V. Verfassungskämpfe und deutsche Frage 1840--1870.

Das Leben des Grafen Anton zu Stolberg-Wernigerode behandelt eine Schrift von O. Graf zu Stolberg-Wernigerode ( 1197). Graf Anton, der seine Dienste der preußischen Armee, dann der Verwaltung widmete, wurde nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. in das Staatsministerium berufen; doch gab diese amtliche Stellung nur den äußeren Rahmen ab für seine einflußreiche Wirksamkeit als Freund und intimer Berater Friedrich Wilhelms IV., der vor Stolberg kein Geheimnis besaß und sich von dessen in tiefer Religiosität wurzelnder Frömmigkeit angezogen fühlte. Früh dem Geiste des Neu-Pietismus gewonnen, unterwarf Stolberg auch das politische Leben der Bewertung durch religiöse Maßstäbe und fand so die Kraft, für eine scheinbar verlorene Sache bis zum äußersten zu kämpfen. Nach der Revolution verließ er den Hof, übernahm aber 1851 wieder den Posten des Hausministers, den er bis zu seinem Tode (3. Jan. 1854) bekleidete. -- Für die Stellung Rußlands und der russischen Diplomatie zur Politik Friedrich Wilhelms IV. in den Jahren 1840--1850 hat W. Andreas ( 1196) wichtige Aufschlüsse aus dem kürzlich veröffentlichten Briefwechsel Peter v. Meyendorffs gewonnen. Der gut beobachtende, wenn auch nicht tiefer blickende Diplomat verfolgte in kritischer Auseinandersetzung die Entwicklung der inneren Verhältnisse Preußens, dessen allmähliche Loslösung von dem russischen System ihm nicht verborgen blieb. -- Ein knapper Aufsatz von H. Ritter v. Srbik ( 1172) deutet die geistigen Zusammenhänge an, die Jahre hindurch zwischen Metternich und dem Prinzen von Preußen


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bestanden. Prinz Wilhelm war sich bewußt, einen von dem Staatskanzler nicht gebilligten Schritt zu tun, als er den Erlässen vom 3. Febr. 1847 zustimmte, und setzte Metternich seine Beweggründe in einem Schreiben auseinander, das S. nach dem eigenhändigen Original im Archiv zu Plaß abdruckt. -- H. Pfefferkorn ( 1209) schildert die Machtkämpfe, die sich in der preußischen konstituierenden Versammlung um die Exekutive entspannen, insbesondere die zahlreichen Versuche der Linken, sie in ihre Hand oder doch unter ihren Einfluß zu bringen. Das Material, das aus sorgfältigem Studium der Verhandlungen der Nationalversammlung und der Berliner Tageszeitungen gewonnen ist, wird in chronologischer Folge ohne wesentliche Vertiefung aneinandergereiht. -- R. Müllers ( 1237) Arbeit über die Partei Bethmann und die orientalische Krise führt zu einer nicht unerheblichen Korrektur der bisherigen Auffassung, indem sie den Nachweis führt, daß die Partei keineswegs darauf ausging, Preußen um liberaler Doktrinen willen in einem Kampf mit Rußland zu verwickeln, daß sie ihm vielmehr eine Schiedsrichterrolle zwischen West und Ost zudachte, ohne dabei den Krieg als letztes Auskunftsmittel zu scheuen. M. stellt jedoch in Abrede, daß dies Ziel durch die von der Partei Bethmann geforderte Politik erreicht werden konnte und daß diese Politik Realpolitik gewesen sei. Als völlig verfehlt bezeichnet er es, wenn man bei feindlicher Einstellung gegenüber Rußland gleichzeitig den Gegensatz zu Österreich ausfechten zu können glaubte. -- In dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. und Napoléons über die Neuenburger Frage, den A. Stern veröffentlicht hat ( 1238), überraschen die Schreiben des preußischen Königs durch die Wärme ihres Tons. Friedrich Wilhelm stellt als Ergebnis der französischen Vermittlung »relations d'intimité et de confiance réciproque« fest.


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