V. Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Eine ebenso notwendige wie dankenswerte Untersuchung über die Kraftquellen der Königsmacht im Rheinland hat uns H. Wieruszowski ( 1523) beschert. Die Darstellung zeigt, wie in der Zeitspanne von 500 bis 1300 der Reichsbesitz allmählich dahinschwindet. Die Geschichte des Reichsgutes im Rheinlande beginnt mit der Landnahme der Franken und den Anfängen dauernder Staatenbildung. In der Merowingerzeit wurden die Römerkastelle zu Königspfalzen, in deren Bezirk weite Landstrecken einbezogen wurden. Römische Herrensitze mit ausgedehnten Latifundien fielen


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den fränkischen Eroberern in die Hände, der fränkische König trat auf dem linken Rheinufer an die Stelle des römischen Großgrundbesitzers. Überdies erschloß das Recht des Königs am Rottland und das Forstregal auf beiden Ufern des Rheins der Krone eine Fülle kultivierbaren Landes. In der Karolingerzeit wird dann merowingisches Krongut und das Familienallod der Pippiniden als einheitliche wirtschaftliche Nutzungsquelle des Königs ausgeschöpft. Dieser ungeheure Grundbesitz westlich des Rheins bildet die Voraussetzung für die Unternehmungen Karls des Großen. Und doch hatte Vergabung des Kronguts an geistliche und weltliche Große schon um 600 begonnen, sehr zum Nachteil der Konsolidation des Fiskalbesitzes. Von der Würdigung der Organisation der Krongutsverwaltung zur Zeit Karls d. Gr. wendet sich die Verfasserin in den folgenden Abschnitten den Veränderungen im Bestand und im Wert des rheinischen Kronguts unter den sächsischen Kaisern zu und behandelt im weiteren Reichsbesitz und Reichsrechte unter den salischen und staufischen Kaisern. Hierbei wäre noch zu bemerken, daß sie die von Haller wahrscheinlich gemachte Ansetzung des Tafelgüterverzeichnisses auf ca. 1185 nicht berücksichtigt hat. Die Minderung des Krongutes machte in der angegebenen Periode durch Schenkungen und Verlehnungen reißende Fortschritte, wie hier des näheren geschildert wird. Das Reichsgut geht mehr und mehr über an die Territorialherren infolge des Verfalls der Zentralgewalt. Die beigegebenen Karten illustrieren den Umfang des Königsguts unter den Karolingern und das Reichsgut unter den staufischen Kaisern.

Die übrigen hier zu erwähnenden Arbeiten beschränken sich auf das Gebiet von Aachen, Essen und Köln.

Der Aachener Schöffenstuhl ist für eine ganze Reihe deutscher, belgischer und niederländischer Gerichte Oberhof und Appellationsinstanz gewesen. Loersch hatte bereits 1873 eine Liste dieser Gerichte veröffentlicht, aber weitere Ausführungen über die Entwicklung dieses Zusammenhangs mit Aachen in Aussicht gestellt. Jetzt versucht W. Schwabe ( 1568) dieser Aufgabe gerecht zu werden. Angeregt und gefördert von Huyskens gibt er auf Grund eines reichen ungedruckten Materials zunächst eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Oberhofs, worin besonders die Ausführungen über den Machtbereich des Oberhofs im 15. Jahrhundert (nebst Übersicht der Untergerichte nach geographischen und politischen Gesichtspunkten) und über die Gründe für den Rückgang des Oberhofs (Einsetzung des Reichskammergerichts!) interessieren. In weiteren Abschnitten behandelt er den Rechtsgrund der Oberhofstellung, den Einfluß des Oberhofs auf Rechtsbildung, Wirtschaft und Sprache, die sachliche Zuständigkeit und das Verfahren des Oberhofs. Ein Anhang (Verzeichnis der rechtsuchenden Gerichte) nebst einer Anzahl urkundlicher Beilagen steht noch aus. Im allgemeinen ist aber zu bemerken, daß trotz des Untergangs der wichtigsten Quellen beim Aachener Stadtbrand des Jahres 1656 die Aufgabe, die der Verfasser sich gestellt hatte, in ausreichender Weise gelöst erscheint, soweit dies ohne Nachprüfung des Quellenmaterials gesagt werden darf.

