§ 43. Humanismus.

(P. Joachimsen.)

Unter den Erscheinungen des Berichtsjahres zur Geschichte des Humanismus sind die, welche mit der Wiederaufnahme des großen Unternehmens K. Burdachs zusammenhängen, die wichtigsten. Dieses will, wie ich in dem vorjährigen Bericht (S. 464) bemerkt habe, unter dem Titel: Vom Mittelalter zur Reformation Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung bieten. Gedacht sind vorläufig 5 Bände, die zum Teil wieder in mehrere Abteilungen zerfallen, und Texte und Darstellungen geben sollen, welche die literarische Kultur Böhmens im Zeitalter Karls IV. erhellen. Denn hier sieht B. die Anfänge einer deutschen, humanistisch geformten Renaissance. Entscheidend wichtig ist für diese Formung der Einfluß Petrarkas und Cola di Rienzos geworden. Der wichtigste Vertreter dieser Bewegung ist der Kanzler Karls IV., Johann von Neumarkt, die wichtigste Verbreitungsstätte die böhmische Kanzlei, das bedeutendste


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literarische Erzeugnis der Ackermann aus Böhmen, neben den dann noch Werke Heinrichs von Mügeln treten. Die bisherigen Bände der Sammlung boten eine kritische Ausgabe der Briefe Rienzos und des Ackermanns. In dieses Berichtsjahr fallen zwei neue Bände, von denen der eine eine größere Abhandlung B.s über den Dichter des Ackermanns und seine Zeit ( 2414), der andere schlesisch-böhmische Briefmuster aus der Wende des 14. Jahrhunderts enthält (Bd. 5 des Gesamtwerks) ( 199).

Besonders wertvoll ist, daß B. dem ersten Band eine Einführung in das Gesamtwerk vorausschickt, die das äußere und innere Schicksal des großen Unternehmens darlegt. Sie war ursprünglich für die Einleitung zum Rienzo- Briefwechsel bestimmt, wo B. die Bedeutung Rienzos für die geistige Wandlung seiner Zeit geschildert hatte. Sie ist aber auch an dieser Stelle willkommen, da sie auch den mit der Entstehungsgeschichte des ganzen Werks und dem Denken und den Studien B.s weniger Vertrauten nun einen Einblick in die Konzeption ermöglicht, von der das ganze ausgeht. Es bedürfte ja in der Tat einer Rechtfertigung, wenn in einem der Geschichte der deutschen Bildung gewidmeten Werke der Briefwechsel Rienzos einen so breiten Raum einnimmt, wie nicht minder, daß in diesen Forschungen ausgesprochene Kanzleiprodukte mit der größten Liebe und Ausführlichkeit nach kritischen Grundsätzen ediert werden, die man sonst nur bei Werken von literarischem Wert anzuwenden pflegt. So erhalten wir in diesem Vorbericht zunächst ein menschliches Dokument von besonderer Eigenart, das Bekenntnis eines Literarhistorikers, der seine Arbeit im weitesten Sinn als kulturhistorisch auffaßt und von der Verbundenheit der einzelnen Zweige der menschlichen Bildung eine großartige Vorstellung hat. Darauf beruht der Wert der B.schen Forschungen überhaupt und dieses Berichts im besonderen auch für den, der, wie der Referent, gegen die Ergebnisse im ganzen wie im einzelnen Bedenken hat. Es handelt sich also für B. eigentlich um die Frage der Entstehung und Einigung der neuhochdeutschen Schriftsprache. Diese Frage ist aber für ihn mit nichten ein bloßes Problem des Lautstandes, der Wortbildung und Wortwahl, der Syntax- und Periodenbildung, sondern ein Abbild und Niederschlag der ganzen deutschen Kulturbewegung. In dem Bestreben den Punkt zu finden, wo sich der ostmitteldeutsche Grundcharakter des neuhochdeutschen Sprachtypus zuerst literarisch deutlich aufweisen läßt, und wo zugleich die deutsche Schriftsprache zum erstenmal bewußt unter dem Einfluß einer fremden Kultur geformt wird, ist B. auf das Böhmen Karls IV. geführt worden. Damit hat sich ihm die Frage nach dem Charakter der ausländischen Muster und der ausländischen Beeinflussung verbunden, und aus den Studien über Dante, Petrarka und Rienzo hat er seinen Renaissancebegriff entwickelt, den ich im vorherigen Bericht charakterisiert habe (S. 464). Für all dies, insbesondere auch für die methodologischen Voraussetzungen der ganzen Arbeit wird man sich in Zukunft an dieser Stelle zu orientieren haben.

Für die Fragen, die mit B.s Auffassung des Humanismus und der Renaissance überhaupt zusammenhängen, dient als Ergänzung sein Aufsatz über die Kulturbedeutung Böhmens und Schlesiens an der Schwelle der Renaissance im 27. Band des Euphorion ( 2409). Hier sind auch bereits die Ergebnisse der beiden neuerschienenen Bände des Gesamtwerks verarbeitet. Für das Grundsätzliche zitiere ich folgende Sätze: »Die italienische Renaissance ist ihrem Ursprung


