II. Gesamtdarstellungen.

Die lange Besetzung der Rheinlande durch fremdländische Truppen hat in Verbindung mit den vielfachen Bedrückungen, denen sich der seit langem freiheitlich gesinnte Rheinländer ausgesetzt sieht, eine überaus intensive Heimatbewegung hervorgerufen und damit eine Fülle heimatkundlicher Literatur, die unter viel Spreu auch manches Wertvolle enthält. Neben den Heimatblättern ist hinzuweisen auf Darstellungen einzelner Städte und Kreise, an denen sich meist ein ganzer Stab von Mitarbeitern beteiligt, um die Entwicklung des betreffenden Objekts nach den verschiedensten Seiten hin zu beleuchten, dabei aber auch der Vergangenheit Rechnung zu tragen. Hier ist das ansehnliche von G. Entner herausgegebene Werk über Neuß (Deutsche Kunst- und Verlagsanstalt Düsseldorf 1926. 236 S. 1 Kte. 8.) zu nennen. Es bietet, wenn es auch im wesentlichen die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt im Auge hat, eine ganze Reihe wertvoller Aufsätze zur städtischen Geschichte. Über das Römerkastell Novaesium berichtet K. Koenen als bester Sachkenner. Er beschränkt sich hier nicht auf das früher von ihm ausführlich behandelte Römerlager, sondern gibt auch Aufschlüsse über das fränkische Kastell, die Bauten des fränkischen Salhofs, Hofkapelle, Stifts- und Pfarrkirche, den Vorort am Kreuz und die Quirinus-Verehrung. W. Ewald behandelt die Entwicklung des Stadtplans und der Befestigung von Neuß an der Hand zahlreicher Pläne. Entscheidend bei der Bildung des mittelalterlichen Stadtplans war die alte Römerstraße, die von Süden nach Norden das Stadtgebiet durchzieht. Einen Teil des zum fränkischen Salhof Niuse östlich von dieser Straße gehörigen Guts hatte Erzbischof Kunibert von König Dagobert als Geschenk


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erhalten. Der Salhof war noch 1062 im Besitz des Kaisers, ging aber, vielleicht unter Anno, an das Erzstift über. Der alte Bezirk des Königshofs hebt sich noch heute als geschlossene zentrale Anlage scharf von der jüngeren Umgebung ab. Der Abschluß der Stadterweiterung ist ins Ende des 13. Jahrhunderts zu setzen. Die Stadtbefestigung bewährte sich glänzend in der Zeit der Belagerung durch Karl den Kühnen, die G. Kallen auf quellenkritischer Grundlage schildert.

Auch Säkularfeiern bilden den Anstoß zur Herausgabe derartiger Sammelwerke. Aus Anlaß der 600-Jahr-Feier der Stadt hat J. Gaspers ( 282) die Geschichte des alten Erkelenz behandelt, die mit der Schenkung des alten Königshofs Herclinze (vermutlich eine Römersiedlung) an das Aachener Marienstift im Jahre 966 anhebt. Als Vögte dieses Besitzes haben dann die geldrischen Grafen allmählich landeshoheitliche Rechte hier ausgebildet und im Jahre 1326 Erkelenz zur Stadt erhoben. Neben dieser zuverlässigen Darstellung der älteren Geschichte, die das kirchliche Leben, Bildungswesen, Stadtverwaltung und Gewerbe mit umfaßt, bietet im gleichen Werke L. Sels manches bemerkenswerte Detail aus dem Ende des 18. Jahrhunderts, besonders zur Geschichte der zisrhenanischen Bewegung. Aus anderen Aufsätzen dieser Festschrift leuchtet die Tatsache hervor, daß die Stadt unter preußischer Herrschaft einen ungeahnten wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg erlebt hat. Bei dieser Gelegenheit möchte ich gleich den Aufsatz von A. Huyskens ( 2005) erwähnen, der an der Hand der Urkunden von 966, 1166 und 1326 die Rechte des Aachener Propsts und Stifts in Erkelenz erläutert und dem Einfluß des Propsts die Gestaltung des Marktes zuweist. Sowohl der Propst wie das Kapitel besaßen Höfe in Erkelenz und im Anfang des 14. Jahrhunderts kam es zwischen beiden zu Streitigkeiten über den dortigen Besitz. Jedenfalls ist aber dem Propst der Hauptanteil an der Förderung städtischen Lebens in Erkelenz zuzuschreiben.

Die Feier des 650 jährigen Stadtjubiläums bildete für die Stadt Ratingen den Anlaß zur Herausgabe einer Stadtgeschichte ( 282 a) »von den Anfängen bis 1815«, die allerdings im Charakter von den vorher genannten Sammelwerken wesentlich abweicht, da sie nicht etwa ad hoc geschrieben ist, sondern nur durch den festlichen Anlaß ihren Abschluß gefunden hat. Sie beruht auf langjährigen Vorarbeiten der Brüder P. und H. Eschbach. Die schwere Aufgabe, das Ganze zum Abschluß zu bringen, fiel in erster Linie O. R. Redlich zu, dem dann als Mitarbeiter für die Geschichte der kathol. Gemeinde A. Dresen und für die Geschichte des Schulwesens Joh. Petry zur Seite traten. Redlich hat dann auch die Geschichte der evangelischen Gemeinde, für die keine Vorarbeiten vorlagen, vor allem auf Grund der Akten des Düsseldorfer Staatsarchivs bearbeitet und dem Ganzen eingefügt, die er später in etwas erweiterter Form ( 2252) nochmals publizierte.

