§ 48. Posen.

(M. Laubert.)

Auch für 1925 hat sich Lattermann der Mühe unterzogen, eine Übersicht der polnischen Veröffentlichungen zur Geschichte der Provinz, besonders des dortigen Deutschtums, zu sammeln, die wiederum eine ungemein rege Tätigkeit verrät ( 40). Das Posener Staatsarchiv wird mit Eifer ausgebeutet und zumal die Statthalterregistratur als Fundgrube benutzt. Vielfach leuchtet dabei die politische Nebenabsicht hervor. Sehr wünschenswert wäre eine Unterstützung dieser Zusammenstellungen von deutscher Seite, um ihren Fortgang zu ermöglichen.


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Das bedeutendste Werk zur Posener Provinzialgeschichte sind A. Warschauers Lebenserinnerungen ( 153), die bei der Stellung des Verfassers sich beinahe zu einer Geschichte der »geistigen Industrialisierung« des Landes während der letzten 30 Vorkriegsjahre ausgewachsen haben. Alle führenden Männer wie Althoff, die Kreise der Akademie, der Bibliothek und des Museums treten dabei vor unser Auge. Mit feinem Humor und der Gelassenheit des Weisen, der den Dingen immer eine gute Seite abzugewinnen weiß, schildert W. sein eigenes, mitten in diese Versuche hineingestelltes, bei allen wichtigen Fragen durch irgendwelche Arbeit beteiligtes Lebenswerk. Die letzten Kapitel beschäftigen sich mit seinem kurzen Aufenthalt als Archivdirektor in Danzig und während des Krieges als Pfleger der Warschauer Archive in der polnischen Hauptstadt.

Die deutsche Kolonisation des Mittelalters auf polnischem Boden ist der Gegenstand einer sehr umfangreichen, leider noch ungedruckten Dissertation der Breslauer staatswissenschaftlichen Fakultät von E. Heidrich ( 628). Die Schrift trägt zwar im wesentlichen kompilatorischen Charakter, besitzt aber den großen Vorzug, daß auch die polnische Literatur ausführlich herangezogen und die in ihr jetzt eingerissene Tendenz nach möglichster Abschwächung des Prozesses erfolgreich widerlegt wird. Leider konnte das Tycsche Buch über die Anfänge der Bewegung nicht mehr benutzt werden (Początki kolonizacji usw. Posen 1924). Als Kuriosum sei erwähnt, daß z. B. Prof. Tymieniecki die Einführung des Weinbaues als das Werk romanischer Klöster hinstellt, weil einer der dabei genannten Männer einen französisch anklingenden Namen trägt.

Von inniger Heimatliebe getragen ist W. Doetsch' Geschichte des Klosters Paradies ( 2021). Von einer Schilderung der allgemeinen Ziele der Zisterzienser ausgehend, behandelt die Schrift ihre wirtschaftliche und germanisierende Tätigkeit, die P. zu einem deutschen Kulturzentrum erhob. Für die Mitte des 16. Jahrhunderts bot das im Auszug abgedruckte Gedicht des Danziger Magisters Achatius Curaeus: Paradisus Silesiae, reichen Stoff. Bald darauf begann der Verfall, zum Teil infolge der von polnischer Seite hereingetragenen nationalen Zwistigkeiten. Das Schlußkapitel würdigt die Kloster- und Kirchengebäude und ihre Schätze.

Der Aufsatz Beckers über S. G. Kerst ( 1230) befaßt sich mit der parlamentarischen Tätigkeit des wackeren deutschen Führers im Jahre 1848 und bringt eine Anzahl von Briefen und Aufrufen als Ergänzung der von Chr. Meyer veröffentlichten Sammlung (D. Deutschen d. Prov. Posen usw. München 1904). Nach den Berliner und Posener Akten stellt Laubert die Einrichtung der Provinzialsteuerdirektion, die Tätigkeit der beiden leitenden Männer, Oberregierungsrat Dittmar und Direktor Löffler, und die finanziellen Erfolge der Neuorganisation dar ( 1868), ebenso die Erwerbung des Bürgerrechts durch die Juden der Provinzialhauptstadt ( 2335), wobei ersichtlich wird, daß nach dem polnischen Aufstandsversuch von 1846 der Widerwille der Bürgerschaft gegen die Gleichsetzung der Israeliten schwindet, während sie bis dahin den fortschrittlichen Bestrebungen der Behörden erfolgreich passiven Widerstand geleistet hatte. Auch als Sonderdruck erschienen ist ein Beitrag des gleichen Verfassers aus den Grenzmärkischen Heimatblättern über den deutschpolnischen Sprachenkampf um 1830, der die verbissene Hartnäckigkeit auf polnischer Seite und ein im Vergleich mit der Gegenwart fast unbegreifliches


