6. Kultur- und Bildungsgeschichte.

Für die Bildungsgeschichte ganz Mitteldeutschlands aufschlußreich ist W. Friedensburg ( 197). In Ergänzung zu seiner Geschichte der Universität Wittenberg legt der Verfasser den ersten Band der Urkunden in sorgfältiger Auswahl und zuverlässiger Textgestaltung vor. Nicht berücksichtigt sind die Urkunden über Rechnungswesen, laufende Verwaltung, Rechtshändel der Hochschule und Berufungen. Auch so bleibt noch ein reicher Inhalt für 1502--1609, der sich in kurzen Angaben nicht erschöpfen läßt. Für den Freistaat Sachsen kommt natürlich in der Hauptsache die Zeit von 1547 ab in Betracht; die volle Übersicht ist aber z. Zt. noch erschwert, weil das Register erst mit dem zweiten Bande in Aussicht gestellt wird. -- Für die Gelehrten- und Familiengeschichte nicht unwichtig ist die Zusammenstellung der von 1578 (1623) -- 1809 auf der Universität Altdorf immatrikulierten Vogtländer von H. Thuleweit ( 2524), weil hier für den einzelnen Namen vielfach auch weitere Lebensdaten gegeben sind.

J. Hunger ( 2555) setzt mit dem gutgegründeten Aufsatz über das Fortbildungsschulwesen in Sachsen von 1835 bis 1873 seinen früheren Aufsatz in der gleichen Zeitschrift (über den gleichen Gegenstand bis 1835) fort. Die Sonntagsschulen bis 1835 waren ein freies Bildungsunternehmen, 1835 kam hierzu staatliche Einwirkung mit der Scheidung in allgemeine Sonntagsschulen (Beihilfen vom Kultusministerium) und gewerbliche Sonntagsschulen (Beihilfen vom Ministerium des Innern). 1873 brachte den gesetzlichen Fortbildungszwang. Drei Grundsätze sind nach dem Rückblick Hungers für die Ausgestaltung der Fortbildungsschule wirksam gewesen: der kirchliche, der allgemeinbildende und der gewerbliche. Nach Entstehung und Entwicklung war aber die Fortbildungsschule durchaus weltlich, und darum blieben ihr auch die Kämpfe um den Einfluß der Geistlichkeit erspart; viele Geistliche haben sich im Gegenteil mit großer Hingabe in ihren Dienst gestellt und waren an ihrer Entwicklung hervorragend beteiligt. Die »Förderung im Beruf« war zwar der Antrieb zur starken Geltendmachung der gewerblichen Ausbildungsidee gegenüber der allgemeinbildenden, aber die Mittel zur gewerblichen Förderung fehlten den meisten Anstalten, und so siegte zunächst mit dem Volksschulgesetz von 1873 die Idee der Allgemeinbildung wegen ihrer billigeren Durchführbarkeit. --

Ungemein große Bereicherung erfährt unser Wissen vom 19. Jahrhundert durch J. Hohlfeld ( 2570). Die Jahrhundertfeier des Bibliographischen Instituts in Leipzig offenbart uns im Rückblick auf den Gründer der Firma, Joseph Meyer, einen wahrhaft großen Menschen. Der Schustersohn aus Gotha


