IV. Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Heimatkunde.

N. Haases ( 1835) gründliche, auf einem umfangreichen ungedruckten und gedruckten Material beruhende Arbeit erregt insofern allgemeines wirtschaftsgeschichtliches Interesse, als die verschiedenen Faktoren, die zur Entwicklung des gewerblichen Großbetriebs in Schleswig-Holstein geführt haben, auseinandergesetzt und gekennzeichnet werden. H. erklärt diese Entwicklung zum großen Teil sowohl aus der Tatsache, daß es sich hier um ein engbegrenztes Wirtschaftsgebiet handelt, das dennoch Durchgangsland war, wie aus der politischen Verknüpfung


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der Herzogtümer mit dem Norden und ihrer volklichen Verbindung mit dem Süden. Namentlich wird von H. klar herausgestellt, wie der den merkantilistischen Methoden sich ergebende Staat schon im 16., besonders aber im 17. und 18. Jahrhundert als Träger, Anreger oder Förderer weitverzweigter Unternehmungen statt der bisher diese Rolle inne habenden Städte sich betätigte. Die einzelnen Gruppen von »Gründern« fremder und einheimischer Herkunft, die Ursachen der Entstehung des Großbetriebs (Luxus, Bedarf, soziale Gründe, Staats- und Erwerbsinteressen) und die Arten desselben sowie die Betriebsformen werden sorgfältigst erforscht, auch der Übergang vom staatlichen Protektionssystem zum Freihandel nach 1770. Mit dem Jahre 1844/45, das die Neuregelung des Verkehrswesens in Schleswig-Holstein durch Aufkommen der Eisenbahnen brachte, schließt das gehaltvolle Buch ab. -- Auch G. Helmers zweibändiges Werk ( 1837), in dem ein geradezu überwältigendes Aktenmaterial verarbeitet ist, geht weit über eine bloße lokalhistorische Bedeutung hinaus und bildet einen der entscheidendsten Beiträge zur Geschichte der Feuerversicherung in Deutschland. Denn soweit sich bis jetzt übersehen läßt, liegt in Schleswig-Holstein, wie der Verfasser dartut, »die älteste in ununterbrochener Fortsetzung bis zur Gegenwart dauernde Entwicklung der Feuerversicherung« vor. Ja, noch mehr, H. weist im Gegensatz zu W. Schäfer nach, daß Schleswig- Holsteins Feuerversicherung von unmittelbarem Einfluß auf Deutschland gewesen ist, und zwar auf dem Wege über Hamburg. Den Anfang des Feuerversicherungswesens erblickt H. mit Recht in den Brandgenossenschaften oder »Brandgilden«. Ihre aus der Tiefe des Volkes geborene entscheidende Macht als ein das gesellschaftliche Leben der Bevölkerung beherrschendes Element, ihre bahnbrechende Wirkung auf die Umgestaltung der ländlichen Einigungsbestrebungen hat H. überzeugend ermittelt. So legte auch H. besonderes Gewicht auf die Erforschung der schriftlichen Satzungen sowie der Urkunden (Brandgilderollen) der Brandgenossenschaften. Die Frage, ob die altdänischen Schutzgilden auf das Entstehen der holsteinischen Brandgenossenschaften Einfluß gehabt haben, wird von dem Verfasser mit durchschlagenden Argumenten verneint. Dagegen muß es, wie M. Pappenheim (Zeitschr. d. Gesellsch. f. schlesw.-holst. Gesch. 56) im Anschluß an H.s Forschungen ausgesprochen hat, unsicher bleiben, ob daraus, daß Satzungen von Brandgilden erst bald nach der Reformation in größerer Zahl in Schleswig-Holstein auftauchen, von H. der Schluß gezogen werden darf, daß hier nicht schon vor der Reformation auch Brandgilden entstanden seien. Durch H.s Buch ist zugleich die unentbehrliche Grundlage zu Studien über die öffentliche Feuerversicherung und damit über die Feuerversicherungspolitik geschaffen worden. -- H. M. Johannsens »Studien zur Wirtschaftsgeschichte Rendsburgs« ( 1838), die in der Hauptsache auf den Schätzen des dortigen Stadtarchivs aufgebaut sind, schildern zunächst die lebhaften Bemühungen der Rendsburger, für die Eiderschiffahrt und den gesamten Holzhandel des Amtsbezirks das Monopol zu erlangen, ein Streben, das im Anschluß an die Geschichte der 1424 entstandenen Schifferzunft vom 16.--18. Jahrhundert veranschaulicht wird. Es folgt ein kulturhistorisch ansprechendes Bild des Brau- und Schankgewerbes, das der Rat der Stadt vergebens zu monopolisieren suchte. -- F. Techen ( 697) kommt bei seinen Nachforschungen über die Straßennamen norddeutscher Städte zu dem Ergebnis, daß sie nicht dem Geheiß der Obrigkeit, sondern dem Volksmunde entsprungen

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sind, wobei folgende Ursachen bestimmend wirkten: hervorragende oder wichtige Bauten und Örtlichkeiten, Kaufgelegenheiten, die Anwohner nach Gewerbe, Stand, Heimat, Namen sonstiger Personen und Familien, charakteristische Zielpunkte, Eigenschaften und Gestalt der Straßen, Tiere, Sträucher, Blumen, oft in euphemistischem Sinne gebraucht, scherzhafte Anspielungen. -- Von B. E. Siebs ( 495) werden die anderwärts als Hausmarken auftretenden Eigentumsmarken, die älter und einfacher als Wappen sind, nach der Seite ihrer praktischen Verwendung auf der Insel Helgoland beleuchtet. Merkwürdigerweise dienten sie hier nicht an Häusern, aber um so mehr auf Grabsteinen, Fischerfahrzeugen (Schaluppen) und dem Schiffsgerät (namentlich Bojen) als Willens- und Eigentumszeichen. -- Was die Beiträge in A. Gloys Sammelwerke zur Geschichte der Stadt Kiel ( 297) anbetrifft, so sind sie an Wert ungleich. Fraglos stehen die feinsinnigen und grundlegenden Studien von C. Rodenberg über das Kieler Leben im 14. und 15. Jahrhundert sowie über die Stiftung der Universität wissenschaftlich am höchsten. -- H. Ehlers' Schrift über Altonas Vergangenheit ( 300) ist vor allem in den Abschnitten über das 17. und 18. Jahrhundert (Struensee und das Altonaer Zahlen-Lotto, Altonas Postwesen, fremde Einwanderer usw.) reich an neuen Aufschlüssen. -- Der 2. Band von R. Stöpels schönem Sylter Heimatbuch ( 299) bringt für den Erforscher der Volkskunde volle Ausbeute: dies gilt in besonderem Maße von den Kapiteln über Sitten und Gebräuche, die Sylter Tracht, über Fischfang, Schiffahrt und Handel, Gewerbe und Verkehr. -- Von hoher geistiger Warte aus, zugleich mit starker dichterischer Intuition ist Chr. Tränckners bedeutsamer Beitrag über Nordschleswigs Land und Volk in H. M. Johannsens Sammelband ( 568) geschrieben: es ist vielleicht die beste Einführung in das Kulturleben dieses heißumstrittenen deutsch-dänischen Grenzlandes.


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