II. Gesamtdarstellungen.Die bedeutendste
Neuerscheinung der letzten Jahre auf dem Gebiete der schlesischen Geschichte ist das stattliche Buch von J.
Pfitzner (
614), der unter scharfer kritischer Stellungnahme zu den in Betracht kommenden
wissenschaftlichen Problemen nicht nur Schlesiens, sondern des gesamten kolonialen Nordostens den Versuch unternommen
hat, trotz des noch fehlenden schlesischen Urkundenbuches eine Besiedlungs-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des
Breslauer Bistumslandes bis zum Beginn der böhmischen Herrschaft zu schreiben. Das von der Wissenschaft auf das
lebhafteste begrüßte, nach mancher Richtung hin bahnbrechende Werk hat infolge des umfangreichen darin
angeschnittenen Fragenkomplexes eine eindringende Würdigung aus berufener Feder erst jetzt erfahren. Diese
Besprechung durch H. v. Loesch stimmt den Darlegungen Pfitzners im allgemeinen zu, vertritt aber in
einzelnen Punkten vielfach abweichende Auffassung. Gegen die Darstellung Pfitzners, die in dem Ringen der Bischöfe
mit der weltlichen Gewalt Herzog Heinrich IV. als geschworenen Feind des Bistums (S. 131) und als Grundzug seiner
Persönlichkeit die »Feindschaft gegen die Kirche« (S. 122) hinstellt, wendet sich im diesjährigen
Band der Ztschr. d. Ver. f. Gesch. Schles. (Bd. 62, S. 65 ff) E. Mätschke, dessen Einwendungen sich im allgemeinen
nur gegen die einseitige Darstellung Pfitzners über Heinrich IV. und gegen die ohne nähere Begründung
erfolgte Beiseiteschiebung der durch Mätschke im Bd. 59 dieser Zeitschrift aufgestellten Behauptungen richten.
-- Ein besonders großes Verdienst hat Pfitzner sich durch die weitgehende Heranziehung der durch die deutsche
Forschung bisher nicht genügend berücksichtigten slawischen Forschungsergebnisse und vor allem des
tschechischen Schrifttums erworben. Die dem Werke noch nicht beigegebenen Karten beabsichtigt Pfitzner im zweiten Teil
seiner Arbeit beizubringen. -- W. Jungandreas (
610) berichtet vorweg über die Ergebnisse seiner auf Grund des
Lautstandes durchgeführten (1928 erschienenen) umfangreichen Untersuchung, »Beiträge zur Erforschung der
Besiedlung Schlesiens und zur Entwicklungsgeschichte der schlesischen Mundart«. -- Dem 1922 von der Historischen
Kommission für Schlesien veröffentlichen ersten Bande der Schlesischen Lebensbilder, der in
kurzen Lebensabrissen 76 im 19. Jahrhundert in Schlesien hervorgetretene Persönlichkeiten behandelt, ließen
die Herausgeber zugleich als Ehrengabe für den Breslauer Historikertag in vorzüglicher Ausstattung den zweiten
Band (
448) folgen. Zurückgreifend bis zur preußischen Besitzergreifung
Schlesiens bringt derselbe aus der Feder sorgsam ausgewählter Mitarbeiter in zum Teil sehr eingehenden Biographien
Einzelbilder von 60 führenden Männern aller Stände und Berufe Schlesiens, die sich in geschickter
Anordnung für die friderizianische Zeit und die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zu einem den Geist der Zeit
trefflich veranschaulichenden Bilde runden. Von Gestalten, deren Bedeutung weit über die Grenzen der Provinz
hinausgehen, seien nur genannt die Gesetzgeber Carmer und Suarez, der Philosoph Christian Wolff, der Romantiker J. v.
Eichendorff, der Politiker Fr. v. Gentz, aber auch die schlesischen Provinzialminister Schlabrendorff und Hoym, der
Oberpräsident Theodor v. Merckel, die Reformatoren des schlesischen
S.566 Schulwesens K. A. Freih. v. Zedlitz und der Saganer Abt Joh. Ignaz Felbiger, der Opernkomponist K. Ditters v. Dittersdorf, der Architekt K. G. Langhans, der Dichter und Historiker Joh. Casp. Manso, der Begründer des Altkatholizismus Johannes Ronge usw. dürfen mehr als ein schlesisches Interesse beanspruchen. Aus der Reihe der jüngst Verstorbenen sind die Namen des Generals und Militärschriftstellers Kraft Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen ( 1892), des Kardinals Kopp ( 1914), des Mediziners Ehrlich ( 1915), der Nationalökonomen K. Jentsch ( 1916) und Gothein ( 1923), des Historikers Rachfahl ( 1925), des Geographen Partsch ( 1925) usw. weit über Schlesien hinaus bekanntgeworden. Die beigegebenen Bildnistafeln sind zum Teil nach wenig oder gar nicht bekannten Gemälden, Stichen und Photographien ausgewählt worden. |
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