VI. Kirchengeschichte.

E. Michael's ( 1923 erschienenes, schnell vergriffenes) Buch »Das schlesische Patronat« erfährt eine grundlegende, weit über den Rahmen des ursprünglichen Werkes hinausgehende Neubearbeitung, von der bisher der erste Teil ( 2057) erschien. Auf die nicht glückliche Formulierung des Titels dieses Bandes (Die schlesische Kirche und ihr Patronat im Mittelalter »unter polnischem Recht«) hat H. F. Schmid, der bei aller Anerkennung dieser Arbeit sich mit einigen Einzelheiten derselben auseinandersetzt, in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte XLVII. Bd., Kan. Abt. (1927), S. 448 ff., hingewiesen. Weder in dem 1815 mit Schlesien vereinigten Teil der Oberlausitz noch in der erst 1742 endgültig mit Schlesien verbundenen Grafschaft Glatz, deren vorkoloniale Kirchenentwicklung das Buch mitbehandelt, hat je »polnisches Recht« gegolten. Der von H. F. Schmid formulierte Titel »Die schlesische Kirche in slavischer Zeit« wäre daher treffender gewesen. Abgesehen von diesem kleinen Schönheitsfehler ist der vorliegende Band, in dem die einschlägige polnische Literatur benutzt und gewertet wurde, von der Wissenschaft als ein sehr beachtenswerter Fortschritt gegenüber der bisherigen Forschung begrüßt worden. Das vorkoloniale Schlesien ist nach den Michaelschen Ergebnissen -- um nur das Wesentliche hier anzuführen -- nicht das kirchenarme Land gewesen, wie wir es bisher annahmen, vielmehr weist der Verfasser nicht weniger als 150 schlesische Kirchen, die noch dazu alle eine sehr erhebliche Landausstattung besaßen, in der slawischen Zeit nach. Ein landesherrliches Patronat hat es in der damaligen schlesischen Kirche, wie der der Kolonisationszeit, nicht gegeben. Die gegenüber den bisherigen Anschauungen völlig neuen Erkenntnisse über die kirchliche Organisation Schlesiens fußen auf einer fast erschöpfenden Quellenverwertung wie auf einer kritischen Würdigung der reichen ortsgeschichtlichen Literatur Schlesiens, so daß der vorliegende Band ein unentbehrliches Handbuch zur ältesten schlesischen Kirchengeschichte darstellt, zumal es an einer Geschichte der ältesten schlesischen Kirche bisher überhaupt fehlte. (Der zweite Teil des Michaelschen Werkes soll die schlesische Kirche unter deutschem Recht, der dritte Teil die Zeit von der Reformation bis 1740 und der vierte, jetzt in Vorbereitung befindliche Teil die Zeit von der preußischen Besitzergreifung Schlesiens bis zur Gegenwart behandeln.) -- Fr. Schubert ( 2081) gibt nach einer in der Breslauer Dombibliothek befindlichen, aus zwei Teilen (Teil I 1448, Teil II 1488) bestehenden Handschrift eine Schilderung des Breslauer Domgottesdienstes an den einzelnen Hochfesten und liturgisch hervorragenden


