I. Allgemeines. Staat und Kirche.

Eine zusammenfassende Behandlung hat die preußische Geschichte im Berichtsjahre 1926 nur nach der negativen Seite hin erfahren. R. F. Kaindls »Österreich, Preußen und Deutschland« ( 235) sieht im Entstehen und Erstarken Preußens und in der Verwirklichung des kleindeutschen Reichsgedankens die verhängnisvolle Wendung der deutschen Geschichte, die das Ende der »großdeutsch-mitteleuropäischen (!) Bestrebungen« und damit die Katastrophe von 1918 herbeiführt. Um diese These zu erweisen, werden Preußens Leistungen mit einer Geflissentlichkeit herabgesetzt, die die längst korrigierten Übertreibungen der kleindeutschen Geschichtsschreibung weit hinter sich läßt. Eine Auseinandersetzung mit K. ist hier im einzelnen nicht möglich. Wenn sein Buch freilich nicht nur »der geschichtlichen Wahrheit« zum Siege verhelfen, sondern auch »die Kluft zwischen den Volksgenossen hüben und drüben« überbrücken will, so dürfte die von K. gewählte Methode kaum die richtige sein (vgl. auch S. 645).

Eine Reihe von Arbeiten beschäftigt sich mit dem Verhältnis des preußischen Staates zur Kirche oder unterwirft einzelne daraus erwachsende Probleme einer Untersuchung, die einen größeren Zeitraum umfaßt. Am weitesten holt die Dissertation von W. Ziegler aus ( 2214), indem sie den Unionsgedanken in der Kirchenpolitik der hohenzollernschen Herrscher bis zu Friedrich Wilhelm II. herauszuarbeiten sucht. Den ersten bewußten Vertreter einer Politik, die auf die Vereinigung der beiden evangelischen Bekenntnisse hinzielt, sieht Z. in Friedrich I., eine Behauptung, die sich wesentlich auf das Testament des Königs von 1705 stützt. --

Den fiskalischen Patronat über evangelische und katholische Kirchen und Pfarren, d. h. den Patronat, den der preußische König als Vertreter des Staates handhabt, hat mit Einschränkung auf die evangelische Landeskirche und auf die katholischen Diözesen Altpreußens in tiefdringender Weise J. Heckel ( 1614) behandelt. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts nahmen die kirchlichen Kreise die Bekämpfung des sie fesselnden Institutes auf, wobei die katholische Kirche den größeren Erfolg für sich buchen konnte. Es gelang ihr bereits in der vorkonstitutionellen Zeit, in einer Anzahl von Diözesen die »alternatio mensium« bei der Besetzung der Patronatsstellen oder die Realteilung der Patronate zwischen Staat und Kirche zu erreichen. Zu einer solchen, auch durch die Verfassung geforderten Realteilung kam es schließlich fast allerorten, und selbst, wo der Fiskus das Patronatsrecht behielt, war er gezwungen, sich vor der Präsentation seines Kandidaten mit dem Bischof zu verständigen. In der evangelischen Kirche ist den Konsistorien das mit dem fiskalischen Patronat


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verbundene Besetzungsrecht zugefallen, gegen dessen Ausübung ein Einspruch des Staates nur in Ausnahmefällen stattfindet. -- Einen besonders interessanten Beitrag zur Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche bilden H. Pohls Studien über die katholische Militärseelsorge Preussens (1797--1888) ( 209 a). Die Entwicklung verläuft trotz gelegentlicher Rückschläge einheitlich in der Richtung auf die volle Anerkennung und Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der katholischen Soldaten. Friedrich Wilhelm III. war noch geneigt, sie der über alles gestellten Rücksicht auf die Geschlossenheit der Armee zu opfern, indem er von den Heeresangehörigen der konfessionellen Minderheit die Teilnahme an den evangelischen Kirchenparaden erzwang und sie durch die Militärkirchenverordnung von 1832 zu Mitgliedern der einen, evangelischen Militärgemeinde stempelte. Erst unter Friedrich Wilhelm IV. wurde eine Reihe von Stellen für katholische Militärgeistliche und das Amt eines katholischen Feldpropstes geschaffen, der zunächst (seit 1849) von einem Armeebischof, seit dem Breve vom 24. Juli 1868 unmittelbar vom Papst delegiert war. Während des Kulturkampfes kam es dann zu einem schweren Konflikt zwischen der Staatsregierung und dem Feldpropst Namszanowski, dessen wesentlichsten Grund P. »in der Verständnislosigkeit der leitenden Staatsmänner für die aus den geistlichen Ämtern für deren Inhaber sich ergebenden Pflichten« erblickt. Namszanowski wurde 1872 suspendiert. Sein Amt wurde erst 1888 wieder besetzt und dabei auf das Breve von 1868 als eine für Staat und Kirche gleich annehmbare Grundlage zurückgegriffen.


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