Da für den politischen Teil schon von Peter Eschbach der Rahmen sehr weit gespannt worden war, bietet der erste Abschnitt des Werks gewissermaßen auch eine Geschichte des bergischen Landes, wenigstens seines nördlichen Teils. Hier galt es für den Bearbeiter, das allzu Weitschweifige zu beseitigen und zu beschneiden. Die Darstellung der ältesten Zeit wurde, vielleicht allzu pietätvoll, beibehalten, wodurch die neuesten Forschungsergebnisse der Siedlungsgeschichte doch zu wenig berücksichtigt werden konnten. Für die Geschichte der Stadtverfassung und -verwaltung bot sich, wenigstens was die älteste Zeit betrifft, ein zu beschränktes Material, um gewisse grundsätzliche Fragen der


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Stadtgeschichte restlos lösen zu können. Immerhin vermochten die vom 15. Jahrhundert ab für einzelne Jahre erhaltenen Stadtrechnungen ein Licht auf die materielle Grundlage der städtischen Verwaltung zu werfen. Ratingen ist im 14. und 15. Jahrhundert auf dem Gebiete der Rüstungsindustrie bedeutend und durch seine Scherenproduktion auch auf ausländischen Märkten stark vertreten gewesen. So beanspruchen die hierüber gegebenen Mitteilungen besonderes Interesse. Die kirchlichen Verhältnisse sind durch Dresen und Redlich ausreichend geschildert worden. Der noch am Anfang des 17. Jahrhunderts für den evangelischen Teil sehr günstige Konfessionsstand ist durch das rücksichtslose Vorgehen der Fürsten aus dem Hause Pfalz-Neuburg, zum Teil auch durch die Folgen des Dreißigjährigen Kriegs stark zugunsten des katholischen Teils verschoben worden. Die Bedeutung der Stadt sank seit dieser Zeit durch den Rückgang des Gewerbes rapide. Allerdings spielte sie als eine der vier bergischen Hauptstädte auf dem Gebiete der landständischen Verfassung noch eine gewisse Rolle. Da für das Schulwesen erst aus späterer Zeit eingehendere Nachrichten vorliegen, kann dieser Abschnitt der Stadtgeschichte ein allgemeineres Interesse nicht beanspruchen.

Die für die Erforschung der rheinischen Geschichte so überaus anregende Jahrtausendfeier des Jahres 1925 zeigt sich in ihren Nachwirkungen auch noch im Berichtsjahre. Fehlt es hier auch an großen zusammenfassenden Arbeiten, da das letzte Jahr diesen Bedarf im weitesten Ausmaß gedeckt hat, so gehen doch manche Werke ganz bewußt auf jene Anregung zurück. Das gilt vor allem von dem Sammelwerk, das G. Aubin und andere Professoren der Universität Halle ( 227) herausgegeben haben, denn es umfaßt Vorträge, die bereits im Winter 1924--1925 gehalten worden sind, in der Absicht, die Verhältnisse der deutschen Westgrenze zusammenfassend zu beleuchten, »um die Wirklichkeit in Natur und Vorgeschichte, in Geschichte, Volkheit und Sprache, Literatur und Kunst, in der Wirtschaft und zugleich mit allem auch die furchtbare Wirklichkeit des jetzigen Zustandes klar erkennen zu lassen«.

Seinen in der ersten Jahrtausend-Nummer der Kölnischen Zeitung veröffentlichten Aufsatz über die Geschichte und Kultur der Eifel hat K. L. Kaufmann ( 283) in erweiterter Form als Buch herausgegeben, das jetzt schon in 2. Aufl. vorliegt. Dieser Erfolg ist durchaus berechtigt, denn das mit feinsinnig ausgewählten Abbildungen geschmückte Büchlein steht auf solider wissenschaftlicher Grundlage und bietet eine zusammenfassende zuverlässige Darstellung der Geschichte des Eifelgebiets von vorgeschichtlicher Zeit bis ins 19. Jahrhundert. Einleitungsweise behandelt der Verfasser die »Stellung der Eifel in der Wissenschaft, Kunst und Literatur des 19. Jahrhunderts«. Das Buch kann als Muster für Darstellungen eines abgeschlossenen Kulturgebiets gelten. -- Einen besonderen Teil des gleichen Gebiets behandelt die im allgemeinen recht tüchtige Arbeit von W. Weins ( 284). Sie bietet, wenn auch in populär gehaltener Darstellung, willkommenes Material für die allgemeinen Untersuchungen über Bodengestaltung, Vorgeschichte, Entstehung der Landeshoheit, Wirtschafts- und Bevölkerungsverhältnisse.


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