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Zeiten des Kirchenjahres um die Mitte des 15. Jahrhunderts, von dem mit der Veränderung der materiellen Grundlagen heute vieles verschwunden ist. -- Der St. Johannes-Ablaß (1460--1471), der der Stadt Breslau als eine Frucht ihres Widerstandes gegen Georg Podiebrad nach langwierigen Verhandlungen mit der Kurie zugestanden wurde, stellt sich nach den Untersuchungen darüber von E. Laslowski ( 2079) als eine ungemein ergiebige Einnahmequelle für Breslau dar, zumal der Zeitpunkt dieses Ablasses sehr glücklich gewählt war, da um Johanni in Breslau der große achttägige Jahrmarkt war, zu dem die Leute bis tief aus Polen und Rußland kamen. -- A. Zobel ( 2310) veröffentlicht die Fortsetzung und den Schluß seiner vorzüglichen Arbeit über die Durchführung der Reformation in Görlitz und der preußischen Oberlausitz (vgl. Jahresber. 1, S. 410 und 540). Die Reformation in Görlitz, wo alle Voraussetzungen für die Erhaltung des Alten vorhanden waren, zeigt besonders deutlich, wie wenig diese geistige Bewegung »etwas menschlich Gemachtes, sondern ... etwas geschichtlich Notwendiges« war. -- Die bisher fehlende Monographie über den Bischof Kaspar v. Logau (1562--1574) bietet die für die Entwicklung der religiösen Verhältnisse Schlesiens zu dieser Zeit grundlegende Darstellung von K. Engelbert ( 2144), die zugleich eine Fülle wertvollsten Materials zur Orts- und Personengeschichte enthält. Am Kaiserhofe erzogen, dann Lehrer des Erzherzogs Karl, Propst v. Leitmeritz (1551--1562) und Bischof von Wiener-Neustadt (1559--1562), als Günstling des Kaisers endlich durch den Einfluß der kaiserlichen Kommissäre zum Breslauer Bischof gewählt, zeigte K. v. L. anfänglich Eifer, dem Zustand der Auflösung, in dem die katholische Kirche Schlesiens sich damals befand, entgegenzuwirken. Bald aber sah er -- obwohl Oberlandeshauptmann von Schlesien -- passiv zu, wie der Protestantismus sich in seiner Diözese immer mehr entfaltete. Das Domkapitel, das zu retten suchte, was zu retten war, warf dem Bischof, der »nur darauf bedacht sei, Geld aufzuhäufen und sich um die Religion nicht kümmere« (S. 95) Nachlässigkeit und Geiz vor. Der Hauptteil des Bandes (S. 75 ff.) schildert sehr eingehend auf erschöpfender Quellenbenutzung die religiösen Zustände in den einzelnen Fürstentümern und Landesherrschaften Schlesiens durch eine mosaikartige Zusammenfügung von Einzelnachrichten. Engelbert will in seiner Arbeit nachweisen, daß die Reformation unter dem Druck der Städte und des Adels, nicht aber als Erfüllung eines allgemeinen Wunsches durchgeführt wurde. In dem noch fehlenden zweiten Teil dieser Biographie sollen die von Bischof und Domkapitel getroffenen Maßnahmen zum Schutze des Katholizismus näher behandelt werden. -- Die Geschichte der (um 1250 gegründeten) Allerheiligenkirche zu Gleiwitz von K. Kukowka ( 1962) ist ein wertvoller Beitrag zur oberschlesischen Kirchen- und Schulgeschichte. Beigegeben ist eine mit 1279 beginnende Statistik der Pfarrgeistlichen. -- Einen (etwas lückenhaften) Beitrag zur Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde wie der evangelischen Stadtschule zu Pleß (Oberschlesien), zugleich auch zur Sprachenfrage und Kolonisation in Oberschlesien liefert Schwencker ( 2310 b). -- Dem außerordentlich scharfen Urteil Matzkes (Die Generalkirchenvisitation der ev. Kirchen und Schulen im Fürstent. Liegnitz in den Jahren 1654, 1655 und 1674. Berlin 1854) über den Zustand der damaligen lutherischen Kirche und über ihre Pastoren und Lehrer in den Herzogtümern Liegnitz, Brieg und Wohlau (1648--1675) tritt Pastor Meyer ( 2310 a) auf Grund der Visitationsberichte mit der Anschauung

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entgegen, daß jene Generation ein so hartes Urteil nicht verdient. -- Als Fortsetzung seiner in den Jahrgängen X und XI der Ztschr. f. Gesch. und Kulturgesch. Österr. Schlesiens begonnenen Arbeit »Der österreichische Anteil der Diözese Breslau nach den Visitationsberichten des 16. und 17. Jahrhunderts« bringt Morr ( 2145) den vierten Abschnitt des Teschener Kommissariats, der das Archipresbyterat Schwarzwasser behandelt. -- Der Grüssauer geistliche Historiker P. Nik. v. Lutterotti schildert den Grüssauer Abt Dominikus Geyer (1696--1726), der wie sein großer Vorgänger Abt Bernhard Rosa der Blütezeit dieses Klosters angehört, als tüchtigen Finanzmann und sorgsamen Abt, in dessen Leben indessen die großen Ereignisse fehlen ( 2145 a). -- Die religiös-politischen Spannungen und Verhandlungen, zwischen dem protestantischen aufstrebenden Preußen und dem katholichen Kaiserhaus der Habsburger, die die durch die Friedensschlüsse von Berlin, Dresden und Hubertusburg erfolgte Teilung des Breslauer Bistumssprengels in einen österreichischen und einen preußischen Anteil im Gefolge hatte, behandelt G. Pirchan ( 2146). Die leitenden kirchenpolitischen Gesichtspunkte beider Großmächte bei den vielfachen, erfolglosen Versuchen einer Lösung der Trennungsfrage durch einen gegenseitigen Austausch der fremdstaatlichen Diözösananteile sind scharf herausgearbeitet. Metternichs unverändert festgehaltener oberster politischer Leitgedanke, die Vormacht Österreichs unter allen Umständen zu wahren und darum das aufstrebende Preußen »jederzeit behutsam und fast unmerklich, aber doch nachhaltig beeinflussen zu können«, bedeutete schließlich die grundsätzliche Ablehnung der Erörterung der Frage einer reinlichen Scheidung der Diözesen nach Staatsgrenzen. -- Die Grundlinien des evangelischen Kirchenbaues in Schlesien skizziert A. Wiesenhütter ( 2310 c), der durch die Fülle des beigegebenen Bildmaterials dem Kirchenhistoriker, Kunsthistoriker und Architekten eine Fundgrube für Theorie und Praxis bietet.


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