I. Allgemeine Quellenkunde.

Vielleicht gerade durch die politisch-wirtschaftliche Verkrüppelung Deutschösterreichs lenkt sich die Aufmerksamkeit von selbst mehr als ehedem auf die großen Quellenschätze, die in Bibliotheken und Archiven dieses Landes aufgestapelt vorliegen. Von Bibliotheken kommt in erster Linie die alte Wiener Hof-, jetzt Nationalbibliothek in Betracht, von den Archiven das Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Monumental wie das Gebäude ist die Festschrift der Wiener Nationalbibliothek ( 216), die dem 200jährigen Bestehen desselben gilt. Nicht weniger als 43 (eheoder dermalige) wissenschaftliche Beamte derselben haben die Beiträge geliefert. Dem Gebäude selbst ist nur ein einziger Aufsatz gewidmet, zahlreiche indes den Schätzen, die es birgt, drei der Anstaltsgeschichte im besonderen. Von den übrigen Beiträgen ist einer ( 925) an anderer Stelle im Zusammenhange angezeigt. Nur genannt werden können hier R. Sonnleithners Untersuchung der Mondseer Bruchstücke der ältesten hochdeutschen Evangelienübersetzung, H. Leporinis Beiträge zur Geschichte der österreichischen Miniaturmalerei des 15. Jahrhunderts (Simon von Niederaltaich und Martin von Senging) und F. Baumhackls Aufsatz ( 476) über die Beziehungen der Grafen von Schaunberg zur Herrschaft Orth im Marchfeld, auf die erst jüngst O. H. Stowasser die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Über die Geschichte der Wiener Universitätsbibliothek hat A. Jesinger, einer ihrer besten Kenner, einen auch für die allgemeine Geschichte wertvollen Abriß ( 85) geschrieben, in dessen Mittelpunkt die Jahre 1756 (Auflösung der alten) und 1777 (Eröffnung der neuen Bibliothek) stehen.

F. Reinöhl behandelt in seiner Studie zur Geschichte der Wiener Zentralarchive ( 57) den abenteuerlichen, von ungarischer Seite vorgebrachten Plan von 1884, aus den älteren Beständen derselben ein gemeinsames österreichischungarisches Staatsarchiv zu schaffen. -- Nach dem Beispiele Dehios (für die preußischen Staatsarchive) verzeichnet F. Reinöhl ( 58) ferner die politischen


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Nachlässe des 19. Jahrhunderts in den staatlichen Archiven Österreichs in einer alphabetischen, 111 Nummern umfassenden Liste. Solange der geplante Archivführer noch in Arbeit ist, wird O. Brunners Literaturverzeichnis zur Kenntnis des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs ( 56) dem Benützer desselben willkommene Dienste leisten können. Die Geschichte dieses Archivs berührt der von L. Bittner ( 61) mitgeteilte Plan von 1840--1842, in Verbindung mit jenem eine Universitätslehrkanzel für historische Hilfswissenschaften zu errichten. -- J. Seidls Abriß der Geschichte und Bestände des Wiener Staatsarchivs des Innern und der Justiz ( 59) hat heute, da dieses am 15. Juli 1927 zu vier Fünfteln verbrannt worden ist, leider zum größten Teile nur noch historische Bedeutung.


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