III. Bevölkerungsgeschichte.

Aus den gleichen nationalpolitischen Gründen, denen die letztgenannten Schriften entsprungen sind, ist die bevölkerungsgeschichtliche Forschung in Ost- und Westpreußen besonders lebhaft gefördert worden. Die bedeutendste Veröffentlichung auf diesem Gebiete ist unstreitig »Die Geschichte der Kaschuben« von Fr. Lorentz, dem bekannten Slawisten, der Sprache, Geschichte und Volkskunde dieses westslawischen Stammes viele Jahrzehnte hindurch eingehend erkundet hat ( 325). Die Kaschuben werden von ihm als eine von den Polen ursprünglich durchaus unabhänige Völkerschaft erwiesen, deren Kultur und Sprache erst im Laufe der Jahrhunderte von ihren südlichen Nachbarn stärker beeinflußt wurde. Aber auch deutsche Einwirkungen auf ihre Mundart und Vorstellungswelt sind deutlich erkennbar. Da die Kaschuben seit dem Aussterben des pommerellischen Herzoghauses am Ende des 13. Jahrhunderts der eigenen politischen Führung entbehrten, sind sie den Einwirkungen ihrer Umgebung stets stark ausgesetzt gewesen. Die sorgfältigen Anmerkungen zu der flüssig geschriebenen Darstellung bergen für die landesgeschichtliche Forschung viele neue Aufschlüsse. Das gleiche gilt von der Abhandlung desselben Verfassers über »die Bevölkerung der Kaschubei zur Ordenszeit« ( 601), in der die noch zu ermittelnden Namen der Besiedler der Kaschubei im 14. Jahrhundert zusammengestellt sind. Leider ist die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, die gerade den anwachsenden deutschen Zustrom bezeigen würde, nicht mehr berücksichtigt. Nur wenig bekannt ist es ferner, daß in der nächsten Nachbarschaft der Kaschubei, in der Gegend von Konitz, sich ein Siedlungsgebiet westfälischer Einwanderer aus dem 15. bis 16. Jahrhundert, die Koschneiderei, erhalten hat. J. Rink hat ihrer Geschichte und Mundart nachgespürt und ein ausführliches Verzeichnis ihrer Orts- und Flurnamen herausgegeben ( 707). Über den Stand der Masuren-Forschung berichtet H. Gollub ( 598), der auch die Besiedlung des masurischen Seenrückens durch preußische, masurische und deutsche Einwanderer seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts an anderem Orte genauer dargelegt hat ( 597). Das Land ist keineswegs, wie es von polnischer Seite immer hingestellt wird, »urslawisches« Gebiet, sondern erst auf Veranlassung des


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Deutschen Ordens urbar gemacht worden. Dabei haben die hieran beteiligten Nationalitäten sich so weit vermischt, daß trotz Beibehaltung der masurischen Umgangssprache mit dem protestantischen Bekenntnisse auch immer die bewußte und gewollte Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis ausgesprochen wurde. Bei der Abstimmung im Jahre 1920 haben sich 97½ Prozent der Masuren für den Verbleib beim Deutschen Reich erklärt. Der Verfasser betont mit Recht, daß es wohl nicht bloßer Zufall ist, wenn die Hymne »Ich bin ein Preuße« gerade in Lyck, der Hauptstadt Masurens, gedichtet wurde. Bedeutsame Beiträge zur Bevölkerungs- und Siedlungsgeschichte Ost- und Westpreußens enthält auch das Sammelwerk von W. Volz »Der ostdeutsche Kulturboden« in seiner zweiten erweiterten Ausgabe ( 228). Krollmann schildert in ihm die vielverschlungene äußere Politik des Deutschen Ordens unter bisher nur wenig beachteten Gesichtspunkten. Laubert erweist, daß bereits vor dem Einsetzen der Fridericianischen Kolonisation die Provinz Westpreußen etwa zu gleichen Teilen von Deutschen und Polen bewohnt wurde. Ilse Rhode hat inzwischen in sorgfältigen statistischen Untersuchungen, deren Ergebnis auf eindrucksvollen schwarz-weiß Karten wiedergegeben ist, das Nationalitätenverhältnis in Westpreußen zur Zeit der polnischen Teilungen gleichfalls untersucht ( 594) und damit die Darlegungen Lauberts bestätigt. Br. Ehrlich schildert die Herkunft und Ausbreitung der alten Preußen ( 228).

In der familiengeschichtlichen Forschung überwog die Beschäftigung mit der ostpreußischen Adelsgeschichte. A. von der Oelsnitz behandelte die Herkunft und Wappen der Hochmeister in kritischer Auseinandersetzung mit den bisher darüber bestehenden Ansichten ( 498). Wichtig ist sein Nachweis, daß die Ordensritter auch nach ihrem Eintritt in den Orden ihr Geschlechtswappen führen durften und Einheimische in größerer Zahl, als bisher vermutet wurde, in den Orden aufgenommen wurden. Auch wird der Zusammenhang des Lilienkreuzes im Hochmeisterwappen mit dem Lilienkreuz der französischen Könige und dem Kreuz von Jerusalem abgelehnt. K. Stadie zeigte in der Geschichte seiner Vorfahren, der Perkuhner, die Vergangenheit eines altpreußischen Adelsgeschlechts seit dem 15. Jahrhundert mit wertvollen Streiflichtern auf die kulturellen Verhältnisse der altpreußischen Bevölkerung und die Entwicklung der ostpreußischen Gutswirtschaft. Zahlreiche Quellenbeigaben, besonders aus der herzoglichen Zeit, gewähren auch in die damalige Verwaltung einen lehrreichen Einblick ( 472). Aus dem altpreußischen Adelslexikon, das Gallandi vorbereitete, veröffentlichte W. Gaerte mit Unterstützung von H. Gollub zwölf Stammtafeln für den Buchstaben A ( 452). Für Nachforschungen zur Geschichte der Altdanziger Bürgerfamilien wird sich das Verzeichnis der Danziger Grabdenkmäler, das Eugen Jantzen zu verdanken ist, als unentbehrlich herausstellen ( 450). Den umfangreichsten Beitrag zur ost- und westpreußischen Familiengeschichte im Berichtsjahre legte schließlich der frühere Danziger Polizeipräsident M. Wessel in seinem »Gedenkbuch der Familie Wessel« vor ( 479). Jahrzehntelange Quellenstudien ermöglichten ihm, nicht nur die Entwicklung seiner Familie, die seit dem 15. Jahrhundert im Danziger Werder ansässig ist, fast lückenlos zu verfolgen, sondern auch ein überaus anschauliches Bild der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse jenes Landstriches zu zeichnen. Manche Quellen des Danziger Stadtarchives, wie die Deichordnungen, die Feuerordnungen, Gesindeordnungen


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sind auf diesem Wege erstmalig der Forschung erschlossen worden und vielfach wörtlich abgedruckt. Auch zur Geschichte des Privatrechts und über die wechselnde Kaufkraft des Geldes finden sich bei Wessel wertvolle Ausführungen. Leider ist seine Darstellung wenig und ungeschickt gegliedert, wenn auch ein ausführliches Sach- und Namenverzeichnis die Auffindung der fraglichen Stellen ermöglicht.


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