III. Der Staat Friedrichs des Großen 1740--1786.

Die Serie »Behördenorganisation« der Acta Borussica hat mit dem im Berichtsjahre erschienenen XII. Bande das Ende des siebenjährigen Krieges erreicht ( 1609). Die Zentralbehörden in Berlin sind auch weiter in ihrer Wirksamkeit fast völlig gelähmt, die Provinzen, soweit nicht dauernd in Feindeshand, oft auf selbständiges Handeln angewiesen. Schwer leiden die westlichen Gebiete des Staates unter dem Druck der französischen und österreichischen Besatzung, der in Ostfriesland zu einem, freilich rasch zusammenbrechenden Bauernaufstand führt. Cleve, Mark, Mörs und Geldern schließen 1759 eine Konvention mit den Franzosen, durch die die bisher ungeregelten Kontributionen an Geld und Naturalien fixiert werden, müssen sich jedoch in den folgenden Jahren starke Erhöhungen der ursprünglichen Sätze gefallen lassen. Zu den preußischen Provinzen zählt de facto das Kurfürstentum Sachsen. Mit seiner Verwaltung ist das General-Feldkriegsdirektorium betraut, dessen Chef, der Minister v. Borcke, zu Ende des Jahres 1759 unter Bezeugung der königlichen Ungnade nach Berlin zurückgeschickt wird. Das Feldkriegsdirektorium wird nunmehr unter dem Geh. Rat Zinnow mit dem Feldkriegskommissariat vereinigt, ist aber noch mehr wie bisher nur ausführendes Organ des Königs. Die letzten Teile des Bandes berichten bereits von den Anfängen des Retablissements in Pommern und in der Neumark und von der Wiedereinfügung Ostpreußens in den Staatsverband. -- Eine letzte Ergänzung der deutschen Ausgabe der »Werke Friedrichs des Großen« bildet die von G. B. Volz herausgegebene Publikation über Friedrich im Spiegel seiner Zeit ( 1086), deren erster Band die Zeit bis zum Ausbruch des siebenjährigen Krieges umfaßt. Gestützt auf gründliche Kenntnis des gesamten Quellenstoffes hat V. die wesentlichsten Zeugnisse, die den Eindruck des großen Königs auf seine Mitwelt wiedergeben, zusammengestellt. Neben bereits bekanntem Material wird mancherlei bisher nicht Veröffentlichtes geboten, darunter der wichtige Briefwechsel Hilles und Woldens mit dem General v. Grumbkow aus der Küstriner Zeit und die aufschlußreichen Berichte französischer Diplomaten, in denen der König, sein Hof und sein Staat zusammenfassend charakterisiert werden. Die von M. Kutschmann sorgfältig ausgewählten Textbilder sollen den schriftlichen Äußerungen ergänzend zur Seite treten. -- Auch die lang entbehrte Ikonographie Friedrichs d. Gr. hat uns G. B. Volz geschenkt ( 1085). Sie vereinigt auf 40 Tafeln die wichtigsten bildlichen und plastischen Darstellungen, die über das Äußere des Königs Aufschluß geben. Eine Überschau über das uns vorliegende Material zeigt, daß wir uns kein völlig sicheres und verläßliches Bild


