II. Quellen und Darstellungen nach der Reihe der Ereignisse.

P. Richters knappe Darstellung der Entwicklung des Kieler Staatsarchivs ( 69) belehrt darüber, daß dessen Bestände, anfangs einheimische Archivalien aus den Amtsbezirken und Landschaften, erst durch die Abgaben aus dem dänischen Geheimarchiv in Kopenhagen (in den siebziger Jahren) sowie durch die Übernahme des bei der Preußischen Regierung in Schleswig entstandenen Archivs den heutigen Umfang erlangt haben. Entsprechend dem Gange der Landesgeschichte umfaßt die erste Hauptabteilung (A) Archive und Behörden, die sich auf das ganze Land oder größere Landesteile bis etwa 1866 beziehen, während die drei folgenden Hauptabteilungen (B--D) die territorialen und lokalen Archive und Behörden je eines der drei Herzogtümer, Holsteins, Schleswigs und Lauenburgs, ebenfalls vor der preußischen Zeit, enthalten. Die Archive der neubegründeten Behörden der preußischen Verwaltung und auch bestimmte Sonderarchive und Sammlungen sind als letzte Hauptabteilungen (E und F) aufgeführt.

In eindringender Untersuchung räumt H. Hofmeister ( 570) mit »allem romantischem Gestrüpp« auf, das die Erforschung der Anlage des sog. Limes Saxoniae bisher erschwert hat. Er weist überzeugend nach, daß die Nachrichten Adams von Bremen über diese Befestigung auf Urkunden mehrerer Kaiser beruhen, daß Schuchhardts Annahme nicht Recht behält, wonach es sich um ein Werk nicht fränkischer, sondern ottonischer Zeit handle. Vielmehr kommt er zu dem philologisch-historisch wie archäologisch wohlbegründeten Resultat, daß der Plan zur Errichtung des Limes im Jahre 818 vorhanden war, und daß der Limes


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selbst im Jahre 822 bereits bestanden hat. Demnach ist Ludwig der Fromme als der Schöpfer dieser Wallanlage anzusprechen. -- Die Erkenntnis der Vorgeschichte der schleswig-holsteinischen Erhebung sucht O. Brandt ( 1200) insofern zu vertiefen, als er die geistigen Strömungen, Romantik und Liberalismus, klarlegt, die sowohl auf dänischer wie auf deutscher Seite die politischen Gegensätze seit dem Ende des 18. Jahrhunderts beherrschten. Unter Abwehr der Polemik, die gegen sein Buch »Geistesleben und Politik in Schleswig-Holstein«, namentlich von O. Scheel, eröffnet wurde, wird von ihm der Nachweis erstrebt, daß nicht nur ein kulturelles, sondern auch schon ein politisches deutsches Nationalgefühl in dem Kampf der von Fritz Reventlow geführten schleswig-holsteinischen Ritterschaft für die Sonderstellung der Herzogtümer um die Wende des 18. Jahrhunderts zutage tritt und während der napoleonischen Zeit in dem Reventlowschen Kreise auf Emkendorf sich nur noch stärker erhob. Auch wird die Auffassung, erst Dahlmann sei der »Schöpfer« und »Vater« des »schleswig-holsteinischen Gedankens« und erst mit ihm beginne die Vorgeschichte der schleswig-holsteinischen Erhebung, auf Grund erneuter Behandlung von dessen Anfängen in Kiel nachdrücklich widerlegt. -- H. Hagenah ( 1247) ist vor allem der Errichtung der Zweiggruppe des deutschen Nationalvereins in Schleswig-Holstein im Jahre 1863 nachgegangen, die nach dem Tode ihres Begründers Theodor Lehmann von Graf Ludwig Reventlow, August Römer, Christoph Tiedemann geleitet wurde, und deren anfängliches Ziel schon die Einverleibung in Preußen war. Ihr gegenüber stand die konservative Gruppe der Ritterschaft, geführt von Carl Scheel-Plessen, die an dem Gedanken eines Gesamtstaates konservativen Charakters festhielt, der jedoch dem deutschen Element eine angemessene Stellung sichern sollte. Der Gegensatz zwischen beiden Gruppen kam in der Session der holsteinischen Stände 1863 scharf zum Vorschein, bis dann das Königl. Reskript vom 30. März 1863, das den engen Anschluß Schleswigs an Dänemark und damit die Zerreißung der Einheit der Herzogtümer verkündigte, den Anhängern des Nationalvereins die Oberhand gab. H. erweist eindringlicher als bisher, wie wenig die augustenburgische Bewegung ursprünglich Boden hatte, wie kaum je ein Prätendent seinem Lande fremder war als Herzog Friedrich VIII., wie erst die Abneigung gegen Bismarcks undurchsichtige Politik die Stimmung für den Augustenburger umschlagen ließ, und zwar eigentlich erst nach dem Tode Friedrichs VII. von Dänemark, wie aber selbst der Anwalt der Augustenburger, Karl Samwer, gegen die schleswig-holsteinischen »Aktionspolitiker« sich wandte, zu derselben Zeit, da auch von einem antiaugustenburgischen Standpunkte aus Scheel-Plessen immer noch in der Hoffnung auf ein Einlenken Dänemarks eine Kampfstellung vermieden sehen wollte. H.s gehaltvolle Arbeit bringt auch eine erwünschte kritische Übersicht über die wichtigsten Quellen und Darstellungen der augustenburgischen Bewegung. -- Die Angaben, die P. Lauridsen in seinem bekannten Werke über das Erwachen des dänischen Nationalgefühls im Herzogtum Schleswig mit Bezug auf Flensburgs nationalpolitische Stellung in den Jahren 1830 bis 1848 macht, werden von Chr. Voigt ( 1193) mit scharfer Kritik berichtigt oder ergänzt. V. zeigt an verschiedenen Beispielen, daß von L. nicht alle Quellen herangezogen wurden, die er hätte benutzen können, und daß er die ihm vorliegenden nicht gründlich genug ausgeschöpft, vielmehr einseitigen Berichten zu sehr Glauben geschenkt hat, weshalb er auch zu einer schiefen Einschätzung

