III. Recht und Verfassung.

Drei Arbeiten behandeln lübeckische Rechtsverhältnisse. Das Jubiläumsjahr erforderte eine wissenschaftliche Untersuchung von Lübecks Stellung als Reichsstadt. Diese Aufgabe löst Johs. Kretzschmar ( 302) im Anschluß an eine Wiedergabe des Freibriefs von 1226 in Urtext und Übersetzung in der Festschrift des örtlichen Geschichtsvereins. Die Gründung Lübecks fällt in die Zeit, da neben den lediglich durch ihre Ummauerung von den Landorten unterschiedenen Städten durch Gründung königlicher Marktstädte


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ein neues Recht in die Erscheinung trat und nachher königliche und bischöfliche Städte der persönlichen Gewalt ihrer Stadtherren entwuchsen. Der Freibrief von 1226 gebraucht zum erstenmal den Begriff der Reichsstadt im technischen Sinne. Die reichsstädtischen Pflichten -- Huldigung, Heerfahrt und Reichssteuer -- wußte Lübeck wohl in Einzelheiten zu modifizieren, gehörte aber doch nicht zu den sieben bevorrechteten »Freistädten« im staatsrechtlichen Sinne des 14. und 15. Jahrhunderts, deren Stellung Kretzschmar kurz herausarbeitet. Die Selbständigkeit der Reichsstädte in ihren Angelegenheiten verlieh ihnen eine den fürstlichen Landeshoheiten vergleichbare Stellung. Ein besonderes Merkmal war die Reichsstandschaft. Während aber die süddeutschen Reichsstädte aufs engste mit dem Reich verknüpft blieben, waren die Beziehungen zwischen dem Reich und den norddeutschen Reichsstädten beiderseits flau. Auf dieser Voraussetzung erwuchs Lübecks wesentliche Bedeutung als führende Hansestadt. -- Für die nach dem Chronisten Arnold angenommene Begabung Lübecks mit Soester Recht hatte sich bisher keine durchschlagende Erklärung gefunden. Nunmehr widmet Fr. Philippi der Frage eine scharfsinnige Untersuchung ( 1580). Von einer Andeutung Frensdorffs ausgehend, kommt er zu dem Ergebnis, daß die Verwandtschaft sich in der Regelung der Bodenrechte findet, indem Lübeck ähnlich wie Soest den Grund und Boden meist zu Weichbildrecht, einer Art Erbbaurecht, übertrug, wodurch den Siedlern die Erwerbung erleichtert wurde, und durch Einführung der Weichbildrente dem kaufmännischen Kreditbedürfnis entgegenkam. Die Verschiebung des Eigentumsbegriffs erweiterte zugleich den Kreis der zeugnisfähigen Männer, da unter der septa domicilii des unbescholtenen Bürgers das zu Weichbildrecht errichtete Wohnwesen verstanden wurde. Eine weitere Übereinstimmung zwischen Lübeck und Soest findet Philippi in der Dreiklassengliederung ihrer Bürger. Dabei geht er für Lübeck mit Rörig über die irrige Auffassung Wehrmanns auf Pauli und Frensdorff zurück, während er sich für Soest auf von Klocke stützt. In den Ergebnissen findet er eine Bestätigung der Auffassung, daß das mittelalterliche deutsche Stadtrecht sich als ein den neuen städtischen Verhältnissen angepaßtes Landrecht darstelle. -- M. Wenzels Beitrag über die Hoheitsverhältnisse in der Lübecker Bucht ( 1637) polemisiert in dem schwebenden lübeckisch-mecklenburgischen Rechtsstreit gegen die früheren gutachtlichen Äußerungen Fritz Rörigs, wie gegen die vorläufige Entscheidung des Staatsgerichtshofs, die sich deren Auffassung wesentlich zu eigen machte. Der grundsätzliche Gegensatz besteht darin, daß Wenzel von allgemeinen Rechtstheorien ausgeht und auf sie gestützt die Möglichkeit einer Entwicklung lübeckischer Hoheitsrechte auf dem Wege des Gewohnheitsrechts leugnet. Er verwendet sich schließlich für einen Vergleich der streitenden Parteien. Es bleibt abzuwarten, ob der Staatsgerichtshof im Endurteil seinen vorläufigen Standpunkt verläßt. (Vgl. auch S. 534.)


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