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und Wesen nach eine nationale Bewegung, ein Durchbruch des nationalen Selbstbewußtseins, eine Erneuerung des italienischen Volkstums aus dem Geiste des römischen Altertums, aus der niemals erloschenen, jetzt aber neu entflammten Romidee.« -- »Soweit das Verhältnis zur Antike in Betracht kommt, ist dies vielmehr Restauration einer entstellten, verkümmerten als Wiedergeburt einer toten Kultur.« -- Für Dante, Petrarka und Rienzo wird in Anspruch genommen, daß sie dem aus dem Mittelalter ererbten Romkult und den mittelalterlichen Ideen der kaiserlichen Weltherrschaft, des Imperialismus einen anderen geistigen Gehalt geben. -- Für die Renaissance ist das eigentlich Bestimmende der in der Tiefe wogende Strom religiöser Erregung, ihre Tendenz ist die Sehnsucht nach einem neuen Leben, nach der Rückkehr zu den primitiven Urformen der menschlichen Natur. -- Aus diesen Anregungen wird in Böhmen am Hof, in Kanzlei und Universität eine neue Weltbildung gewonnen und von da auf den deutschen Osten übertragen. Das zeigt sich besonders in Schlesien, wohin die von B. in Verbindung mit S. Bebermeyer herausgegebene Musterbriefsammlung führt ( 199). Wie sich ein mittelalterliches Persönlichkeitsideal hier renaissancemäßig umbildet, sucht B. an der Hedwigslegende zu zeigen.

Auf eine Kritik dieser Aufstellungen kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Die Hauptfragen, welche geklärt werden müssen, sind folgende: Kann man die spiritualistische Umwandlung von mittelalterlichen Begriffen wie Sacerdotium und Imperium, denn um eine solche handelt es sich bei Rienzo und zum Teil auch bei Dante, als wesensbildend und wesensbestimmend für diejenige nationalitalienische Entwicklung ansehen, die wir Renaissance zu nennen gewohnt sind, und die jedenfalls mit ganz ausgeprägten Zügen Italien von 1250--1550 beherrscht? Kann man nachweisen, daß mit dieser Bewegung einerseits apokalyptische Vorstellungen, anderseits aber auch antike Gedanken eine morphologisch bestimmte und zeugungsfähige Verbindung eingegangen sind? Läßt sich weiterhin für Böhmen zeigen, daß die dortige geistige Bewegung unter Karl IV., die unzweifelhaft zur Entstehung der deutschen Kanzleisprache geführt hat, eine geschlossene deutsche Kulturbewegung spiegelt? Darf man also den Ackermann aus Böhmen in ähnlicher Weise als Ausdruck einer solchen Kulturbewegung betrachten, wie man es unzweifelhaft mit den sprachlichen Formungen der deutschen Geniezeit und speziell des jungen Goethe tun kann? Endlich, gibt es Fäden, die von hier zum deutschen Humanismus und zu einer mit Recht so zu nennenden deutschen Renaissance hinführen? Diese Fragen sind, wie man sieht, von höchstem Interesse. Als entschieden in B.s Sinne kann ich keine einzige von ihnen betrachten.

Im besonderen möchte ich darauf hinweisen, daß die Einleitung zum Ackermann, soweit sie hier jetzt vorliegt, sich in sehr eingehenden und durch die Fülle der Gelehrsamkeit bedeutenden Ausführungen mit folgenden Punkten befaßt: Entstehungszeit, Name und Persönlichkeit des Dichters, sein geistiges Verhältnis zu dem Prager Erzbischof Johann von Jenzenstein, die Bedeutung des Pflügertypus für die sogenannte Adamsspekulation, das Verhältnis dieses Typus zu dem englischen der in Langlands Pier Plowman vorliegt. -- In der Einleitung zu der Ausgabe des schlesisch-böhmischen Formelbuchs (sogenannte Schlaegler Formelsammlung) finden sich nach einer genauen Analyse des Inhalts und der Formen der Musterbriefe vor allem eingehende Auseinandersetzungen über das Verhältnis der lateinischen Glosse des Formulars zur Rhetorica ad Herrenium,


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die auch tief in die Theorien der antiken Rhetorik hineinführen. -- Wie man auch zu B.s Thesen stehen mag, auf alle Fälle wird deutlich, daß eine Einsicht in die Bedeutung und das Wesen des deutschen Humanismus von einer genauen Erforschung des italienischen und von einer sicheren Erkenntnis der Wege, auf denen er nach Deutschland gelangt ist, abhängig ist. Nur unter diesem Gesichtspunkt werden im folgenden Erscheinungen des italienischen Humanismus besprochen werden.

