II. Die Begründung des brandenburgisch-preußischen Gesamtstaates 1609 bis 1740.Die Publikation der »Urkunden und Aktenstücke« ist von M.
Hein (
1055) mit einem 22. Bande fortgesetzt worden, der über die Beziehungen
Brandenburgs zu Polen, Dänemark, Schweden, Braunschweig-Lüneburg und Ostfriesland während der letzten
Lebensjahre des Großen Kurfürsten Aufschluß gibt. Obgleich Vorarbeiten F. Hirschs dem Herausgeber zur
Verfügung standen, hat H. um der Einheitlichkeit des Ganzen willen durchweg unmittelbar aus den Akten
geschöpft, wobei dem reichen Material die entscheidenden Stücke mit Geschick und Sachkenntnis entnommen worden
sind. Als bedeutender Gesichtspunkt der kurfürstlichen Politik zeigt sich das Bestreben, die Selbständigkeit
Hamburgs entgegen den Wünschen Dänemarks und Schwedens aufrechtzuerhalten. Den Abschnitt
»Ostfriesland« erfüllt das Unternehmen gegen Greetsiel, mit dem die Festsetzung
Brandenburg-Preußens an der Nordsee beginnt. -- Das Bedürfnis nach einer knappen, wissenschaftlich fundierten
Biographie des Großen Kurfürsten bestand schon seit langem. Hatte doch die Sammlung der »Urkunden und
Aktenstücke« den Quellenstoff zur Geschichte der äußeren und für wichtige Teile der inneren
Politik Friedrich Wilhelms bereitgestellt, eine umfangreiche Spezialliteratur die wesentlichsten Probleme dieses
denkwürdigen Herrscherlebens erörtert. H. v. Petersdorff hat die Aufgabe, die hier einer
durchdringenden und zusammenfassenden Bearbeitung harrte, in glücklicher Weise gelöst (
1053). Gründliche Benutzung des gedruckten Materials, ungekünstelte
und sympathisch einfache Darstellung, sorgfältige gewahrte Distanz zu dem Helden, die Schwächen nicht
übersieht, das wahrhaft Große aber ungescheut hervorhebt, das sind die Vorzüge dieser neuen
Lebensbeschreibung Friedrich Wilhelms. Das Prinzip seiner Politik gegenüber Kaiser und Reich glaubt v. P. in jenem
Wort zu finden, das der englische
S.508 Gesandte Southwell im Jahre 1680 als Äußerung des Großen Kurfürsten aufgezeichnet hat :»Ich bin ein wahrer Deutscher und will es immerdar bleiben, und zwar ein solcher, als einem Kurfürsten von Brandenburg geziemt.« -- Hof und Regierungsverfassung Friedrichs I. hat W. Koch behandelt ( 1606), freilich mit Einschränkung auf die Ära Wartenberg, neben der die Periode des Danckelmanschen Einflusses und die Zeit nach dem Zusammenbruch des Günstlingsregiments nur in kurzem Überblick skizziert werden. Der an Umfang bedeutendere Abschnitt über den Hof erschließt die hannöverschen und sächsischen Gesandschaftsberichte als Quelle und vermittelt ein lebendiges Bild von der so unpreußischen Persönlichkeit Friedrichs I. und seiner an unheilvollen Männern reichen Umgebung. In der Darstellung der Verwaltungsinstitutionen gelangt K. zu Ergebnissen, die z. T. über O. Hintzes Aufsatz »Staat und Gesellschaft unter dem ersten König« (Aufsätze 1, 42--178) hinausführen. Dankenswert ist namentlich die schärfere Erfassung der zwischen Herrscher und Geh. Rat sich einschiebenden engeren Konferenz und die gründliche Behandlung des nach auswärtigem Vorbild geschaffenen Instituts des »Maître des Requêtes«. Das Lubensche Erbpachtprojekt wird nur kurz gestreift, was im Rahmen der gestellten