III. Geschichte Landeskunde.

In meinem letzten Bericht hatte ich bereits hingewiesen auf die Aufgaben der geschichtlichen Landeskunde, wie sie von H. Aubin in den Rheinischen Neujahrsblättern präzisiert worden sind. Die von dem Genannten begonnenen und in dem Bonner Institut angeregten


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und durchgeführten Studien haben inzwischen sehr beachtenswerte Früchte gezeitigt. In dem von H. Aubin in Verbindung mit Th. Frings und J. Müller herausgegebenen Werk ( 536) wird zum erstenmal der Versuch gemacht, auf der einheitlichen Grundlage der kartographischen Methode ein Zusammenarbeiten verschiedener Wissenschaften fruchtbar zu gestalten (vgl. auch S. 195). Zweifellos werden die Anregungen, die das Buch zu bieten vermag, sich bald in einzelnen Untersuchungen offenbaren. --

Gleich daneben ist ein Werk zu nennen, dessen Verfasser ganz in der am Bonner Institut durchgeführten Methode geschult und nach Aubin zur Leitung dieses Instituts berufen worden ist. Gefördert durch die Vorarbeiten von H. Aubin und Frings und dabei doch überaus selbständig in der Erfassung der Probleme und im Urteil untersucht F. Steinbach ( 535) in Anknüpfung an J. Hallers Auffassung von der Entstehung des deutschen Reichs alle Fragen, die sich auf die deutschen Stämme und die Volksgrenze im Westen beziehen. Zwei Fragen stehen für ihn im Vordergrund: »1. Sind die als deutsche Stämme bezeichneten Einheiten wesensverschieden von der im deutschen Volke verkörperten, geschichtlich gewordenen Einheit? 2. Ist das Zusammenwachsen der Stämme zum deutschen Volke erst und nur das Ergebnis der politischen Schicksalsgemeinschaft seit dem 10. Jahrhundert oder waren hier natürliche Grundlagen in einer früheren Entwicklung vorgebildet?« Die Ergebnisse der frisch gegen vorgefaßte Meinungen vorgehenden Untersuchung sind, um das gleich vorweg zu bemerken, grundstürzend und aufschlußreich. Sie beziehen sich auf Dialekte, Ortsnamen und Bauernhausformen in ihrem Verhältnis zu den Stämmen, behandeln aber auch ausführlich die Weilerfrage und Sprachgrenze. Allen Versuchen, rheinische Spracherscheinungen auf bodenständige keltoromanische Grundlagen zurückzuführen, steht Steinbach skeptisch gegenüber. Er konstatiert, daß von den Sprachräumen und Grenzzonen, die heute feststellbar sind, keine einzige Erscheinung mit einiger Sicherheit auf einen germanischen Stamm bezogen werden könne; zwangloser lassen sie sich vielmehr durch natürliche politische oder kirchliche Verkehrsräume und Verkehrsströmungen erklären. Die Ortsnamenforschung habe sich als kein geeignetes Mittel erwiesen, Herkunft und Siedlungsgebiet der germanischen Stämme zu bestimmen. Die Ortsnamen sind Zeugnisse kultureller Zusammenhänge verschiedener Siedlungsperioden. Auch die Bauernhausformen stehen in keinem Zusammenhang mit germanischen Stammesgrenzen. Die deutschen Stämme sind geschichtlich gewordene Einheiten. Mit den Stämmen in diesem Sinne stehen auch die Dialekte, die Hausformen und sogar die Ortsnamen in Beziehung. Steinbach bestreitet die Möglichkeit, die Stammesgliederung in gerader Linie auf germanische Stämme der Zeit vor der Völkerwanderung zurückzuführen. Denn die Stämme sind Neubildungen im neuen Raume. Die Weilerorte gehören der fränkischen Siedlungsperiode an. »Die Sprachgrenze ist nicht das unmittelbare Ergebnis des Siedlungsvorgangs, sondern beruht auf der natürlichen Scheide der vorherrschenden Verkehrsbeziehungen nach West- oder Mitteleuropa; sie ist ein Ausdruck des Gesamtverlaufs der Kulturentwicklung.« Damit ergibt sich dann auch, daß die kulturelle Aussonderung des Deutschtums vor der Entstehung des deutschen Staates erfolgt sein muß. -- Eine sehr gründliche Untersuchung über die Weilerorte des Kölner Bezirks verdanken wir W. Kaspers ( 693). Nach Erledigung der etymologischen Frage kommt er zu dem Ergebnis, daß diese Orte