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von Personen und Tatsachen gekommen ist. Das Lager der schleswig-holsteinisch gesinnten Flensburger war nach V.s Feststellungen ganz erheblich größer, als L. zugeben will, ja ein nationales Dänentum gab es kaum in den ansässigen Bürgerkreisen. Von der Erweckung eines überwiegenden nationalen Dänentums in Flensburg kann demnach für die damalige Zeit nicht die Rede sein. -- Von A. O. Meyer ( 2140) ist in einer Miszelle, die zugleich in gewisser Hinsicht Bismarcks politische Haltung charakterisiert, ein Brief Windthorsts an den Präsidialgesandten des Deutschen Bundes Grafen Rechberg vom 27. August 1857 ans Tageslicht gezogen worden, in dem Windthorst den Versuch macht, Holstein das Recht auf eine lutherische Landeskirche abzusprechen, da der Begriff der »herrschenden Landeskirche«, wie der Gießener Jurist Linde hatte nachweisen wollen, mit dem geltenden Staatsrecht des Deutschen Bundes unvereinbar sei. Da jedoch ohnehin die dänische Regierung 1858 die ersten Paragraphen des holsteinischen Verfassungsgesetzes vom 15. August 1857 aufhob, war Windthorsts Mahnung erledigt. -- K. Alnor ( 1402) hat in dem bis jetzt erschienenen 2. Bande seines »Handbuches zur schleswigschen Frage« eine brauchbare Zusammenstellung interessanten Materials für die Zeit unmittelbar vor dem Weltkrieg und während dessen Verlaufs geliefert. Angesichts der großen Fülle von Zeugnissen, die hier zu Worte kommen, dabei freilich nicht immer in ihrem Wert genügend kritisch abgestuft werden, macht sich, wie der Verfasser selbst einräumt, ein »Mangel an synthetischer Kraft« bemerkbar. Doch ist das Werk in erster Linie als ein Buch für politische Orientierung und als Waffe im Grenzkampf gedacht und erscheint für diesen politischen Zweck geeignet. Am fesselndsten ist die Untersuchung über die dänische Neutralitätspolitik vor dem Weltkrieg. Die Verhandlungen zwischen dem dänischen Hauptmann Lütken und dem deutschen Generalstabschef v. Moltke 1906, anderseits die Erklärungen Eduards VII. in Kopenhagen 1908, mit denen sich A. besonders auseinandersetzt, verschafften Dänemark die willkommene Feststellung, daß beide Großmächte, Deutschland wie England, im Falle eines europäischen Krieges seine Neutralität wünschten, während Dänemark selbst bei jenen Erörterungen keinerlei Bindung eingegangen war. Der Zusammenhang zwischen der deutsch-dänischen Annäherung und der Nordschleswigschen Frage (Optantenvertrag 1907) wird durch A.s Darlegungen besonders klar. -- In dem von H. M. Johannsen herausgegebenen Sammelwerk ( 568) schildert K. Alnor, wie sehr der »Skandinavismus«, die Solidarität Schweden-Norwegens mit Dänemark, im 19. Jahrhundert auf die deutsch-dänische Frage Einfluß ausübte, bis diese Bewegung abflaute, als die dänische Forderung eines bewaffneten Eingreifens zu seinen Gunsten sich für Schweden als unerfüllbar erwies. -- F. Hähnsens ebendort erschienener überaus sachlicher Überblick über die Entwicklung der Nordschleswigschen Frage von 1864 bis 1918 und die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auf Nordschleswig nach Deutschlands Zusammenbruch zählt zu den besten Arbeiten, die über diesen Problemenkreis erschienen sind. -- Ebenda findet sich auch ein lehrreicher Bericht E. Schröders über das gegenwärtige dänische Vereins- und Zeitungswesen im Herzogtum Schleswig.


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