IV. Niedergang und Wiederaufbau des Staates 1786--1840.

Bei der mannigfachen wissenschaftlichen Behandlung, die die preußische auswärtige Politik nach dem Tode Friedrichs d. Gr. bereits erfahren hat, konnten von einer Untersuchung über den Anteil des Marchese Lucchesini an ihr, wie sie W. Höhm ( 1110) angestellt hat, wesentlich neue Resultate nicht erwartet werden. Die finassierende und in ihrer Auswirkung unheilvolle politische Wirksamkeit des Italieners wird zutreffend beurteilt. --

Unter dem Titel »Vom Leben und Sterben der Königin Luise« vereinigt H. O. Meisner ( 1139) eine Reihe von Aufzeichnungen Friedrich Wilhelms III. über seine Gemahlin. P. Bailleu hatte sie für seine Biographie der Königin bereits benutzt. Daß sie vollständig und von sorgfältigen Anmerkungen begleitet jetzt im Druck vorliegen, wird man mit besonderem Dank begrüßen. Die Gebete des Königs um die Erhaltung der Gattin in der Zeit ihrer tödlichen Erkrankung, die Schilderung ihres Wesens, die in kleinen Zügen des täglichen Lebens das Bild der Verlorenen festzuhalten sucht, der Rückblick auf die Zeit der ersten Begegnung, sind geschichtliche Dokumente persönlichsten Inhalts, die niemand ohne innerste Anteilnahme lesen wird. -- C. Griewank, dessen schöne Ausgabe der Briefe der Königin Luise wir im Bericht des Vorjahres erwähnten, veröffentlicht einige Nachträge aus den schicksalsschweren Zeiten von 1806--1809 ( 1138), darunter das wichtige Schreiben der Königin an ihre Schwester Therese (7. Okt. 1807), mit deren Hilfe sie eine Milderung der französischen Forderungen zugunsten Preußens zu erreichen hoffte. -- Die neuere Literatur über den Freiherrn v. Stein wird von A. Stern in klug abwägender


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Übersicht referiert ( 1134). Es sei hervorgehoben, daß er es als irreführend ablehnt, Stein auf das Ideal »der mittelalterlich-feudalen Gesellschaftsordnung« (Botzenhard) festzulegen. In der Frage, wieweit universale Gedanken bei Stein von Einfluß gewesen sind, ist St. geneigt, »ohne die scharfsinnigen Ausführungen Meineckes zu unterschätzen«, die Partei Ulmanns und Drüners zu ergreifen. -- Auch G. Kallen ( 1135) will an eine vorwiegend kosmopolitische Denkweise Steins nicht glauben und bekennt sich zu der Formulierung: »Universale und nationale Ideen waren im Bewußtsein Steins zu einer höheren Einheit verknüpft.« Leitmotiv seines Lebens ist der deutsche Gedanke, und die Hoffnung, ihn durch Preußen verwirklicht zu sehen, führt ihn in dessen Dienste. Die Städteordnung, die größte Schöpfung der Reformzeit und aus Steins eigenstem Geiste entstanden, ist ganz »deutsches Urbild« (gegen M. Lehmann, aber auch im Gegensatz zu der rein preußischen Auffassung E. v. Meiers). -- Eine Denkschrift Beymes aus dem Sommer 1806, die L. Dehio ( 1613) veröffentlicht, verlangt die »Aufstellung eines unmittelbaren obersten Konferenzministeriums« und energische Neuerungen in der militärischen Organisation des Staates, spricht aber dabei der französischen Allianz das Wort und zeugt so zwar von der Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform, nicht aber vom Willen zu heroischem Widerstande. Immerhin ist diese Denkschrift geeignet, zu einer gerechteren Würdigung Beymes den Weg zu bahnen. -- Einen Teil der »Geheimgeschichte« Varnhagens und damit zugleich einen Beitrag zur Erkenntnis seines Charakters bringt C. Mischs ( 1170) Untersuchung über das Adelsprädikat des merkwürdigen Mannes. Sie ergibt, daß Varnhagen, vielleicht in gutem Glauben an seine adlige Abstammung, den Zusatz v. Ense angenommen hat, um sich beim Eintritt in die österreichische Armee Vorteile zu verschaffen. 1826 wurde das Hausministerium auf die Ungeklärtheit seines Adelsanspruchs aufmerksam, den Varnhagen tatsächlich nicht erweisen konnte. Er mußte schließlich froh sein, durch Vermittlung des ihm wohlwollenden Bernstorff seine Nobilitierung -- nicht die Anerkennung seines Adels! -- durchzusetzen.

