III. Landesgeschichte.

Einen bei aller Kürze recht beachtenswerten Überblick über die Geschichte Württembergs von den ersten Anfängen der Grafschaft an bis herab zur Neuordnung nach dem Weltkrieg mit besonderer Berücksichtigung der staatlichen Entwicklung schenkt uns die kundige Hand K. Wellers ( 265) als Beitrag zu der bereits besprochenen Nägele-Festschrift. Ebenda veröffentlicht Viktor Ernst eine knapp gehaltene, aber durch die ihm eigene Klarheit und begriffliche Schärfe ausgezeichnete Studie über die Entstehung der Städte des heutigen Württemberg, die sich fast durchweg als Gründungen des deutschen Hochadels des 12. bis 14. Jahrhunderts erweisen ( 1558). Über den Rahmen des späteren Mittelalters hinaus führt die Betrachtung der vereinzelten Stadtgründungen oder Erhebungen früherer Dörfer zu Städten aus späterer Zeit und des neuen württembergischen Gemeinderechts, das den Gemeinden, die eine bestimmte Einwohnerzahl erreicht haben, ohne weiteres den Stadtcharakter zugesteht.

Aus dem Gebiet der mittelalterlichen Landesgeschichte sind weiter keine Einzelarbeiten hervorzuheben; um so eifriger hat sich die Forschung dem blutigen Zwischenspiel des Bauernkriegs zugewandt, wobei sie sich mit besonderer Vorliebe mit den Führerpersönlichkeiten und dem Führerproblem beschäftigt. A. Willburger (Jahresbericht 1925, Nr. 938) will an der Hand von zumeist aus Württemberg stammendem Material den Bauernkrieg als soziale Bewegung mit stark religiösem Einschlag, ja mittelbar als Religionskrieg deuten, an dessen furchtbarem Verlauf die Reformation wesentlich Schuld trage; er nimmt jedoch seiner These jede Schlagkraft durch das grundsätzliche Zugeständnis, daß der erkennbare Einfluß der Reformation auf die bäuerliche Bewegung »nicht eben groß« sei. Über den obersten Hauptmann der württembergischen Bauern, Martin Feuerbacher aus Bottwar, handelt eine umfangreiche Arbeit, deren ersten


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Teil G. Bossert d. j. vorlegt ( 1007). B. trägt das in rastloser Arbeit namentlich im Stuttgarter Staatsarchiv ausgehobene Material zur Lebensgeschichte dieser bedeutenden und weitblickenden Führergestalt, die die bäuerliche Bewegung im Interesse von Volk und Land in friedliche Bahnen zu lenken suchte, sorgsam in zumeist streng chronologischer Ordnung zusammen. Der Erfassung der Persönlichkeit F.s bleibt der Verfasser manches schuldig; als gewissenhaft gearbeitete und ziemlich erschöpfende Materialsammlung bildet seine Arbeit einen sehr wertvollen Beitrag zur Geschichte des Bauernkriegs. An dem Scheitern der Bestrebungen Feuerbachers trugen zu gutem Teil rohe und einer gewalttätigen Demagogie huldigende Gesellen wie der Bauernführer Jäcklein Rorbach aus dem Heilbronnischen Dorf Böckingen, der Urheber der verhängnisvollen Weinsberger Bluttat, wesentlich Schuld. Gerade diesen wüsten, im Grunde wenig bedeutenden Menschen haben, wie M. v. Rauch in einem zumeist das Material des Heilbronner Urkundenbuchs verwertenden Aufsatz ( 1008) nachweist, nur persönliche Privathändel in die Reihen der aufständischen Bauern geführt. Die Beweggründe, die zahlreiche Geistliche in Schwaben zur Teilnahme -- oft in führender Stellung -- an der bäuerlichen Bewegung bestimmt haben, und das Schicksal, das sie nach Niederwerfung des Aufstandes traf, beleuchtet A. Willburger (Jahresbericht 1925, Nr. 938). Eine gewisse Ergänzung hierzu bietet Jos. Zeller ( 1006) durch Aufklärung der Rolle, die zwei Pfarrer aus der Ellwanger Gegend, Wolfgang Kirschenesser (Kirchbaum) von Beersbach, Pfarrer zu Frickenhofen, und Heinrich Held, Pfarrer zu Bühlertann, im Bauernaufstand spielten.

