VII. Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte.

Für den von der neueren Forschung immer stärker betonten Zusammenhang zwischen spätrömischer und frühmittelalterlicher Kultur im Rheinland ist die Frage nach den Anfängen des Christentums in diesem Gebiet besonders bedeutungsvoll. Gerade hier sind es im wesentlichen die Ergebnisse der Archäologie, die eine zuverlässige Stütze der Überlieferung darbieten können. Sie bilden denn auch die eigentliche Grundlage für die fleißigen Untersuchungen von H. Friedrich ( 1927). Diese umfassen einzelne Ortschaften der römischen Provinzen Unter- und Obergermanien und Belgica. Den Einzeluntersuchungen schickt der Verfasser sehr bemerkenswerte einleitende Kapitel über Quellen und Methode der Forschung und über die Bedeutung der frühmittelalterlichen Siedelungsbezeichnungen für die Lage der Kirchen voraus. Methodisch sucht er fünf bestimmte Normen zu gewinnen, die eben im wesentlichen archäologische Ergebnisse berücksichtigen und eine weit gesichertere Grundlage bieten, als die s. Z. von Binterim und Mooren aufgestellten Kennzeichen für das Alter einer Kirche. Freilich bleibt hier doch vieles sehr problematisch. Sehr dankenswert ist die Beigabe einer tabellarischen Übersicht der einzelnen Orte nach Patrozinium, Ursprungsergebnissen, urkundlichem Vorkommen, Lage der Kirche usw. sowie die Zusammenfassung der Ergebnisse, die vor allem die literarische Überlieferung im Licht der Funde behandeln.

Solange es noch an einem Monasticon der Rheinprovinz fehlt, ist jede Arbeit dankbar zu begrüßen, die wenigstens für einen Orden eine vollständige Übersicht mit der nötigen Angabe von Quellen und Literatur bietet. Das von Jansen für die Klöster des Franziskanerordens veröffentlichte Verzeichnis ( 1996), das einer Anregung von A. Schulte zu verdanken ist, erfüllt in ausreichendem Maße seinen Zweck. Das Klosterverzeichnis enthält nach dem Zustand von 1918 »alle Konvente der Minoriten oder Konventualen, der Franziskanerobservanten, Franziskanerrekollekten und Franziskaner innerhalb der Grenzen der Rheinprovinz« mit den wichtigsten Angaben über Gründung, Entwicklung usw. Es bietet eine willkommene Ergänzung zu Eubels Publikation.

Das seit dem Jahre 1900 vollständig zum Stillstand gekommene Unternehmen der Herausgabe von Dekanatsgeschichten lebt erfreulicherweise mit dem von P. Heusgen ( 2050) bearbeiteten Bande wieder auf. Die neue Zirkumskription der Erzdiözese hat es mit sich gebracht, daß hier nochmals Orte behandelt worden sind, die bereits früher behandelt waren. Insofern wäre es vielleicht besser gewesen, an dem alten von Dumont aufgestellten Plane festzuhalten. Der Verfasser hat sich nach Kräften bemüht, gedruckte und ungedruckte Quellen heranzuziehen und nicht nur eine Geschichte der Pfarren oder Kirchen zu geben, sondern auch die Geschichte der Dörfer, Herrlichkeiten, Gerichte, Höfe und Burgen zu berücksichtigen. Jedenfalls ist es ihm gelungen, eine Fülle von Material herbeizuschaffen, wenn es ihm auch weniger geglückt ist, eine lesbare Darstellung zu schaffen. Für die Fortführung des Werkes, an


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dem das Kölner Diözesanarchiv unter Lohmanns Leitung wesentlich beteiligt ist, möchte es sich empfehlen, die Anmerkungen nicht an den Schluß zu setzen. Vielleicht gelingt es überhaupt, dem Ganzen eine etwas andere Form zu geben.