Wenn W. Elze ( 1147) mit seiner Schrift über den Streit um Tauroggen die an dieses Ereignis anknüpfenden Kontroversen tatsächlich beigelegt zu haben glaubt, so können Zweifel nicht unterdrückt werden. Im wesentlichen dreht es sich auch bei ihm um die Deutung der geheimen Mission Wrangels im August 1812, von der E. erweisen zu können glaubt, sie habe die Absonderung der preußischerseits gemachten russischen Gefangenen und ihre Verschickung in eine preußische Festung zum Gegenstand gehabt. Es erscheint jedoch kaum glaubhaft, daß zur Erledigung eines derartigen Auftrages die Entsendung des Königl. Flügeladjutanten erforderlich gewesen sein sollte. So erhebliche Kritik die verschiedenen Aufzeichnungen Wrangels über seine Mission herausfordern, es muß doch angenommen werden, daß er mit irgendwelchen Weisungen für den Fall einer Katastrophe Napoleons versehen gewesen ist. Daß diese dann im entscheidenden Moment nicht anwendbar waren und daß Yorck damals ohne genaue Befehle gelassen wurde, steht freilich fest, und damit bleibt ihm sein Verdienst, im rechten Augenblick das Rechte getan zu haben, ungeschmälert. Wir meinen, daß diese, von E. heftig bekämpfte, vermittelnde Auffassung sich auf die Dauer behaupten wird. -- E. Lauppert ( 1148) hat mit Hilfe der Wiener Archivalien des Haus-, Hof- und Staatsarchivs und des Kriegsarchivs die »Frage des Oberbefehls bei den Verbündeten im Sommer und Herbst 1813«


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untersucht. Da keinerlei schriftliche Abmachungen vorliegen, kann nur auf Umwegen erschlossen werden, daß Schwarzenberg prinzipiell der Oberbefehl über die drei großen Armeen übertragen wurde. Er sollte nach dem Wort des Zaren »toutes les attributions du commandant en chef« besitzen, war jedoch tatsächlich in der Ausübung seiner obersten Führerstellung durch das wiederholte Eingreifen Alexanders und durch den Selbständigkeitsdrang der Armeekommandanten erheblich beeinträchtigt, was L. an einigen charakteristischen Fällen (Schlachten bei Dresden und Leipzig) nachweist.

Eine Reihe instruktiver Arbeiten befaßt sich mit der vormärzlichen Verfassungsbewegung in Preußen. So berichtet G. Wohlers ( 1176) zusammenfassend über Flugschriften, Adressen und Karikaturen, durch die sich die öffentliche Meinung des Rheinlandes zu manifestieren suchte, nachdem ihr alle andern Wege verlegt worden waren. -- Mehr ins einzelne gehend, behandelt P. L. Kann ( 1186) Görres Koblenzer Adresse im Zusammenhang mit der rheinischen Adressenbewegung der Jahre 1817/18. Die Koblenzer Adresse scheint ihm die Mitte zu halten zwischen den Städteadressen, die die Forderungen des um bürgerliche Gleichheit kämpfenden Bürgertums vertreten, und den Äußerungen des niederrheinischen Adels, die im wesentlichen Wiederherstellung der alten ständischen Rechte verlangen. Entstehung und Auswirkungen der Görresschen Adresse, gegen deren scharfe Zurückweisung sich Hardenberg vergeblich sträubte, werden nach den Akten eingehend geschildert. -- Unter den schlesischen Stimmen zur preußischen Verfassungsfrage, mit denen sich V. Loewe ( 1187) beschäftigt, verdient die des Freiherrn Fr. v. Stein besondere Beachtung. Er war der Urheber einer Eingabe vom 6. Dez. 1816, in der die Domanialbesitzer des Breslauer Kreises den König um Erfüllung des Verfassungsversprechens baten. Eine Antwort auf diese Eingabe ist nicht ergangen.


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