IV. Radikale Reformation.

Aus den die sozialrevolutionäre Bauernbewegung betreffenden Schriften, meist territorialen Gepräges (999--1010), muß W. Stolzes Werk über Bauernkrieg und Reformation ( 1000) herausgehoben werden, das das komplizierte Verhältnis der beiden Bewegungen zueinander, auch den zuzugebenden Anteil der Reformation an der Bauernerhebung, die Verschärfung der Kampfesstellung der Bauern gegen Kirche und Geistlichkeit durch die Reformationsbewegung, sehr sorgsam verfolgt. Das Glanzstück der Darstellung ist die detaillierte Schilderung der durcheinanderwogenden Stimmungen und Motive der Schwarzwaldbauern im Jahre 1524.


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Stolze zeigt, daß die Bauern erst zu Gewalt griffen, als die altgläubige Obrigkeit das Evangelium zu verfolgen begann und ihnen diese Obrigkeit vollends als unchristliche Obrigkeit erschien.

Über die letztjährigen Forschungen auf dem Gebiete des Spiritualismus und der Mystik der Reformationszeit gibt Hnr. Bornkamm in seinem Vortrag über: Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum (Gießen, Töpelmann, 27 S.) einen instruktiven Forschungsbericht, der den typologischen und entwicklungsgeschichtlichen Fragen hinsichtlich der einzelnen Träger jener Bewegungen wie ihres Verhältnisses zueinander nachgeht und vielfach auch auf die noch vorhandenen Lücken der Forschung den Finger legt. Trotz der Münzerliteratur der letzten Jahre, aus der die diesjährige Studie Schiffs ( 1011) nur eine kurze Episode 1522--1523 (Verschwörung gegen Kardinal Albrecht) behandelt, trotz Fortschreitens der Schwenckfeldausgabe ( 2197), trotz der angewachsenen Böhmeliteratur, über die F. Voigt ( 2209) kritisch referiert, trotz Meiers neuer Arbeit über Valentin Weigel ( 2208), in dem wie in Jakob Boehme die altprotestantische Mystik sich zu philosophischer Höhe erhoben hat, bleibt auf diesem Gebiet noch unendlich viel zu tun. Bei Weigel z. B. erfordern noch immer die literarischen Beziehungen seiner Schriften untereinander eine alles Weitere erst sichernde Untersuchung (vgl. die Anzeige Bornkamms, Theol. Lit.-Ztg. 1926, S. 613 ff.). Vor allem aber ist die geistesgeschichtliche Stellung der Einzelnen, die Bornkamm für J. Boehme (s. 1925, S. 409) eingehend untersucht hat, noch weithin eine offene Frage. Es handelt sich dabei sowohl um die Frage nach den Einflüssen der deutschen mittelalterlichen Mystik und der aus der mittelalterlichen Tradition herauswirkenden neuplatonischen Ideen, als auch um die Einwirkung humanistischrationaler Religiosität und endlich um die schon von Hegler und Holl betonte Tatsache, daß auch in Mystik und Spiritualismus die religiöse Kraft Luthers nachwirkt. Bornkamm geht in seinem Forschungsbericht diesen geistesgeschichtlichen Fragen nach und sucht vor allem auch hinsichtlich der Stellung der einzelnen Denker zur Gemeinschaft und zur eigentlichen Mystik den Typus in seine verschiedenen Einzelgestalten aufzulösen: neben dem allerdings gemeinschaftsfremden Individualisten Sebastian Franck stehen die gemeinschaftsbildenden Tendenzen Münzers, Karlstadts, Schwenckfelds u. a. und neben ausgesprochenen Mystikern so unmystische Gestalten wie Schwenckfeld und Paracelsus, die zwischen Mystik und bloßem Spiritualismus schärfer zu unterscheiden nötigen.

Auf die Bewegung der Täufer (Wiedertäufer) beziehen sich die mit wertvollem Aktenmaterial ausgestatteten Publikationen von Nestler ( 2233) und Loesche ( 2226), die trotz ihres territorialgeschichtlichen Charakters Hervorhebung fordern. Dabei zeigen die Regensburger Täuferakten bei N. die rein religiöse, unpolitische Einstellung dieses Zweiges der Bewegung auch in den dreißiger Jahren, wo die Bewegung (1534--1539) stark anschwillt. Loesche verfolgt die Tiroler Bewegung bis etwa 1600 und stellt auch für Tirol das Vorherrschen des milderen, Huterschen Typus fest. Die Verbindung mit Mähren, dem gelobten Lande der Täufer, begegnet öfters.


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