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Entgegenkommen der Regierung erweist. Der Minister des Inneren verfügte geradezu: »Ratsam wird es sein, vor der Hand eher zu viel als zu wenig zu tun«. Die an der Teilnahmlosigkeit des Publikums gescheiterten Versuche des Gewerbeinspektors Trebsdorf zum Zusammenschluß der gewerbetreibenden Kreise und die Ergebnisse einer bei dieser Gelegenheit unter den Landräten veranstalteten Rundfrage über die Zustände von Handel und Wandel legt L. in Nr. 1867 dar.

Mit großem Fleiß trägt Starkad Material zusammen, um aus den Ortsnamen die Auffassung zu widerlegen, daß zwischen der mit der Völkerwanderung abschließenden Germanenzeit und der mittelalterlichen deutschen Besiedelung eine tausendjährige Lücke klaffte ( 627). Vielmehr lassen sich ununterbrochen starke gotonordische und seit dem 10. Jahrhundert westgermanischdeutsche Einflüsse nachweisen. Den Spuren von Bromberger Studenten an evangelischen deutschen Hochschulen geht Wotschke nach ( 2311) und vermutet, daß ein Einfluß Seklucians in dessen Geburtsort bestanden hat. Auch ein Bericht des kujawischen Bischofs Karnkowski an Hosius von 1567 zeigt, daß der alte Glaube in der Stadt »nicht unerschüttert geblieben« war. Eine Zusammenstellung der im Codex dipl. Maj. Pol., in Warschauers Stadtbuch von Posen und Lopinskis »Materialien« zur Geschichte der Stadt enthaltenen Nachrichten über Samter bringt E. Meyer ( 1645), wonach der Ort zuerst 1345 urkundlich erwähnt und 1450 durch Kasimir IV. mit Magdeburger Recht bewidmet wird. 100 Jahre später hat auch hier der Bürgermeister den Vogt im wesentlichen verdrängt. Später hemmt die Abhängigkeit vom Grundherrn die gesunde Entwicklung und der Verfall setzt ein. Deutsch geblieben waren aber die Rechtsgrundsätze, nach denen sich die Stadtgemeinde aufbaute, und deutsch war die Basis des gewerblichen Lebens. Auf polnischer Seite leitet Pfarrer Kozierowski-Skorzewo hauptsächlich aus dem topographischen Namensstoff die ursprüngliche Besiedelungsart des Warthegebiets ab (S. 149), die von Osten nach Westen vor sich gegangen sein soll bis über die Oder hinaus. Fraglich erscheint freilich, ob seine Ableitungen aus slawischen Bezeichnungen nicht bisweilen germanische Stämme zu Unrecht unterdrücken. Über das kleine, erst nach erbitterten Kämpfen den Pommeranen oder Kaschuben entrissene und später verpolte Nakeler Land handelt eine Posener Universitätsarbeit Lauferskis (S. 150), die hauptsächlich die wirtschaftlichen Fragen betont. Deutlich treten die verheerenden Folgen der Kriege mit dem Deutschorden für das Gebiet von »Nakel« (so stets in den damaligen Grodbüchern, schon 1136 in einer Papsturkunde bezeugt an Stelle des heutigen amtlichen Nakło) hervor. Nicht nur die Städte, sondern auch das platte Land besaß deutsches Recht. Besondere Eigentümlichkeiten kommen dem Gebiet nicht zu, das die Entwicklung des übrigen Polens einfach mitmacht.

Stark wird nach deutschem Muster die Heimatkunde gepflegt, der z. B. eine Beilage des Gostyner Kreisblattes dient. Unter den Stadtgeschichten ist die Ecksteins für Punitz bedeutsam (S. 146). Störend wirkt indessen die deutliche Neigung zur Herabdrückung des deutschen Kulturanteils. Die deutsche Willkür der Schmiedeinnung noch 1525 wird verschwiegen und durch Übersetzung lateinischer Eintragungen in den Stadtbüchern polnisches Volkstum vorgetäuscht. Unleugbare deutsche Einflüsse werden als schlechthin »ausländisch«