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von der Erscheinung Friedrichs machen können. Festen Anhalt bietet nur die Schilderung, die Karl August 1786 von der Gesichtsbildung des Königs entwarf, und seine, von Waldeyer so schön beschriebene Totenmaske, die auf den beiden letzten Tafeln des Werkes wiedergegeben ist. -- Die von G. B. Volz besorgte deutsche Ausgabe des Briefwechsels zwischen Friedrich und seiner Schwester Wilhelmine ( 1087) wird durch einen zweiten Band abgeschlossen, der die Briefe der Jahre 1740--1758 enthält. Der Gewinn, den wir ihm verdanken, ist wiederum beträchtlich. Wir sind jetzt in der Lage, die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Könige und der Markgräfin genau zu verfolgen und dadurch endgültig festzustellen, daß der Konflikt des Geschwisterpaares im wesentlichen durch Wilhelmine verschuldet worden ist, deren eigene Darstellung in den Memoiren sich als durchaus irreführend erweist. Sehr hübsch sind die zum ersten Male abgedruckten Reisebriefe Wilhelmines, ein liebenswürdiger Beitrag zur Geschichte der deutschen Italienfahrten. -- Großes Aufsehen erregten die von J. Richter herausgegebenen Briefe Friedrichs d. Gr. an seinen vormaligen Kammerdiener (besser: Geh. Kämmerer) Fredersdorf ( 1088), von denen bisher nur 40 Stücke bekannt geworden waren. Wir besitzen damit endlich den umfangreichsten Briefwechsel des Königs in deutscher Sprache und zugleich die Dokumente eines durch 25 Jahre bewährten Vertrauensverhältnisses. Fredersdorf verwaltete die königliche Privatschatulle, war der Mittelsmann in künstlerischen Dingen und wurde gelegentlich auch herangezogen, wo die hohe Politik die Dienste eines zuverlässigen Mannes aus niederer Sphäre erforderlich scheinen ließ. Er war, wie Voltaire sagte, »le grand factotum du roi Frédéric«, der an dem persönlichen Ergehen des kränklichen und hypochondrischen Fredersdorf ein rührendes Interesse nahm. So eröffnen die Briefe den Zugang zu bisher fast ganz verschlossenen Gebieten des Innenlebens des großen Königs. Daß die Richtersche Ausgabe für wissenschaftliche Zwecke nicht gedacht ist und ihnen auch keineswegs genügt, kann nicht verschwiegen werden. Die von dem Herausgeber gewählte Methode einer Vermischung von Briefabdruck und erklärenden Expektorationen, welch letztere überwiegen, ist wenig glücklich. Zu beachten ist die Besprechung von G. B. Volz (Forsch. z. brand.-preuß. Gesch., Bd. 39, 163 ff.), die auch wesentliche Richtigstellungen zur chronologischen Einreihung der oft undatierten Briefe des Königs bringt. -- Eine der wichtigsten Quellen zur Altersgeschichte Friedrichs, das Tagebuch des Marchese Lucchesini, liegt nun endlich in wissenschaftlich brauchbarer Ausgabe vor ( 1091), die F. v. Oppeln-Bronikowski nach dem Manuskript des Geh. Staatsarchivs besorgt und G. B. Volz mit einer gut orientierenden Einleitung und reichhaltigen Anmerkungen versehen hat. Wer die schwer lesbare Handschrift Lucchesinis kennt, wird die Leistung der Herausgeber anerkennen und eine Reihe entstellender Lese- (oder Druck-?) Fehler in Kauf nehmen. Der wichtigste Vorzug der neuen Ausgabe besteht darin, daß das zeitlich früheste Heft der Aufzeichnungen, das im Manuskript versehentlich zu hinterst eingeheftet und demgemäß bisher dem Jahre 1783 zugewiesen worden war, nunmehr chronologisch richtig an erster Stelle steht. Über den Quellenwert des Tagebuchs kann kein Zweifel sein. Lucchesini pflegte, war er an der Tafel oder in vertrautem Gespräch gehört hatte, noch am gleichen Abend in knapp und nüchtern referierender Weise aufzuzeichnen, oft bezaubert durch die geistreiche und vielseitige Art des Königs, oft aber auch von Kritik erfüllt,

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wenn die Unterhaltung sich naturwissenschaftlichen oder ökonomischen Dingen zugewandt hatte, ein kühler und unvoreingenommener Beobachter. -- Bei dem ausgesprochenen Mangel an bedeutenden Memoiren zur preußischen Geschichte ist es besonders zu begrüßen, daß K. E. Schmidt-Lötzen seine Bearbeitung der Tagebücher des Grafen Lehndorff fortgeführt hat ( 1100). Die neu vorliegenden Teile umfassen die beiden Jahre 1786 und 1787, die Lehndorff teils in Ostpreußen, teils am Hofe verlebt hat, und enthalten zahlreiche wichtige Mitteilungen für die Zeit des Regierungswechsel. Lehndorff sah ihn voller Spannung herannahen, im Glauben, es werde sich ihm eine neue Laufbahn eröffnen, wenn der Sohn des geliebten August Wilhelm den Thron bestiegen habe, fand sich aber völlig enttäuscht.