Von der Petrarka-Biographie Tathams (siehe vorigen Bericht, S. 466) ist der zweite Band erschienen ( 2411), der die zehn Jahre von 1337--1347 behandelt, damit also die für Petrarkas Entwicklung zum Humanismus wichtigsten Ereignisse, seine beiden Aufenthalte in Vaucluse, die Dichterkrönung und seine Beziehungen zu Robert von Neapel und zu Azzo di Coreggio in Parma. Auch in diesem Bande verbindet T. mit der Biographie eine ausführliche Zeit- und Literärgeschichte und fügt die wichtigsten Briefe Petrarkas in Übersetzung an. Doch ist nicht zu leugnen, daß der Band den durch den ersten erregten Erwartungen nicht recht entspricht. Das Kapitel über die lateinische Literatur im Mittelalter, besonders in Italien, bringt wenig Neues, die Analyse des Sekretum und damit der Religiosität Petrarkas geht nicht in die Tiefe. -- Hier führt die Arbeit von Wolf ( 2412) ohne Zweifel weiter. Wolf versucht die Komponenten des Lebensgefühls Petrarkas aufzuzeigen und findet, daß die Ruhe des kontemplierenden Weisen, die Petrarka anstrebt, im Grunde eine künstlerisch gesehene Sehnsucht ist, die über den als gegensätzlich empfundenen Vielheiten des Lebens und aus den Gegensätzen seiner eigenen Natur eine sinngebende Einheit aufbaut. Seine historische Bedeutung liegt in der Säkularisierung der emotionalen Erlebnisse, d. h. wie man das bereits früher ausgedrückt hat, in der Kultur der Seele als Selbstzweck. -- Für die Gesamterfassung Petrarkas kann die neue Biographie von H. W. Eppelsheimer ( 2412 a) als eine gute und reife Darstellung aller für Petrarka wichtigen Probleme empfohlen werden. Hier ist auch das geistige Römertum Petrarkas ruhig und zutreffend gewürdigt und im Schlußkapitel ein Versuch gemacht, Renaissance und Humanismus gerade in ihrem Verhältnis zum Lateinertum zu scheiden. -- Für Cola di Rienzo gibt Brandis in München gehaltener Vortrag ( 2413) eine geistvolle und anziehende Würdigung. Br. findet, daß Cola von den Bahnbrechern neuer geistiger Bewegungen durch den Mangel des eigentümlich Originären und des echten Heldentums getrennt wird. »Er war und blieb ein nachgeborenes Kind des gotischen Zeitalters mit seinen Allegorien und mystischen Spielereien, aber ohne den himmelstürmenden Schwung der echten Gotik, ein Überlebender des Mittelalters.« -- Wie vorsichtig man mit der Verwendung einzelner Motive für die Charakteristik des Geistes von ganzen Perioden sein muß, zeigt eine kleine Abhandlung von Klapper ( 2410). Danach geht die für den Humanismus so wichtige Hieronymusverehrung in der Hauptsache auf ein ganz unhumanistisches Werk des bekannten Juristen Johannes Andreae zurück, der uns aus der Polemik Petrarkas bekannt ist.

Für die auf Petrarka folgende Periode des Humanismus ist Florenz die klassische Stätte. Hier gestaltet sich sowohl das sogenannte Heidentum der Renaissance, wie auch die unterdessen fortlaufende mystisch-spiritualistische Richtung zu literarischen Mächten. Ein typischer Vertreter der ersten Richtung Luigi Pulci wird von Walser ( 2415) in einer interessanten Studie behandelt.


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Danach ist Pulci, wenigstens vor seiner angeblichen und wohl nur äußerlichen Bekehrung, ein Spötter über alles Kirchliche, ein Skeptiker auch in allem Dogmatischen, aber in diesem ist er der Vertreter einer sehr bestimmten Laienfrömmigkeit mit Tätigkeitsmoral und besonders mit einem Vorsehungsglauben, der sich in allen Einzelheiten aus dem lateinischen Averroismus erklären läßt, dem eigentlichen Widerpart des Humanismus von Petrarka an. Pulci ist denn auch ohne jeden ersichtlichen Zusammenhang mit dem Humanismus. (Siehe aber auch die eingehende Kritik, die A. v. Martin in der Deutschen Literaturzeitung 1928, Spalte 1158 ff. dem Buche Walsers gewidmet hat.) Pulcis Gegenpol ist Marsilio Ficino, bei dem sich die Humanisierung von Sternenglauben und Fatalismus vortrefflich zeigen läßt. Deutlicher wird das noch bei Pico della Mirandola, dem Pusino ( 2418) sein Studium zugewendet hat. Zu der im vorigen Bericht erwähnten Abhandlung ist jetzt eine neue getreten, welche die Quellen für die Biographie Picos untersucht. Als die wichtigste erscheint die Lebensbeschreibung, die ihm sein Neffe gewidmet hat. Sie ist, wie P. zeigt, unmittelbar nach dem Tode Picos entstanden, aber nach dem Muster eines Heiligenlebens stilisiert. Danach bemißt sich ihr Quellenwert.

Walser hat seine Forschungen über die Renaissance auch in einem jetzt gedruckten Vortrag auf der Erlanger Philologenversammlung von 1925 zusammengefaßt ( 2397). Er beantwortet darin die Frage: Worin lag für die Menschen der Renaissance das Wahrzeichen ihres eigenen Zeitalters? Hatten sie überhaupt das Gefühl, einer neuen Epoche der Menschheitsgeschichte anzugehören? Das Letzte wird bejaht, aber nicht so, daß den Menschen der Renaissance ein optimistisches Glücks- und Fortschrittsgefühl zugeschrieben würde, sondern so, daß die neue künstlerische Erfassung der Welt- und Menschheitsprobleme zu einem deutlich empfundenen Abstand von der Vergangenheit führt, aus der die Renaissance herkommt. -- Auf diesem Wege, der durch Vergleich der Renaissance mit dem ihr voraufgehenden und ihr folgenden Zeitalter typische Merkmale des Begriffs zu finden sucht, bedeutet das Buch von Zilsel ( 2398) einen wichtigen Schritt. Sein Gegenstand ist das Persönlichkeitsproblem. Er diskutiert es aber nicht mit der müßigen und von Jakob Burckhardt, auf den man sich dabei zu berufen pflegt, gar nicht gestellten Frage, ob es in der Renaissance mehr Persönlichkeiten im modernen Sinne gegeben habe als etwa im Mittelalter, sondern er fragt, ob die moderne Geltung der Persönlichkeit hier in besonderer, von früherer und auch von späterer Zeit unterscheidbarer Form hervortritt. Z. geht dabei soziologisch vor, d. h. er betrachtet die Frage der Geltung und Wertung der Persönlichkeit als ein wenigstens in der Hauptsache soziales, von einer bestimmten Struktur der Gesellschaft abhängiges Phänomen und sucht die soziologischen Komponenten des Begriffs, wiederum methodisch ganz richtig, aus der Gegenwart abzuleiten. Denn nur so kann klar werden, was wir eigentlich suchen und untersuchen wollen. Er findet für die Gegenwart die besonderen Kennzeichen der Persönlichkeitswertung darin, daß sie erstens parteilos ist, d. h. daß sie auf die verschiedensten und zum Betrachter ganz verschieden stehenden Menschen angewandt wird, daß wir zweitens bei diesen Menschen als persönlichkeitbildend überall eine ursprüngliche, nicht weiter ableitbare Anlage betrachten, daß wir endlich drittens bei unserer Bewertung der Persönlichkeit zwar, wie es scheint, von ihrer Leistung und ihrem Werk, also von etwas Sachlichem ausgehen, daß diese Leistung sich aber über