Für das spätere 16. und 17. Jahrhundert ist kein wesentlicher Beitrag zur allgemeinen Landesgeschichte zu verzeichnen. Erst die Zeit Herzog Carl Alexanders (1733--1737) ist wieder vertreten durch Elwenspoeks »auf Grund sämtlicher Akten, Dokumente, Überlieferungen« aufgebaute Darstellung der Geschicke »des großen Finanziers und galanten Abenteurers« Jud Süß ( 2323). E. verzichtet von vornherein auf eine wissenschaftliche Auswertung des für Wirtschafts- und Finanzgeschichte besonders aufschlußreichen Materials zu dieser durch Hauffs Novelle in die deutsche Literatur eingeführten Episode der württembergischen Geschichte; er bemüht sich vor allem um eine möglichst angenehm lesbare, aber objektiv gehaltene Herausarbeitung der Persönlichkeit und der persönlichen Erlebnisse des jüdischen Kavaliers, der zweifellos als Opfer der aufgewiegelten Volksleidenschaft und eines ungerechten, mit E. nur als politischer Mord zu bezeichnenden Justizakts fiel, während mindestens gleich schwer belastete christliche Helfer Carl Alexanders nahezu straffrei ausgingen. Immerhin hat der Verfasser auch die politischen Voraussetzungen für die Süßschen Finanzoperationen unter wohl nicht immer genügend kritischer Verwertung neuen Materials mehrfach kurz skizziert; da, wie auch H. Hefele in einem weiter unten zu besprechenden Aufsatze aufzeigt, die politischen Pläne Carl Alexanders im wesentlichen eine wichtige Vorstufe zu der Politik König Friedrichs I. bilden, da ferner alle früheren Arbeiten über Jud Süß aus bestimmten Gründen das vorliegende Material nur beschränkt verwerten konnten, verdient E.s Schrift, solange keine wissenschaftliche Neubearbeitung des Stoffes auf gleichen Materialgrundlage vorliegt, die Beachtung des Historikers. -- Für den Zeitraum der Revolutionskriege ist eine Studie von I. H. Greef über die Schlacht von Malsch-Rotensol-Dobel vom 9. Juli 1796 zu erwähnen, durch


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deren unglücklichen Ausgang die Österreicher und ihre Verbündeten gezwungen wurden, den Franzosen den Weg in die württembergischen Lande und nach Ulm freizugeben ( 1124). Neben ortsgeschichtlichem Material verwertet der Verfasser auch sächsische und österreichische Archivalien.

In der von Eugen Schneider selbst besorgten Sammlung seiner wichtigsten Vorträge und Abhandlungen, die der verdiente Jubilar und Veteran der württembergischen Geschichtsforschung dem Württ. Geschichts- und Altertumsverein als Dankeszeichen für die Ernennung zum Ehrenmitglied widmet, überwiegen die Beiträge zur Geschichte der neuesten Zeit ( 225). Sie geben ein bei aller Lückenhaftigkeit gutes Bild der geschichtlichen Entwicklung des Königreichs Württemberg von den ersten Anfängen bis zum traurigen Ausklang und stellen eine erste, keineswegs erschöpfende, Ausbeute der neuerdings der Benützung zugänglich gewordenen Aktenbestände des Staatsarchivs dar. Soweit es sich nicht lediglich um unveränderten Wiederabdruck alter Bekannter handelt, werden die wichtigeren Beiträge im einzelnen an der gebührenden Stelle im folgenden angezeigt werden. Die Politik Württembergs von den Tagen des Basler Friedens an bis zum deutsch-dänischen Krieg kennzeichnet Hermann Hefele in einem geistvollen und gedankenreichen Vortrag, der in der Nägele- Festschrift ( 212) zum Abdruck gelangt, als eine Schöpfung der Idee der inneren politischen Festigung des deutschen Volkes und seiner Erziehung zum Staatsgedanken. Unter scharfer Abwehr Treitschkescher Vorurteile entwirft er mit besonderer Liebe das Bild König Friedrichs I., des Schöpfers des modernen württembergischen Staates, während König Wilhelm I., der Vollender des staatlichen Neubaus, in etwas knapperer, aber durchaus angemessener Form behandelt wird; dabei werden, wie schon früher erwähnt, interessante Rückblicke auf die Zeit Herzog Carl Alexanders eingeschaltet ( 1189). Die in der Einleitung im Gegensatz zu Treitschke scharf pointierte Kennzeichnung der preußischen bezw. der württembergischen Politik des 18. Jahrhunderts als »reichsfeindlich« bzw. »reichsfreundlich« dürfte allerdings nicht den Kern der Sache treffen; beide Staaten bzw. Dynastien handeln, wie H. auch für Württemberg darlegt, nach der ihnen von ihren Interessen aufgezwungenen Eigengesetzlichkeit. H.s kurze Darlegungen dürften zu den besten Schilderungen der württembergischen Politik in der Zeit der staatlichen Neuaufrichtung gehören, die die Forschung bisher aufzuweisen hat.

