IV. Kirchengeschichte:

Bei der Bedeutung, die die Stadt Erfurt im Mittelalter gehabt hat, leuchtet die Wichtigkeit des Urkundenbuchs der Erfurter Stifter und Klöster von Alfred Overmann ( 196) ein; ein erster, bis 1330 reichender Teil enthält annähernd anderthalbtausend Urkunden, von denen die reichliche Hälfte bisher so gut wie unbekannt war. -- Greift diese Veröffentlichung schon weit über die Mauern der Stadt Erfurt inhaltlich auf das ganze mittlere Thüringen über, so kann man für Walter Friedensburgs ( 197) Urkundenbuch der Universität Wittenberg, dessen erster Teil die Jahre 1502 bis 1611 umfaßt, einen noch weiteren geschichtlichen Zuständigkeitskreis feststellen; der Inhalt ist für die Kirchen- und Bildungsgeschichte des 16. Jahrhunderts von gemeindeutschem Interesse. -- Namentlich in personalgeschichtlicher Hinsicht bedeutsam ist Georg Buchwalds ( 2293) Matrikel des Hochstifts Merseburg 1469--1558. Über 6000 Namen von ordinierten Persönlichkeiten, auch der evangelischen aus der Zeit Georgs von Anhalt (1544--1548) werden


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hier überliefert; mancherlei auch reformationsgeschichtlich interessante Männer begegnen in den sorgfältig übertragenen Listen.

Louis Naumanns ( 1934) Untersuchung über die Einführung und Befestigung des Christentums in den Gauen Friesenfeld und Hassegau verfolgt die christlichen Anfänge auf breitester Grundlage, hebt die umstrittene Wirksamkeit des Klosters Hersfeld hervor, behandelt dann das ottonische Kaisertum und das Laienelement in ihrer Tätigkeit auf dem Gebiete der Christianisierung und sucht endlich die Mitarbeit der Klöster näher zu erfassen in wohlabwägender und urkundlich wohl fundierter Darstellung. -- Unter dem Titel »Die Aufhebung und Wiederherstellung des Bistums Merseburg« veröffentlicht Robert Holtzmann ( 897) einen besonders zur Kritik Thietmars von Merseburg wichtigen Beitrag. Von den bisherigen Darstellungen des Problems ausgehend, wird Thietmars Bericht nach allen Seiten hin nochmals untersucht mit dem für den berühmten Chronisten wenig rühmlichen Ergebnis, daß seine Schilderung der Begebenheiten und ihrer Motive als lückenhaft und tendenziös bezeichnet wird. -- Paul Kalkoffs ( 2407) Buch über Humanismus und Reformation in Erfurt (1500--1530) gruppiert sein weitgespanntes Thema um eine Untersuchung der »Intimatio Erphurdiana pro Martino Luther«, als deren Verfasser Justus Jonas wahrscheinlich gemacht wird. Das Werk kennzeichnet sich als ein Glied der Kette von Einzeluntersuchungen, die Verfasser jenem Teile der Reformationsgeschichte bereits gewidmet hat. -- Otto Schiff ( 1011) macht auf Grund neuer archivalischer Feststellungen den Aufenthalt Thomas Müntzers in Halle im Winter 1522/23, vermutlich als Seelsorger in einem Frauenkloster, wahrscheinlich. -- Den Lebensschicksalen eines mit Luther und Melanchthon bekannten Zwickauers, des späteren Weimarer Hofpredigers und Weißenfelser Superintendenten Wolfgang Stein geht Otto Clemen ( 2292) nach. -- In dem Überblick über die Geistlichen der Naumburger Domkirche von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Kriege von Bruno Kaiser ( 2291) werden neben den personalgeschichtlichen Notizen auch verschiedene Nachrichten zur Kirchengeschichte Naumburgs in der Reformationszeit geboten. -- Über den Konflikt des Stendaler Pfarrers Jakob Schilling mit dem Großen Kurfürsten bringt Theodor Wotschke ( 2303) einiges neue Material bei. --Derselbe ( 2298) berichtet von dem Gegensatz zwischen den Magdeburger Geistlichen und dem Rate der Stadt Magdeburg 1660 unter Veröffentlichung eines Briefes des Pastors Johann Böttiger. -- Ein eindringliches kirchengeschichtliches Zeitbild entrollt Johannes Biereye ( 2290) mit seiner Schilderung der Beziehungen August Hermann Franckes zu Erfurt. Franckes Tätigkeit als Geistlicher und Seelsorger wird ebenso erläutert wie die Bedeutung seines Erfurter Aufenthalts für seine innere menschliche Entwicklung. -- Walter Breywischs ( 2299) Darstellung des Lebens und der Wirksamkeit Leberecht Uhlichs und der Schicksale der von Uhlich angeregten und geleiteten Bewegung der Lichtfreunde ist ein wertvoller Beitrag zur Geistesgeschichte Mitteldeutschlands gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts. Auch die enge Fühlung der Bewegung mit den politischen Strömungen der Zeit ist bemerkenswert. Aufstieg und Ende Uhlichs selbst sind nicht ohne Tragik. -- Von seiner weitschichtigen Darstellung der Kirchenpatronate im Gebiet der ehemals kaiserlichen freien und Reichsstadt Mühlhausen bietet Georg Thiele ( 2288) einen zweiten Teil, der die Rechte und Pflichten des Patronats behandelt. -- Die von Theodor Wotschke ( 2289) mitgeteilten


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Mühlhäuser Superintendenbriefe betreffen insbesondere Christian Wilhelm Volland, Johann Jakob Lungershausen sowie J. B. Kurzmann. -- Einen Beitrag zur Geschichte des Thüringer Wohlfahrtswesens nennt Joseph Scholle ( 1960) seine Geschichte der Waisenfürsorge in Erfurt. Auch die innere Geschichte und Organisation der Institute finden Berücksichtigung. Die Darstellung ist bis zur Gegenwart geführt. -- Was Agnes Bartscherer ( 2296) an Wahrem und Sagenhaftem vom Klostersturm und der Auflösung des Barfüßerkonvents in Torgau berichtet, das gibt ein lebendiges Bild von der wirtschaftlichen und sozialen Erschütterung der Zeit um 1520--1525. Auch personalgeschichtlich bietet der Aufsatz manches Wichtige.


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