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den Durchschnitt des von der Zeit zu Erwartenden erheben soll und damit ein Mißverhältnis der Persönlichkeit zur Zeit, oft ein Nichtverstandenwerden in der Zeit mit sich bringt, daß aber unsere Schätzung der Persönlichkeit und ihre Geltung nicht an der Leistung, sondern an den Menschen hängt. Damit wird die Persönlichkeit in ihrer reinsten modernen Ausprägung als Genie angesprochen. Indem sie nun aber in ihrer soziologischen Funktion an dieselbe Stelle tritt, welche in früheren Zeiten der Held einnimmt, der zum Unterschied vom Genie parteimäßig bewundert und bewußt nach seinen Leistungen bewertet, aber von diesen Leistungen aus entweder in eine fabelhafte Vorzeit verwurzelt oder mit einer ideal vorgestellten Welt in Verbindung gebracht wird (der Heilige, der Märtyrer), entsteht die Frage, wie sich diese Heldenvorstellung in den Geniebegriff wandelt. Die vorliegende Abhandlung, die einerseits auf einer kritischen Betrachtung der Geniereligion ruht, die der Verfasser 1918 hat erscheinen lassen, und anderseits ein erster Teil einer Reihe von geschichtlichen Betrachtungen des Problems ist, untersucht in gründlicher und überlegter Weise, welche Bedeutung die Antike und besonders Renaissance und Humanismus für diesen Vorstellungswandel haben. Das Ergebnis ist, daß die Antike, besonders aber Renaissance und Humanismus zwar wichtige Grundlagen für den modernen Persönlichkeitsbegriff geboten, ihn aber nicht geschaffen haben. Dies war erst in einer völlig rationalisierten Gesellschaft möglich, deren Anfänge nach der Renaissance, in dem sogenannten naturwissenschaftlichen Zeitalter liegen, das mit Baco, Campanella und Descartes beginnt. Auf das einzelne der Beweisführung kann hier nicht weiter eingegangen werden. Ich bemerke nur, daß sich die Abhandlung durch umsichtige Heranziehung der Quellen und klare Fragestellung wohltuend von anderen soziologischen Behandlungen des Problems unterscheidet und geeignet ist der weiteren Diskussion eine brauchbare Grundlage zu bieten. Besonders dankenswert scheint mir, daß hier einmal gründlich zwischen der sprachlichen, d. h. literarischen Formulierung des Geniebegriffs und den erkennbaren gesellschaftlichen Wertungen des Genies unterschieden wird. Es wird ferner auch einigermaßen deutlich, daß für dies Formungsproblem der Humanismus die entscheidende Bedeutung hat, und daß er in dieser Hinsicht von der Renaissance als einer Kulturbewegung, die in gesellschaftlichen Veränderungen wurzelt, unterschieden werden muß.

Von einer ähnlichen Problematik wie Zilsel geht auch das Buch von Vloemans aus ( 2396). Es will einen für den modernen Menschen wesentlichen Begriff durch historische Ableitung analysieren und stößt dabei ebenfalls auf die entscheidende Bedeutung der Renaissanceperiode. Nur ist der Begriff des heroischen Erkenntnisdranges, oder wie wir vielleicht deutlicher sagen können, das Streben nach einem kritizistisch fundierten, individualistisch gesehenen, als anschauliche Einheit postulierten Weltbild viel weniger einfach und viel unschärfer als der Geniebegriff, mit dem es Zilsel zu tun hat. Auch sieht V. von vornherein von einer Ableitung der verschiedenen Bewußtseinsstellungen, die ihm die Renaissance bietet, aus gesellschaftlichen Bedingungen ab. Er behandelt das Problem etwa so, wie Dilthey seine Probleme behandelt hat, von dem er auch das Motto seines Buches entnimmt. Endlich hat sich V. die Sache dadurch erschwert, daß er Renaissance, Humanismus und Reformation zwar als deutlich geschiedene geistige Bewegungen ansieht, aber doch den »Renaissancemenschen« überall, also auch bei Luther und Calvin findet. So entstehen, nach