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bezeichnet. Der angekündigte Beweis einer überwiegend polnischen Bewohnerschaft ist danach als mißglückt zu betrachten und auch die Grundherren waren anfänglich Deutsche (die Habdanks, nach Semkowicz normannischen Ursprungs, dann die erst später polonisierten Wiesenburg). Zum 500- jährigen Bestehen der kleinen Stadt Ritschenwalde veröffentlicht der Direktor des statistischen Amts der Stadt Posen, Zaleski, einen kurzen Abriß der Geschichte des Orts (S. 159), der gleichfalls die Möglichkeit des deutschen Ursprungs außer acht läßt und weiter den späteren nichtpolnischen Zusatz der Bürgerschaft verschweigt (z. B. 1793 bei dem Anfall an Preußen durch die zweite, nicht, wie Z. mehrfach schreibt: dritte polnische Teilung 42,5 Proz. ohne die Deutschkatholiken). Besonders häufig sind deutsche Namen, die auf Einwanderung nach den Schwedenkriegen (in die umliegenden Dörfer auch schon früher) zurückgehen, unter den an leitender Stelle stehenden Männern.

Wojtkowskis Behandlung der Sprachenfrage vor 1815 (In: Kronika Miasta Pozn. S. 131 ff.) bestätigt die Auffassung, daß Preußen damals eine Nachsicht freiwillig bewies, die den heute vertraglich zum Minderheitenschutz verpflichteten Staaten als Vorbild dienen sollte. Die sprachlichen Rechte des Polentums wurden so weitgehend geachtet, daß das starke Drittel deutscher Bewohner mit Recht über Verpolung der Kinder auf dem Posener Staatsgymnasium klagte. Der Direktor wurde vom Ministerium und Provinzialschulkollegium geradezu getadelt, als er wegen des Mangels an polnischen Lehrbüchern in den beiden Oberklassen bei einigen Fächern die Einführung der deutschen Unterrichtssprache befürwortete. Im Gegensatz zum heutigen Polen, das alle Reichsdeutschen und Männer mit noch ungeklärter Staatszugehörigkeit vom Lehrfach ausgeschlossen hat, berief Preußen damals mit Vorzugsgehältern Pädagogen aus Warschau usw., die den völkischen Geist stärken und die polnische Sprache von den vielen eingedrungenen Germanismen reinigen sollten. Die Seele aller Polonisierungsbestrebungen war der mit einem Riesengehalt eingesetzte Statthalter, Fürst Radzwill, mit seinem vortragenden Rat v. Michalski, »die sich gewöhnlich sorgfältig von der Arbeit drückten, in der Verteidigung der polnischen Sprache jedoch eine wahrhaft bewundernswerte Festigkeit entfalteten« (S. 190). Der Oberpräsident Baumann erklärte dazu, daß viele nur durch restlose Verdrängung der Deutschen und Besetzung aller Ämter mit Polen befriedigt werden könnten. Die Vorfahren der selben Polen, die nach 1919 nicht so viele Wochen wie Preußen Jahre zur Einführung einsprachiger Amtsblätter brauchten, sahen damals in der »Nichtentgegennahme von nur deutsch verfaßten Verfügungen ein ziemlich allgemeines Kampfmittel der großpolnischen Gemeinschaft um die Rechte der polnischen Sprache«.

Dem an diesem Ringen lebhaft beteiligten J. W. Cassius, Sprößling einer ursprünglich tschechichen Predigerfamilie der Unität, Sohn eines doppelsprachigen Vaters und einer mutmaßlich deutschen Mutter und Zögling deutscher Schulen und Hochschulen, Professor am Posener Gymnasium und Prediger zu Orzeschkowo, widmet T. Esman eine aus den Akten geschöpfte Studie. Lange trotz seiner ausgeprägt staatsfeindlichen Haltung von Radziwill beschirmt, wurde er doch endlich von seinem Schicksal ereilt und (neben seinem kirchlichen Einkommen) mit hohem Wartegeld, was Verfasser schamhaft verschweigt, auf seine Pfarre verbannt, da er eine Beschäftigung außerhalb der Provinz abwies. Hier leistete er nach Möglichkeit passiven Widerstand, verfaßte


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der Irredenta ihre Beschwerdeschriften, unterstützte verschiedene Bestrebungen politischer und wirtschaftlicher Natur, war eingeweiht in die Verschwörung von 1846 und dann hauptsächlich parlamentarisch tätig, unter Vernachlässigung seiner seelsorgerischen Pflichten, so daß er zur Untersuchung gezogen werden mußte. Er starb an der Cholera, gebrochen durch den Mißerfolg von 1848 und den Zwiespalt zwischen seiner polnischen und protestantischen Gesinnung, während von seinen 8 Kindern 5 katholisch geworden waren. (Straźnica Zachodnia 4.)