Aufgabe gewiß berechtigt ist; es bedürfte endlich einer aktenmäßigen Untersuchung, wie sie bisher nur für Ostpreußen vorliegt. -- G. Wentz ( 465) verfolgt in einer Studie, die weitläufiges archivalisches Material zusammenträgt und geschickt verwertet, den rapiden Aufstieg und das schnelle Versinken der Familie Krautt unter den drei ersten Königen. Für die preußische Staats- und Verwaltungsgeschichte ist die interessanteste unter den lebendig geschilderten Persönlichkeiten Joh. Andreas Krautt, der es vom Kaufmannslehrling zum Generalempfänger der kurfürstlichen Truppen, zum Geh. Rat und schließlich zum dirigierenden Minister gebracht hat. Halb Finanzmann und kapitalistischer Unternehmer, halb Beamter, verstand er es, bei »Einnahme und Ausgabe« der öffentlichen Gelder »als ein kluger Wechsler und Negotiante« ein ungeheueres Vermögen anzuhäufen, der Typus eines profitsüchtigen, aber geschickten Geschäftsmannes, wie ihn das damalige Staatswesen bei der Unsicherheit seiner Einkünfte nicht entbehren konnte. --Über die
Entstehung der Kantonverfassung Friedrich Wilhelms I. erfahren wir Näheres durch einen Aufsatz von C.
Jany (
1607). Daß die oft fälschlich als Kantonreglement bezeichneten
Kabinettsordres von 1735 nicht eine Neuerung bedeuten, sondern nur die Enrollierung als bereits bestehende Institution
zum vorläufigen Abschluß bringen, war schon bekannt. J. zeigt nun aus den preußischen Heeresakten, wie
sich seit dem Ende des spanischen Erbfolgekrieges mit mancherlei Schwankungen die Rekrutierung der Armee aus den
Landeskindern durchsetzt, wie allmählich ein Anspruch der Regimenter auch auf die noch nicht eingestellten Leute
erwächst und wie aus den sich kreuzenden Enrollierungen die Notwendigkeit entsteht, bestimmten Truppenteilen
bestimmte Bezirke als »Kantons« zuzuweisen. -- Die notwendige Ergänzung des Kantonsystems bildete die
auswärtige Werbung, aus der 1740 etwa ein Drittel des preußischen Heeres hervorging. Sie erfaßte seit
1726 mit stillschweigender Duldung des Kaiserhofes auch Ungarn, was E. Lukinich (
1081) aus Wiener Akten nachweist, und führte zur Bildung förmlicher
Werbezentralen, deren wichtigste die zu Komorn war. Dort war Graf Castelli, der ungarische Vizekommandant, tätig,
um mit Hilfe jüdischer Auftreiber Rekrutenmaterial für
S.509 Preußen zu beschaffen und insbesondere das Ruppiner Regiment des Kronprinzen zu beliefern, mit dem er in Verbindung stand. -- Die Briefe des tollen Markgrafen Friedrich Wilhelm v. Brandenburg-Schwedt, Chefs des Kürassier- Regiments Nr. 5, an den Regimentskommandeur Oberstleutnant v. Rochow, die L. G. v. d. Knesebeck veröffentlicht hat ( 1080), vermitteln hübsche Einzelzüge von dem Dienstbetrieb bei einem preußischen Kavallerie-Regiment unter Friedrich Wilhelm I. -- G. v. Selle ( 1608) verwertet die ständischen Gravamina, die 1740 beim Regierungsantritt Friedrichs d. Gr. in den verschiedenen Provinzen ausgearbeitet wurden, zu einer »Kritik Friedrich Wilhelms I.«. Die Eigenart seines Materials führt ihn zu einer nicht ganz gerechten Beurteilung des Königs, dessen Verdienste, etwa auf dem Gebiete der städtischen Verwaltung, doch verkannt werden. |
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