IV. Quellen und Darstellungen in der Reihenfolge der Ereignisse.

J. Ph. Dengels Studie über die Romfahrt Josefs II. von 1769 ( 1107) gewährt tiefe Einblicke in die Seele des jungen Kaisers. An einer Fülle von Einzelheiten (Gesprächen, Witzworten u. dgl.) erkennt man klar, wie wenig sein nüchterner, realer Sinn für Hof und Stadt übrig hatte. So versteht man es, daß Josef, wie er selbst sagt, Rom ohne Bedauern wieder verlassen hat. -- Familieninteressen und Kaunitzens sowie Van Swietens Einfluß haben nach B. Duhr ( 2096) Maria Theresia bestimmt, die Aufhebung des Jesuitenordens hinzunehmen. -- In lehrreicher Weise zeigt uns die Arbeit von Lorenz ( 1111), wie sich unter dem Eindrucke des im Feuer der französischen Revolution geschmiedeten modernen Patriotismus die Habsburgermonarchie bemühte, aus ihren verschiedenartigen Volksgliedern eine »Staatsnation« zu bilden und wie hiebei der Gedanke der Volksbewaffnung eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat. Der protestantische Ansbacher Friedrich Wilhelm Meyern, der in österreichische Dienste trat und dort als Hauptmann in besonderer Verwendung stand, gab in seinem Staatsroman »Dya-Na-Sore« von 1800 dem Gedanken einer Staatsvergottung Raum und trat in diesem Zusammenhang für die Idee des Bürgerheeres ein. Später machte diese Idee eine ähnliche Wandlung durch wie die Wertung der Publizistik, die man gegen die Revolution und Napoleon in den Augenblicken höchster Not wohl anwandte, denen man aber im Augenblick der Beruhigtheit mit dem Argwohn begegnete, den man jeglicher Volkserscheinung entgegenbrachte. (B.)


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Mit großem Fleiße hat R. Granichstaedten-Czerva ( 462) Andreas Hofers (1921 im Mannesstamme erloschene) Nachkommenschaft (7 Kinder und 24 Enkelkinder) verzeichnet, auch dessen Vorfahren und einige Seitenlinien aufgenommen. Desgleichen die Verwandtschaft Raffl. -- In Anbetracht der wenigen Zeugnisse, die wir von der Persönlichkeit Wilhelms von Tegetthoff besitzen, ist die Veröffentlichung von ungefähr 40 Briefen, die er in den Jahren 1864--1870 an die Gattin des preußischen, später deutschen Konsuls in Triest, Freiin Emma von Lutteroth, eine geborene Italienerin, richtete, von besonderem Werte. Die von H. Steinrück ( 1248 a) besorgte Ausgabe will keine kritische sein, doch genügt sie, um das nach außenhin scheue, aller Feierlichkeit und Mache abholde, innerlich aber von einem leidenschaftlichen Tatendrang durchglühte Wesen des großen österreichischen Admirals zu kennzeichnen. Auch die Konstruktionsfehler, die der Habsburgermonarchie anhafteten, treten in diesen Briefen deutlich zutage. (B.) -- J. Redlich bereichert unsere Kenntnis von der vielbemerkten Salzburger Zusammenkunft zwischen Franz Josef und Napoleon III. vom 18. August 1867 ( 1252) durch die Mitteilung zweier gleichzeitiger Aktenstücke von Beusts Hand, eines Memorandums und eines Berichtes über seine Unterredung mit Napoleon III.

K. Hugelmann ( 1615) zeigt die Zählebigkeit der altständischen österreichischen Landesverfassungen während der reichskonstitutionellen und der neuabsolutistischen Epoche (1848--1860): beide überstürzen sich und legen so jene Institutionen (1861 zu Landesordnungen ausgebaut) neuerdings bloß. -- Nach sechsjähriger Pause ist nun J. Redlich ( 1605) mit dem zweiten Bande seines großangelegten Werkes über das österreichische Staats- und Reichsproblem herausgekommen. Es umfaßt die Zeit vom sog. Februarpatent (26. Februar 1861), das die Ära eines die gesamte Monarchie (Ungarn mit inbegriffen) umfassenden Zentralismus einleitete, bis zur Ausbildung des Dualismus (1867). Die einer straffen Disposition entbehrende, bisweilen im Material erstickende Darstellung hat trotz der Voreingenommenheit des Verfassers gegen den deutschen Zentralismus hohe Verdienste um die Kenntnis einer Zeit, zu deren Erhellung erst jetzt die geschichtlichen Quellen der Forschung zugänglich wurden. Persönlichkeiten wie Franz Josef, Schmerling, Belcredi, Deák, Beust, die Unfähigkeit des österreichischen Beamtentums, gegen die Beweglichkeit der Politik der ungarischen Gentry aufzukommen, die Haltung der Regierung nach der Schlacht von Königgrätz -- das alles rückt dank der Akteneinsicht, die dem Verfasser gewährt wurde, in ein ungleich volleres Licht, als dies bisher der Fall war. (B.)

Aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv hat Seton-Watson ( 1292) die serbischen Akten benützt, die sich auf die Sendung des erst neunundzwanzigjährigen Benjamin Kallay als diplomatischen Agenten nach Belgrad (1868--1874) beziehen. Diese Akten bringt der Verfasser vielfach in Auszügen zum Abdruck. Auch wenn man nicht allen Schlußfolgerungen des bekannten Publizisten folgen kann, so gibt der Inhalt dieses hier benützten amtlichen Schriftenverkehrs manche Aufschlüsse über Ereignisse und Erscheinungen, die den Weltkrieg einbegleitet haben. (B.) -- Einen Beitrag zur Geschichte der Zeit von 1879 bis 1888 liefert Schünemann ( 1289), indem er die Stellung Bismarcks einerseits zu Österreich-Ungarn, dann aber auch zu Rußland untersucht. Im Gegensatz zu Heller kommt er in seinen lang ausgesponnenen Darlegungen


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zu der Erkenntnis, daß für Bismarck nicht der mitteleuropäische Gedanke, sondern immer nur der Schutz des Deutschen Reiches maßgebend in allen Fragen seiner Bündnispolitik geblieben ist. Die Wiederherstellung des Dreikaiserbündnisses vom 8. VI. 1881 war die Voraussetzung für den Abschluß des Dreibundes, der der Habsburgermonarchie eine wertvolle Abschwächung der verschiedenen sie bedrohenden Irredenten brachte. Indem gezeigt wird, wie das Dreikaiserbündnis den Konflikt zwischen Österreich und Rußland, der 1885 begann, nicht aus der Welt zu schaffen vermochte, taucht auch schon in ihren Umrissen die Vorgeschichte des Rückversicherungsvertrages auf. (B.) -- Auf eine Quelle zur Geschichte Österreichs unter Kaiser Franz Josef macht Twardowski ( 1405) aufmerksam. Es sind dies die zunächst in polnischer Sprache erschienenen »Erinnerungen und Dokumente« Leo Bilinskis, deren Verfasser zu den gewandtesten und einflußreichsten Politikern in den letzten Dezennien des Bestandes der alten Monarchie gehörte, der sich schließlich auch noch im neuen Polen 1919 als Finanzminister versuchte. Dieses am 16. Mai 1917 begonnene, am 15. Juni 1923 beendete Memoirenwerk teilt, wie es scheint, mit allen ähnlichen Erinnerungsbüchern, die nicht auf gleichzeitig abgefaßten Aufzeichnungen fußen, den Vorzug rein persönlicher Auffassung und eines ungezügelten Subjektivismus, aber auch alle Nachteile egozentrischer Betrachtungsweise. Eine Fülle von oft scharfen, ja überscharfen Urteilen über die führenden Persönlichkeiten jener Epoche würzt die Darstellung dieses Mannes, der sich selbst gern als ein Werkzeug der Vorsehung bezeichnete. (B.) -- In sachlich ruhiger und überlegter Weise sucht Lehmann ( 1466) vorzüglich auf Grund der Memoirenwerke von Conrad von Hötzendorf, Stürgkh und Cramon die Ursachen für den Wandel festzustellen, der sich in der bundesfreundlichen Gesinnung zwischen der deutschen und der österreichisch-ungarischen Heeresleitung im zweiten Kriegshalbjahr vollzogen hatte. Der Verfasser gibt zu, daß Conrad ein Recht besaß, sich über den Mangel an rückhaltslosem Vertrauen von seiten der deutschen O. H. L. zu beklagen; andererseits mag es richtig sein, daß es Conrads Sache gewesen wäre, bei den Beratungen vor Kriegsausbruch die Interessen für die Sicherung der Ostfront wahrzunehmen. (B.) -- Der Anteil der österreichischen Heere an den Erfolgen im Weltkriege kommt bei Krauß ( 1483) zu seinem Rechte. Er dachte sich seine knappe Darstellung als eine Art Ergänzung zu dem umfangreichen Werke von Krafft v. Dellmensingen, in der die österreichischen Leistungen besonders berücksichtigt, zugleich aber auch die Vorzüge der deutschen Führung in vollem Maße anerkannt werden sollen. (B.)


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