V. Kirchengeschichte. Geistesgeschichte.

In dem zur 1100-Jahrfeier der Mission Ansgars herausgegebenen »Ansgar-Heft« ist der hervorragendste Aufsatz der von W. Levison ( 860), worin er Rimberts Vita Anskarii einer tiefgreifenden Würdigung unterzieht. Räumt L. auch den Mangel an zeitlicher Bestimmtheit in Rimberts Werk ein, so rühmt er um so mehr die Bestimmtheit der sachlichen Angaben, so über Ansgars Laufbahn, die Lebendigkeit, Wahrhaftigkeit und Schlichtheit der Darstellung, die Einheit des Geistes und der Form, die Kunst des Aufbaus. Wertvoll ist der Hinweis, daß Rimbert, was die durchsichtige, alles Unnötige ausscheidende Klarheit des Stiles anbelangt, offenbar dem »Kreis von Northumberland«, nicht dem »Kreis von Wessex« angehört, ferner daß sich Einflüsse der Vita Sixti et Sinicii, der beiden Reimser Heiligen, ja wörtliche Anklänge finden, ohne daß Rimbert deswegen als Abschreiber anzusehen wäre. -- Eine erfreuliche Ergänzung zu L.s Abhandlung bietet R. Haupt ( 1938) durch die kommentierte Wiedergabe der wichtigsten Stellen aus Rimberts Ansgar-Biographie. -- Den »Apostel des Nordens« als kraftvollen und zielbewußten Förderer der Baukunst und anderer Künste und Gewerbe behandelt ein weiterer Aufsatz von R. Haupt ( 1939), in dem vor allem die Bauten der Kirchen in Schleswig und Schenefeld, auch in Hamburg, berücksichtigt werden. -- Über die vergeblichen Versuche der Sozinianer oder polnischen Brüder, in dem sonst für alle Religionsgemeinschaften geöffneten Friedrichstadt Zuflucht zu finden, berichtet Th. Wotschke ( 2274) und schildert zugleich das abenteuerliche Leben einzelner dieser Sektierer, so


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des aus Krempe stammenden Ruar, eines andern Holsteiners, Theodor Simon aus Bergstedt, des zeitweiligen Leiters der sozinianischen Schule in Kisielin, und des lange in Glückstadt lebenden Isaak Vogler. -- Das Verhältnis Lavaters zu Emkendorf, seine mystisch-magischen Vorstellungen und religiösen Bestrebungen, aber auch seine persönlichen Lebensschicksale, namentlich während der französischen Invasion in der Schweiz werden durch seine aus dem Lavater- Archiv der Zürcher Zentralbibliothek von O. Brandt erstmalig veröffentlichten Korrespondenzen mit dem Emkendorfer Kreis ( 2474) noch stärker als bisher aufgehellt. -- Eine klare Einführung in die religiösen Bewegungen Schleswig-Holsteins von der katholischen Zeit bis zur Gegenwart gibt W. Bülck ( 2271): Aberglaube, Katholizismus, landeskirchliches Luthertum mit seinen Sondertypen, Orthodoxie, Pietismus, Rationalismus und liberalem Christentum, ihre markantesten Verkündiger und Verfechter ziehen an uns in scharfen Charakteristiken vorüber. -- T. O. Achelis ( 438) wirft auf Grund der Kirchenbücher neues Licht auf das Nebeneinander der verschiedenen Sprachen (plattdänisch als Volkssprache auf dem Lande, deutsch, früher niederdeutsch, seit Mitte des 17. Jahrhunderts hochdeutsch in den Städten) in Nordschleswig, aber auch auf das Nebeneinander der kirchlichen Einteilung (Nordschleswig gehörte zu den drei Bistümern Ripen, Schleswig, Odense) sowie auf die verschiedene politische Zugehörigkeit (Königl. und Herzogl. Anteil).

Th. Voss ( 2276) fördert die Kultus- und Kulturgeschichte Kiels durch die fast ausschließlich aus archivalischen Studien hervorgegangene Monographie des vermutlich aus Pommern stammenden Kieler Kantors Wockenfuß, der nicht nur den Einzelgesang, sondern vor allem den Brauch der Kantaten hochzuhalten verstand und überhaupt unter unsagbar schwierigen Umständen während der Kriegsjahre zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Dichter und Komponist Bibelwort und Kirchenlied in Kiel wieder gehoben hat. -- Das ursprünglich annalistisch angelegte, dann nach alphabetischen Stichworten umgeschriebene, von dem Genealogen Moller in der alten Fassung wiederhergestellte Tagebuch des Flensburger Organisten Johannes Reinhusen, von F. Gundlach umsichtig ediert ( 439 a), ist nicht bloß kirchengeschichtlich von Belang, sondern ermöglicht auch wichtige Schlüsse auf die Entstehung von Familiennamen: Berufsarten und Ahnen erweisen sich hier als besonders maßgebend.

Die dichterische und künstlerische Tätigkeit Heinrich Rantzaus, des großen nordeuropäischen Humanisten und Staatsmannes des 16. Jahrhunderts, ist von R. Haupt ( 2508), freilich nicht ohne eine gewisse Überschätzung, behandelt worden. -- Aus dem Funde von Bänden, die der einstigen Breitenburger Bibliothek angehörten, in Augsburg stellt sodann E. Gebele ( 91) fest, daß Heinrich Rantzau in näheren Beziehungen zu dem Augsburger Humanistenkreis gestanden hat.


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