Neben diesen allgemeineren Werken fehlt es nicht an Einzeluntersuchungen über geistliche Korporationen und katholische Kirchen, von denen wenigstens die wichtigsten hier kurz gewürdigt werden sollen. Nach Möglichkeit mag dabei die chronologische Folge bestimmend sein, soweit sie mit der Zusammenfassung nach lokalen Gesichtspunkten vereinbar ist. Da wäre zunächst die scharfsinnige Untersuchung G. Kentenichs ( 1954) zu nennen, die sich mit den ältesten Überlieferungen über den Trierer Dom beschäftigt. Kentenich zeigt, daß der Bericht Altmanns von Hautevillers, der im Auftrag des Erzbischofs Hinkmar von Reims eine Lebensbeschreibung der hl. Helena verfaßte, durch einen Trierer Kleriker verfälscht sein muß, da hier das Triersche Interesse ersichtlich ist, den Primat über die ganze alte Provinz Belgica zu erstreben. Vermutlich hat Altmann bei seiner Schilderung des prunkvollen Palastes der hl. Helena den sogenannten Kaiserpalast im Auge gehabt und nicht die große quadratische Halle aus römischer Zeit, welche den Kern des Trierer Doms bildet. -- Über die ältesten Nekrologien des Aachener Münsters liegen die Untersuchungen von A. Huyskens ( 2002) und E. Teichmann ( 2003) vor. Ersterer verlegt die Anlage des Totenbuchs in die Zeit um 1200 und gibt dann einen Vergleich der beiden ältesten Totenbücher, um zu zeigen, wie man bei der Anlage neuer und der Verwertung der älteren Totenbücher verfahren ist. Es folgt der Abdruck des Fragments nebst den Eintragungen der ersten Hand des nächstjüngeren Totenbuchs, das Teichmann edierte. Dieser kommt zu dem Ergebnis, daß das älteste vollständige Totenbuch spätestens 1243 angelegt worden ist.

Die von A. Huyskens angeregte und überwachte Untersuchung von W. Rober ( 2004) stellt sich die Aufgabe, den Kampf der Aachener Stadtverwaltung mit dem reich dotierten und privilegierten Marienstift darzustellen, das durch seine enge wirtschaftliche Abgeschlossenheit einen Hemmschuh für die städtische Entwicklung bildete. Der Verfasser behandelt auf Grund eines umfangreichen, größtenteils unveröffentlichten Quellenmaterials zunächst Immunitätsfragen (Asylrecht und Gerichtsbarkeit), die Streitigkeiten über das Konkustodierecht der Stadt hinsichtlich der Heiligtümer und Krönungsinsignien, Wasserstreitigkeiten (die Stadt suchte die für die industrielle Fortentwicklung notwendigen Wasserläufe in die Hand zu bekommen entgegen den Interessen der stiftischen Mühlenanlagen) und die Streitigkeiten um Akzise und Besteuerung. In letzterer Hinsicht war auch die städtische Amortisationsgesetzgebung von großer Bedeutung. Die Arbeit zeigt, wie es der Stadt in zäher Ausdauer gelang, in die stiftischen Vorrechte Bresche auf Bresche zu legen, bis die Revolution auch die letzten Reste kirchlicher Vorrechte beseitigte. --

Eingehende Mitteilungen über ein erst kürzlich von der Stadt Köln erworbenes Kopiar des dortigen St. Pantaleonsklosters macht E. Kuphal ( 2001). Es gehört in der Hauptsache dem Ende des 15. Jahrhunderts an. Seine Entstehung ist mit dem Beitritt des Klosters zur Bursfelder Kongregation (um 1450) in Zusammenhang zu bringen, da deren Statuten auf sorgfältige Wirtschaftsführung und Sparsamkeit Wert legen. Die Handschrift bietet eine ganze Reihe früher Nachrichten über das Kloster, die sonst nicht überliefert sind.