Das Bild, das E. Schneider auf Grund von Akten des Staatsarchivs von dem Verlauf der Verhandlungen beim Übertritt König Friedrichs auf die Seite der Verbündeten im Jahre 1813 entwirft, läßt das Verhalten Metternichs und der verantwortlichen bayrischen Persönlichkeiten, voran Montgelas' und Wredes, gegen Württemberg in recht zweideutigem Licht erscheinen; in eingehender Untersuchung wird der Vorwurf eines geheimen verräterischen Verkehrs, den König Friedrich mit Napoleon nach dem Abschluß des Fuldaer Vertrags gepflogen haben sollte, als unbegründet erwiesen ( 1149). Eine dankenswerte Ergänzung zu dem Schneiderschen Aufsatz bietet eine hübsche Studie des unermüdlichen Erforschers der Tübinger Studenten- und Verbindungsgeschichte Georg Schmidgall über die Gesellschaften und Verbindungen, die sich auf dem eigentümlichen geistigen Nährboden des Tübinger Theologenstifts im Zeitalter der Befreiungskriege bildeten. Wir erhalten hier einen wertvollen Einblick in die Entwicklung des vaterländischen Gedankens und der deutschpatriotischen


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Gesinnung beim württembergischen Studententum ( 2527). In diesem Zusammenhang verdient auch ein Aufsatz von Max Grünbeck Erwähnung, der die erbitterte Gegnerschaft König Friedrichs gegen alle weitergreifenden deutsch-patriotischen Bestrebungen Steinscher und Görresscher Prägung an einem charakteristischen Ausschnitt, seinem Kampf gegen den um seine freimütige Kritik und seine Einmischung in den Verfassungskampf bitter gehaßten »Rheinischen Merkur«, darlegt ( 1185). Wertvoll sind die hier mitgeteilten Aktenstücke, die die Vorgeschichte des am 12. Juli 1814 über den »Merkur« verhängten Verbots aufhellen und weiter an einem Beispiel die Art und Weise des vom König gegen das Görressche Presseorgan geführten diplomatischen Kampfes beleuchten.

Einen Überblick über die inneren Zustände Württembergs beim Regierungsantritt König Wilhelm I. im Jahr 1816 gibt Schneider ( 1190); im Anschluß daran bespricht er die ersten Handlungen seiner Regierung: die Einführung der neuen Verfassung, die Stellungnahme zu den Karlsbader Beschlüssen und deren Rückwirkungen auf das innere Leben Württembergs, die Durchführung der Verwaltungsreform und die ersten Fürsorgemaßnahmen zur Hebung des wirtschaftlichen wie des geistigen Lebens des Landes. In die spätere Zeit der fast ein halbes Jahrhundert währenden Herrschaft König Wilhelms führt uns der gleiche Verfasser durch seine Schilderung des verschlungenen Intrigenspiels, das sich um das Verhältnis des Königs, seines Märzministeriums Römer und der württembergischen Volksvertretung zu der Frankfurter Nationalversammlung und der von ihm beschlossenen Reichsverfassung sowie um die zwischen diesen Instanzen bestehenden inneren Gegensätze abspielte ( 1215). Die reichliches Aktenmaterial verwertende Studie rückt die Darstellung in Brandenburgs Geschichte der Reichsgründung verschiedenfach zurecht und läuft im wesentlichen auf eine Rechtfertigung des Ministeriums Römer und der von ihm dem widerwilligen, auf seine Souveränität eifersüchtig wachenden König aufgezwungenen Politik hinaus. Diese Ausführungen ergänzt Schneider glücklich durch einen eingehenden Bericht über die geheimen Verhandlungen, die während des letzten Viertels des Jahres 1848 König Wilhelm hinter dem Rücken des Märzministeriums durch Vermittlung des geheimen Agenten Klindworth mit dem König von Bayern und dann im Verein mit diesem bei König Friedrich Wilhelm IV. in Berlin führte ( 1213). Der Versuch, eine unmittelbare Verständigung zwischen Preußen, Bayern und Württemberg zur Bekämpfung des die Souveränität der Einzelstaaten gefährdenden Frankfurter Kaiserprojekts und zur Förderung des Planes einer leitenden Fürstentrias herbeizuführen, scheiterte trotz des persönlichen Entgegenkommens Friedrich Wilhelms an der ablehnenden Haltung des Berliner Kabinetts. Im Anschluß an diesen Aufsatz veröffentlicht Schn. einige der wichtigeren Berichte Klindworths und Schreiben Friedrich Wilhelms IV. an König Wilhelm im Wortlaut ( 1214).