An Lebensbeschreibungen König Friedrichs ist aus dem Berichtsjahre nur W. F. Reddaways »Frederic the great« zu erwähnen ( 1083), das in neuer, nur unwesentlich veränderter Fassung vorliegt. Es ist ein gut lesbares Buch, das in der Einschätzung des Königs etwa die Mitte zwischen Carlyle und Macaulay hält. Das Tatsachenmaterial ist im wesentlichen von Koser bezogen. Die Darstellung verweilt eingehend bei den diplomatischen Verhandlungen und den kriegerischen Vorgängen, deren Stätten der Verfasser selbst bereist hat, während die innere Politik nur höchst dürftig behandelt ist. -- Rühmend darf R. Witschis Buch über Friedrich d. Gr. und Bern genannt werden ( 109 a), gleich ausgezeichnet durch gründliche Verarbeitung des gedruckten und archivalischen Materials und durch Weite des Gesichtsfeldes. Ein eng begrenztes Thema ist hier aufs glücklichste im gesamteuropäischen Zusammenhange erfaßt worden. Grundtatsache aller Beziehungen zwischen Friedrich und der Schweizer Republik war die Nachbarschaft Neuenburgs und Berns. Darüber hinaus mußte sich letzten Endes das Auftreten eines neuen Machtfaktors im Zentrum Europas für Bern und die ganze Eidgenossenschaft als segenbringend erweisen, indem es eine Entlastung ihrer schwierigen Situation zwischen Österreich und Frankreich herbeiführte. -- Der Fall Trenck, der die Handhabe zu mannigfachen Anklagen gegen Friedrich d. Gr. geboten hat, erscheint durch die Publikation der auf ihn bezüglichen Aktenstücke und durch die eingehende Untersuchung von G. B. Volz ( 1096 f.) in durchaus neuem Lichte. Die einzige Quelle für den berühmten Liebesroman mit der Prinzessin Amalie ist Trencks eigene Erzählung seiner Lebensschicksale. V. weist nun nach, daß sie von Entstellungen, falschen Behauptungen und Selbstverherrlichungen wimmelt und daß Trencks Bericht über seine Beziehungen zur Schwester Friedrichs nicht mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, als etwa seine Darstellung der Schlacht bei Soor, die er im unmittelbaren Gefolge des Königs mitgemacht haben will, tatsächlich aber hinter den Festungsmauern von Glatz erlebt hat. Folgt man Trencks Angaben über seinen Eintritt ins Heer und über seine erste Bekanntschaft mit der Prinzessin Amalie, so bleibt für die ganze Liebesgeschichte überhaupt nur eine Zeitspanne von wenigen Wochen zur Verfügung! Solange also nicht irgendein objektives Zeugnis zugunsten Trencks spricht, wird man auf dieses pikante Zwischenspiel der hohenzollernschen Familiengeschichte wohl oder übel verzichten müssen. -- Die lockende Aufgabe einer Untersuchung über die Einstellung der sächsischen Regimenter in die preußische Armee hat G. Höhne nicht ganz glücklich gelöst ( 1103). Denn während die Vorgeschichte bis zur Kapitulation der sächsischen Armee breit, fast langatmig


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beschrieben ist, wird die Einstellung selbst allzu knapp behandelt, und über die fernere Geschichte der Regimenter erfährt man nur wenig. Verdienstlich und lehrreich ist ein abschließendes Kapitel über die Beurteilung, die das Verfahren Friedrichs in der zeitgenössischen Publizistik gefunden hat. Daß der Verfasser eine Anzahl wichtiger Quellen übersehen hat, zeigt C. Jany in seiner Besprechung des Buches (Forsch. z. brand.-preuß. Gesch., Bd. 39, 154). -- Der Sinn des siebenjährigen Krieges und die Frage, wie König Friedrich seinen Staat und sich in den Krisen dieses Existenzkampfes aufrecht erhielt, ist selten schöner und tiefer erfaßt worden als von H. Rothfels ( 1098). Er findet, daß nicht zufällige Umstände, wie der Tod der russischen Kaiserin, Preußen gerettet haben, sondern »die passive Kraft, die nie in der Passivität sich erschöpft, die Fähigkeit, unerschüttert fest zu bleiben durch Jahre gehäuften Unheils, diese von der Geschichte recht eigentlich dem deutschen Volke verhängte Aufgabe.«