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einer Einleitung, die die mittelalterliche Weltanschauung als Übergang von der Antike zur Renaissance würdigt, 6 Kapitel, die zwar jedes biographisch angelegt und durchgeführt sind, aber zugleich verschiedene Seiten des Problems aufzeigen sollen. Die ersten drei erörtern an den Gestalten von Erasmus, Luther und Nikolaus von Cues das Verhältnis von Renaissance und Humanismus, Renaissance und Reformation, Renaissance und Scholastik. Dabei ist Erasmus der zweifelnde Held, Luther der religiöse Held und Cusa die Verkörperung des heroischen Erkenntnisdranges. Wenn dabei der Cusaner später behandelt wird als Erasmus und Luther, so erklärt sich das daraus, daß der Verfasser in ihm zum erstenmal die für die Beweisführung des Buches entscheidenden Themen behandelt sieht: das Verhältnis von Kraft und Willen im Mikrokosmos und Makrokosmos und das Unendlichkeitsproblem, also die Probleme des Pandynamismus und des Pantheismus. Was Erasmus und Luther geleistet haben, erscheint von da aus mehr als vorläufige, in der Hauptsache erkenntnistheoretische Kritik an dogmatischen Aufstellungen des Mittelalters. Das Heldenhafte liegt bei beiden in dem Mute, mit dem sie die errungenen Wahrheiten aufstellen und bei ihnen verharren. Die drei nächsten Kapitel geben dann Wege von der Bewußtseinsstellung der Renaissance zu der modernen. Die Etappen bezeichnen Paracelsus, der aus faustischem Geiste die innere Einheit von Mikrokosmos und Makrokosmos erschaut und lehrt, Giordano Bruno, der Vertreter des heroischen Enthusiasmus, mit dem die Metaphysik der Renaissance ihren Höhepunkt erreicht und der, etwa im Vergleich mit den Indern, die entscheidenden Merkmale des europäischen Denkens zeigt, und Montaigne, wo der heroische Zweifel die Subjektivität des Weltbildes erst wahrhaft herausstellt. -- Grundlegende neue Erkenntnisse für die einzelnen behandelten Persönlichkeiten und auch für die Gesamtproblematik, wie sie das in der Problemstellung verwandte Buch von Ernst Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance bietet, das im nächsten Bericht zu besprechen sein wird, will das Buch von V. nicht geben. Es soll allgemein verständlich sein. Das ist es auch in vorzüglichem Sinne. Der Verfasser schreibt ausgezeichnet, formuliert klar und geistvoll und regt auch da an, wo man, wie etwa bei seiner Würdigung von Luther und Calvin, nicht recht mit ihm gehen kann.

Von der Tatsache, daß es sich bei der Renaissance um eine spezifisch abendländische Kulturbewegung handelt, und daß erst das besondere Verhältnis, in das die wiederbelebte Antike zu ihr getreten ist, ihre historische Bedeutung ausmacht, kann nichts besser überzeugen, als ein Vergleich mit der Entwicklung der byzantinischen Kultur. Diesen Vergleich gibt der beste Kenner dieser Kultur, A. Heisenberg ( 2399). Er geht dabei von dem Vortrag aus, den Carl Neumann auf dem Historikertag von 1903 über byzantinische Kultur und Renaissancekultur gehalten hat, stellt aber seine Fragen anders als dieser. H. zeigt, daß es für die byzantinische Entwicklung eine grundlegende Periode gibt, es ist die Zeit von Konstantin bis Justinian. Auf diese wird immer wieder zurückgegriffen, auf die vor ihr liegende Antike nur insoweit, als sie schon von diesem Zeitalter der Orthodoxie rezipiert worden war. »Keine Brücke führt aus der sicher geschlossenen Welt der Romäer in die der Hellenen hinüber.« Aber auch das Zurückgreifen hat nicht den Sinn einer Renaissance, d. h. es entsteht nicht aus dem Gefühl, daß man etwas Abgestorbenes neubeleben müsse. Denn dies Gefühl entsteht im Abendland aus den großen Gegensätzen der eigenen


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Entwicklung, in die man sich hineingeführt sieht, zwischen Staat und Kirche, zwischen persönlicher Religiosität und Tradition. Diese Gegensätze fehlen in Byzanz, und ebenso fehlt ein Volkstum, das gegen übernationale Bindungen sich hätte erheben können. Allerdings gibt es im 12. Jahrhundert eine Literatur in der Volkssprache, die vielleicht die Bedingungen einer Renaissanceentwicklung, d. h. einer Entwicklung gegen die staatskirchliche Form des Byzantinismus in sich getragen und die dann vielleicht, ähnlich der Renaissance des Abendlandes, ihre Normen im echten Hellenentum gefunden hätte. Das aber ist durch die Eroberung des byzantinischen Reichs 1204 auf immer unmöglich gemacht worden. Auf den Inseln und im Mutterland von Griechenland beginnt damals ein neues geistiges Leben, eine wirkliche Renaissance unter venetianischer Führung. Aber diese entwickelt sich nicht weiter, sie wird ein Teil der italienischen Renaissance. Mit der Feststellung, daß weder dem byzantinischen Volke noch der übrigen orthodoxen Welt von Osteuropa jemals eine wahre Renaissance beschieden gewesen ist, schließt der inhaltreiche Aufsatz.