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Einige druckt Kuphal im Anhang ab und gibt Regesten von allen Urkunden der Kölner Erzbischöfe, die in Knippings Werk fehlen. -- Die Einführung der Bursfelder Reform in Maria Laach schildert W. Hilpisch ( 1998). Von den unfaßbaren Zuständen, die dort in den Jahren 1469--1474 herrschten, erhalten wir hier ein anschauliches Bild. Reformierte und Nichtreformierte standen sich schroff gegenüber und der Konflikt zwischen ihnen übertrug sich auch auf die Erzbischöfe von Köln und Trier, die beide gewisse Rechte in Laach hatten. Schließlich mußte der Trierer mit Gewalt die Nichtreformierten vertreiben, bevor es gelang, die bereits 1469 vom Abt Adam Mayer von Groß-St. Martin in Köln angebahnte Reform durchzuführen. Auf die umfassende Tätigkeit dieses Abts in der Reformierung niederrheinischer Klöster (er war der Vertrauensmann der Herzöge von Jülich und Kleve) hätte hierbei hingewiesen werden können. -- In die Zeit dieser gewaltigen Bewegung zur Erneuerung des mönchischen Lebens führt uns auch die Arbeit von P. Gabriel M. Löhr ( 1956). Dieser hat zu den früher von ihm veröffentlichten Beiträgen zur Geschichte des Kölner Dominikanerklosters im Mittelalter eine wertvolle Ergänzung gefunden durch ein in der Frankfurter Stadtbibliothek verwahrtes Diarium des Dominikanerpriors Servatius Fanckel († 1508). Dieser war 1467 in das Kloster eingetreten, als es gerade reformiert worden war. Er wurde ein entschiedener Vorkämpfer der Observanz und nahm schließlich eine bedeutende Stellung im Orden ein. Von 1467 bis 1488 (in letzterem Jahre wurde er Prior) hat er in diesem Diarium die Disputationen und Promotionen mit den entsprechenden Namen genau aufgezeichnet, die in der theologischen Fakultät stattfanden, und gibt damit ein Bild des Betriebs an dieser Fakultät grade in ihrer Blütezeit. Löhr hat sich darauf beschränkt, »das herauszuheben, was geschichtlichen oder kulturgeschichtlichen Wert hat oder was für die Technik der Disputation von Bedeutung ist«. Aber er hat diese Edition nicht nur durch eine ausgezeichnete Einleitung erst recht genießbar gemacht, sondern auch für alle hier genannten Persönlichkeiten das erreichbare Material beigebracht, für das ihm die Keußensche Ausgabe der Kölner Matrikel das Wichtigste bot. Die Schrift ist als 25. Heft der Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland erschienen.

Auf Anregung Grevings hatte W. Schmetz ( 2138) dem bedeutenden Vorkämpfer der Gegenreformation auf niederländischem Gebiet, dem Roermonder Bischof Wilhelmus Lindanus, schon seit langem umfassende archivalische Studien gewidmet. Sie sollten den Unterbau für eine Biographie des Bischofs bilden, von der nun der erste Teil vorliegt. In ihm wird die Wirksamkeit des Lindanus vor Antritt seines Bischofsamts behandelt. So beschränkt sich die Darstellung auf die Jugendzeit und die Ausbildung in Dortrecht, Löwen und Paris, auf seine Tätigkeit an der Hochschle zu Dillingen (1554--1557), sowie auf die Wirksamkeit als Generalkommissar und Offizial in Friesland (1557--1560) und als Dechant an der Hofkirche im Haag (1558--1569). Dabei ist es dem Verfasser gelungen, in vielfacher Weise die Mitteilungen des Havensius zu ergänzen. Zu einer abschließenden Würdigung der literarischen Tätigkeit dieses eifrigen Streiters der katholischen Kirche wird erst der zweite Teil der Biographie Gelegenheit bieten. -- Die Gegenreformation hatte auch die Begründung des Seminarium Norbertinum in Köln veranlaßt. Hatte Th. Paas ( 2000) im ersten Abschnitt seiner Arbeit die äußere Geschichte von 1615 bis


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1802 geschildert, so behandelt er jetzt die innere Einrichtung dieses Seminars: die Vorbereitung auf die höheren Studien, die Tages- und Studienordnung, die wissenschaftlichen Leistungen usw. Im allgemeinen scheint das Seminar den Anforderungen gerecht geworden zu sein, die bei seiner Gründung gestellt wurden, wenn auch die wissenschaftliche Ausbildung hier dieselben Mängel aufweist, die dem philosophischen und theologischen Studium des 17. und 18. Jahrhunderts anhafteten.

Als erste Niederlassung der Jesuiten auf deutschem Boden hat das Kölner Kolleg eine bedeutende Stellung eingenommen. Ihr Gymnasium bildete einen Bestandteil der Kölner Artistenfakultät. Insofern ist ein Bericht von besonderem Interesse, den H. Schrörs ( 2131 a) über die Aufhebung dieses Kollegs veröffentlicht. Er stammt aus der Feder des Exjesuiten Adam Contzen (1739 bis 1804), der seit 1770 Professor der Philosophie war und somit alles aus intimster Kenntnis berichtet. Der Herausgeber hat die Stellen weggelassen, die sich gegen die Anklagen wegen der Lehre des Probabilismus usw. richteten, da sie an Tatsachen nichts Neues geboten haben würden. Vielleicht hätte diese Apologetik doch mancherlei Interesse geboten.