Die Revolution von 1848 in Krotoschin stellt Gymnasialdirektor K. v. Krotowski dar (Straźnica Zachodnia 4). Hiernach war K. eine deutschgesinnte Stadt mit nur einem Drittel polnischer Bevölkerung. Der dafür gebrauchte Ausdruck »verdeutscht« ist irreführend, denn das gleiche Verhältnis bestand schon 1793. Dank des energischen Obersten v. Bonin wurde die Stadt für den Süden gleich Bromberg für den Norden »ein Brennpunkt der preußischen Gegenwirkung gegen die polnische Bewegung«. Wenn K. den damaligen Frankfurter Abgeordneten wegen seines Eintretens für eine das Polentum schädigende Demarkationslinie schmäht, so berührt es eigentümlich, daß er es durchaus nicht für ungerecht hält, wenn 1919 die von jeher deutsche Stadt gleich Lissa, Rawitsch, Bojanowo usw. ohne Volksbefragung Polen zugelegt wurde. Die Entwicklung Posens vom statistischen Standpunkt aus untersucht Zaleski (Wachstum um 551 Prozent von 1816--1910, um 134 Prozent bis 1871). Die große Einwanderung der letzten Jahre ist nicht normal und ihre Folge die jetzige chronische Arbeitslosigkeit. Die übrigen größeren Orte waren rein oder überwiegend deutsch, was bei Einschätzung der Volksverteilung nicht immer berücksichtigt worden ist. Wenn der Motor für die städtische Entwicklung der Verkehr ist, so befindet sich Posen dank der Fürsorge Preußens in ungewöhnlich günstiger Lage. Bei der großen Gewerbeausstellung von 1895, der einzigen von Deutschen und Polen gemeinsam veranstalteten, wurden Polen in den Ehrenausschuß aufgenommen und die Ausstellungszeitung erschien zweisprachig (Zaleski in Kronika Miasta Poznania S. 197 ff.). Dagegen hat Polen kurz nach dem Umschwung alle deutschen Straßennamen bis auf die Lenaustraße und den Bergerplatz beseitigt und war geschmacklos genug, die Seecktstraße nach dem feigen Meuchelmörder an einem polnischen Gendarmen und Vater von 7 Kindern, dem Emissär Babinski, umzutaufen. 1879 legte im Gegensatz zu diesem Fanatismus der deutsche Magistrat gegen die Beseitigung der zweisprachigen Straßenschilder Protest ein. Anzuerkennen ist an Zaleskis Buch (Nazwy ulic w Poznaniu [Die Straßennamen in Posen]) aber, daß es entgegen den chauvinistischen Deutungsversuchen Rudnickis an der deutschen Ableitung von Schilling, Wilda, Kuhndorf usw. festhält.

Starken deutschen Anteil in dem erst nach 1550 zunftmäßig zusammengeschlossenen Buchbinderwesen weist ein Aufsatz Dr. Marja Swiezawskas nach (Exlibris VII), wiewohl diese Tatsache durch sinnlose Übersetzungen zu trüben versucht wird (Sztro statt Stroh; selbst Lorentz Schmidt in Leipzig wird zu einem Wawrzyniec Szmidt). Ein hinterlassenes Verzeichnis für Handwerksgerät verrät zahlreiche deutsche Fachausdrücke.

Die von dem Direktor des Kaiser-Friedrich-Museums Gumowski gegebene Schilderung der städtischen und königlichen Münzunternehmungen zu Posen, Fraustadt, Bromberg um 1600 zeigt diese als deutsche Anlagen, geleitet


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von Val. Jahn aus Goslar, Joh. Dittmar, Andr. Laffert, Becker, Peter Schröder aus Braunschweig, Theod. Busch aus Hameln, Paul Penzer, Georg Schultze, Joh. Wilh. und Rud. Lehmann aus Dresden (vgl. das vielfach benutzte Buch von Kirmis). (In: Kronika Miasta Poznan.) Anläßlich der Eröffnung des Diözesanarchivs in den Räumen der 1519 als Pflegestätte des Humanismus entstandenen Lubranskischen Akademie zu Posen widmet ihr der Geistliche Mazurkiewicz eine Abhandlung (In: Wiadomości ala Drukowienstwa nr. 7--9), die den entscheidenden Einfluß des später aus religiösen Gründen vertriebenen Christ. Hegendorfer (ein »nicht wieder gut zu machender Verlust«) auf die Ausgestaltung des Lehrbetriebs und die Wirksamkeit anderer deutscher Dozenten zu ihrem Recht kommen läßt.


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