II. Geschichte der Bibliotheken.

»Einen knappen geschichtlichen Gesamtüberblick der wichtigsten bayerischen Bibliotheken für weitere Kreise« will das mit reichem Bildmaterial ausgestattete Buch des Münchener Staatsoberbibliothekars Sensburg geben ( 87). Ein kurzer Abriß der bayerischen Bibliotheksgeschichte leitet es ein, in dem die vom Standpunkt der öffentlichen Bibliotheken nicht hoch genug zu bewertende Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit erstaunlicher Einseitigkeit für eine angebliche »geistige Verarmung des Volkes« verantwortlich gemacht wird. Für 44 alphabetisch geordnete Bibliotheken gibt der Verfasser eine Schilderung ihres Werdeganges, ihres heutigen Bestandes und ihrer Organisation. Literaturangaben sind jedem Artikel beigefügt. Wenn die Kritik (vgl. Zbl. f. Bibl.wes. 43 S. 82 ff.) dem Buch Lückenhaftigkeit und Ungenauigkeit nicht ohne Grund vorwirft, so kann es doch dem Historiker für mancherlei sonst schwer erreichbare Nachweisungen von Nutzen sein.

Das Muster einer auf sorgfältigster Verwertung aller erreichbaren Quellen aufgebauten Bibliotheksgeschichte bietet das Buch E. Kuhnerts über die Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek ( 97). Der über 300 Seiten starke Band verfolgt lediglich bis 1810 die Geschichte der 1525 begründeten Schloßbibliothek, die erst 1829 mit der Universitätsbibliothek vereinigt wurde. Ein überreiches, durch keine widrigen Schicksale beeinträchtigtes Quellenmaterial bot sich dem Verfasser fast in erdrückender Fülle nicht nur in den Büchern, Katalogen und Akten der Bibliothek, sondern außerdem in den über 200 Jahre in ununterbrochener Reihe erhaltenen Rechnungsbüchern der Rentkammer, die jede Einzelheit des Bibliothekshaushaltes aufzuhellen vermögen. Durch Abdruck der zahlenmäßigen Einzelheiten des Bibliothekshaushaltes in den wichtigsten Perioden wird ein Vergleichsmaterial geboten, wie es sich bisher in keiner andern Bibliotheksgeschichte findet. Das Einleitungskapitel gibt eine Vorstellung von der Sorgfalt, die der Deutsche Ritterorden dem Bücherwesen angedeihen ließ. Vom Begründer der Schloßbibliothek, Herzog Albrecht von Preußen, dessen Einfluß ihr, wie dem Königsberger Buchdruck und Buchhandel bis an das Lebensende des Fürsten zugute kam, führt die Darstellung durch teilweise weniger fruchtbare Perioden bis zur Reformzeit Preußens, in der wir zwei berühmten Namen, Nicolovius und Süvern, an der Bibliothek begegnen. In kaum anderthalbjähriger Amtszeit hat besonders Nicolovius ihre Verwaltung mit modernem Geist erfüllt. Im Anhang gibt Kuhnert eine erschöpfende Geschichte des Königsberger Bucheinbandes im 16. und 17. Jahrhundert. Die methodisch vorbildliche Studie baut sich auf einer sorgfältigen Sichtung des auf den Königsberger Einbänden verwendeten Stempelmaterials auf und gelangt so zu einem Einblick in die Tätigkeit der Königsberger Buchbinder während 200 Jahre, wie er mit solcher Präzision bisher für keine andere Stadt gewonnen worden ist.

Auch die Neuorganisation der Königlichen Bibliothek in Berlin um das Jahr 1813, um die sich nach den Aktenfunden Abbs ( 93) neben Wilhelm von


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Humboldt besonders Schleiermacher verdient gemacht hat, läßt erkennen, welche Aufmerksamkeit die Reformer dem Bibliothekswesen zuwandten. Schleiermachers Reglement verwandelte nicht nur die Berliner Bibliothek in ein öffentliches Institut im modernen Sinne, sondern wurde auch bestimmend für die Umgestaltung der preußischen Universitätsbibliotheken; sein Einfluß ist sogar über die Landesgrenzen hinaus nachweisbar.

Die Feier des 200 jährigen Bestehens des prunkvollen Gebäudes der Wiener Nationalbibliothek hat eine Reihe wertvoller bibliotheksgeschichtlicher Studien hervorgerufen, von denen einige in der reich ausgestatteten Festschrift ( 83) enthalten sind. Doublier gibt für die Zeit von 1891--1916 eine Entwicklungsgeschichte der Bibliothek, die nur langsam den Charakter einer der breiteren Öffentlichkeit verschlossenen Privatbibliothek abzustreifen vermochte. Groag lieferte interessante Einzelheiten zur Geschichte des Bücherkaufs der Nationalbibliothek. Die einzige öffentliche allgemeine Staatsbibliothek in Wien war nicht die Hofbibliothek, sondern im Widerspruch zu ihrem Namen die Universitätsbibliothek. Sie entstand, wie Jesingers Studie zeigt ( 85), nach dem Untergang der mittelalterlichen Fakultätsbüchersammlungen als Neuschöpfung des aufgeklärten Absolutismus; in ihr sollten die drei nach Aufhebung des Ordens freigewordenen Jesuitenbibliotheken nützliche Verwendung finden. Jesinger ( 85 a) hat außerdem der Geschichte der Kataloge und der Aufstellung dieser Bibliothek eine in Druck und Bild gleich vornehm ausgestattete Monographie gewidmet.

Einen Beitrag zur Bibliotheksgeschichte des Augustiner-Chorherrenstifts zu Sagan in Schlesien liefert Rother ( 96). Die erhaltenen Consuetudines des Stiftes aus dem Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts machen dem Bibliothekar die Führung eines Ausleihregisters zur Pflicht, und es gelang Rother, in der Deckelbeklebung einer Inkunabel von 1479 ein Bruchstück eines solchen zu finden und zugleich die darin erwähnten Chorherren und ihre literarische Tätigkeit größtenteils zu identifizieren. Das Rätsel des Verbleibs der größten märkischen Klosterbibliothek, des Zisterzienserklosters Lehnin, sucht Abb einer Lösung näher zu bringen ( 95). Abgesehen von einer Katalogabschrift von 1514 und 8 handschriftlichen Studienbänden ließen sich jedoch nur 3 sicher aus Lehnin stammende Bände ermitteln. Die übrigen dürften verschollen sein oder sich unerkannt in den Beständen der Berliner Staatsbibliothek und der Breslauer Staats- und Universitätsbibliothek verborgen halten.


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