Für den deutschen Humanismus haben wir nun durch G. Ellinger die lange entbehrte Zusammenfassung des Entwicklungsgangs mit Berücksichtigung der neuen Forschungen erhalten ( 2400). In der durch den Raum gebotenen Knappheit wird hier doch eine Übersicht über alle wichtigen Anschauungen und Fragen des deutschen Humanismus gegeben. Vieles ist selbständig gesehen und in neues Licht gesetzt. Dazu rechne ich besonders die Abschnitte 1 und 2, die über den Frühhumanismus, d. h. die ersten Versuche der Nachahmung und Aneignung des italienischen Humanismus, und über den älteren Humanismus handeln, wo die überragende Bedeutung der elsässischen Schule gut hervortritt. Für die Blütezeit betrachtet E. als eine Art von Programm die Ingolstädter Universitätsrede des Celtis mit ihren drei Forderungen: Wahre Erkenntnis der Dinge, Erforschung der Natur, Reinheit der lateinischen Sprache. Bei der Charakteristik der neuen Theologie stellt er zwischen Reuchlin und Erasmus Mutian. Hutten wird vor allem in Berührung und Kontrast mit Erasmus gewürdigt. Der siebente Abschnitt behandelt die satirische Literatur, der achte den Humanismus an den Universitäten, der neunte zieht die Ergebnisse: Keine organische Verbindung zwischen Antike und nationaler Kultur wie in Italien, aber eine außerordentliche Erweiterung der Anschauungskreise, ein neuer Wissenschaftsbetrieb, ein Wandel der Weltanschauung besonders auf dem Gebiet der Pädagogik, damit eine neue optimistische Auffassung der Bestimmung und Aufgabe des Menschen. Der letzte Abschnitt behandelt das Verhältnis von Humanismus und Reformation, die, wie der Verfasser betont, von ganz verschiedenen Ausgangspunkten ausgehen. Als die wichtigsten Verkünder des Neuen erscheinen Melanchthon und Sturm.

Für die Bedeutung der Brüder vom gemeinsamen Leben in der Geschichte des deutschen Humanismus, soweit er religiöse Reformbestrebung ist, ist ein 1924 erschienenes Buch des Amerikaners A. Hyma, The Christian Renaissance insofern wichtig geworden, als es mit Erneuerung und Überspitzung älterer Thesen versucht, die »christliche Renaissance«, die mit Geert Groote beginnt und in der devotio moderna der Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben ihren besonderen Ausdruck findet, als Quelle der gesamten reformatorischen Bewegung, ja auch der Gegenreformation hinzustellen. Das Buch hat in diesen seinen Thesen fast überall Widerspruch erfahren (siehe auch


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den Bericht Barons in der Histor. Zeitschr. Bd. 132 S. 421). Dadurch veranlaßt, präzisiert jetzt H. seine Meinungen genauer ( 2401) und schränkt diese doch wohl ziemlich erheblich ein. Geert Groote ist doch nur »in gewissem Sinne« der geistige Vater aller der Männer geworden, die von den Brüdern erzogen worden sind. Die Brüder haben »viel Gemeinsames« mit Luther, aber sie werden keine Vorläufer der Reformation, sie haben viel Gemeinsames mit Loyola, aber sie werden keine Vorläufer der Gegenreformation. Auch in dieser Einschränkung aber bleiben wesentliche Bedenken gegen die Methode H.s unerledigt. -- Interessant ist der Hinweis de Mans ( 2405), daß von der deutschen Mystik zwar Meister Eckhardt und Tauler von den Devoten abgelehnt werden, daß aber Seuses Horologium aeternae sapientiae auf diese Einfluß geübt hat. -- Ein anderer kleiner Aufsatz de Mans ( 2402) beschäftigt sich mit der Stellung der Devoten im sogenannten Utrechter Schisma und ist lehrreich für die Stellung der Bettelmönche zu den Brüdern und für die Gefahren, die ihnen aus der Ähnlichkeit ihrer Lebensführung mit den Begarden und Beginen erwuchsen.

Unter den Quellenpublikationen, die für den deutschen Humanismus in Betracht kommen, ist die weitaus bedeutendste die Ausgabe der Briefe des Erasmus durch P. S. Allen ( 2419). Diese ist im Berichtsjahr bis zum sechsten Band und damit bis zum März des Jahres 1527 vorgeschritten, also bis etwa zum Höhepunkt seines Wirkens in Basel. In dieses Jahr fällt das erste Testament des Erasmus, in dem er den Plan einer Gesamtausgabe seiner Werke vorlegt, also ein von ihm selbst empfundener Abschluß einer Periode seines Lebens. Die Sammlung umfaßt bis jetzt 1800 Nummern. Es ist überflüssig etwas zu ihrem Lobe zu sagen. Sie ist ebenso vorbildlich in der praktischen Anordnung des Drucks wie in der kritischen Sorgfalt, mit der Textgestaltung, Datierungsfragen und Sacherklärungen behandelt sind. In den kurzen Biographien der einzelnen Adressaten, die A. meist bei ihrer ersten Erwähnung dem betreffenden Brief vorausgeschickt hat, bietet er das zuverlässigste und bequemste Nachschlagewerk für die große Mehrzahl der deutschen Humanisten.

Die Wirkung der Ausgabe auf die Erasmusstudien und das Studium des deutschen Humanismus überhaupt wird sich nun wohl allmählich geltend machen. In das Berichtsjahr fällt die hübsche Arbeit von Renaudet ( 2422), der, wie schon vorher den ersten und zweiten Band des Briefwechsels, so jetzt den vierten und fünften ausgenutzt hat und die Religiosität des Erasmus und seine Aktion zugunsten Luthers in den Jahren 1518--1521 behandelt. In drei Abschnitten wird zunächst die philosophia christi und das aus ihr hervorgehende religiöse Reformprogramm des Erasmus behandelt, dann die Verteidigung dieser Philosophie und die Vermittlungspolitik zugunsten Luthers, endlich das Scheitern dieser Politik. R. schließt sich dabei, besonders in den Abschnitten 2 und 3, stark den Arbeiten von Kalkoff an, nicht immer mit der nötigen Kritik, doch kann das hier gegebene Bild von dem geistigen Verhältnis des Erasmus zu Luther im allgemeinen als zutreffend gelten. -- Die Arbeit von Febvre ( 2420) ist nur Referat aus Renaudet. -- Eine sehr schöne Ergänzung zu der Veröffentlichung von Allen bieten die Reliquien des Erasmus, die Major herausgegeben hat ( 2421). Hier finden wir zunächst eine Sammlung von Bildnissen des Erasmus, die von dem Bilde des Quentin Massys von 1517 bis zu seiner Totenmaske führt (einiges allerdings bei Allen schöner reproduziert),


