VIII. Das 19. Jahrhundert.

Einen Gesamtüberblick über die Theologiegeschichte von Schleiermacher bis zur Gegenwart unter Beschränkung auf die systematische Theologie gibt die in ihrer neuen Auflage bis zu den neuesten Debatten (Karl Barth, Dialektische Theologie) fortgeführte Schrift Kattenbuschs ( 2222). Was sonst vorliegt, bedeutet eine große Zahl von Einzelbausteinen; aber das oft gewünschte Gesamtbild fehlt noch immer. -- Möller ( 2279) behandelt die kirchlichen und politischen Reformversuche in Hamburg in der Zeit nach den Befreiungskriegen und die Auseinandersetzungen über Claus Harms u. a., -- eine Zeit, für die auch in dem 2. Band der Biographie Karl Sievekings ( 1164) viel kirchengeschichtlich wertvolles Material vorliegt. Die hohe Wertung des Religiösen in jenen Tagen, die Auseinandersetzungen mit der national-religiösen Bewegung einerseits, der Vernunftreligion anderseits unter wachsender Betonung der positiven historischen Religion, das Aufkommen eines johanneischen Christentums der tätigen Liebe, das für das Verständnis von Sievekings späterem Zusammengehen mit Wichern von Wichtigkeit ist, sind Züge, die nicht nur das damalige Hamburger religiöse Leben kennzeichnen. -- In die Entstehungsgeschichte der protestantischen caritativen Bewegung, besonders die Arbeit Theodor Fliedners, lassen Gustav v. Rhoden und Theod. Just: Hundert Jahre Geschichte der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft (Düsseldorf, Selbstverlag der Gesellschaft. 198 S.) hineinschauen. -- Die konfessionelle Auswirkung der Erweckungsbewegung in Bayern illustrieren die von Hofer ( 2225) publizierten Briefe Löhes aus den Jahren 1831--1838, auf pommerschem Boden Laags Studie ( 2306), die auf Grund von Stettiner Konsistorialakten die Konventikelbewegung schon in die Zeit vor den Freiheitskriegen ( 1810 ff.) zurückführt, die Zusammenhänge der Thaddens und Senffts von Pilsach mit der Berliner Erweckungsbewegung betont und auch hinsichtlich der Anfänge der altlutherischen Separation von der Landeskirche seit 1835 manches an Wangemanns Darstellung berichtigt. -- In dem von demselben Laag gezeichneten Bilde der religiösen Entwicklung E. M. Arndts (Halle, Waisenhaus. 144 S.) spiegeln sich alle religiösen Strömungen, die Arndt in seinem langen Leben sah, und die er in einem Auf und Ab miterlebte. Arndts Übergang zum Pantheismus 1798/99, seine starke Berührung durch die idealistische Philosophie,


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die Klärung seiner Stellung zum Alten und Neuen Testament während der Freiheitskriege, seine religiösen Wandlungen während der Bonner Jahre, in denen er keineswegs durchweg der stramme Lutheraner gewesen ist, -- das sind einzelne der wichtigen Korrekturen des traditionellen Arndtbildes, die wir Laag verdanken. -- In die Jahrhundertmitte und die damaligen »lichtfreundlichen«, »deutschkatholischen« und kirchenfeindlichen Bewegungen führt die von Breywisch geschriebene kurze Biographie Uhlichs ( 2299). -- Von allgemeinerer Bedeutung sind auch die Lebensbilder des gerade gegenwärtig wieder stark wirkenden jüngeren Christoph Blumhardt, des eschatologisch und religiös-sozial eingestellten Leiters von Bad Boll († 1919), den Ed. Thurneysen (Chr. Bl., München, Verlag Kaiser. 96 S.) kongenial, aber nicht ohne Kritik schildert, und des weithin wirksamen Hallenser Biblizisten Martin Kaehler, dessen Lebenserinnerungen (1835--1867 reichend) seine Tochter Anna Kaehler herausgegeben und ergänzt hat (M. K., Erinnerungen und Bekenntnisse. Berlin, Furche-Verlag. XIII, 379 S.). In den von K. selbst geschriebenen Teilen treten Gestalten wie Tholuck, dessen Amanuensis Kaehler war, Clemens Perthes, J. T. Beck, Richard Rothe u. a. uns in großer Plastizität entgegen. -- Für die allerletzte Zeit seien endlich die Autobiographien genannt, die in der »Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen« (Leipzig, Meiner, I, 1925; II, 1926) enthalten sind. Die neuesten kirchlichen Bewegungen und Arbeiten bucht, wie stets alljährlich, Joh. Schneiders »Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands« (Bd. 53. Gütersloh, Bertelsmann. XI, 716 S.), wo in der Statistik zum erstenmal die Ergebnisse der Volkszählung vom Juni 1925 wenigstens teilweise für die Konfessionsstatistik verwertet werden konnten.


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