III. Historische Landeskunde und Ortsgeschichte.

Über die Form der fränkischen Hufenstreifen geben die beiden Abhandlungen von W. Heinrich ( 607) und Joh. Langer ( 608), denen Flurskizzen beigegeben sind, Aufschluß. Beide, die südliche Oberlausitz behandelnde Arbeiten enthalten die Maßbestimmungen der fränkischen Hufe, die indessen infolge der Vermessung mit zwei verschieden langen Ruten nur selten mit dem gewollten Maß übereinstimmt. Die Besiedlungsgeschichte des Kreises Jauer von G. Schönaich ( 613) ist eine kurze kritische Zusammenfassung der in den Regesten zur schlesischen Geschichte wie in der sonstigen wissenschaftlichen Literatur gewonnenen Ergebnisse, die besonders durch das Herausarbeiten größerer Gesichtspunkte einen wertvollen Baustein zur allgemeinen schlesischen Siedlungsforschung darstellt. Seit A. Markgrafs Herausgabe der »Descriptio tocius Silesie« (Script. rer. Siles. XVIII, Breslau 1902) ist unsere Kenntnis über Barth. Stein, den Verfasser dieser ältesten Heimatkunde Schlesiens, in manchen Einzelheiten gefördert worden. Vollständig aufgeklärt ist jetzt die Entstehungsgeschichte dieser Beschreibung Schlesiens durch A. Schaube ( 117), nach dessen scharfsinnigen Feststellungen Stein den Plan zu einer Schrift um 1500 in Krakau bereits faßte und ihn, angeregt durch die Beschreibung Nürnbergs von K. Celtis (1502) und die (damals nicht in Erfüllung gegangenen) Hoffnungen auf die Begründung einer Universität Breslau, im vierten Jahre seines Rektorates der Breslauer Domschule (1504 bis 1505) im wesentlichen zur Ausführung brachte. 1512 nach Schlesien zurückgekehrt, fügte er die glänzende Beschreibung Breslaus hinzu, die das Werk mit zwei einleitenden Gedichten abschloß (1513), wozu später (1514 oder 1515) noch eine kurze statistische Zusammenstellung über Breslaus Kirchen und Altäre kam. -- In seinem die politische und geschichtliche Zugehörigkeit Oberschlesiens zum deutschen Kulturkreis beleuchtenden Abriß der Geschichte Oberschlesiens weist M. Laubert ( 337) nach, daß bis 1848 von irgendwelchen Beziehungen Oberschlesiens zu Polen nicht die Rede sein kann: Ohne den mindesten Zwang gewann das Deutschtum infolge seiner kulturellen Überlegenheit beständig an Boden und die deutsche Sprachgrenze rückte unaufhaltsam nach Osten vor. Erst die infolge der Unkenntnis der Berliner Zentralstellen vorgenommene systematische Polonisierung des oberschlesischen Volksschulunterrichts nach 1848 ließ die von außen hineingetragene polnische Propaganda wirksam werden, aber der Weltkrieg hat auch nach polnischem Zeugnis gezeigt, daß die Provinz in allen ihren Bevölkerungskreisen loyal war. -- Zum vielbehandelten Thema der Stadtgründungen im kolonialen Osten teilt G. Schön-


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aich ( 611) mit, daß von den 63 im 13. Jahrhundert in Schlesien gegründeten Städten nur etwa die Hälfte nach dem sog. ostdeutschen »Normalplan« mit dem viereckigen Markt (Ring) in der Mitte angelegt worden sind. Der Dreiecksmarkt (Neiße, Leobschütz) und der Straßenmarkt (Neumarkt, Nimptsch, Goldberg, Löwenberg usw.) sind deutliche Abweichungen von diesem Normalplan. -- Zur Topographie der Stadt Neiße veröffentlicht H. Dittrich ( 615) 29 Ansichten und Pläne der Stadt Neiße nebst Erläuterungen, angefangen mit Hartmann Schedels Weltchronik (1493), dem Städtehandbuch von Braun und Hogenberg ( 1591), dem etwa gleichzeitigen Hayerschen Plan von Neiße und dem Kupferstich von Math. Merian usw. -- Der älteren und mittelalterlichen Topographie und Befestigungsgeschichte wie der allgemeinen stadtbaulichen Entwickelung von Liegnitz, das Friedrich d. Gr. nach der Besetzung durch die Österreicher i. J. 1757 endgültig entfestigen ließ, dient die Arbeit von Fr. Pfeiffer ( 618). -- Die beiden Schriften von F. Stolle zur ältesten Glatzer Geschichte ( 619 u. 620), die sich gegen die die deutsche Kolonisation der Grafschaft Glatz verneinende »Bretholzsche Lehre« (Geschichte Böhmens u. Mährens, Bd. 1) und deren Anhänger richten, sind nicht im Tone ruhiger, rein wissenschaftlicher Sachlichkeit gehalten, sondern stellen (besonders 619) eine heftige Polemik dar. Gleichwohl wirkt gegenüber der Bretholzschen Annahme einer »deutschen Stadt Glatz« mit »Mauern, Türmen und Toren« für das Jahr 1114 der Nachweis Stolles überzeugend, daß 1114 neben der slawischen Burg Kladsko nur eine dürftige slawische Siedlung oder »Vorburg« bestand, die auch 1184 nur ein slawischer Marktflecken (forum Cladsco) mit »forensis ecclesia« war und erst in der Periode der deutschen Kolonisation z. Z. Ottokars II. (1253 bis 1278) wirklich deutsche Stadt mit deutschem Recht wurde. -- A. Brückner ( 708) stellt die für Breslau angenommene Benennung nach dem Böhmenherzog Vratislaw I ohne hinreichenden Nachweis als eine Fabel hin und wirft die Behauptung auf, daß Breslau nach einem Slowaken resp. Polen benannt wurde.

