IV. Verkehr und Wirtschaft.

Von Hoheitsverhältnissen zum Verkehrswesen bilden einige Arbeiten über Flaggen- und Münzgeschichte die Überleitung. Die Entwicklung der lübschen Flagge verfolgt G. Fink ( 496) nach Schiffssiegeln, bildhaften Darstellungen und redenden Quellen mit dem Ergebnis, daß das von Weiß und Rot geteilte Tuch immer den Grundtyp dargestellt hat, besondere Anforderungen daneben nur Spielarten entstehen ließen -- so namentlich die Staatsflagge mit dem Adler. In systematischer Folge werden alle


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charakteristischen wehenden Zeichen betrachtet, von dem frühesten Flögel bis zu den jüngsten Dienstflaggen und Fahnen. -- Eine Hamburger Untersuchung von H. Reincke ( 497) geht auf Flagge und Wappen ein. In beiden kehrt das Rot-Weiß der alten Reichsfarben wieder (vgl. J. Kretzschmar in Lüb. Forschungen 1921). In einzelnen Fällen nur wich man vom roten Fahnentuch oder von dem Bilde der Burg ab. Beachtlich sind zwei Feststellungen Reinckes: daß der besonders gestaltete Mittelturm der Burg einen Kirchenturm als Symbol des erzbischöflichen Stadtherrn darstellt, und daß das ursprünglich der Farbe des Backsteins entsprechende Rot der Wappenburg später in Weiß verkehrt wurde, um sich ohne umgebenden Schild vom roten Flaggentuch abzuheben. Nebenher gibt die Arbeit originelle Mitteilungen über die Flaggenausrüstung hamburgischer Schiffe und erörtert -- auf Egmont Zechlin gestützt -- Hamburgs Anteil an der schwarz-weiß-roten Reichsflagge. -- Ein Aufsatz von Wilh. Jesse ( 1765) vertritt das späte 12. Jahrhundert als Ausgangstermin der hamburgischen Münzgeschichte. Auch abgesehen von den Münzverträgen mit Lübeck, Lüneburg und den anderen wendischen Städten greift die Arbeit vielfach über das Hamburgische hinaus und bietet mancherlei zur niedersächsischen Numismatik überhaupt. Die Entwicklung wird bis zur Talerprägung und zu dem münzpolitischen Eingreifen des Kreises verfolgt. -- Mit einer handelsgeschichtlichen Studie führt H. Nirrnheim ( 1766) die neuen Hamburgischen Geschichts- und Heimatsblätter ein. Er setzt darin kurz auseinander, wie Amsterdam als Haupterbin von Utrecht durch Einbeziehung in das hansische Verkehrsnetz groß wurde, wie in der Amsterdamer örtlichen Hanse das hamburgische Element überwog und der Niedergang des Hamburger Bierhandels der Bedeutung Amsterdams entscheidenden Abbruch tat. -- Die Dissertation von Johanna Müller über Bremens Handel und Verkehr im Mittelalter ( 1767) ist ein Zeugnis dessen, was die reiche hansische Geschichtsliteratur für die Behandlung von Einzelgebieten hergibt. Bis jetzt liegt der erste Teil -- bis zur Aufnahme Bremens in die Hanse, im Jahre 1358 -- vor. Bei der reichlich akademischen Gliederung dieses »chronologischen Teils« wäre ein einstweiliger Überblick über das, was folgen soll, erwünscht gewesen. -- Völlig neues bietet eine erstmalig als Vortrag bekanntgegebene Lübecker Untersuchung F. Rörigs ( 1768). Sie widerlegt den in der Wissenschaft fortgeerbten Irrtum, dem hansischen Kaufmann sei der reine Großhandel fremd gewesen. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts repräsentiert ein ganz neuer Typ die Oberschicht des hansischen Handels: der Kaufmann mit ausgedehntem Schriftenverkehr, mit auswärtigen Vertretungen und weitreichenden Kreditgeschäften. In ihm erblickt Rörig den Vorläufer des modernen Kaufmanns und führt auf seine überlegene Technik wesentlich den Sieg Lübecks über Gotland zurück. Die Arbeit klärt ferner die Entwicklung des Lübecker Gewandschnitts. Dabei stellt sich für die Zeit um 1370 eine Gliederung der Handelskreise in vier Schichten heraus, deren oberste als reiner Großhandel einen Umsatz hatte, dessen Ausmaße die bisherigen Annahmen weit hinter sich lassen. -- Eine Dissertation von W. Braun ( 1767 a) über den Lübecker Salzhandel bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts erweitert die Kenntnis der Verhältnisse nicht wesentlich. -- Aus dem oben genannten Lübecker Heimatbuch ( 303 a) verdient hier der Aufsatz von R. Keibel hervorgehoben zu werden, weil er, auf zuverlässigen Studien beruhend, den ersten umfassenden Überblick über die

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lübeckische Wirtschaftsgeschichte seit Beginn des 19. Jahrhunderts bietet. Man sieht die Stadt aus primitiver Wirtschaft mit bescheidenem Bankverkehr und einem kaum den Namen verdienenden Fabrikwesen mehr und mehr hineinwachsen in das Zeitalter der Technik, die schweren Nachwirkungen der französischen Okkupation, die verkehrspolitischen Behinderungen durch Dänemark und die aus der gesamtdeutschen Entwicklung erwachsenen ernsten Probleme aus eigner Kraft überwinden und ihre Sonderstellung im Ostseegebiet behaupten, nur vorübergehend in ihrer Entwicklung ungehemmt, bis in den zeitgemäßen Ausbau der Industrieanlagen der Weltkrieg eingriff und die Stadt neuerdings in eine schwierige Verteidigungsstellung drängte. Die Urteile sind vielfach durch statistische Angaben belegt. Der einen Persönlichkeit, deren Bedeutung Keibel besonders unterstreicht, Emil Possehl, wird von E. Curtius ( 1842 a) ein Sonderaufsatz gewidmet. Der Verfasser bietet -- ganz unsystematisch -- »Erinnerungen«, zumeist Bruchstücke aus seinem freundschaftlichen Gedankenaustausch mit Possehl. Nimmt man daraus nur den Grundgedanken der Wirtschaftsdenkschrift von 1912, die Betreibung der Fehmarnlinie und die sichere Beurteilung der Lage zu Beginn des Weltkrieges, so hat man das Bild einer Führerpersönlichkeit von großem Ausmaß, wie sie in der Tat Emil Possehl über Lübeck hinaus für die deutsche Gesamtwirtschaft dargestellt hat. -- Ein Stück Gewerbegeschichte bietet W. L. von Lütgendorff anläßlich der Fünfhundertjahrfeier der Lübecker Malerinnung ( 1842 a), wobei er in richtiger Einstellung das Handwerkliche in den Vordergrund rückt, das im alten Maleramt mit der Kunst vereinigt war. An das Maleramt knüpfte bei der Einführung der Gewerbefreiheit 1868 die freie Innung an, die wiederum 1898 in die neue Zwangsinnung überging. In flüssiger Erzählung schildert der Verfasser Personen, Zustände und Leistungen und gibt dabei viele kulturgeschichtlich interessante Einzelheiten. Ein alphabetisches Verzeichnis aller bekannten Mitglieder des Amtes und der Innung ist beigegeben.


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