V. Kirchengeschichte.

Das neubegründete Archiv für elsässische Kirchengeschichte ist eine sehr willkommene Gabe, nicht nur, wie der Herausgeber, Diözesanarchivar Brauner hofft, für das katholische Elsaß, sondern für jeden Freund der deutschen und elsässischen Kirchengeschichte. Was seit Grandidier auf letzterem Gebiet geleistet wurde, ist zumeist in kleineren Arbeiten zerstreut; der Gedanke, für solche Studien ein bequem zugängliches Sammelbecken zu schaffen, darf selbst in unseren, mit Zeitschriften allzu reich gesegneten Tagen auf freudige Zustimmung rechnen, um so eher, wenn sich das Gebotene auf einer so beachtenswerten Höhe hält, wie die Beiträge des ersten, im Berichtsjahr vorliegenden Bandes, aus dem hier nur kurz einiges herausgegriffen sei. L. Pfleger ( 1993) behandelt die Geschichte der Abtei Neuburg, die seit den Tagen Dom Moreaus (Ende 18. Jahrhundert) arg vernachlässigt worden ist. Er beschränkt sich auf die wirtschaftliche und territoriale Entwicklung. Erstere, durch eine folgerichtige, aus der Lage des Klosters sich ergebende staufische Politik stetig gefördert, erreichte ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und fand in der zweiten Hälfte des 14. durch die Engländerkriege und innere Mißhelligkeiten ein rasches Ende. Die Territorialbildung, obwohl auf nur vier Dörfer beschränkt, ist immerhin beachtenswert, da sie durchaus nicht bei allen süddeutschen Zisterzienserklöstern die Regel war; ihr Ursprung aus Übertragung landgräflicher und landvogteilicher Befugnisse ist z. T. urkundlich nachweisbar. -- M. Barth ( 2126) widmet eine umfangreiche, auf ausgebreitetem Quellenstudium beruhende Arbeit der Geschichte des Straßburger Visitandinnenklosters, das nach dem Übergang der Stadt in französische Herrschaft begründet wurde und anfangs (unter der Superiorin Franziska von Baden, der Tante des berühmten Türkenlouis) im badischen Hof, dann von 1702 bis 1792 in dem alten Frauenkloster St. Stephan sein Domizil hatte. Für die elsässische Kulturentwicklung ist das Kloster insofern von Bedeutung gewesen, als das mit ihm verbundene Pensionat für adelige Zöglinge, von Paris aus lebhaft gefördert, zur Verwelschung der sozialen Oberschicht im 18. Jahrhundert nicht unwesentlich beitrug. -- Einen Nachtrag zur Fälschertätigkeit Grandidiers liefert R. Friedel ( 2048), der nachweist, daß der in G.s Nachlaß enthaltenen und von Ingold veröffentlichten Statistik des Bistums Straßburg (angeblich v. J. 1454) keine authentische Überlieferung zugrunde liegt, sondern daß sie, wahrscheinlich mit Hilfe einer Steuerrolle und anderer Dokumente, künstlich und nicht einmal immer richtig konstruiert wurde. Die Arbeitskraft und Quellenkenntnis Grandidiers bleiben immer bewundernswert; daß er in manchen Fällen »die Rechte eines gewissenhaften Geschichtsschreibers überschritten« hat, dürfte nachgerade evident erwiesen sein und sollte keinen Anlaß mehr zu gereizten Ehrenrettungsversuchen bieten. -- Zur Kenntnis des im Elsaß weitverbreiteten Wallfahrtswesens bildet das Buch von


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Levy ( 2069) einen zuverlässigen Führer, den man neben dem topographischen Wörterbuch von Clauß in vielen Fällen wird zu Rate ziehen müssen. Besonders dankenswert ist es, daß auch die verschwundenen Ortschaften in weitem Umfang berücksichtigt werden. Leider -- und man kann sagen unbegreiflicherweise -- fehlt ein alphabetisches Verzeichnis der Heiligen. Bei einer zweiten Auflage müßte diesem Mangel unbedingt abgeholfen werden, damit das Buch auch für die allgemeine Heiligen- und Patrozinienforschung ein brauchbares Hilfsmittel wird. -- In der Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. behandelt K. Stenzel ( 1950) die Beziehungen Geilers von Kaysersberg zu Graf Friedrich von Zollern. Durch Ausbeutung der Missivbücher des Straßburger Domkapitels ist es St. geglückt, die Fortdauer der zwischen beiden Männern bestehenden engen Freundschaft auch für die Jahre 1489 bis 1503, über die es bisher an Überlieferung fehlte, nachzuweisen und zugleich zu dem damals ausgefochtenen langwierigen Straßburger Dekanatsstreit und Geilers Mitwirkung dabei manches Neue beizubringen. -- Zur kirchlichen Kunstgeschichte ist die eindringliche Arbeit von F. Stoehr ( 2068 a) über den Engelspfeiler des Straßburger Münsters zu nennen. Die beigegebenen Abbildungen, deren Eindruck leider durch die mangelhafte Reproduktionstechnik etwas beeinträchtigt wird, bieten insofern gegenüber den früheren Arbeiten von Hell und Walter etwas vollständig Neues, als der bewußte Versuch gemacht wird, unter Überwindung beträchtlicher technischer Schwierigkeiten die Figuren des Pfeilers in Einheit mit dem architektonischen Rahmen und in der durch ihren Standort bedingten Perspektive zu zeigen. Aus dem Inhalt der Abhandlung ist der Nachweis hervorzuheben, daß der Pfeiler nicht, wie Dehio u. a. gemeint haben, eine abgekürzte Darstellung des Weltgerichts bieten soll, sondern ein »liturgisches jüngstes Gericht« in engem Anschluß an Matth. 24, 14--35, d. h. also ein »feierliches Praeludium« zum eigentlichen Gericht. In der jüngst öfter behandelten Frage der »Autorschaft« des Pfeilers nimmt Stoehr mit Entschiedenheit den Standpunkt ein, daß der ganze Zyklus in Entwurf und Ausführung auf einen einzigen Meister zurückgeht, und begründet diese Auffassung durch überzeugende Würdigung der Einheit der Komposition und des ihr innewohnenden Bewegungsrhythmus. Auch wer diese Ausführungen Stoehrs nicht bis in ihre letzten Einzelheiten zu billigen geneigt ist, wird sie doch bei künftiger Behandlung des Problems ernstester Beachtung würdigen müssen.


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