Das Verhältnis Voltaires zu Friedrichs bedeutendster politischer Jugendschrift hat K. S. v. Schultze-Galera in einer Studie über »Voltaire und den Antimachiavell« genauer untersucht ( 1093), die zugleich eine sorgfältige Antimachiavell-Bibliographie und interessante Ausführungen über die Weiterverbreitung des merkwürdigen Buches enthält. Das im Titel angezeigte Problem ist in dem Sinne behandelt, daß Voltaire unterstellt wird, er habe als Editor den preußischen »Fürstenstandpunkt« des Antimachiavells in den »bourbonischen Untertanenstandpunkt« verkehrt, daß also seine Redaktionstätigkeit entgegen der bisher geltenden Anschauung nicht als äußere Zurechtstutzung, sondern als tiefgreifende Umgestaltung des Werkes aufgefaßt wird. Daß derartige Folgerungen aus der Gegenüberstellung der Voltaireschen Ausgabe und der friderizianischen »Réfutation«, der erst später bekannt gewordenen, von Voltaire nicht überarbeiteten Fassung, gezogen werden dürfen, kann nicht zugegeben werden. Über die schon von Sommerfeld erkannten methodischen Schwierigkeiten eines solchen Vergleichs habe ich mich in der Deutschen Literaturzeitung 1927 (Heft 25, S. 1213--1215) eingehend geäußert. -- V. Heydemann ( 1092) verfolgt die literarische Produktion Friedrichs d. Gr. während des siebenjährigen Krieges, indem er einen gut orientierenden Überblick über die prosaischen und dichterischen Schriften aus dieser Epoche gibt, beschränkt sich jedoch auf ihre Interpretation und auf ihre Verknüpfung mit den äußeren Zeitereignissen, ohne auf den psychologischen Hintergrund genauer einzugehen, den man für die Dichtungen gern klarer erfaßt sähe. -- Sehr fein hat G. Beyerhaus ( 1094) den Abbé de Pauw und die Geistesart dieses fast vergessenen Mannes geschildert, der 1767--1768 Vorleser Friedrichs d. Gr. war und 1775 zum zweiten Male in Sanssouci weilte. Nachdem ein Frühwerk »Recherches philosophiques sur les Américains« ihn mit einem Schlage zu einem der glänzendsten und anerkanntesten Vorkämpfer der Aufklärung gemacht hatte, zog ihm ein ähnliches Werk über die Ägypter und die Chinesen die Feindschaft Voltaires zu, der seinen chinesischen Musterstaat von de Pauw herabgesetzt fand. Friedrich d. Gr., zum Schiedsrichter aufgerufen, erklärte sich gegen Voltaire. --

Einen äußerlich unscheinbaren, aber gehaltvollen Beitrag zur inneren Geschichte Preußens unter Friedrich II. bildet K. Wutkes Studie ( 1611) über die Dienstlaufbahn des späteren Ministers Fr. Gottl. Michaelis. Zahlreiche monographische Arbeiten dieser Art wären erforderlich, wenn wir unser


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Wissen von der Herausbildung des preußischen Beamtentums vermehrt sehen wollen. Das Verdienst, Michaelis entdeckt zu haben, gebührt dem schlesischen Provinzialminister v. Schlabrendorff, der den tüchtigen Mann nur ungern als Kammerdirektor nach der Kurmark abgab. -- Die »Geschichte des Arnoldschen Prozesses«, die F. Graner ( 1612) nach einer bisher unbekannten Niederschrift des neumärkischen Regierungsrats Bandel publiziert, steht an Genauigkeit und Schärfe der Auffassung hinter den Aufzeichnungen des damaligen Präsidenten der Neumärkischen Regierung, des Grafen v. Finckenstein, zurück. So bringt sie für die Beurteilung der Vorgänge selbst nicht gerade Neues, berichtet aber anschaulich über die Schicksale der vom Könige so hart behandelten Räte. Dem Abdruck der Niederschrift geht ein Abriß des ferneren Lebensgangs Bandels voraus, der, 1786 reaktiviert, später Regierungsdirektor in Ansbach wurde und 1806 in bayrische Dienste überging. -- Mirabeaus »Monarchie Prussienne«, die bedeutendste Auseinandersetzung mit dem inneren System Preußens, hat H. Reißner ( 1108) einer sorgfältigen und eindringenden Kritik unterzogen. Er weist erneut nach, daß ihr wissenschaftliche Objektivität so gut wie ganz abgeht und daß der Wert dieser Streitschrift nur in der gründlichen Reaktion gegen Staat und Wirtschaft der friderizianischen Epoche beruht. Über diese Feststellungen hinaus, die sich mit den Ergebnissen von Hintze, Koser und Schmoller decken, gelingt es R., den Anteil der beiden Verfasser Mirabeau und Mauvillon schärfer zu scheiden und dadurch zu erkennen, daß der erstere, keineswegs auf die physiokratischen Lehren eingeschworen, die dahin zielenden Teile des Werkes nur mit seinem Namen gedeckt hat. Mirabeaus viel allgemeinere Forderung lautete nach R. lediglich: »Freiheit der Dinge und der Menschen!« --


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