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dann Abbildungen aus seinem Inventar nach zwei abgedruckten Verzeichnissen von 1534 und 1536, der Häuser, die er in Freiburg und Basel bewohnt hat usw. Das Ganze ist eingeleitet durch eine knappe, aber sehr gute Biographie, ein Personenregister, das kurze Hinweise auf die Freunde und Korrespondenten des Erasmus bietet, und ein Literaturverzeichnis, das auch allerlei Entlegenes aufweist. Das Ganze kann als eine Illustration zu der feinen Schilderung gelten, die Rudolf Wackernagel in seiner Geschichte der Stadt Basel, Bd. 3, von der Zeit des Erasmus und Holbein in Basel entworfen hat.

Unter den übrigen Veröffentlichungen zum deutschen Humanismus behandelt eine Gruppe den elsässischen Humanismus, eine andere beschäftigt sich mit Hutten. Pfleger ( 2423) versucht durch eine Analyse der Predigttätigkeit Geilers von Keysersberg zu zeigen, daß auf ihn der Vorwurf, die vorreformatorische Predigt habe die Bibel vernachlässigt oder doch in ihr die Wundererzählungen und historischen Stücke vor der Heilsverkündung bevorzugt, nicht zutreffe, kommt aber nicht über Äußerlichkeiten hinaus. Dankenswert sind die Veröffentlichungen von Borries (†), Stenzel und Lefftz ( 2431; 2431 a; 2424). Borries gibt die Hauptschriften aus dem Streit Wimpfelings mit Murner über das Deutschtum im Elsaß neu heraus, Stenzel rekonstruiert sehr glücklich die verlorene Straßburger Chronik Gebwilers, Lefftz hat nach einer Abschrift Th. v. Liebenaus, die einen verschollenen Urdruck ersetzen muß, die letzte Streitschrift Murners herausgegeben, ein Gedicht, in dem sich dieser mit dem Übertritt Berns zur neuen Lehre 1528 beschäftigt. Bei allen drei Arbeiten geben die Einleitungen wertvolle Hinweise auf den Stand der Streitfragen und die Literatur.

Die Beiträge zur Huttenforschung knüpfen an Kalkoffs im vorigen Bericht besprochene Arbeiten an. K.s Versuch, Hutten zu einem Bücherdieb zu stempeln ( 2428), hat Clemen ( 2429) widerlegt, die Antikritik K.s ist hier ebenso unglücklich wie seine kritischen Mitteilungen zur Auflösung der Huttenlegende ( 2429). -- Ein Nebentrieb von K.s Huttenforschung ist auch seine Arbeit über Humanismus und Reformation in Erfurt ( 2407). K. will hier zeigen, daß nicht der mutianische Humanismus, der erasmisch geblieben ist und sich dann von der Reformation abgewendet hat, in Erfurt herrschend gewesen ist, sondern eine andere, vor allem von Johannes Lange und Justus Jonas vertretene Richtung, die aus innerer Notwendigkeit von Erasmus zu Luther übergegangen sei. Insbesondere möchte er beweisen, daß die sogenannte Intimatio Erphurdiana pro M. Luthero, eine in Erfurt angeschlagene fingierte Verlautbarung der Universität gegen die Ecksche Veröffentlichung der Bannbulle gegen Luther von Jonas herrühre. Ich habe dem in der Deutschen Literaturzeitung 1927, Sp. 1073 ff. widersprochen (siehe auch K.s Erwiderung auf andere Einwände im Historischen Jahrbuch Bd. 47, S. 353; dazu Paulus ibid. S. 733). -- Überzeugender ist K.s Versuch ( 2430), die sogenannten Triaden, auf denen der Vadiscus Huttens beruht, dem Crotus Rubeanus abzusprechen und mit dem Wimpfelingkreise in Verbindung zu bringen. -- Von dem gesamten Ertrag der Forschungen K.s über Hutten urteilt Ellinger ( 2425), das Verdienst könne ihm nicht bestritten werden, die Schattenseiten Huttens schärfer hervorgehoben und seine Tätigkeit mehr im Lichte der Zeitgeschichte gezeigt zu haben, aber die wesentlichen Grundlagen des früheren Huttenbildes werden bestehen bleiben. Ich teile diese Meinung.