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(geb. 1796) erstürmt sich mit 23 Jahren in London eine kaufmännische Stellung, wie sie andere nur in Jahren sich mühsam erarbeiten, und tut einen schwindelnden Sturz in die Tiefe; er zwingt in Deutschland mit einem Textilunternehmen das Glück von neuem in seinen Bann und sieht sich nach drei Jahren wieder schmählich von ihm genarrt. Dennoch findet er die Kraft, mit titanischem Schöpferdrang seit 1826 das Bibliographische Institut so aufzubauen, daß es allen Stürmen trotzen kann. Seine demokratische Lebensanschauung verwickelt ihn in aufreibende politische Kämpfe, und er muß deswegen 1851 sogar ins Gefängnis wandern. Sein unermüdliches Hirn arbeitet an riesigen Plänen zum Aufbau von Eisenbahnen und zur Erschließung von Kohle und Eisen. Er gibt vielen Hunderten Brot, was in seiner Zeit zehnfach mehr als heute bedeutet, und muß 1856 die Augen in bitterer Sorge um das Geschick der Seinen schließen. Sein persönliches Unglück war seine Rastlosigkeit, aber Millionen ist er dafür zum Segen geworden, und kein aufrichtiger Geschichtschreiber des 19. Jahrhunderts kann künftig über ihn hinwegsehen, wie es noch Treitschke getan hat. Bei allen Unternehmungen leitete ihn der Wunsch, nicht für sich, sondern für Volk und Vaterland zu wirken und Bildung als Vorstufe der Freiheit zu schaffen. Das bezeugt gleich sein erster großer Wurf als Verlagsbuchhändler: die Bibliothek der deutschen Klassiker, weiter das Universum und das Konversationslexikon. Das besonnen Kaufmännische, das ihm bei seinem Zuge ins Große mangelte, hatte sein Sohn Hermann, und so konnte dieser auch das Bibliographische Institut nach Abstoßung der anderen Unternehmungen seines Vaters klug und gedeihlich zu der heutigen Weltfirma entwickeln. Unter seiner Leitung (-- 1884) wich das gigantische Übermaß und trat das Lebensstarke und Gesunde in Joseph Meyers Plänen hervor. Die Söhne Hermann Meyers arbeiteten in gleichem Sinne wie ihr Vater an dem stetigen Ausbau des Verlages weiter. Reizvoll ist auch, wie der Familienforscher Hohlfeld immer wieder auf erkennbare Familienzüge bei den einzelnen Mitgliedern hindeutet. -- Eine wertvolle Ergänzung zu Joseph Meyers Persönlichkeit bietet Hohlfeld noch in dem Briefwechsel aus den Wanderjahren ( 2571). Dieser zeigt in der Hauptsache, wie sich der junge 20 jährige Meyer aus der Bekanntschaft mit dem Herzog August von S.-Gotha den Kredit für seine Kaufmannsgeschäfte in London verschaffte, indem er des Herzogs fast unglaubliche Sammelwut zu befriedigen suchte. Hz. August war dabei ein immerhin geistvoller Verschwender, der mit seinen oft seltsamen Wünschen uns auch sehr viel für Geschmack und Kultur der Zeit um 1820 sagt. Erschütternd sind die Briefe, in denen Meyer seinen geschäftlichen Zusammenbruch beichtet, aber auch seinen ehrlichen Namen verteidigt (S. 252 ff., 258 ff.).

Die durch die Sängerfahrten ihres Schulchors weit über Deutschlands Grenzen bekannte Kreuzschule zu Dresden hat 1926 ihr 700 jähriges Bestehen gefeiert. Wie aber G. H. Müller ( 2553) nachweist, sind ihre Anfänge im 13. Jahrhundert nur ungewiß. Seine Arbeit verfolgt im übrigen vom 13. Jahrhundert bis 1800 die Geschicke der Schule im Zusammenhange mit denen der Stadt, wobei diese zuweilen sogar stärker hervortreten. Der Titel kündigt zwar auch die Zeit bis 1926 an, doch soll die Behandlung der ganzen Neuzeit von 1800 ab erst in einer 2. Auflage gegeben werden. Es ist zu hoffen, daß dann auch in Sprache und Stil der jetzt noch deutliche Rohbau des Exzerpts und der eigenen Fragestellung verputzt wird. Die eigentliche Festschrift ( 2554) enthält


S.581

die Geschichte der Schule 1772--1817 (vom gegenwärtigen Rektor Helck) mit lehrreichen Einblicken in das innere Getriebe zu jener Zeit, einen Aufsatz über den trefflichen Lehrer und Konrektor Sillig (1828--1855) vom ehemaligen Rektor Stürenburg und im übrigen Aufsätze von alten Kreuzschülern aus den verschiedensten Wissensgebieten zum Zeichen, daß die Schule mit Wissenschaft und Leben verbunden geblieben ist. --


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