medii aevi und seine Regesta pontificum Romanorum bekannte Historiker im Auftrage der Deckerschen Hofbuchdruckerei verfaßte. Wenn auch die Darstellung durch eine Reihe inzwischen erschienener Einzeluntersuchungen ergänzt werden muß -- der Herausgeber hat sie in der Einleitung in dankenswerter Weise zusammengestellt -- so füllt sie doch noch heute eine peinliche Lücke in der Berliner Geschichtsliteratur aus. Wie in Berlin sind auch die Anfänge des Bonner Buchdrucks aufs engste mit dem geistigen Aufschwung verbunden, den die Kirchenreformation allenthalben in deutschen Landen erweckte. A. Piel weist in seiner auf weitschichtigen Bibliotheksforschungen fundierten Studie ( 89) nach, daß der Reformationsversuch des Kurfürsten und Erzbischofs Hermann von Wied (1515--1547) den unmittelbaren Anlaß dazu gab, daß der Kölner Buchdrucker Laurentius von der Mülen sein Geschäft nach Bonn verlegte und hier 1543 die erste Druckerei gründete, die bis zum Sturz des Erzbischofs bestand. Ihre Erzeugnisse stehen nahezu alle im Dienst der Reformationsbewegung.

Daß die Verwendung metallener Buchstabeneinzelstempel schon vor Gutenberg bekannt war, zeigt die Geschichte des Bucheinbandes, der Loubier ( 82 a) mit umfassender Sachkenntnis eine jetzt in zweiter Auflage erschienene Monographie gewidmet hat. Sie wurden verwendet, um Inschriften auf die mittelalterlichen Lederbände zu pressen und können ebenso wie die Figurenstempel dem Historiker Aufschlüsse über die Herkunft des Bandes geben; sie haben auch zur Rekonstruktion verstreuter Bibliotheken wertvolle Handhaben geboten. Die Bucheinbandkunde, wie sie Loubier auffaßt, stellt sich im wesentlichen als Geschichte der Kunst und des Kunstgewerbes dar und bildet eine


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wichtige Ergänzung zur Bibliotheksgeschichte. Nach einem Überblick über die Grundzüge der Buchbindertechnik in alter und neuer Zeit verfolgt Loubier an der Hand zahlreicher guter Abbildungen die Wandlungen des Bucheinbandes vom Altertum bis ins 18. Jahrhundert. Das 19. und 20. Jahrhundert sollen in einer besonderen Monographie behandelt werden.


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