Den beiden im Vorjahre angezeigten Arbeiten über die revolutionäre Bewegung in Heilbronn und Reutlingen schließt sich als weitere regional abgegrenzte Einzeluntersuchung über die achtundvierziger Bewegung in Württemberg die materialreiche Erstlingsarbeit von Karl Wieland über den Verlauf der Revolution in Stadt und Oberamt Backnang, einem vom Kleinhandwerkertum und Kleinbauerntum beherrschten Gebiete, an ( 1216). Neben Zeitungen


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und anderem gedruckten Material wird auch die Gemeinderegistratur Backnang ausgewertet. Der zweite Teil der Arbeit verfolgt die politische Tätigkeit der vom Oberamtsbezirk erwählten Abgeordneten: des begabten, persönlich weit über den Durchschnitt hervorragenden, politisch radikal-demokratisch eingestellten Schlossermeisters Ferdinand Nägele, der als Vertreter des Bezirks in der Frankfurter Nationalversammlung und später auch im württembergischen Landtag wirkte, und des gemäßigteren, in der deutschen Frage »preußisch« eingestellten Stadtschultheißen von Backnang Schmückle, der kurze Zeit dem Landtag angehörte. F. J. Stetter zeigt, daß die über die Jahre 1849--1851 sich hinziehenden Versuche, die verschiedenen konservativ eingestellten Gruppen Württembergs zu einer konservativen Partei zusammenzuschließen, an deren inneren Uneinigkeit, namentlich gegenüber der deutschen Einheitsfrage, scheitern mußten ( 1660).

Von Freiherr H. v. Mittnacht, der über dreißig Jahre als Minister in Württemberg wirkte und in den Tagen der Reichsgründung eine entscheidende Rolle spielte, entwirft E. Schneider ein knappes Lebensbild, das den Minister gegen die Vorwürfe, die der Kriegsminister v. Suckow in seinen Aufzeichnungen gegen ihn erhoben hat, in Schutz nimmt und als eine sympathische Gestalt erscheinen läßt ( 1314). Dem Minister v. Weizsäcker hinwiederum, der als letzter Ministerpräsident des Königreichs Württemberg die Katastrophe von 1918 miterlebte, widmet Egelhaaf einen warmen Nachruf, in dem er uns zum großen Teil auf Grund persönlichen Erlebens einen kurzen Überblick über Lebensgang und politische und amtliche Wirksamkeit des hochverdienten Staatsmanns gibt ( 1315). Einen interessanten Ausschnitt aus der Entwicklung der öffentlichen Meinung und des außenpolitischen Verständnisses in Württemberg in der Zeit nach der Reichsgründung beleuchtet H. Eisenbacher in seiner Untersuchung über den allmählichen Wandel, der sich während der Jahre 1878--1885 in der Stellungnahme der württ. Parteipresse verschiedener Richtung zur Kolonialpolitik vollzieht ( 1302). Wie im übrigen Deutschland können wir auch hier das allmähliche siegreiche Vordringen des kolonialen Gedankens beobachten, dem die aus verschiedenen Gründen widerstrebende Presse demokratischer und katholischer Richtung schließlich Rechnung tragen mußte.


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