VI. Kultur- und Bildungsgeschichte.

Das heute so naheliegende, aber noch nicht im Zusammenhang behandelte Thema der kulturellen Beziehungen zwischen dem Elsaß und Baden hat G. Wolfram ( 754) zum Gegenstand eines Vortrages gemacht. Von der natürlichen Einheit der oberrheinischen Ebene und ihrer Bewohner ausgehend, schildert er auf einem kurzen Gang durch die Geschichte, wie diese Einheit ununterbrochen fortgedauert und gewirkt hat, wobei das Elsaß, durch die Entwicklungsmöglichkeit reicheren Lebens auf dem breiteren Raum der Ebene begünstigt, im Verkehrsleben wie in der höheren geistigen Kultur der gebende, Baden im wesentlichen der empfangende Teil war. -- Die rassenmäßige Einheit der Bevölkerung auf dem rechten und linken Ufer scharf zu betonen, liegt um so mehr Anlaß vor, als die Franzosen fortfahren, diese für ihre gegenwärtige Politik unbequeme Tatsache entweder zu leugnen oder durch Taschenspielerkünste wegzuzaubern. Den letzteren Weg beschreitet R. Dumon ( 752), der an Stelle des »mystischen« Begriffs der Rasse den der


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»intelligence organisatrice« setzen will und infolgedessen den natürlichen Gegebenheiten des Volkstums eine verschwindend geringe Bedeutung beimißt im Vergleich zu den Faktoren, die durch die politischen Schicksale eines Volkes allmählich herausgebildet werden. Man wird nun zwar leicht zugeben, daß die Merkmale der Rassenzugehörigkeit nicht mit absoluter Unveränderlichkeit feststehen, sondern im Lauf der Zeit gewissen Abwandlungen unterworfen sind; daß aber auch hier eine Tradition besteht und zwar eine Tradition, die an fest eingewurzelter Lebenskraft die künstlichen Bildungen des politischen Gemeinschaftslebens (wie etwa das im Elsaß entwickelte französische Nationalgefühl) weit übertrifft, muß gegenüber den geistreichen und beredten Ausführungen Dumons entschieden aufrecht erhalten werden. -- Unsere Kenntnis der Geschichte der Straßburger Universität erfährt durch die Arbeiten von Meyer ( 2533) und Schulze ( 2534) eine nicht unwesentliche Bereicherung. Die statistische Ausbeutung der Straßburger Matrikeln durch Schulze ist besonders dadurch wertvoll, daß ihre nüchternen Zahlen unwiderlegbare Schlüsse auf den Charakter der elsässischen Kultur und die Beziehungen des Elsaß zu Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert gestatten. -- Rudolf Reuß, der im Jahre 1924 verstorbene elsässische Historiker, war im Gegensatz zu seinem Vater, dem Theologen Eduard Reuß, von Jugend auf durchaus französisch eingestellt. Daran vermochte auch sein Studium in Deutschland (bei Ranke, Droysen und Waitz), dessen Wert er übrigens selbst dankbar anerkennt, nichts zu ändern, und sein französischer Patriotismus hat sich gelegentlich in leidenschaftlicher Form geäußert (Lieder des Hasses 1870). Eine unbefangene Würdigung seines wissenschaftlichen Lebenswerkes läßt indessen darüber hinwegsehen. Reuß ist der fruchtbarste und wohl auch bedeutendste elsässische Historiker des 19. Jahrhunderts. Die Bibliographie seiner Schriften, die er selbst noch zusammengestellt hat ( 135), umfaßt, von Hunderten von Aufsätzen abgesehen, allein an selbständigen Schriften 144 Nummern, darunter umfangreiche Werke von dauernder Bedeutung, wie l'Alsace au XVIIe siècle u. a. Der Bibliographie hat Reuß selbst eine Skizze über seine ersten literarischen Versuche vorangeschickt; gefolgt wird sie von einer kurzen biographischen Studie, die Chr. Pfister dem verstorbenen Freunde gewidmet hat. So ist bis zur Abfassung einer ausführlichen Biographie zunächst alles Wissenswerte über R. Reuß in diesem Band vereinigt.


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