Mit außerordentlichem Fleiß hat W. Wirtz ( 1575) das weitschichtige Material über die Marken in den Stiftern Essen und Rellinghausen vornehmlich aus den Akten der Staatsarchive Düsseldorf und Münster zusammengetragen. Ob seine Vermutungen über den Hergang der Besiedelung usw. zutreffen, muß dahingestellt bleiben. W. nimmt an, daß die älteren Höfe sich zu einer engeren


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Markgemeinde zusammengeschlossen haben. Diese Erbenhöfe weisen die immer wiederkehrende Zahl von vier Markenrechten auf. Daraus schließt der Verfasser auf gleiche Größe dieser Höfe und auf eine planmäßige Besiedelung. In einem ursprünglich rein nachbarschaftlichen Verband mit Vorrechten der Freien habe sich dann unter Berücksichtigung der durch planmäßige Rodung und Ansiedelung entstandenen kleinen Bauernhöfe eine Markgenossenschaft nach Bauerschaften ausgebildet. Der Ausschluß verschiedener großer Oberhöfe von der Markberechtigung lasse auf ein Bestehen der großen Essener Marken zur ausgehenden Karolingerzeit, d. h. also wenigstens im 10. Jahrhundert, schließen. Die Bildung der Markgenossenschaft gehe von oben aus, wenn auch Rübels Markenschöpfungstheorie zu verwerfen sei. Die Absonderung kleinerer Sondermarken habe im 13. Jahrhundert oder schon früher stattgefunden. In mancher Hinsicht stimmen diese Ergebnisse auch überein mit den von Kötzschke untersuchten Werdener Verhältnissen.

Wenn die Probleme, die für die Ausbildung der Landeshoheit am Niederrhein auch schon durch mancherlei Einzeluntersuchungen und zuletzt noch im allgemeinen durch H. Aubin ausgiebig erörtert worden sind, so ist doch diese Entwicklung, über deren Grundelemente früher viel hin und her gestritten wurde, für die geistlichen Territorien noch nicht in ausreichendem Maße dargestellt worden. So ist es zu begrüßen, daß Entstehung und Entwicklung der Landeshoheit der Fürstäbtissinnen von Essen den Gegenstand einer Münsterschen Dissertation bildet. Hoederath ( 1577) hat fleißig, wenn auch stilistisch nicht eben fesselnd, auf urkundlichen Grundlagen alles zusammengestellt, was sich über Grundbesitz, Immunität und Vogtei ergab, und kommt zu dem Ergebnis, daß »nur dort, wo der grundherrschaftliche Besitz ein größeres zusammenhängendes Gebiet bildete, die Äbtissin die landesherrliche Gewalt erlangt hat, während ihr das in den zerstreut liegenden Gebietsteilen nicht geglückt ist«. Die Verleihung der Immunität und die Erwerbung der Vogteirechte, um die das alte reich begüterte Stift bekanntlich im 13. Jahrhundert harte Kämpfe zu bestehen hatte, erwiesen sich schließlich doch als die wesentlichsten Elemente bei der Ausbildung der Hoheitsrechte. Immerhin ist zu beachten, daß die Grundherrschaft dabei keine unbedeutende Rolle gespielt hat.

Für das Kölner Gebiet haben wir nur einige Arbeiten zu erwähnen, die uns auf beachtenswertes Material hinweisen. E. Kuphal ( 1757) druckt einen auch für die Beurteilung der Kölner Richerzeche bemerkenswerten Zunftbrief vom Jahre 1277 aus einer im Priesterseminar befindlichen Handschrift ab und gibt zugleich ein Inhaltsverzeichnis dieser reichhaltigen Handschrift. -- Dem sehr umfangreichen, chronologisch geordneten Verzeichnis der Kölner Zivilprozesse von 1304 ab schicken die Bearbeiter H. Keußen und E. Kuphal ( 1566) eine Übersicht über die große Zahl der einzelnen in Köln amtierenden Gerichte (städtische und nichtstädtische) mit Angabe der Kompetenz voraus. Der Inhalt dieser ins Kölner Stadtarchiv gelangten Prozeßakten konnte in dem Verzeichnis nur ganz summarisch mit kurzen Worten angezeigt werden. Für Genealogie, Topographie und Wirtschaftsgeschichte finden sich hier reichliche Hinweise. Die reichste Ausbeute gewährt das Material natürlich dem Juristen, da hier Kompetenzstreitigkeiten, Rechtsprechung und Rechtsgewohnheiten vielfach geklärt werden.


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