Ortsgeschichten:

Die sechste Lieferung der Neubearbeitung der Stadt Görlitz von R. Jecht ( 333) (vgl. Jahresber. I, S. 536) führt bis zum Tode des geschäftskundigen Oberstadtschreibers, Politikers und Geschichtschreibers Joh. Haß ( 1544), der ein volles Menschenalter die Geschichte von Görlitz und auch der Oberlausitz wesentlich beeinflußte. Diese Fortsetzung, die auch die Einführung der Reformation in Görlitz behandelt, schließt den ersten Halbband ab. Das alphabetische Inhaltsverzeichnis soll am Schluß des zweiten Halbbandes folgen. -- Vornehmlich auf den grundlegenden Veröffentlichungen von K. Wutke über die schlesische Salzversorgung (Ztschr. f. Gesch. Schl. Bd. 27 u. 28) und auf Wutkes großen Quellenveröffentlichungen Cod. dipl. Sil. XVII. und XXIV fußend, unternimmt W. G. Schulz ( 335) in dem bis zum Jahre 1611 führenden ersten Teil seiner auf zwei Bände geplanten Geschichte der Stadt Neusalz (Oder) den Versuch, die Entstehung und Bedeutung des Neusalzer Siedewerkes im großen Rahmen der allgemeinen Handels- und Wirtschaftsgeschichte in lebendiger, auch für weitere Kreise lesbarer Darstellung zu schildern. Besonders interessant sind die neuen Aufschlüsse über die Baisalzschiffahrt der späthansischen Zeit. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts unternahm es die Schmidtsche Handelsgesellschaft zu Danzig bei Saabor ein Salzsiedewerk anzulegen und den Seesalztransport nach Schlesien in Wege zu leiten. Die Absatzverhältnisse


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beim Neusalzer Siedewerk sind in ein neues Licht gerückt. Der ausgezeichnete Buchschmuck ist ein Verdienst Günther Grundmanns. -- Anläßlich der 700-Jahrfeier der Stadt Zülz veröffentlichte der (1928 verstorbene) Nestor der oberschlesischen Heimatgeschichte Joh. Chrząszcz ( 339) einen ausgezeichneten Abriß der Stadtgeschichte, in dem von besonderer Bedeutung das die Zeit der Republik (1918--1926) umfassende Kapitel ist, das eine knappe allgemeine Geschichte des deutsch-polnischen Kampfes um Oberschlesien und der oberschlesischen Entwicklung ist. Von allgemeinem Interesse ist auch die beigegebene Geschichte des Lehrerseminars und der Präparandenschule in Zülz von J. Hanke und die Geschichte der Zülzer Juden von J. Rabin ( 2334). Namentlich die letztgenannte (populäre) Darstellung verdient Beachtung, zumal die Zülzer Judengemeinde nach der Vertreibung der Juden aus Schlesien (1582) mit der von Groß-Glogau die einzigen Zufluchtsstätten waren, in denen damals sich jüdisches Leben in Schlesien hielt. -- In diesem Zusammenhang muß auch die Breslauer Dissertation von F. Bloch ( 2333) genannt werden, die nach einer guten Einleitung über die jüdische Einwanderung nach Schlesien während des zweiten schwedisch-polnischen Krieges eine mit einem Quellenanhang versehene Geschichte der Entwicklung der Judengemeinde in Militsch seit 1655 gibt. -- Von schlesischen Dorfgeschichten müssen zwei rühmend hervorgehoben werden. Das auf sorgfältigem Quellenstudium beruhende Heimatbüchlein von K. Lorenz ( 338) behandelt in charakteristischen Bildern die 700 jährige Geschichte von Riemertsheide, Kr. Neiße. Es ist mehr als eine landläufige Ortsgeschichte und kann mit dem ihm beigegebenen Quellennachweis zur Geschichte schlesischer Dörfer jedem Bearbeiter einer knappen Dorfgeschichte als Musterbüchlein empfohlen werden. Ein Heimatbuch in vornehmster Ausstattung mit zahlreichen gut ausgewählten Bild- und Kartenbeigaben ist der von R. Gottwald ( 334) herausgegebene Prachtband »Das alte Wüstewaltersdorf«, der den bisher besten Beitrag zur Geschichte des Eulengebirges darstellt und in seinem zweiten Teil (S. 55--106) eine ausgezeichnete Abhandlung über Weberei und Handel im Eulengebirge enthält.


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