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der keltogermanischen Periode der Besiedlung mit führendem römischen Einschlag angehören. Auch die kirchlichen Verhältnisse werden in der Untersuchung berücksichtigt. -- In der weitgehenden Beachtung der geographischen Bedingungen für die Anlage und das Aufblühen der Städte zeigt sich P. Koof ( 542) als verständnisvoller Schüler H. Aubins. Die Arbeit beruht lediglich auf bereits gedrucktem Material, bietet aber durch die richtige und erschöpfende Verwertung dieses Materials doch ein abgerundetes, lebensvolles Bild. Die Stadterhebungen Jülichs setzen erst nach der Niederwerfung des Kölner Erzbischofs in der Worringer Schlacht ein. Dabei sind als eigentliche Gründungsstädte nur drei (Bergheim, Kaster und Nideggen) zu bezeichnen. Alle übrigen waren schon vor der Verleihung von Stadtrechten »lebenskräftige Dörfer, die wichtige städtische Elemente, nämlich Handwerker und Gewerbetreibende, besaßen«. In besonderem Maße hat die Kirche die Weiterentwicklung der Dörfer beeinflußt, daneben ist auch die Straßenlage von Wichtigkeit gewesen. Wenn die Landesherren diese Dörfer zu Städten erhoben, so beabsichtigten sie wohl in erster Linie die militärische Sicherung des Landes, dadurch aber auch die Sicherung der blühenden Siedlungen selbst. Diesen fortifikatorischen Zwecken dienten ganz allgemein die Akziseprivilegien. Von den für den Begriff der mittelalterlichen Stadt geltenden Wesensmerkmalen trifft das Stadtmerkmal auf dem gerichtlichen Gebiet nicht zu. Die Ausbildung des Rates scheint in den meisten Städten erst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgt zu sein. -- Zeigt die vorstehende Untersuchung u. a., daß Straßen den Anlaß zur städtischen Entwicklung eines Orts geben können, andrerseits aber auch, daß umgekehrt die Straßenanlagen durch Städtegründungen beeinflußt werden, so ergibt sich in jedem Fall für die Forschung die Notwendigkeit, nach Möglichkeit die historischen Straßen festzulegen. Für die römsiche Zeit besitzen wir seit 1923 den Erläuterungsband zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz von I. Hagen, dem der Verfasser jetzt ( 540 u. 816) ein erstes Ergänzungsheft hat folgen lassen, das die in den Jahren 1924 und 1925 erzielten Fortschritte der Forschung und weitere Einzelheiten bietet. Es wäre zu wünschen, daß der Verfasser sich auch einmal mit den älteren Forschungen bzw. Hypothesen über die Römerstraßen auf dem rechten Rheinufer nördlich vom Limesgebiet auseinandersetzte. Kommen für die Römerstraßen im wesentlichen die archäologischen Funde in Frage, so ist zur Feststellung des Zugs der mittelalterlichen Straßen eingehende Durchsicht der Itinerarien, Geleitsregister und Rechnungen sowie des urkundlichen Materials vonnöten. Auch hier zeigen sich hoffnungsvolle Anfänge. So schildert J. Nottebrock ( 541), einer Anregung A. Schultes folgend, die für das Mittelalter sehr bedeutungsvolle Aachen--Frankfurter Heerstraße in ihrem bisher wenig erforschten Verlauf von Aachen bis an den Rhein, den sie in Sinzig erreicht. Dieser Teil der früher viel benutzten Straße, die in ihren Grundzügen als eine karolingische Anlage angesehen werden darf, ist heute durch Flurzusammenlegungen usw. kaum mehr erkennbar. Der Verfasser rekonstruiert sie auf Grund alter Itinerarien, beschreibt sie genau nach ihren einzelnen Abschnitten und gibt ein anschauliches Bild ihrer Bedeutung und Benutzung im Frühmittelalter. Er bereichert die Untersuchung durch einen kurzen Überblick über das mittelalterliche Straßennetz im Gebiet von Hunsrück und Eifel. -- Hatte schon der Aufsatz O. Schlüters (in Nr. 227) die westlichen Grenzverhältnisse Deutschlands einer Prüfung unterzogen, so sucht in ausgiebiger

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Weise K. Linnebach ( 539) an der Hand von 42 Karten, denen er im einzelnen kurze Erläuterungen mitgibt, zu beweisen, daß die durch den Versailler Vertrag gezogenen Grenzen Deutschlands im Westen den natürlichen Gegebenheiten Hohn sprechen und weder die natürliche Grenze noch die Völkergrenze beachten. Überdies verhöhnen sie auch die Grundsätze, die als Friedensgrundlage (Wilson) feierlich vereinbart waren.

Nur bis zu einem gewissen Grade gehört die Arbeit von H. Engelbert ( 543) in das Gebiet der geschichtlichen Landeskunde. Trotz der Gründlichkeit, mit der der Verfasser aus gedruckten und ungedruckten Quellen der Entstehung und Entwicklung der Pfälzerkolonie Königshardt nachgeht, ist es ihm doch nicht gelungen, für die starke Auswanderung der Pfälzer die bestimmenden Gründe anzugeben, denn wenn schon 1683 eine planmäßige Auswanderung stattgefunden hat, so können hierfür konfessionelle Gründe nicht vorliegen, da erst von 1685 ab unter Pfalzgraf Philipp Wilhelm die Zurückdrängung der Protestanten in der Kurpfalz beginnt. Sehr dankenswert sind aber die eingehenden Untersuchungen über die ersten Kolonisten auf der Isselhardt, über die Zunahme der Kolonie bis 1800 sowie über die Geschichte der evangelischen Schule und Kirchgemeinde -- alles vielleicht in etwas allzu behaglihcer Breite.


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