Die Säkularisation der Düsseldorfer Klöster behandelt auf Grund sorgfältiger Studien in den Akten des dortigen Staatsarchivs die tüchtige Dissertation von U. Klein ( 2131). Trotz der mancherlei Schäden, die auf dem Gebiet der Seelsorge zu erwarten waren, wurde die Aufhebung sämtlicher Korporationen, abgesehen von den Klöstern der Cellitinnen (Krankenpflegerinnen) und Ursulinen (Lehrschwestern) verfügt und durch die sog. Separatkommission durchgeführt. -- Schließlich mag hier H. Bruders ( 1953) mit seiner kleinen Schrift erwähnt sein, die den Historiker insofern interessieren kann, als sich in seiner Darstellung (in deren Mittelpunkt die Dogmen von der unbefleckten Empfängnis und der päpstlichen Unfehlbarkeit stehen) gewissermaßen der Ablauf der deutschen Kulturentwicklung widerspiegelt vom Schulbetrieb in Klöstern und Städten an über Humanismus, Reformation und Aufklärung bis zu den theologischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts. Dabei ist es lehrreich, zu sehen, wie hier mit leichter Hand notwendige historische Entwicklungsreihen umgebogen werden zugunsten eines einseitigen dogmatischen Standpunkts.

Zur Geschichte der Reformationszeit und des evangelischen Kirchenwesens sind auch in diesem Berichtsjahre nur bescheidene Gaben zu erwähnen. Im Hinblick auf die bevorstehende Vierhundertjahrfeier des Martyriums von Adolf Clarenbach sind alle Ergänzungen zu den Forschungen K. Kraffts über den bekannten Prozeß von Wert, so auch die beiden Stücke, welche H. Keußen ( 2248) veröffentlicht: die Klage des Inquisitors Kollin über das Reichskammergericht, weil es die Freigabe Clarenbachs verlangt hatte, und die Ausführungen des Syndikus der Stadt Köln beim Kammergericht, die auf die frühere Wirksamkeit Clarenbachs Bezug nehmen. -- Von dem Religionsgespräch, das im Jahre 1571 in Essen zwischen dem orthodoxen Lutheraner Heinr. Hamelmann und dem kalvinisch gesinnten Essener Prediger K. Isselburg stattfand, bietet uns W. Rotscheidt den von Hamelmann im Jahre 1572 herausgegebenen Bericht ( 2249), der erst neuerdings in Wolfenbüttel aufgefunden worden ist. Isselburgs Bericht vom Jahre 1574 scheint verschollen zu sein. Somit ist der eigentliche Hergang nicht zu ermitteln. Hamelmanns Bericht offenbart deutlich die Schwächen des »lutherischen Eiferers«, durch dessen Vorgehen es in der


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Stadt zu Tumulten kam. Der Rat, der sich auf das Augsburger Bekenntnis verpflichtet hatte, entsetzte zwar Isselburg seines Amts, aber die Empörung der Menge ließ es Hamelmann geraten erscheinen, Essen wieder zu verlassen.

Treffende Quellenkritik und sicheres Urteil verrät der Aufsatz von A. Loch ( 2254). Es gelingt ihm, vorzüglich auf Grund einer sehr seltenen Druckschrift im Birkenfelder Landesmuseum vom Jahre 1613, die mancherlei Irrtümer über die Geschichte der Kirche Oberstein, die besonders durch die Schrift von Upmann verbreitet worden sind, aufzuklären und dann auch die Ansicht zu begründen, daß Graf Philipp von Dhaun etwa 1547 ebenso wie in Broich und Mülheim auch in Oberstein die Reformation eingeführt hat. Die etwas verwickelten genealogischen Verhältnisse des Dhaunschen Geschlechts werden dabei eingehend erörtert und im Hinblick auf die konfessionelle Stellung der einzelnen Familienglieder untersucht. Die Versuche, Oberstein wieder dem Katholizismus zuzuführen, scheiterten endgültig 1636, als der streng lutherische Graf Wilhelm Wyrich von der Linie Broich in Oberstein zur Herrschaft gelangte. -- Die Untersuchungen von H. Müllers ( 2251) zeigen, daß eine evangelische Gemeinde (Rheindahlen) nur dadurch dem Normaljahr ( 1624) zum Opfer fallen konnte, daß sie vorher keinen selbständigen Prediger besaß. Und doch hatte sie ca. 50 Jahre lang bestanden. -- Auf die Schilderung der wechselvollen Schicksale der evangelischen Gemeinde Ratingen durch O. R. Redlich ( 2252) ist bereits oben S. 596 hingewiesen worden.


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