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Das für die Geschichte des deutschen Geistes wichtigste Problem, das Verhältnis des Humanismus zur Reformation, hat in großzügiger Weise Hans v. Schubert in seinem Festvortrag bei der Tagung der Luthergesellschaft in München behandelt ( 2403). Der Sinn des Vortrags ist, zu zeigen, daß Antike und Christentum, die als innerlich verschiedene Größen bereits im Urchristentum einen für beide Teile beschränkenden und wesensverändernden Bund eingegangen sind, am Ende des Mittelalters wieder auseinandertreten und in Humanismus und Reformation als selbständige Größen dastehen. Die Frage nach dem Verhältnis des Humanismus zur Reformation in Deutschland beschränkt sich also nicht auf etwaige humanistische Einflüsse auf das Werden Luthers und seines Glaubens, sondern geht auf das Verhältnis, in das dieser bereits gestaltete Glaube zu dem aus italienischen und deutschen Einflüssen erwachsenen deutschen Humanismus tritt. Das Problem ist also die geistige Auseinandersetzung der reformatorischen Bewegung mit den verschiedenen in Deutschland nachweisbaren Richtungen des Humanismus. Auch bei Sch. steht dabei natürlich das Problem Erasmus-Luther im Vordergrund, doch ist es im weitesten Zusammenhang gesehen und fortgeführt bis zu dem großen Ausgleichsversuch zwischen Humanismus und Reformation, die den Schulmeistergeist des Humanismus in ihre Dienste stellt, also bis auf Melanchthon und das, was für die deutsche Bildung aus ihm folgt. -- Ein Teilproblem dieses Zusammenhangs habe ich von einer anderen Seite her zu klären versucht, indem ich die Loci communes des Melanchthon auf ihre logische Struktur hin untersuchte ( 2404). Es zeigte sich, daß das System der Loci, wie es Melanchthon anwendet, zwar auf das humanistische Rhetorikschema zurückgeht, das zuerst Agricola in Deutschland heimisch gemacht hat, daß aber zwischen Agricola und Melanchthon die bedeutsame Veränderung der Loci aus logischen Kategorien zu Sachbegriffen liegt, und daß sich aus dieser Veränderung der besondere Charakter des Melanchthonischen Wissenschaftssystem erklärt, das dann über ein halbes Jahrhundert in Deutschland geherrscht hat. -- Es ist bekanntlich besonders auch für die Jurisprudenz wichtig geworden. Ein Schüler Melanchthons, der es hier mit starken Wirkungen angewendet hat, ist Conrad Lagus, über dessen Zwickauer Weichbildrecht Clemen ( 2434) interessante Notizen gibt. -- Eine von mir angeregte Dissertation W. Ehmers ( 2417) versucht, an Rudolf Agricola und Mutian zu zeigen, welchen Einfluß der Humanismus in Deutschland auf die Bildung der Persönlichkeit gehabt hat. Bei Agricola ergibt sich als Grundlage der künstlerische, bei Mutian der gelehrte Formtrieb. Für eine Auswirkung zur Persönlichkeitsbildung ist bei Agricola wie bei Mutian das Streben wichtig, die Vielseitigkeit des Wissens von einer inneren Einheit aus zugestalten. Der Unterschied zwischen beiden liegt vor allem darin, daß Agricola die Bildungselemente seiner Zeit instinkthaft in naturbedingtem Wachstum, Mutian dagegen in mühevoller und bewußter Arbeit zum Aufbau seiner Persönlichkeit verwendet.

Auf einem begrenzten und für die Forschung nicht gerade sehr ergiebigen Gebiet, Oberösterreich, verfolgt R. Newald ( 2405) die Regungen humanistischer Bildung von ihren Anfängen bis in die Zeit der Gegenreformation, soweit sie in den Klöstern und beim Adel zutage treten. Er bestätigt die Ergebnisse von Horawitz, daß hier, wie auch in Bayern und Schwaben, die Klosterreform des 15. Jahrhunderts den Boden für den neuen Wissenschaftsbetrieb geschaffen


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hat, der sich auch bald humanistischen Einflüssen öffnet, daß aber hier nirgendwo bedeutende Vertreter des Humanismus, auch keine selbständigen Fortbildungen der übernommenen Anregungen zu finden sind. Über die geistige Haltung des oberösterreichischen Adels unter dem Einfluß der Reformation ließe sich wohl mehr sagen. Im Anhang werden einige Briefe des Humanisten Johann Fuchsmagen an den Abt Johann I. Schreiner von Kremsmünster, aus den Jahren 1507--1509, mitgeteilt, die nicht ohne Interesse für den maximilianischen Humanistenkreis sind. -- Ein Aufsatz von Geest über Gnapheus, den bekannten Verfasser der von Bolte so trefflich herausgegebenen Schulkomödie Acolastus ( 2435) gibt einiges Interessante für seine persönliche Entwicklung. --

Das Interesse der breiten Kreise der Gebildeten hat sich heute begreiflicherweise besonders stark der Gestalt des Paracelsus zugewendet. Kolbenheyers Meisterroman hat dabei noch ein übriges getan. Seit Jahren sind zwei große Ausgaben im Laufe, die seine Werke wissenschaftlich erneuern, vor allem auch die ungedruckten theologischen ans Licht ziehen sollen. Daneben erscheinen fortdauernd Teilausgaben für populäre Zwecke. Eine solche ist auch die Ausgabe von Aschner ( 2435). Sie gibt eine Übersetzung der für den Arzt wichtigsten Werke aus der Huserschen Gesamtausgabe von 1589 bis 1591. In das Berichtsjahr fällt nur der erste Band, der zweite, ebenfalls über 900 Seiten stark, ist 1928 erschienen. Die Ausgabe ist von berufenen Kritikern, wie Sudhoff, heftig angegriffen worden. Über die Ausstellungen, soweit sie sich auf die medizinische Terminologie beziehen, zu urteilen, steht mir nicht zu. Auch im übrigen aber kommt die Ausgabe für wissenschaftliche Zwecke schon deshalb nicht in Betracht, da die Frage, wieviel etwa die heutige Medizin von Paracelsus brauchen kann, mit der Würdigung seiner geistigen Bedeutung im Zeitalter des Humanismus nichts zu tun hat.


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